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Archiv "Niederlassungsberatung in der DDR: Vor einem Berg von Problemen" (27.08.1990)

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Niederlassungsberatung in der DDR:

Vor einem Berg von Problemen

Auch nach dem „Frühling '90", seit es den bislang angestellten Ärz- tinnen und Ärzten der DDR prinzi- piell erlaubt ist, sich als freiberuflich tätige Ärzte niederzulassen, ist es bisher noch zu keiner „Massenbewe- gung" und einer „Flucht in die freie Praxis" gekommen Der niedergelas- sene Arzt ist im Gesamt des DDR- Gesundheitswesens immer noch eine Ausnahme, ein „Exot" (wie sich ein niedergelassener Arzt anläßlich ei- nes von Asta-Pharma am 21. Juli ver- anstalteten Informations-Symposi- ons in Leipzig bezeichnete).

Rund 400 bis 450 Kassenärzte in freier Praxis wurden Ende 1989 in der DDR (bei 16,1 Millionen Einwoh- ner!) gezählt. Darunter waren rund 260, die bereits das normale „Renten- alter" von 65 Jahren erreicht hatten und immer noch „arzteten" (wegen ei- ner minimalen Rente auch mußten).

Rund 50 der niedergelassenen Kas- senärzte waren dauerhaft erkrankt oder erwerbs- beziehungsweise be- rufsunfähig. Inzwischen dürfte sich die Zahl der in der DDR niedergelas- senen Ärztinnen und Ärzte auf rund 800 erhöht haben (amtliche Zahlen gibt es bislang nicht).

ü „Reservoir" Niederlassung

Nach Berechnungen des Zen- tralinstituts für die kassenärztliche Versorgung (ZI), Köln, müßten sich rechnerisch in der DDR rund 15 000 Ärzte niederlassen, wenn die in der Bundesrepublik Deutschland gelten- den Planungskriterien und Anhalts- zahlen für die kassenärztliche Be- darfsplanung auch auf dem Territo- rium der heutigen DDR angewandt würden und tatsächlich die ambulan- ten und stationären Versorgungs- strukturen spiegelbildlich zu denen der Bundesrepublik in der DDR auf- gebaut und weiterentwickelt würden.

Heute gehen Schätzungen davon aus, daß die Zahl der überhaupt nie- derlassungswilligen und niederlas- sungsfähigen Ärztinnen und Ärzte in

der DDR allenfalls — und auf mittle- re bis lange Sicht — maximal 10 000 betragen dürfte. Frühere Prognosen und Erwartungen, die auf 20 000 nie- derlassungswillige Ärzte tendierten, werden heute als „illusorisch" und

„irreal" bezeichnet.

Zwar gibt es in der DDR inzwi- schen Ärzteverbände, die sich um die Anliegen der niederlassungswilli- gen Ärztinnen und Ärzte und der be- reits Niedergelassenen kümmern, ihr Einflußvermögen an höherer Warte (zum Beispiel bei den Behörden und in der Politik) ist immer noch sehr gering. Beim „Asta-Hearing" berich- tete Dr. med. Michael Kretschmar, seit Jahren erfolgreich niedergelas- sener Arzt und Mitbegründer des Verbandes der niedergelassenen Ärzte in der DDR, Landesverband Sachsen, daß Ärzte seit Frühjahr 1990 zwar Anträge auf Niederlas- sungsgenehmigung stellen können, diese seien aber häufig nur zögerlich bearbeitet worden. Es wird vermu- tet, daß aus „bestimmten Gründen"

einigen Kolleginnen und Kollegen die Genehmigung bevorzugt erteilt wurde.

Hinzu kommt Die Informa- tionsängste und Verunsicherungen sind gerade im Zusammenhang mit der Diskussion um den Entwurf ei- nes „Gesetzes zur Errichtung von Krankenkassen", der geplanten

„Krankenversicherungs-Vertragsver- ordnung" und dem „Gesetz über die Krankenhausfinanzierung in der DDR" noch größer geworden.

Zur Zeit weiß niemand „drü- ben", was „Sache" ist oder was „Sa- che werden könnte". Dies bremst den Niederlassungsdrang, zumal auch das inzwischen einer „Schlank- heitskur" unterzogene Strategie-Pa- pier des Bundesverbandes der Orts- krankenkassen (BdO) zur Einfüh- rung einer Einheitskrankenkasse, zum gespaltenen Sicherstellungsauf- trag und zu dem Ansinnen, Poliklini- ken als Kassen-Regiebetriebe zu führen, auch in der DDR-Ärzte- schaft hohe Wellen schlug.

Auch die Grundvoraussetzun- gen für Existenzgründungen sind bis- lang noch nicht geschaffen: Immer noch gilt die alte Preußische Gebüh- renordnung von 1924/1954 (Preu- Go), und auch eine der Amtlichen Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) ähnliche Privatgebührenordnung ist in der DDR noch längst nicht in Sicht . . .

„Doppelte Vorsicht”

U

Dr. Kretschmar, Kassenarzt aus Leipzig, berichtete: Für die Erstkon- sultation (Nr. 19 PreuGO) erhält der niedergelassene Arzt der DDR un- verändert 2 DM brutto (auf zweimal pro Monat limitiert). Das Durch- schnittsnettoeinkommen der nieder- gelassenen Ärzte liegt mit 2300 DM pro Monat zur Zeit unterhalb des Durchschnittsverdienstes von ange- stellten Poliklinik- und Ambulatori- umsärzten. Der Fallwert (Honorar pro Schein und Quartal) liegt in der DDR bei 7 DM (in der Bundesrepu- blik im Durchschnitt bei 70 DM).

Dr. med. Carola Paul, seit April 1990 in Eilenburg/Sachsen als Allge- meinärztin zusammen mit ihrem Ehemann (Anästhesist) in einer Ge- meinschaftspraxis niedergelassen, riet ihren niederlassungswilligen Kolleginnen und Kollegen zu dop- pelter Vorsicht. Jeder müsse prüfen, welchen Preis er für die freie Tätig- keit zahlen wolle, man müsse sich fragen, ob man von tradierten ärztli- chen Idealen Abstriche machen wol- le, dem Dienst nach Vorschrift ade sagen will und in Zukunft als risiko- tragender Arzt nicht nur patienten- nahe Versorgung und Qualität bie- ten, sondern auch durchaus Unter- nehmer sein will.

Auch bei der Kreditprüfung müßten die erzielbaren Einnahmen der Arztpraxis sehr sorgfältig kalku- liert werden. Nicht jedes verlocken- de Kreditangebot und Angebote zur

„perfekten" Praxisausrüstung seien finanzierbar und für DDR-Kollegen attraktiv, kommentierte Frau Dr.

Paul aus eigener Erfahrung. Auch hier seien Abstriche notwendig. Und die Versprechungen/Erwartungen, ab 1991 könnten die niedergelasse- nen Kassenärzte in der DDR mit A-2530 (26) Dt. Ärztebl. 87, Heft 34/35, 27. August 1990

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DEUTSCHES

ÄRZTEBLATT

KURZBERICHTE

dem EBM-System und dem halben BRD-Punktwert rechnen, sind für viele DDR-Ärzte noch zu vage.

Für viele DDR-Kolleginnen und Kollegen kommt der Sprung in die niedergelassene Praxis schon aus Al- tersgründen nicht mehr in Frage. Ab dem 45. Lebensjahr läßt sich die Exi- stenzgründung — auch unter Berück- sichtigung des erzielbaren Famili- eneinkommens — für viele nicht mehr rechnen. Hinzu kommt - Viele Ärzte in staatlichen Krankenhäusern, Am- bulatorien und Polikliniken haben einen finanziellen und sozialen „Be- sitzstand" erreicht, der von keinem noch so wohlgesonnenen Arbeitge- ber kurz und mittelfristig „entgol- ten" werden könne, so die Mehr- heitsmeinung in Leipzig.

Beruflich und berufspolitisch er- fahrene Kollegen, die in Leipzig re- ferierten (so der niedergelassene Arzt Dr. med. Dr. jur. Alexander P.

F. Ehlers, München) empfahlen Pra- xisgründungen mit möglichst gerin- gem Einsatz, um das Kosten-Lei- stungs-Verhältnis zu optimieren. Es genüge, so Ehlers, zunächst mit Ste- thoskop und einer Liege anzufangen.

Dem widersprachen aber niederge- lassene Ärzte aus der DDR: So kön- ne man in der DDR nicht gegen die Polikliniken konkurrenzfähig blei- ben und existieren.

Praxis-Raus not

Vielfach klagen niederlassungs- willige Ärzte in der DDR über Schwierigkeiten, geeigneten Praxis- raum anzumieten oder zu erwerben.

Immer noch gilt in der DDR die Wohnungszwangs-Bewirtschaftung mit einem kräftezehrenden Behör- denkrieg. Eine Wohnung kann nicht ohne weiteres in eine Praxis „um- funktioniert" werden.

Dennoch sind die DDR-Kolle- gen bewunderswert optimistisch und unverdrossen, wenn sie sich fest ent- schlossen haben, in freier Praxis nie- derzulassen. Ein Teilnehmer in der KMU Leipzig riet: „Wenn Sie Druck beim Rat der Stadt machen, können Sie die Räume unter Umständen mieten oder pachten. Sie müssen nur beharrlich sein und selbst aktiv wer- den . . ." Dr. Harald Clade

Behinderte in der DDR:

Staatliche Mittel,

zentralistische Führung

Eine sorgfältige Prüfung der Be- dürfnisse behinderter Menschen und die Mitwirkung bei der Angleichung der sozialen Systeme haben rund 100 Vertreter von Selbsthilfeverbänden und -initiativen aus der DDR und der Bundesrepublik kürzlich in Schmallenberg (Sauerland) gefor- dert. Bei einer dreitägigen Begeg- nungsveranstaltung, zu der die Bun- desarbeitsgemeinschaft Hilfe für Be- hinderte und ihre Mitgliedsverbände eingeladen hatten, wurde deutlich, daß die Übernahme bundesdeut- scher Gesetze sowohl bei den Betrof- fenen aus der DDR als auch bei der bundesdeutschen Behinderten- Selbsthilfe nicht nur als Chance be- griffen wird. Beide Seiten machten erhebliche Einwände geltend.

„Die gesetzlichen Regelungen im Rahmen des Schwerbehinderten- gesetzes reichen nicht aus, mit Schwerbehinderten besetzte Ar- beitsplätze zu sichern und arbeitslo- se Schwerbehinderte beruflich wie- der einzugliedern", erklärten Betrof- fene in einem Forderungskatalog. Es werde völlig außer acht gelassen, daß die nötige Infrastruktur zur Umset- zung des Gesetzes, wie z. B. Haupt- fürsorgestellen und die entsprechen- de Gerichtsbarkeit, bisher in der DDR fehlten.

Weitere Bereiche des Sozialsy- stems, die behinderte Menschen in der DDR trotz der anerkannten Vorteile der bundesdeutschen Rege- lungen mit Skepsis betrachten, sind:

• die mangelnde Absicherung des Pflegekostenrisikos,

• die beschränkten Befugnisse der Schwerbehindertenvertretungen sowie

• das bundesdeutsche Sozialhil- ferecht.

Die Abschaffung einer der weni- gen tatsächlichen „Errungenschaf- ten" des DDR-Systems, die Invali- denrente für behinderte Menschen ab dem 18. Lebensjahr, betrachten viele Menschen in der DDR als Ver-

schlechterung ihrer Situation. „Die bisherigen Invalidenrentner werden

plötzlich zu Sozialhilfeempfängern, was wir als Deklassierung empfin- den", sagte Dr. Rolf Kießling aus Magdeburg, Präsidiumsmitglied des neuen „Behindertenverbandes der DDR".

Kießling nutzte das Treffen zu einer umfangreichen Darstellung der Situation Behinderter in der DDR.

Bis Oktober/November 1989 gab es demnach in der DDR lediglich einen Blinden- und Sehschwachenverband (BSV) sowie einen Gehörlosen- und Schwerhörigen-Verband (GSV).

Beide sind 1957 gegründet worden.

Daneben existierte noch im Rahmen des Deutschen Turn- und Sportbun- des der DVfV — Deutscher Verband für Versehrtensport. Diese Organi- sationen erhielten staatliche Mittel und wurden zentralistisch von Berlin aus geführt, wie Kießling ausführte.

Von vielen Körperbehinderten sei seit mindestens 20 Jahren immer wieder versucht worden, eine eigene Organisation zu gründen. Sie erhiel- ten stets den Hinweis, daß ihre Inter- essen beim FDGB, der Gewerk- schaft, ausreichend vertreten wür- den. In einigen Städten, wie zum Beispiel Halberstadt, konnten sich trotzdem kleine Selbsthilfegruppen etablieren, die aber immer am Ran- de der Legalität lebten. Allerdings existierte sowohl in der evangelisch- lutherischen wie in der katholischen Kirche seit langem eine gemeinsame Hilfe zur Selbsthilfe. Es bestanden nach Angaben Kießlings auch einzel- ne staatlich geförderte Beratungs- stellen, besonders für Alkoholkran- ke, die aber fast immer nur dem per- sönlichen Engagement einzelner Ärzte zu verdanken waren.

Zwar gab es ein großes staat- liches Netz mit Bezirks- und Kreis- Rehabilitations-Zentren (BRZ), be- setzt mit Ärzten und Fürsorgerin- nen. Allerdings waren die Unter- schiede in den einzelnen Bezirken beträchtlich. Diesen staatlichen Re- ha-Stellen waren sogar Rehabilita- tionskommissionen zugeordnet, in die Behinderte berufen, aber keines- wegs von den Betroffenen selbst de- mokratisch delegiert oder gewählt wurden, so Kießling. Mit dem Reha- System sei es nicht so optimal be- stellt gewesen, wie es heute Mitar- beiter darzustellen versuchten. EB A-2532 (28) Dt. Ärztebl. 87, Heft 34/35, 27. August 1990

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