• Keine Ergebnisse gefunden

Sie leben nicht vom Verb allein

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Sie leben nicht vom Verb allein"

Copied!
23
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

Frank & Timme

Sie leben nicht vom Verb allein

Beiträge zur historischen Textanalyse, Valenz- und Phraseologieforschung

Hartmut E. H. Lenk /

Ulrike Richter-Vapaatalo (Hg.)

S P R A C H W I S S E N S C H A F T

Verlag für wissenschaftliche Literatur

(2)

Hartmut E. H. Lenk / Ulrike Richter-Vapaatalo (Hg.) Sie leben nicht vom Verb allein

(3)

Sprachwissenschaft, Band 25

(4)

Hartmut E. H. Lenk / Ulrike Richter-Vapaatalo (Hg.)

Sie leben nicht vom Verb allein

Beiträge zur historischen Textanalyse, Valenz- und Phraseologieforschung

Verlag für wissenschaftliche Literatur

(5)

Umschlagabbildung: Goldrahmen_3 © PEHA – Fotolia

Oben v. l. n. r.: Jarmo Korhonen, Karl May, Johann Wolfgang von Goethe, Emil Öhmann Unten v. l. n. r.: Martin Luther, Willy Brandt, Irma Hyvärinen, Theodor Fontane

ISBN 978-3-7329-0098-5 ISSN 1862-6149

© Frank & Timme GmbH Verlag für wissenschaftliche Literatur Berlin 2015. Alle Rechte vorbehalten.

Das Werk einschließlich aller Teile ist urheberrechtlich geschützt.

Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts- gesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar.

Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Herstellung durch Frank & Timme GmbH, Wittelsbacherstraße 27a, 10707 Berlin.

Printed in Germany.

Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier.

www.frank-timme.de

(6)

© Frank & Timme Verlag für wissenschaftliche Literatur 5

Inhaltsverzeichnis

HARTMUTE. H. LENK und ULRIKERICHTER-VAPAATALO

Ehre, wem Ehre gebührt

Vorbemerkungen der Herausgeber ...7 ALBRECHTGREULE

Im Anfang war das Verb

Syntaktische und textgrammatische Untersuchungen zur Bibelsprache ... 17 NORBERTRICHARDWOLF

Textanalyse und Korpuslinguistik ... 31 LUDWIGM. EICHINGER

Muster bilden: das Verb und andere Verantwortliche ... 43 HANS-WERNEREROMS

Hugh, ich habe gesprochen.

Formelhafte Redeweise und Valenz ... 63 HARALDBURGER und PETERZÜRRER

Plurilinguale Phraseologie bei Theodor Fontane

und ihr zeitgeschichtlicher Hintergrund ... 91 WOLFGANGMIEDER

Der Mensch lebt nicht vom Brot allein.

Zu Willy Brandts gesellschaftspolitischer Sprichwortrhetorik ... 119 JARMOKORHONEN

Zur Entlehnung von Idiomen und Sprichwörtern ins Finnische ... 151 IRMAHYVÄRINEN

Zur Verbstellung indass-Sätzen bei zyklischer Subordination Ein Vergleich komplexer Satzgefüge mit den Kombinationendass wenn und dass je … desto ... 177 HARTMUTE. H. LENK und ULRIKERICHTER-VAPAATALO

Historischer Zweischnitt

Positionen zur aktuellen Entwicklung der finnischen Germanistik ... 195 Autorenverzeichnis ... 223

(7)
(8)

© Frank & Timme Verlag für wissenschaftliche Literatur 7 HARTMUTE. H. LENKund ULRIKERICHTER-VAPAATALO

Ehre, wem Ehre gebührt Vorbemerkungen der Herausgeber

Martin Luther, Johann Wolfgang von Goethe, Karl May, Theodor Fontane und Willy Brandt ௅ die Liste herausragender Persönlichkeiten, deren Sprachschaffen eine Spur in der Entwicklung der deutschen Sprache hinterlassen hat und deren Texte den Gegenstand einer Reihe von Beiträgen in diesem Band bilden, ist beein- druckend. Ihr Beitrag zum Sprachschatz des Deutschen zeigt sich insbesondere in geflügelten Worten, die in vielen Fällen längst zu Idiomen und Sprichwörtern ge- worden sind. Mit diesem Bereich des Wortschatzes, der Phraseologie (in einem weiten Begriffsverständnis und unter Einschluss von historischen Entwicklungen sowie Entlehnungsbeziehungen), befassen sich sechs der neun Beiträge dieses Ban- des. Der Schwerpunkt zweier weiterer Beiträge liegt auf der historischen Ent- wicklung der Valenz speziell von Verben.

Diese beiden Themenbereiche, die Phraseologie und die Valenzforschung, stellen die Arbeitsschwerpunkte der beiden Helsinkier Germanistikordinaria dar, die die finnische Germanistik in den vergangenen Jahrzehnten wesentlich prägten und die im Laufe des Sommers 2014 emeritierten: Prof. Jarmo Korhonen Ende Mai 2014, Prof. Irma Hyvärinen Ende August 2014. Aus diesem Anlass veranstalte- te die Fachrichtung Germanistik im Institut für moderne Sprachen der Universität Helsinki am 21. August 2014 ein Ehrensymposium für ihre beiden aus dem aktiven Dienst scheidenden Professoren. Sechs Beiträge des vorliegenden Bandes gehen auf Vorträge dieses Symposiums zurück. Sie werden ergänzt durch je einen Beitrag der Geehrten und durch eine Betrachtung der Herausgeber zur aktuellen Situation der Germanistik in Finnland.

Beide Emeriti können auf eine jahrzehntelange erfolgreiche wissenschaftliche Tätigkeit an verschiedenen Universitäten in Finnland und in Deutschland zurück- blicken.

(9)

HARTMUTE. H. LENKund ULRIKERICHTER-VAPAATALO

8 © Frank & Timme Verlag für wissenschaftliche Literatur

Jarmo Korhonen promovierte 1978 an der Universität Oulu mit einer herausragen- den Dissertation (Korhonen 1977/78), in der das damals höchst innovative De- pendenz- und Valenzmodell der Syntaxbeschreibung auf einen Text Martin Lu- thers, also auf die frühneuhochdeutsche Sprachperiode, angewandt wurde. Bereits ein Jahr später wurde er, im Alter von erst 33 Jahren, in Oulu zum ordentlichen Professor berufen. Von 1981 bis 1983 vertrat er die germanistisch-linguistische Professur an der Eberhard-Karls-Universität Tübingen. 1988 nahm er den Ruf auf die Germanistik-Professur in Turku an, seit 1993 wirkte er als ordentlicher Profes- sor für Germanistik an der Universität Helsinki.

Die wichtigsten wissenschaftlichen Teildisziplinen, in denen Jarmo Korhonen in Finnland und international ein großes Ansehen als theoretisch versierter, kennt- nisreicher und empirisch genauer Forscher erwarb, sind die Sprachgeschichte, die Valenzgrammatik, die Zeitungssprache, die Phraseologie und die Lexikographie. Zu drei der genannten Schwerpunkte leitete Jarmo Korhonen jeweils über mehrere Jahre laufende Forschungsprojekte, die von der Akademie Finnlands, dem Deut- schen Akademischen Austauschdienst und mehreren Stiftungen gefördert wurden.

Dazu gehören das in Oulu begonnene und in Turku fortgeführte Phraseologie- Projekt (1985–1991), in dessen Rahmen zahlreiche Qualifikationsschriften, mehrere Sammelbände und Monographien erschienen und das als „Nebenprodukt“ das fin- nisch-deutsche Phraseologiewörterbuch ‚Homma hanskassa / Alles im Griff‘ er- brachte (Korhonen 2001), und das große Lexikographie-Projekt, das von der Mitte der 90er Jahre an lief, ebenfalls mehrere Sammelbände hervorbrachte und seinen krönenden Abschluss mit der Publikation des ‚Deutsch-Finnischen Großwörter- buchs‘ (Korhonen (Hg.) 2008) erfuhr. 2012 begründete Jarmo Korhonen gemein- sam mit Albrecht Greule (Regensburg) das Projekt ‚Historisches syntaktisches Ver- bwörterbuch des Deutschen‘, in dem neben den Genannten weitere Forscher aus Finnland, Deutschland, Österreich und der Schweiz mitarbeiten.

Jarmo Korhonen war in zahlreichen wissenschaftlichen Gesellschaften und Vereinen, in wissenschaftlichen Gremien, in Redaktionen von Zeitschriften und Jahrbüchern, als Herausgeber zahlreicher Sammelbände und als Autor einer Viel- zahl von Aufsätzen und Handbuch-Artikeln ein hochgeachteter und stets verlässli- cher Partner. Von 1988 bis 2012 war er Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats des Instituts für Deutsche Sprache in Mannheim, von 1991 bis 1991 Mitglied des Vor- stands des Finnland-Instituts in Deutschland mit Sitz in Berlin, von 2008 bis 2014

(10)

Vorbemerkungen der Herausgeber

© Frank & Timme Verlag für wissenschaftliche Literatur 9

Präsident der Europäischen Gesellschaft für Phraseologie EUROPHRAS, von 1993 bis 2012 Vorsitzender des finnischen DAAD-Vereins und von 2001 bis 2014 Mitglied des Vorstands des Deutschen Bibliotheksvereins Helsinki. Er gehört seit den 1990er Jahren den Beiräten der bibliographischen Zeitschrift ‚Germanistik‘ in Tübingen und des ‚Jahrbuchs für internationale Germanistik‘ (Bern) sowie der

‚Mémoires de la Société Néophilologique de Helsinki‘ und der ‚Neuphilologischen Mitteilungen‘ in Helsinki an, deren Redakteur er von 2002 bis 2014 war. Zugleich fungierte Jarmo Korhonen als stellvertretender Vorsitzender des Neuphilologi- schen Vereins Helsinki. Im Jahre 1995 wurde er zum Mitglied der Finnischen Aka- demie der Wissenschaften gewählt, deren Sprachwissenschaftlicher Sektion er von 2004 bis 2009 vorstand.

Als ehemaliger Stipendiat der Alexander-von-Humboldt-Stiftung konnte er mehrere junge Kolleginnen und Kollegen mittels eines Stipendiums als Gastprofes- soren nach Helsinki holen. Dazu gehören u. a. Ulrich Breuer, Cora Dietl und Antje Heine, die für ihre wissenschaftliche Laufbahn während ihrer Zeit in Helsinki wich- tige Impulse erfuhren und heute als Professoren an den Universitäten in Mainz, Gießen und Greifswald tätig sind.

Die große Anerkennung, die Jarmo Korhonen in der finnischen und der in- ternationalen Germanistik genießt, zeigt sich nicht zuletzt in den beiden ihm ge- widmeten Festschriften (zum 60. und zum 65. Geburtstag, vgl. Breuer / Hyvärinen (Hg.) 2006 und Prinz / Richter-Vapaatalo (Hg.) 2012).

Irma Hyvärinen hat, im Jahre 1989, ebenfalls an der Universität Oulu mit einer va- lenztheoretischen kontrastiven Untersuchung zu verbabhängigen Infinitiven im Deutschen und Finnischen promoviert (Hyvärinen 1989). Seit 1984 war sie als As- sistentin am damaligen Germanistischen Institut der Universität Helsinki tätig und vertrat dort 1985-86 auch eine Professur. 1990-91 folgte eine weitere Vertretung eines Lehrstuhls, und zwar an der Wirtschaftsuniversität Helsinki, der 1991 der (unbefristete) Ruf auf die Professur für deutsche Sprache am Institut für Überset- zen und Dolmetschen der Universität Joensuu in Savonlinna folgte. 1992 ging sie als Professorin an die Universität Jyväskylä und wurde Anfang 1998 auf die Ger- manistik-Professur an der Universität Turku berufen. Anderthalb Jahre später er- folgte die Ernennung zur Professorin für Germanistik mit dem Schwerpunkt Ge- genwartssprache an der Universität Helsinki. Hier wurde sie sogleich zur Direktorin

(11)

HARTMUTE. H. LENKund ULRIKERICHTER-VAPAATALO

10 © Frank & Timme Verlag für wissenschaftliche Literatur

des damaligen Germanistischen Instituts gewählt, und bis Ende August 2014 wirkte sie in dieser Funktion, seit 2010 als Fachrichtungsleiterin. Im Sommersemester 1996 wurde sie zu einer Gastprofessur an die Universität Augsburg eingeladen.

Neben der (oft kontrastiv betriebenen) Grammatikforschung (vgl. aus jünge- rer Zeit Havu / Hyvärinen (Hg.) 2013) sind als weitere wichtige Forschungs- schwerpunkte von Irma Hyvärinen die folgenden zu nennen: Wortbildungsfor- schung, Phraseologie, Lexikographie, Übersetzungswissenschaft, Sprachdidaktik sowie der Vergleich von Sprachen und Kommunikationskulturen. In den letzten Jahren haben kommunikative Routineformeln das besondere Interesse von Irma Hyvärinen geweckt (vgl. u. a. Hyvärinen / Liimatainen (Hg.) 2011). Daneben ist sie auch eine hervorragende Kennerin der deutschen und der finnischen Literatur, da- runter der Lyrik. Eine Reihe von Gedichten, in denen oft die Geheimnisse der Sprache transzendiert werden, hat sie selbst verfasst und nachgedichtet (Schellbach- Kopra u. a. 1985; Hyärinen 1999).

Gemeinsame Projekte, die vom DAAD und der Akademie Finnlands geför- dert wurden, realisierte sie von 1995 bis zum Jahre 2000 mit Prof. Norbert Richard Wolf, das erste zur Wortbildung und Textanalyse im Deutschen und Finnischen, das zweite zur Rede und Redewiedergabe in den beiden Sprachen.

Neben der Einladung zu Plenarvorträgen auf wichtigen internationalen Fach- tagungen gehört die Verleihung des renommierten Wilhelm-und-Jacob-Grimm- Preises des DAAD im Juni 2007 zu den zahlreichen Ehrungen, die Irma Hyvärinen zuteilwurden.

Die Beiträge eines Ehrensymposiums anlässlich ihres 60. Geburtstages im Jah- re 2009 wurden in einem eigenen Band publiziert (Kolehmainen / Lenk / Liima- tainen (Hg.) 2010), und während des Ehrensymposiums am 21.8.2014 wurde der Jubilarin eine Festschrift zum 65. Geburtstag überreicht (Kolehmainen / Lenk / Tiittula (Hg.) 2014).

Die Reihenfolge der ersten sechs Beiträge in diesem Band entspricht jener ihrer Präsentation auf dem Ehrensymposium, und nicht von ungefähr steht der Text von ALBRECHTGREULE (Regensburg) am Beginn. Dies nicht allein wegen seines Titels Am Anfang war das Verb und auch nicht nur wegen des offensichtlichen Bezugs auf das Buch der Bücher. Vielmehr wird mit Fragen der Verbvalenz in historischen Texten ein Thema aufgegriffen, das am Beginn der wissenschaftlichen Tätigkeit

(12)

Vorbemerkungen der Herausgeber

© Frank & Timme Verlag für wissenschaftliche Literatur 11 von Jarmo Korhonen im Zentrum stand und jetzt wieder in den Mittelpunkt eines internationalen Forschungsprojektes gerückt ist. Dessen zentrales Anliegen ist die Erstellung eines historischen Valenz- oder syntaktischen Verbwörterbuchs, das die Entwicklung der Valenzstruktur wichtiger Verben in diachroner Perspektive dar- stellt. Am Beispiel der ‚Huldigung der Sterndeuter‘ aus dem Matthäus-Evangelium zeigt der Beitrag von A. Greule, wie sich die Valenz von Verben im Wortfeld

‚Emotion / seelische Empfindung‘ vom Althochdeutschen bis zum Neuhochdeut- schen entwickelte und welche Rolle die valenten Prädikate für die Textgrammatik spielen.

Im zweiten Beitrag betrachtet NORBERTRICHARD WOLF (Würzburg) unter der ÜberschriftTextanalyse und Korpuslinguistik den Nutzen korpuslinguistischer Ver- fahren für die Analyse historischer (literarischer) Texte. Anhand von Belegen der PluralformenWorte vs.Wörter im ‚Faust‘ (und anderen Werken sowie Tagebüchern und Briefen Goethes) eruiert er exemplarisch Mephistos „Begriff“ vom „Wort“

und kommt zu dem Schluss, dass gerade eine Textanalyse auf der Basis korpuslin- guistischer Methoden das Entschlüsseln textinterner Diskurse (wie etwa hier zwi- schen Faust und Mephisto) fördern und so auf weitere Untersuchungsmöglichkei- ten aufzeigen könne.

LUDWIGM. EICHINGER (Mannheim) plädiert in seinem BeitragMuster bilden:

Das Verb und andere Verantwortliche – ganz im Sinne auch der Jubilare – für die Kraft der valenzgrammatischen Beschreibung und führt in einer korpusbasierten und auf das E-VALBU1 gestützten Analyse anhand der generellen Verbenzeigen,machen und geben vor, „was Verben können“ bzw. „was Verben nicht allein können“ in Bezug auf die Steuerung der Satzstruktur und der Aussage. Dabei geht er darauf ein, wel- che Informationen über die Verwendungsweisen der Verben zur Erkennung von Mustern in die linguistische Beschreibung integriert werden sollten, um diese auch in Richtung u. a. eines konstruktionsgrammatischen Ansatzes zu öffnen.

Der Beitrag von HANS-WERNEREROMS (Passau) vereint alle Aspekte germa- nistischer Forschung, die im Untertitel dieses Bandes erwähnt sind: Der Titel ent- hält einen verbalen Phraseologismus. Dessen Kernbestandteil wird, im Gefüge der

1 E-VALBU, das elektronische Valenzwörterbuch deutscher Verben des Instituts für Deut- sche Sprache in Mannheim, ist verfügbar unter der Adresse http://hypermedia.ids- mannheim.de/evalbu/index.html.

(13)

HARTMUTE. H. LENKund ULRIKERICHTER-VAPAATALO

12 © Frank & Timme Verlag für wissenschaftliche Literatur

Kommunikationsverben des Deutschen, einer diachronischen Analyse unter Ein- schluss der Valenzverhältnisse unterzogen, wobei die etymologischen Befunde mit historischen Textvorkommen belegt und auch der synchrone Gebrauch der zentra- len Kommunikationsverben mit reichhaltigem empirischen Material vorgeführt wird. Dabei tritt zutage, dass das Verbsprechen und seine paradigmatischen Oppo- nentensagen und reden im Laufe der Sprachgeschichte bemerkenswerte Verschie- bungen bezüglich ihrer Gebrauchsweisen durchlaufen haben, die nur mittels einer Verbindung von Kollokations- und Valenzforschung aufgedeckt werden können.

Mit der Verwendung von Phraseologismen im Werk von Theodor Fontane, einem der diesbezüglich auffälligsten Autoren des 19. Jahrhunderts, befassen sich HARALD BURGER und PETER ZÜRRER(Zürich). Ihr spezieller Gesichtspunkt ist dabei deren Plurilingualität. Damit ist gemeint, dass Fontane Phraseologismen im weitesten Sinne (einschließlich geflügelter Wörter und Zitate, Sprichwörter, Idiome, Routineformeln usw.) verwendet, die aus verschiedenen Sprachen und Dialekten stammen (u.a. aus dem Hochdeutschen, Berlinischen, Niederdeutschen, vereinzelt aus dem Wienerischen und Schweizerdeutschen, besonders aber aus dem Französi- schen und zu einem geringeren Teil aus dem Englischen, Lateinischen und Italieni- schen). In Bezug auf das Französische wird auch auf die eingesetzten phraseologi- sche Typen eingegangen, in einem separaten Kapitel außerdem auf die Verstehens- und Wirkungsproblematik fremdsprachiger Phraseologismen im damaligen histori- schen Kontext im Unterschied zu den Rezeptionsvoraussetzungen heutiger Lese- rinnen und Leser. Im Fazit gelangen die Autoren zu der Erkenntnis, dass die (pluri- linguale) Phraseologie von Fontane zur Figurencharakteristik, zur Kommentierung der Sprechweise der Figuren bis hin zum Sprachporträt eingesetzt wird. Mit Bezug auf den ‚Stechlin‘ war LÜGER (1999: 265) zu ähnlichen Ergebnissen gelangt: „Der Gebrauch phraseologischer Ausdrücke gehört […] zu den Stilmerkmalen, mit de- nen sich einmal bestimmte soziale Gruppen oder Milieus unterschiedlich charakte- risieren lassen. Zum andern werden die Romanfiguren mit zum Teil recht spezifi- schen Fertigkeiten ausgestattet […] Beide Aspekte gehen ein in die allgegenwärtige Thematisierung und Reflexion sprachlicher Gesichtspunkte.“

In seinen Ausführungen „zu Willy Brandts gesellschaftspolitischer Sprich- wortrhetorik“ zeichnet WOLFGANGMIEDER (Burlington/Vermont) in einem weit- gespannten biografischen und inhaltlichen Bogen Brandts auch sprachschöpferi- sche und rhetorisch prägende Karriere nach. Dabei zeigt er u. a. mit Brandts

(14)

Vorbemerkungen der Herausgeber

© Frank & Timme Verlag für wissenschaftliche Literatur 13

„sprichwörtlichem Leitmotiv“ ‚Kleine Schritte sind besser als keine Schritte‘ dessen (nicht nur sprachliche) Nähe zu Martin Luther King und stellt Brandt damit auch in die Reihe der „Führungskräfte […], die sich als bedeutende Stilisten oder eben Meister der Sprache erwiesen haben“. Der Beitrag ist überschrieben mit (laut Mie- der) Brandts LieblingssprichwortDer Mensch lebt nicht vom Brot allein; dieses gab den Herausgebernmutatis mutandis auch die Inspiration zum Titel dieses Sammelbandes

‚Sie leben nicht vom Verb allein‘ – Jarmo Korhonen und Irma Hyvärinen haben in ihrem wissenschaftlichen Wirken zwar in vielerlei Hinsicht „mit dem Verb ihr Brot verdient“, beschränken sich jedoch keineswegs darauf.

JARMOKORHONEN (Helsinki) befasst sich in seinem Beitrag mit der Entleh- nung von Phraseologismen (Idiomen und Sprichwörtern) ins Finnische. Berück- sichtigt werden dabei insbesondere das Lateinische, Schwedische, Deutsche, Fran- zösische und Englische, zum Teil auch das Italienische. Begründet wird diese Auswahl einerseits mit der unmittelbaren Nachbarschaft (zu Schweden) und den intensiven Sprachkontakten seit dem Mittelalter, zum andern damit, dass das Finni- sche Teil des westeuropäischen Kulturkreises ist. Das Russische bleibt ausgeklam- mert.2 Nach einigen Lehnzitaten v.a. aus dem Lateinischen werden – jeweils mit einer reichen Auswahl an mehrsprachigen Beispielen versehen – finnische Lehn- übersetzungen und Lehnübertragungen aus verschiedenen Quellen erläutert, neben den bereits genannten Sprachen u.a. aus der Antike, der Bibel, der Zeit des Mittel- alters und der Reformation, aus Tierfabeln, Volksmärchen und Legenden sowie aus der neueren Weltliteratur und Filmwelt. In einem eigenen Kapitel wird auf falsche Freunde eingegangen, die von der fennistischen Phraseologieforschung in Finnland oft ebensowenig hinreichend erkannt werden wie die europäischen Quellen zahlrei- cher Phraseologismen, denen fälschlicherweise ein finnischer Ursprung zugewiesen werde. Das Fazit enthält den Verweis darauf, dass die fennistische Phraseologiefor- schung wesentlich davon profitieren könne, die Ergebnisse der Teildisziplin auf internationaler Ebene stärker zur Kenntnis zu nehmen, wobei gerade auch die

2 Vgl. dazu auch die Zusammenfassung der Dissertation von Satu Helomaa, in der es heißt:

„Der Einfluss des Russischen blieb trotz der geographischen Nachbarschaft und trotz der Tatsache, dass Finnland über einhundert Jahre Teil des Zarenreichs war, relativ gering im Vergleich zum Deutschen und Schwedischen. In der heutigen Zeit spielt die geographische Nähe bei der Übernahme von Sprichwörtern kaum noch eine Rolle.“ (Helomaa 2014, On- line-Abstract, unter www.helsinki.fi/saksa/deutsch/research/dissertationen.htm.)

(15)

HARTMUTE. H. LENKund ULRIKERICHTER-VAPAATALO

14 © Frank & Timme Verlag für wissenschaftliche Literatur

Nachbardisziplinen im eigenen Haus einen international anerkannten wichtigen Standort dieses Forschungszweiges darstellen.

Einem didaktisch-syntaktischen Steckenpferd geht die Jubilarin IRMAHYVÄRINEN

mit ihrem Beitrag Zur Verbstellung in dass-Sätzen bei zyklischer Subordination nach.

Komplexe Satzgefüge interessieren sie dabei nicht nur allgemein als Herausforde- rung für den DaF-Unterricht; anhand von Korpusbelegen mit den Kombinationen dass wenn und dass je … desto weist sie nach, dass die entsprechenden Regeln zur Verbstellung (u. a. in Stil-Ratgebern) die tatsächliche Realisation solch komplexer Strukturen auch im schriftlichen Deutsch von Muttersprachler(inne)n nicht unbe- dingt abbilden. Bei der Verbzweistellung imdass-Nebensatz gehe es nicht nur um (beispielsweise durch indirekte Rede) schriftlich vermittelte Gesprochensprachlich- keit, vielmehr sei bei der Subjunktionalhäufung die Wortklassenzugehörigkeit der entsprechenden Elemente eventuell zu überdenken.

Den sich gegenwärtig in der Helsinkier Germanistik vollziehenden Genera- tionswechsel, der mit der Pensionierung von Jarmo Korhonen und Irma Hyvärinen in eine entscheidende Phase eingetreten ist, nehmen wir als Herausgeber des Ban- des und augenblicklich mit der Wahrnehmung der Professuren Beauftragte zum Anlass, um die gegenwärtige Situation des Faches zu analysieren. Dabei gehen wir auf die verdienstvolle Tradition der Helsinkier Germanistik ebenso ein wie auf Ge- fahren und Chancen, die mit einer (Neu-)Profilierung gerade auch der Germanistik im Zuge der laufenden Strukturevaluation bezüglich aller fremdsprachenphilologi- schen Fächer an allen finnischen Universitäten verbunden sind.

An dieser Stelle richten wir als Herausgeber unseren herzlichen Dank an alle Bei- träger dieses Bandes sowie an die germanistisch-romanistische Forschergemein- schaft CoCoLaC3 der Universität Helsinki für die finanzielle Unterstützung des Eh- rensymposiums im August 2014 und der Herausgabe dieses Buches.

3 Die Abkürzung steht für ‚Comparing and Contrasting Languages and Cultures‘, für Nähe- res vgl. http://blogs.helsinki.fi/cocolac-rc/.

(16)

Vorbemerkungen der Herausgeber

© Frank & Timme Verlag für wissenschaftliche Literatur 15 Literaturverzeichnis

Breuer, Ulrich / Hyvärinen, Irma (Hg.) 2006: Wörter௅ Verbindungen. Festschrift für Jarmo Kor- honen zum 60. Geburtstag. Frankfurt a. M. u. a.: Lang.

Havu, Eva / Hyvärinen, Irma (Hg.) 2013: Comparing and contrasting syntactic structures. From dependency to quasi-subordination. (Mémoires de la Socieété Néophilologique de Hel- sinki; 86). Helsinki: Société Néophilologique / Neuphilologischer Verein.

Helomaa, Satu 2014: Sprichwörter in drei Sprachen: Deutsch–Französisch–Finnisch: Eine ver- gleichende Studie. Diss. Universität Helsinki. Helsinki: Unigrafia.

Hyvärinen, Irma 1989: Zu finnischen und deutschen verbabhängigen Infinitiven. Eine valenz- theoretische kontrastive Analyse. Teil 1: Theoretische Fundierung und Abgrenzung des Prädikats. (Werkstattreihe Deutsch als Fremdsprache; 25). Frankfurt a. M. u. a.: Lang.

Hyärinen, Irma 1999: Subjektiivinen kielioppi. Raisio: Hokkinen.

Hyvärinen, Irma / Liimatainen, Annikki (Hg.) 2011: Beiträge zur pragmatischen Phraseologie.

(Finnische Beiträge zur Germanistik; 25). Frankfurt a. M. u. a.: Lang.

Kolehmainen, Leena / Lenk, Hartmut E. H. / Liimatainen, Annikki (Hg.) 2010: Infinite Kon- trastive Hypothesen. Frankfurt a. M. u. a.: Lang.

Kolehmainen, Leena / Lenk, Hartmut E. H. / Tiittula, Liisa (Hg.) 2014: Kommunikative Rou- tinen. Formen௅ Formeln௅ Forschungsbereiche. Festschrift für Prof. Dr. Irma Hyvärinen zum 65. Geburtstag. Frankfurt a. M. u. a.: Lang.

Korhonen, Jarmo 1977/78: Studien zu Dependenz, Valenz und Satzmodell. (Europäische Hoch- schulschriften. Reihe 1: Deutsche Literatur und Germanistik; 212 & 271). Bern u. a.:

Lang.

Korhonen, Jarmo 2001: Alles im Griff – Homma hanskassa. Saksa–suomi–idiomisanakirja – Idi- omwörterbuch Deutsch-Finnisch. Unter Mitarbeit von Kaija Menger und der Arbeits- gruppe Deutsch-Finnische Phraseologie. Helsinki: WSOY.

Korhonen, Jarmo (Hg.) 2008: Saksa–suomi suursanakirja – Großwörterbuch Deutsch–Finnisch.

Helsinki: WSOY.

Lüger, Heinz-Helmut 1999: Satzwertige Phraseologismen. Eine pragmalinguistische Untersu- chung. Wien: Edition Praesens.

Prinz, Michael / Richter-Vapaatalo, Ulrike (Hg.) 2012: Idiome, Konstruktionen, „verblümte re- de“. Beiträge zur Geschichte der germanistischen Phraseologieforschung. (Beiträge zur Geschichte der Germanistik; 3). Stuttgart: Hirzel.

Schellbach-Kopra, Ingrid u. a. 1985: Still wie Licht in windloser Gegend. Lyrik aus Finnland: Eine Anthologie in Finnisch/Schwedisch und Deutsch. Ausgewählt und übersetzt von einem Team unter der Leitung von Ingrid Schellbach-Kopra. Karlsruhe / Helsinki: Loeper.

(17)

HARTMUTE. H. LENKund ULRIKERICHTER-VAPAATALO

16 © Frank & Timme Verlag für wissenschaftliche Literatur

(18)

© Frank & Timme Verlag für wissenschaftliche Literatur 17 ALBRECHTGREULE

Im Anfang war das Verb

Syntaktische und textgrammatische Untersuchungen zur Bibelsprache

1. Anfänge

Wenn ich mit einer Anspielung auf den Prolog des Johannes-Evangeliums beginne, dann mache ich dies nicht, um die Leser mit den kniffligen Problemen der Über- setzung des griechischen Originaltextes

en archē̗ēn ho lógos

zu langweilen. Vielmehr möchte ich diverse andere Anfänge thematisieren: for- schungsgeschichtliche und forschungsorganisatorische Anfänge, die zwar auch mit der Bibel, aber noch viel mehr mit Jarmo Korhonen und dem Verb als Wortart zu tun haben.

Bei der Formulierung des Vortragstitels kommt mir – zugegebenermaßen – die Mehrdeutigkeit des lateinischen Wortes verbum entgegen, mit dem einerseits griechisch lógosübersetzt wurde (in principio erat verbum), das andererseits aber schon in der lateinischen Grammatik die Kategorie der Zeitwörter bezeichnete.

Am Anfang meiner ௅ durch gemeinsame wissenschaftliche Interessen geför- derten௅ Freundschaft mit Jarmo Korhonen stand das Verb, besser gesagt: standen Verben! Unsere gemeinsamen Interessen richteten sich nicht so sehr auf die Klä- rung terminologischer Fragen, also zum Beispiel auf die durchaus interessante Fra- ge, warum die Verben „Verben“, also schlechthin „Wörter“ heißen und von mo- dernen Stilpäpsten sogar als „die Königswörter“ (Schneider 1987: 66) angepriesen werden. Uns interessierte – und interessiert nach bald 40 Jahren noch immer – die Valenz, genauer: Uns interessiert die syntaktische Potenz des Satzmodell bildenden Prädikatsverbs und die Übertragung der Verbvalenz-Theorie auf die Beschreibung historischer Sprachzustände.

In Jarmo Korhonens gewichtiger Habilitationsschrift „Studien zu Dependenz, Valenz und Satzmodell“ anhand von Luthers Sermon „Von den guten Werken“

(19)

ALBRECHTGREULE

18 © Frank & Timme Verlag für wissenschaftliche Literatur

stand zwar noch nicht die Bibelsprache im Vordergrund, aber sehr wohl ein Text des wichtigsten Bibelübersetzers in der deutschen Sprachgeschichte. Auch unter den althochdeutschen Texten, deren Verben mein Interesse wegen ihrer Satz stif- tenden Potenz weckten, standen Übersetzungen biblischer Texte im Vordergrund.

Am Anfang seines Buches rechtfertigt Korhonen (1978: 1) das Interesse an historischer Valenzforschung mit folgenden Worten:

Grundsätzlich muss es […] möglich sein, Erkenntnisse der neueren Linguistik auch für historische Sprachstufen nutzbar zu machen. Durch eine solche Erweiterung des Anwendungsbereichs treten jedoch in das Blickfeld einer an der heutigen Sprache entwickelten linguistischen Theorie neue theoretische und methodische Problemstel- lungen, die die Beschreibungsfähigkeit dieser Theorie verbessern können.

Mit Anfängen im Sinne von neuen Versuchen hat dann in der Folge die Beschäfti- gung mit der Verbvalenz in Richtung auf die lexikographische Darstellung, auf die Diachronie von Valenz und auf die Integration von Verbvalenz und Textgramma- tik zu tun. Nachdem wir uns, jeder auf seine Weise, für Jahrzehnte weiter mit der Verbvalenz beschäftigt haben, möchte ich heute einerseits zeigen, wie durch Jarmo Korhonen die Anfänge zur diachronen Erforschung der deutschen Verbvalenz ge- schaffen wurden; andererseits möchte ich zum Schluss selbst noch einmal einen Anfang wagen und versuchen, die Rolle der valenten Prädikate in der Textgramma- tik zu beleuchten.

2. Ein historisches Valenz- oder syntaktisches Verbwörterbuch (HSVB)

Einen ersten Schritt in die Richtung auf eine diachrone Betrachtung der deutschen Verbvalenz machte Jarmo Korhonen anlässlich der Tagung „Dependenz und Va- lenz“ 1992 in Passau, an der auch Irma Hyvärinen mit einem Vortrag zur kontrasti- ven Valenz deutsch-finnisch teilnahm (Hyvärinen 1995). Korhonens anspruchsvol- ler Ansatz war damals die Valenzvariation: „Die Valenzvariationen lassen sich in zweierlei Weise erfassen: einmal in Bezug auf die Anzahl, zum anderen in Bezug […] auf Inhalt und Form der Ergänzungen“ (Korhonen 1995: 365). Er stellte zwei Typen der Variation fest und fasste sie unter dem Terminus „quantitative“ und

„qualitative“ Polyvalenz zusammen; Polyvalenz ist bereits im Gotischen, dann im Alt-, Mittel- und Frühneuhochdeutschen zu registrieren.

(20)

Im Anfang war das Verb

© Frank & Timme Verlag für wissenschaftliche Literatur

Mit Blick auf ein historisches Valenzwörterbuch entsprechen diese Ausführungen (Korhonen 1995: 368௅375) im Kern bereits den historisch-synchronen „Stationen“

der Valenzgeschichte, die von einzelnen Forscherteams Verb für Verb auszuarbei- ten sein werden. Gleichzeitig eröffnete Korhonen in seinem Passauer Vortrag auch schon die diachrone Perspektive, „wie sich Polyvalenz diachron erfassen lässt“

(Korhonen 1995: 375f.). An den wenigen Beispielen kann Korhonen aus diachro- ner Perspektive schon viel zeigen, zum Beispiel: „daß Valenzvariationen besonders stark seit Ende der mhd. Sprachperiode in Erscheinung treten […], daß beim Übergang (vom Fnhd.) zum Neuhochdeutschen und weiterhin zur deutschen Ge- genwartssprache aber für bestimmte Arten der […] Polyvalenz eine Stabilisierung eingetreten [ist]“. Ferner: „Eine auf den Valenzmarker bezogene formale Po- lyvalenz ohne Bedeutungsveränderung wandelt sich in eine Polyvalenz mit Bedeu- tungsveränderung“ (Korhonen 1995: 377).

Es lag von daher früher oder später nahe, die finnische Germanistik mit ihrem hohen Ansehen in Sachen Valenzforschung für das Projekt eines Historischen Va- lenzwörterbuchs mit Betonung der Syntax am Schnittpunkt von Grammatikogra- phie und Lexikographie zu begeistern. Durch eine Beteiligung finnischer Forscher und Forscherinnen konnte das Projekt international an Ansehen gewinnen und sei- ne Realisierung konnte vorangebracht werden. Konkretisiert wurde diese Hoffnung durch die Aufnahme des Projekts in die jährlich in Helsinki stattfindenden CoCo- laC-Seminare, an denen auch Irma Hyvärinen als kritische Beobachterin des Pro- jekts teilnimmt. Zudem arbeitet Jarmo Korhonen während seiner Humboldt- Aufenthalte in Deutschland tatkräftig an dem Projekt weiter und wird so zur tra- genden Säule. Die Bearbeitung des Gesamtprojekts ist auf mehrere Arbeitsstellen verteilt, an denen der verbvalenzielle Befund der „klassischen Sprachperioden“

Althochdeutsch, Mittelhochdeutsch, Frühneuhochdeutsch und frühes Neuhoch- deutsch des 18. Jahrhunderts festgestellt wird.

Um in einem weiteren Schritt ein Wörterbuch diachronisch daraus erarbeiten zu können, bedarf es eines relativ einheitlichen Korpus, einer kompatiblen Metho- de und Beschreibung sowie eines konvergenten Vorgehens bezogen auf die nach und nach zu untersuchenden Verben. Dabei gehen wir nach Wortfeldern vor. So hat Jarmo Korhonen jüngst die Beschreibung der frühneuhochdeutschen Verben

(21)

ALBRECHTGREULE

20 © Frank & Timme Verlag für wissenschaftliche Literatur

des Wortfeldes der Aufmerksamkeit und des Wahrnehmens vorgelegt (Arbeitspa- pier zur Vorbereitung der 2. CoCoLaC-Konferenz am 28.2.2014 in Helsinki).

3. Die Huldigung der Sterndeuter

Noch nicht ganz gelöst sind die Probleme der Korpus-Bildung bei diesem Projekt.

Die Schwierigkeiten, die sich hier auftun, noch bevor es um die Frage digitalisierter Texte oder Wörterbücher als Korpora geht, möchte ich in Kürze an den Prädikaten der Dreikönigs-Perikope aus dem Matthäus-Evangelium verdeutlichen, die in der althochdeutschen, mittelhochdeutschen, frühneuhochdeutschen und neuhochdeut- schen Übersetzung vorhanden sind (Greule 1997). Ihre Tauglichkeit als Texte, in denen die „echte“ deutsche Syntax beschrieben werden kann, kann allerdings we- gen der Abhängigkeit der biblischen Texte vom lateinischen Original in Zweifel gezogen werden.

Die Huldigung der Sterndeuter (Matthäus 2,1-12, Einheitsübersetzung, 1980) (1) Als Jesus zur Zeit des Königs Herodes in Betlehem in Judäa geboren worden

war, kamen Sterndeuter aus dem Osten nach Jerusalem und fragten:

(1,1) Wo ist der neugeborene König der Juden?

(1,2) Wir haben seinen Stern aufgehen sehen, und sind gekommen, um ihm zu huldigen.

(2) Als König Herodes das hörte, erschrak er und mit ihm ganz Jerusalem.

(3) Er ließ alle Hohenpriester und Schriftgelehrten des Volkes zusammenkommen und erkundigte sich bei ihnen, wo der Messias geboren werden solle.

(4) Sie antworteten ihm:

(4,1) In Betlehem in Judäa;

(4,2) denn so steht es bei dem Propheten:

(4,2,1) Du Betlehem im Gebiet von Juda bist keineswegs die unbedeu- tendste unter den führenden Städten von Juda;

(4,2,2) denn aus dir wird ein Fürst hervorgehen, der Hirt meines Volkes Israel.

(5) Danach rief Herodes die Sterndeuter heimlich zu sich und ließ sich von ihnen genau sagen, wann der Stern erschienen war.

(6) Dann schickte er sie nach Betlehem und sagte:

(6,1) Geht und forscht sorgfältig nach, wo das Kind ist;

(6,2) und wenn ihr es gefunden habe, berichtet mir, damit auch ich hingehe und ihm huldige.

(7) Nach diesen Worten des Königs machten sie sich auf den Weg.

(8) Und der Stern, den sie hatten aufgehen sehen, zog vor ihnen her bis zu dem Ort, wo das Kind war;

(22)

Im Anfang war das Verb

© Frank & Timme Verlag für wissenschaftliche Literatur

(9) dort blieb er stehen.

(10) Als sie den Stern sahen, wurden sie von sehr großer Freude erfüllt.

(11) Sie gingen in das Haus und sahen das Kind und Maria, seine Mutter;

(12) da fielen sie nieder und huldigten ihm.

(13) Dann holten sie ihre Schätze hervor und brachten ihm Gold, Weihrauch und Myrrhe als Gaben dar.

(14) Weil ihnen aber im Traum geboten wurde, nicht zu Herodes zurückzukehren, zogen sie auf einem anderen Weg heim in ihr Land.

Nehmen wir jetzt an, die vier diachronen (ahd., mhd., frühnhd., nhd.) Texte, die im Verhältnis der Übersetzungsäquivalenz zueinander stehen, sind Texte des Gesamt- korpus, aus denen die Prädikate exzerpiert werden. Die Prädikate gehen dann in Gestalt einer verallgemeinerten Satzform in die jeweiligen Lexikon-Artikel ein.

Ich versuche das Verfahren an den Prädikaten zu verdeutlichen, die in der mhd. Dreikönigs-Perikope die ‚eigendynamische Fortbewegung von Menschen‘

bezeichnen, z.B.

do kamen die kúnige von oriente ze Jerusalem

„damals kamen die Könige aus dem Orient nach Jerusalem“.

Der Satz wird nun in Satzglieder „zerlegt“, die durch Kategorialsymbole in der Satzform repräsentiert werden:

mhd.komen:

ADV(do), NGnom(die kúnige), PräpGvon(von oriente), PräpGze(ze Jersusalem) Damit ist aber noch nichts zur Valenz ausgesagt. Sie kann erst berechnet werden, wenn weitere, möglichst viele Belegstellen vergleichbar sind. In der Dreikönigsge- schichte gibt es noch vier weitere Belegstellen, mit den Satzformen:

1) ProNnom (wir), PräpGmit (mit gabe), IK (in an ze bettenne) 2) PräpGus (us dir), NGnom (ein herzoge)

3) ProNnom (ich)

4) ProN (sü), ADV (nut), ADV (wider), PräpGzuo (zuo Herode)

Immerhin kann durch den Vergleich der nunmehr fünf Belegstellen, nachdem die Satzformen semantisch interpretiert wurden, schon eine Aussage über die Valenz des Verbs gewagt werden: Mit einer Ausnahme verwendet der mhd. Übersetzer das Verb komen zweiwertig; das Verb verlangt zur Satzbildung demnach mindestens:

erstens einen Agens, d.h. ein Referenzobjekt, das als Bewegungsträger fungieren

(23)

ALBRECHTGREULE

22 © Frank & Timme Verlag für wissenschaftliche Literatur

kann, und zweitens einen Ausgangs- oder Zielpunkt, von dem die Bewegung aus- geht bzw. auf den sie ausgerichtet ist.

Es müsste sich im Sinn der Zielsetzung einer Valenz-Diachronie allein durch die Beschreibung der Verb-Umgebung der in den vier Texten vorhandenen Prädi- kate eine Entwicklung vom Ahd. bis zum Nhd. aufzeigen lassen. Der Vergleich mit den Übersetzungen der Stelle in den anderen Sprachperioden fällt in unserem Fall wenig ergiebig aus: Das Verbkommen bzw. seine diachronen formalen Äquivalente (z.B. ahd. queman) ist mit den bereits beschriebenen Rollen AGENS und Aus- gangs-/Ziel-PUNKT belegt.

Unser Augenmerk konzentriert sich stattdessen auf die Fälle, wo die Bedeu- tung der ‚eigendynamischen Fortbewegung von Menschen’ nicht durch kommen, sondern durch andere Prädikate bezeichnet wird. Erstaunlicherweise ist es nicht Luther, der wesentlich anders verfährt, sondern die Einheitsübersetzung. Dort werden von den fünf vergleichbaren Stellen drei mit anderen Verben übersetzt. Wo noch Luther schreibt: „Aus dir soll mir kommen der Hertzog“, heißt es in der Ein- heitsübersetzung: „Aus dir wird ein Fürst hervorgehen“. Oder bei Luther: „Dass ich auch kome und es anbete“; in der Einheitsübersetzung: „Damit auch ich hinge- he“. Dem mhd. Ausdruck „das sü nut wider kemin zuo Herode“ entspricht in der Einheitsübersetzung: „nicht zu Herodes zurückzukehren“.

Für die Entwicklung der deutschen Bibelsprache ist daraus zu schließen, dass erst in den neuhochdeutschen Übersetzungen die stilistische Variation – statt einer Wiederholung desselben Verbs (kommen) – umgesetzt wurde und damit ein weiterer Schritt zur freieren Übersetzung der Bibel möglich war.

4.

Mih gilustit weinonnes

. Verb-Diachronie am Beispiel des Wortfelds ‚Emotion / seelische Empfindung‘

Im Rahmen des hier diskutierten Projekts erforschte Jarmo Korhonen die Valen- zen der im Wortfeld ‚Emotion‘ belegten historischen Verben und Verbidiome. Ich greife aus den von Korhonen erhobenen Belegen für dieses Wortfeld das Verbge- lüsten heraus, um exemplarisch zu zeigen, welche Erkenntnisse zur Diachronie aus dem Material zu gewinnen sind, wenn es für ein syntaktisches Verbwörterbuch aufbereitet wird. Das Verbgelüsten eignet sich in unseren Zusammenhängen beson- ders gut, weil seine ersten Belege der Bibelsprache entstammen. So legt Otfrid von

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

«und die klinische Erfahrung lehrt zudem, dass auch der Wechsel von einer Kombi- nation zu einer anderen immer noch viele Patienten ungenügend behandelt lässt.».. Die

Der Bezug zum Konzept der kommunikativen Kompetenz von Jürgen Habermas 1972, das zu diesem Zeitpunkt zu einem nicht unbeträchtlichen Teil die gesellschaftliche Diskussion

einen Antrag etwas beantragen eine Forderung etwas fordern eine Anforderung etwas anfordern. zur Bedingung etwas zur Bedingung machen in den Mittelpunkt zum Hauptthema machen

Gerade im Thema Sexualität ist es halt so, dass ich oftmals finde, dass das in längeren Beziehungen, soweit ich das denn überhaupt sagen kann mit meiner zweijährigen Beziehung,

6.5 Synthetic present and past constructions Like all present tense paradigms, the present perfective can be used with rela- tive time reference in a number of subordinate contexts

Jesus sagte zu ihnen; Amen, amen, ich sage euch: Nicht Mose hat euch das Brot vom Himmel gegeben, sondern mein Vater gibt euch das wahre Brot vom Himmel. Denn das Brot, das Gott

Bei jedem Verb wird angegeben, nach welchem Schema es konjugiert wird, ob es trennbar oder untrennbar ist, ob das Perfekt mit haben oder sein gebildet wird und wo der

Schließe nun die Augen und male mit deiner Nase das Wort in die Luft?. r re ren renn renne