Petra Gall/Zebra
NICO
Zu dem Feuilleton-Beitrag von Thomas Böhm: „Nico und der Rest der Welt", in Heft 43/1986, - Seite 2962:
Mutter der Scene
So was Überraschendes — Nico im Feuilleton des Deut- schen Ärzteblattes zu finden
—, jene spröde, entfernte Frau, aus der Zeit, als noch Power in der Scene war, die heute zunehmend primitiv- kommerzialisiert mit einer Massenproduktion von Hard- Kiff-and-Shooter-Rock auf ihren Instrumenten herum- trommelt und vergeblich ver- sucht, Originalität vorzuma- chen, da, wo damals, vor 20 Jahren, Massenkreativität das Land beherrschte, die den Sozial- und Gesell- schaftsmuff von 60 Jahren im 20. Jahrhundert beseitefegte.
Daß der peinliche Erdenrest Psilocybin, LSD, Dope und Opium die ersehnte Bewußt- seinsschärfe in mißverstande- ner Pseudobewußtseins- erweiterung verenden ließ und Trip und Flash zu uner- meßlichen Opfern an Persön- lichkeitsverlusten führten, ist die wahre Tragik des Beginns unseres letzten Jahrhundert- drittels.
Der neue Aufbruch ver- starb mit dem vergangenen Jahrzehnt, als aus der Scene Kitsch, Kommerz und Plastik wurde und Lärm 15 Jahre tra- gischer und tödlicher Suche nach dem, was „jenseits" ist- The Doors mit Jim Morrison:
Break an through to the other side — langsam enden ließ.
Unberührt davon, die Re- präsentanten der Zeit strei- fend, Stücke mit ihnen ge- hend, wanderte Nico mit der engagierten Distanziertheit ihres einmaligen, fremden Sounds durch die Flower- Scene, die Power-Scene, ein- sam, erregend, kühl. War- hols Factory-geborene Kult- legende einer keineswegs schweigenden Minderheit:
„Velvet Underground" war doch irgendwie für die Kids ein gehobener Jokus, Mutter in der Scene war Nico.
Th. Böhms Plattenbiblio- graphie ist dankenswert.
„The Marble Index" gehört noch dazu (Words and music:
Nico, arrangements natürlich John Cale).
Dr. med. Hanswilhelm Beil, Volksdorfer Damm 34, 2000 Hamburg 67
STATISTIKEN
Zu dem Beitrag von Dr. Jens Jessen „Wer arm ist, erkrankt häu- figer und stirbt eher" in Heft 46/1986:
Pirmasens etc.
Der Verfasser scheint von dem negativen Bild, das un- sere Gesundheitsinventur für das Land Rheinland-Pfalz er- geben hat, getroffen zu sein.
Anders ist es nicht zu erklä- ren, daß er nicht einmal das Mindestmaß an Fairness und Verpflichtung zur Wahrheit wahrt.
1. Wir sehen es als eine journalistische Aufgabe, bis- lang unveröffentlichte Stati- stiken zu publizieren und da-
mit eine Diskussion in Gang zu setzen. Nicht mehr und nicht weniger haben wir be- hauptet. Im Resümee unse- rer Bestandsaufnahme heißt es:
„Wenn auch manches klarer geworden ist, vieles bleibt unklar Eindeutige Zusammenhänge — was ist Ursache, was Wirkung? — lassen sich nur selten herstellen. Solche Kausalitäten herauszufinden, bleibt Aufgabe der epidemiologi- schen und soziologischen For- schung, kann nicht Aufgabe einer journalistischen Bestandsaufnah- me sein. Sie sollte Daten sichtbar machen, Interpretationen versu- chen, vor allem aber Fragen auf- werfen. Die Politiker müssen jetzt darangehen, nach den Antworten suchen zu lassen."
2. Nicht die Autoren, son- dern die Mitarbeiter des Statistischen Landesamtes Rheinland-Pfalz haben einen systematischen Fehler ge- macht, weil sie sich nicht an die Anweisung des Bremer Rechenzentrums hielten.
Dieser Fehler ist von keinem anderen der insgesamt elf Statistischen Landesämter begangen worden. Außer- dem haben wir uns des
„Sachverstandes" dieser Be- hörden nicht deshalb bedient (und ihn entsprechend be- zahlt), um danach deren Er- gebnisse noch überprüfen zu müssen. Die Behauptung des Rezensenten, der Fehler wollte uns „wohl nicht auffal- len", ist daher eine bösartige Unterstellung, mit der sich Dr. Jessen, der die Zusam- menhänge kennt, selbst dis- kreditiert.
3. Die korrigierten Daten des Statistischen Landesam- tes lassen für die Stadt Pirma- sens keinesfalls eine bessere Gesundheitssituation erwar- ten. Vielmehr hat sich die Stadt vom letzten auf den vorletzten Platz von den 328 Landkreisen und Städten ver- bessert. Auch das Gesamt- bild von Rheinland-Pfalz bleibt negativ: Unter den zehn Kreisen mit der höch- sten Sterblichkeit an Herz- Kreislauf-Erkrankungen liegt die Hälfte in Rheinland- Pfalz.
4. Wir haben an keiner Stelle unseres Buches den Ratschlag erteilt, „die Be-
wohner von Pirmasens soll- ten schnellstens Rheinland- Pfalz verlassen". Das Gegen- teil ist richtig: Wir haben dar- auf verwiesen, daß die Inven- tur kein Anlaß zu einer Um- zugswelle sein sollte, wohl aber dazu „ungesunde Ver- hältnisse" zu ändern.
5. Der Bewertung des An- gebots von Altersheimplät- zen liegt keineswegs „Volks- heim-Denken" zugrunde, sondern die Frage, ob die so- ziale Versorgung der älteren Menschen ausreichend ist.
Eine solche Auswertung ist keineswegs so unsinnig, wie der Rezensent glauben ma- chen will: Die Versorgung mit Altersheimen gilt nach allgemeiner Einschätzung als ein Kriterium für die Sozial- pflege. So haben zum Bei- spiel die Statistischen Lan- desämter Hessens und Bay- erns Auswertungen in der ex- akt gleichen Form vorgenom- men wie wir.
6. Die uns in den Mund gelegte Behauptung über die Höhe der Suizid-Raten in Rheinland-Pfalz ist falsch. Es wird an keiner Stelle des Bu- ches behauptet, daß „sich die höchste Selbstmordrate in Baden-Baden (Rheinland- Pfalz) feststellen" lasse. Statt dessen heißt es:
„Die drei Landkreise mit den bundesweit höchsten Suizid-Antei- len liegen im Norden: Nienburg/
Weser, Lüchow-Dannenberg und die Stadt Flensburg."
7. Das Zitat: „Vor der In- terpretation der Daten steht die Manipulation" ist eine Zwischenüberschrift aus dem Kapitel „Statistische Metho- den". Dort wird erläutert, nach welchem Verfahren die Rohdaten standardisiert, also verändert werden mußten, um sie vergleichbar zu ma- chen.
Aus dem journalistischen Zwischentitel gewissermaßen die Behauptung abzuleiten, wir hätten selbst zugegeben, dem Leser manipulierte Da- ten aufzutischen, macht die Bösartigkeit der Rezension deutlich.
Egmont R. Koch, Dr.
Reinhard Klopfleisch, Armin Maywald, Am Dobben 105, 2800 Bremen 1
A-214 (58) Dt. Ärztebl. 84, Heft 5, 28. Januar 1987