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Archiv "Superlative im Reich der Mitte" (09.09.1983)

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Spruchbänder zum Empfang in Shanghai

Leserdienst

Hinweise •Anregungen

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Heft 36

vom 9. September 1983

Alles an der Volksrepublik China scheint überdimensio- niert. Die Landfläche liegt na- he bei einer Milliarde Qua- dratkilometer, und die Bevöl- kerungszahl nähert sich einer Milliarde Menschen. Der gro- ße Aufmarschplatz vor dem Tor des himmlischen Frie- dens faßt eine Million Men- schen, und Chinas Wunder- bauwerk, die Große Mauer, ließe sich in Europa nirgend- wo unterbringen. Der Land- koloß, der sich über 60 Län- gen- und 35 Breitengrade er- streckt, reicht von der sibi- risch-kalten Mandschurei im Nordosten zu feuchtheißen Randtropenzonen im Süden.

Archäologisch läßt sich nachweisen, daß es im 3.

Jahrtausend v. Chr. am mitt- leren Huang Ho schon eine hochentwickelte Kultur gab, zu einer Zeit also, in der die frühesten Hochkulturen der Menschheit in Mesopota- mien gerade tausend Jahre alt waren.

In der Nacht noch hatten wir von Deck aus das Ein- laufen unseres 35 000-Ton- ners, der „Europa", vom ostchinesischen Meer her in die Mündung der Flüsse Yangzi und Huangho beob- achtet. Wir glitten an Tau- senden von Schiffen aller Bauarten vorbei, sahen Werften, in denen zur Zeit auch deutsche Frachter ge- baut werden, weil in China die Kosten ein Fünftel nied- riger liegen als an der deut- schen Küste.

Am frühen Morgen sahen wir dann das trübe Wasser des Gelben Flusses, der von seinen Löß-Schlamm- Massen den Namen hat.

Heute gilt der Gelbe Fluß als gezähmt. Jahrtausende- lang hatte er sich durch rie- sige Überschwemmungen Opfer um Opfer geholt. An der Pier zur Begrüßung rhythmische, dröhnende Schläge einer überdimen-

sionalen Pauke, dazu schrille Töne klangdiffe- renter Handbecken. Schul- kinder schwingen Tambou- rins und bunte Tücher. Auf ihren Gesichtern herzli- ches Lachen. Die Kinder la- chen in China immer und überall, während sich die Erwachsenen scheu und abwehrend geben. Shang- hai wirkt grau in grau. Die Menschenmassen in den Straßen, Männer wie Frau- en in blauen Drillich geklei- det, kommen gegen diese Farblosigkeit nicht an.

„Aerobic"

auf chinesisch

In modernen Bussen durchqueren wir die Stadt.

In den Nebenstraßen vor den Fenstern, auf Balko- nen und zwischen Allee- bäumen hängt Wäsche zum Trocknen; nirgendwo allerdings Unterwäsche,

weil der überaus abergläu- bische Chinese aus Furcht vor Unglück niemals unter solchen Kleidungsstücken her gehen würde. Käufer- schlangen belagern die Le- bensmittelgeschäfte, ob- wohl alle Menschen gut er- nährt scheinen. Die Kinder sind genau wie bei uns pummelig gefüttert. Die Kleinsten haben einen brei- ten Schlitz in der Hose, das spart Windeln.

In einer Jade-Fabrik sehen wir, wie aus kostbarem dunkelgrünen Nephrit Kunstwerke entstehen. Be- sonderes Anliegen unserer Gastgeber ist der Besuch einer Teppichfabrik. Wie Hornissenschwärme sum- men die elektrischen Sche- ren, mit denen die Teppich- flächen geglättet und die Muster herausgearbeitet werden. Plötzlich erklingt Lautsprechermusik. Die Ar- beiter treten in die Gänge, eine Gymnastikpause hat begonnen, „Aerobic" auf chinesich. Amerika hinkt da weit hinterher. Alle trei- ben in China Gymnastik.

Vor Anbruch des Tages sind auf den Straßen, Plät- zen und Parks Freiübun- gen, Jogging, Schattenbo-

Superlative im Reich der Mitte

Auf Weltreise mit MS „Europa" — Stippvisiten in Shanghai, in Peking und an der Großen Mauer

Ausgabe A DEUTSCHES ÄRZTEBLATT 80. Jahrgang Heft 36 vom 9. September 1983 103

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Die große Halle des Volkes mit Ehrenmal in Peking Fotos: Zylka Leserdienst

Hinweise • Anregungen

Im Reich der Mitte

xen und Entspannungs- übungen fällig; dasselbe wiederholt sich abends, und selbst tagsüber wird immer wieder geturnt.

In einer palastartig aufge- zogenen Industrieausstel- lung werden uns Seide, Lackmöbel, altes Porzellan und Cashmere-Stricksa- chen zu einem Drittel des- sen angeboten, was sie auf dem deutschen Markt ko- sten würden.

Hervorstechendes Merkmal:

Die Höflichkeit

Wir erleben einen Gottes- dienst im Tempel des Jade- Buddha. Alte und junge Mönche beten zusammen mit einigen Laien. Die sa- krale Kunst des Buddhis- mus ist uns fremd. Man kann sich der Stimmung, die sie ausstrahlt jedoch kaum erwehren.

Überall herrscht Höflich- keit, vor allem bei Fest- und Galadiners. Jedesmal sprach ein Minister per Dolmetscherin über „Frie- den und Freundschaft". An Bord wurde „Fliede und Fleundschaft" daraus.

Höchster kulinarischer Ge- nuß aller Diners: die Pe- king-Ente. Der Chefkoch der „Europa" importierte sie samt chinesischen Kö-

chen und Eßstäbchen, um sie uns auch an Bord ser- vieren zu können. „Peking- Ente" wird zelebriert. Die Köche brauchen 4 Tage zur Vorbereitung. Zwischen Haut und Fleisch wird Luft geblasen, damit die Pelle knusprig wird. Malzzucker sorgt für Bräunung. Dann wird die Ente mit kochen- dem Wasser gefüllt, um vertikal aufgehängt etwa eine halbe Stunde bei 270° C über Dattel-, Pfir- sich- und Birnbaumholz- Feuer zu dämpfen. Ist sie gar, wird sie den Hungri- gen, die an Rundtischen sitzen, in deren Mitte sich eine große Scheibe dreht, erst einmal vorgeführt. Auf den Drehscheiben der Ti- sche stehen die besonde- ren Leckerbissen: Leber, Magen und Flügel, auch die Schwimmhäute, ferner schwarze eingelegte Eier mit Essig, Sesamöl und Soyasoße gewürzt, dazu noch Zunge, Magen, Pan- kreas, Leber, Herz — alles in flachen Pfannkuchen ein- gewickelt. Die Gewürze sind delikat, aber nicht definier- bar. Zusätzlich gibt es Sup- pe und Gemüse und zwi- schendurch ein Schlück- chen „Motaii", der dem Aquavit ähnelt. Als Getränk wird warmer Reiswein ge- reicht.

Höhepunkt der Reise war die Hauptstadt Peking. Ihr

Flugplatz ist modern, er ähnelt dem von Köln—

Bonn, hat aber eine noch geringere Frequenz. Über die 40 Kilometer lange Straße des ewigen Frie- dens, die von Hochhäusern eingefaßt ist, ging es zur Stadt. In grellem Licht brei- tete sich der Platz vor dem Tor des himmlischen Frie- dens aus. Er hat unwahr- scheinliche Ausmaße. 1 Million Menschen können hier aufmarschieren. Am Ehrendenkmal prangen ro- te Fahnen mit goldenen Sternen. Riesige Gebäude, wie die Große Halle des Volkes, das Ehrenmal und das Mausoleum Mao Ze- dongs, das leider geschlos- sen ist, säumen die Seiten.

Die Reiseführerin — sie sprach akzentfrei deutsch

— redete viel von der Revo- lution. Die Kulturrevolution wurde nur mit dem Satz er- wähnt, daß man wieder viel aufbauen müsse.

Durch das Tor

des himmlischen Friedens in die „Verbotene Stadt"

Durch das Tor des himmli- schen Friedens betreten wir die „Verbotene Stadt", den Kaiserpalast. Es gibt kaum Gleichwertiges in der Welt. Im hellen Licht er- strahlt uralte Architektur, großartig bis ins Detail.

Täglich defilieren Tausen-

de von Chine an durch den Palast.

Im Bus zur

„Großen Mauer"

Von der Polizei eskortiert, fuhren wir in Bussen zur Großen Mauer. Kleine Bau- ernhäuser in ärmlichem Zustand, umgeben von Gärten, jetzt wieder Privat- eigentum, säumen die Stra- ße. Jeder Quadratmeter fruchtbaren Bodens wird bebaut. Das rund 2500 Jah- re alte Wunderwerk zeigte sich im Bestzustand. Es windet sich wie eine Silber- schlange über Gipfel und Täler, ist mit Quaderstei- nen verkleidet, hat zur Nordseite Zinnen und Schießscharten, ist 7 bis 8 Meter hoch und 6 Meter breit, und alle 140 Meter steht ein Wachtturm. Der glatte Steinbelag des Pa- trouillenweges macht das Wandern nicht gerade mü- helos. Die Länge der Mau- er, sie scheint von Horizont zu Horizont zu laufen, wird mit zwischen 2500 und 12 500 Kilometern ange- geben.

In Hongkong, das wir zuvor angelaufen hatten, erleb- ten wir eine westliche Ver- sion Chinas: Superkapita- lismus plus chinesischen

„Bienen"-Fleiß. In Macao standen wir verständnislos vor chinesischem Aber- glauben und riesigen Spiel- kasinos. In der Volksrepu- blik China, so scheint uns, ist ein ganz anderes China erwacht. Der Drang zu Bil- dung und Fortschritt ist ex- plosiv. Wir erlebten Men- schen von großer Herzlich- keit und hoher Arbeitsmo- ral. Das Land der Mitte, frü- her abgeschirmt, hat sich geöffnet, wahrscheinlich weder dem Osten noch dem Westen, sondern sei- ner Version von Ost und West. Es dürfte in Zukunft den Lauf der Welt entschei- dend mitbestimmen.

Dr. Norbert Zylka, Chirurg, 5200 Siegburg

104 Heft 36 vom 9. September 1983 80. Jahrgang DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Ausgabe A

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