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Am 20. Januar jährt sich die Amtseinführung von US-Präsident Joe Biden

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m 20. Januar jährt sich die Amtseinführung von US-Präsident Joe Biden zum ersten Mal. Zeit also für eine Zwischenbilanz. Dabei kann es aller- dings nicht nur um eine Einschätzung der umgesetzten politischen Maß- nahmen und verabschiedeten Gesetze gehen. Denn Biden war ja auch als Versöhner angetreten, der die Spaltung des Landes überwinden wollte, deren vorläufiger Höhepunkt der von Donald Trump und seinen Spießgesel- len angefeuerte Umsturzversuch am 6. Januar 2021 war. Wie fällt das Urteil angesichts dessen aus, wie ist die Lage? Kurz und knapp: Nicht gut!

Mittlerweile hat der Kongress zwar nach langem Ringen endlich das – überparteilich unterstützte – großangelegte Infrastrukturpaket verabschie- det. Dies gelang aber nur, weil die Demokraten im Repräsentantenhaus ihre Zustimmung nicht länger an die gleichzeitige Verabschiedung des „Build Back Better“ genannten sozial- und klimapolitischen Gesetzespakets im Senat knüpften. Auch dieses könnte dort im sogenannten Budget-Recon- ciliation-Verfahren durchgesetzt werden, bei dem die Republikaner keine Blockademöglichkeit haben. Doch selbst dabei spielen zwei Senatoren aus der Fraktion der Demokraten, Joe Manchin aus West Virginia und Kyrsten Sinema aus Arizona, bisher nicht mit. Es geht um sehr viel Geld – 2,2 Bill.

Dollar über zehn Jahre – und so sind die Vorbehalte zentristischer, eher fis- kalkonservativer Demokraten wenig überraschend. Ohne sie aber – das vergessen die Progressiven um Alexandria Ocasio-Cortez gerne – gäbe es überhaupt keine Mehrheit. Am Horizont droht zudem schon die nächste Blo- ckadesituation, der wiederkehrende Streit über die Erhöhung der Schulden- obergrenze. Diese erfolgt in den USA nicht automatisch, obwohl es ja um die Finanzierung von bereits beschlossenen Maßnahmen geht. Daher können die Republikaner sich querstellen und im Extremfall sogar die zwangsweise Schließung von Bundesbehörden herbeiführen.

Der „Honeymoon“ der Regierung ist jedenfalls lange vorüber. Bidens Zustimmungswerte und die der Vizepräsidentin Kamala Harris sind im Sink- flug, trotz der für die Beschäftigten guten Arbeitsmarktlage und der unauf- geregten, weitgehend professionellen Pandemiebekämpfung. Es zeigt sich schlicht, dass es auf Dauer nicht ausreicht, nicht Donald Trump zu sein, trotz der noch wachen Erinnerung an dessen katastrophale Amtszeit. Vielmehr setzt sich die Neigung der Amerikaner durch, sich mehrheitlich auf die jeweils

Ein Jahr Biden:

Der gefesselte Präsident

Von Thomas Greven

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amtierende Regierung als Schuldige für alle Übel einzuschießen. Zudem erfüllt sich die Hoffnung der Demokraten nicht, mit guter, solider Politik für die breite Mitte der Gesellschaft punkten zu können. Daran hat auch die Ver- abschiedung des eigentlich populären Infrastrukturpakets wenig geändert.

Dessen mittel- und langfristige Wirkung für die wirtschaftliche Entwicklung – und für die Umfragewerte der Regierung – wird sich selbstverständlich erst noch zeigen. Aber vorerst gilt das Bonmot des Komikers Bill Maher: Die ame- rikanischen Wähler sagen selten „thank you“, sondern eher „fuck you“.

Bidens durchaus ehrenwerter Versuch, mit sozialdemokratisch ange- hauchtem „economic populism“ wieder für die Arbeiterklasse interessant zu werden, scheint also schon zu scheitern, bevor er richtig ins Rollen kommt.

Vor allem die weißen Männer der Arbeiterklasse – pragmatisch definiert als Menschen ohne College-Abschluss – driften seit vielen Jahren in Richtung der Republikaner. Trump hat diesen Trend noch verstärkt und war trotz sei- nes unverhohlenen Rassismus und Nativismus selbst für Latinos und Afro- amerikaner interessanter als die republikanischen Kandidaten vor ihm. Die Demokratische Partei ist heute urbaner, gebildeter und wohlhabender als noch vor wenigen Jahren; das prägt jenseits ihrer spezifischen Botschaften und politischen Maßnahmen das Bild, das die Amerikaner von ihr haben.

Wähler über populäre Gesetze und andere Maßnahmen zu gewinnen, scheint auch deshalb nicht mehr zu funktionieren, weil sich das polarisierte gesellschaftliche Klima in Richtung Tribalismus entwickelt: Die politische Debatte wird stetig aggressiver und ist zunehmend geprägt von einer ent- menschlichenden Dämonisierung des politischen Gegners und einer apoka- lyptisch anmutenden Angst vor dessen Machtübernahme. In einer immer stärker gespaltenen Medienwirklichkeit kommt es nicht mehr darauf an, was gesagt wird oder wie gut Argumente und Evidenzen sind, sondern nur noch darauf, wer etwas sagt. Gehört er oder sie zu meinem Lager?

Das lässt die Debatte der Analysten, Umfrageexperten und Politikbera- ter, die seit Monaten um die Argumente des einflussreichen Modellierers David Shor kreist, wie ein Glasperlenspiel aussehen.1 Shor empfiehlt einen

„popularism“, bei dem die Partei ihre politische Kommunikation diszipli- niert auf populäre Themen abstellt und nicht über Themen redet, die bei der Zielgruppe unpopulär sind. Das richtet sich sowohl gegen den „woken“ pro- gressiven Flügel und dessen identitätspolitische Forderungen als auch gegen die zentristischen, wirtschaftsnahen „corporate Democrats“, die sich Bidens sozialpolitischer Agenda verweigern. Aber was nützt politische Kommunika- tion, wenn die Botschaften der Parteien bei den Menschen nur noch „tribal“

gefiltert ankommen? Und sie ohnehin nicht zuhören.

Die große Mehrheit der Republikaner glaubt nach wie vor an Trumps „big lie“ einer „gestohlenen Wahl“. Immer mehr Politiker der Partei stellen unver- hohlen die demokratischen Institutionen in Frage, rufen zu politischer Gewalt auf oder heißen sie gut, explizit oder stillschweigend. Die Aufständischen des Sturms auf das Kapitol vom 6. Januar 2021, von denen immerhin viele zu

1 Ezra Klein, David Shor is telling Democrats what they don’t want to hear, in: „The New York Times“, 8.10.2021..

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Gefängnisstrafen verurteilt wurden, sind für zahlreiche Republikaner Helden und werden von ihnen wie Patrioten und Freiheitskämpfer gefeiert.2

Der langsame Staatsstreich der Republikaner

Der schon genannte Komiker Bill Maher spricht seit vielen Monaten von einem „slow moving coup“, einem langsam ablaufenden Staatsstreich, den die Republikaner politisch, institutionell und juristisch vorbereiten: Ers- tens säen die Republikaner, deren Wählerbasis weißer Christen relativ schrumpft, gezielt Zweifel an der Integrität des amerikanischen Wahlsys- tems. Zweitens nutzen sie den nach der Volkszählung von 2020 laufenden Prozess des Neuzuschnitts der Wahlbezirke, um ihre Chancen auf sichere Sitze zu erhöhen (Gerrymandering). Auch Demokraten machen von dieser Möglichkeit Gebrauch, aber sie dominieren weniger Einzelstaatsparlamente und ihre Wähler wohnen kompakter in Städten zusammen, was die Manipu- lation erschwert. Die Republikaner haben, drittens, Hunderte von Maßnah- men eingeleitet, gesetzlich wie administrativ, um die Wahlbeteiligung von Minderheiten und jungen Menschen gezielt zu dämpfen. Neu eingeführte Regeln wie die Notwendigkeit, bestimmte Ausweisdokumente vorzulegen, gelten zwar selbstverständlich für alle Bürger, aber die republikanischen Strategen wissen, dass sie statistisch vor allem Demokraten an der Stimm- abgabe hindern. Viertens nutzen die Republikaner die von ihnen selbst gesä- ten Zweifel an der Integrität des Wahlsystems, um den mit der Organisation und Durchführung von Wahlen beschäftigten Apparat von unten auf Linie zu bringen. Gezielt ersetzen sie die vielen freiwilligen Wahlhelfer aus den Parteien und auch diejenigen, die für bestimmte Aufgaben gewählt werden, durch Angehörige der Trump-Basis. Gleichzeitig laufen scharfe Angriffe auf Staatsbedienstete, die für die Durchführung von Wahlen verantwortlich sind, egal ob sie Republikaner oder Demokraten sind.3

Diese Entwicklung nicht verhindern zu können, ist die eigentliche Tragödie der bisherigen Amtszeit von Joe Biden. Die Midterm Elections, die Kongress- wahlen im kommenden November, werden dabei der Schlüsselmoment sein.

Denn wenn die Republikaner eine der beiden Kammern gewinnen, haben sie die Macht in einem der zentralen Verfassungsorgane. Damit wäre eine freie und faire Präsidentschaftswahl 2024 fundamental gefährdet.

Derzeit sieht es nicht so aus, als könne ein Wahlsieg der Republikaner noch verhindert werden, nicht nur wegen der niedrigen Zustimmungswerte für die Biden-Regierung: Durch die Überrepräsentation von Wählern in länd- lichen Gebieten verfügen die Republikaner im politischen System der USA über strukturelle Vorteile. Sie müssen im Senat und im Electoral College keine Mehrheiten erringen, um Wahlen zu gewinnen – dank des Gerry-

2 Vgl. Michelle Goldberg, The problem of political despair, in: „The New York Times“, 22.11.2021.

3 Vgl. Jake Johnson, „Blatant Partisan Power Grab“: Wisconsin GOP Attempts to Seize Control of Sta- te‘s Elections, www.commondreams.org, 20.11.2021; Thomas Greven, Staatskrise mit Ansage, in:

„Blätter“, 8/2021, S. 81-90.

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mandering in vielen Staaten gilt das auch für das Repräsentantenhaus. Und möglicherweise haben die Republikaner bei den jüngsten Wahlen in Virgi- nia eine Formel gefunden, die Trump-hörige Basis zu mobilisieren, ohne die Wechselwähler in den Vororten zu verstören.

Die doppelte Entfremdungserfahrung der demokratischen Basis

Für die Demokraten sind die Aussichten also nicht gut; tatsächlich gibt es inzwischen Grund zur Panik. Wo stehen die Demokraten, was können sie noch tun, um den völligen Zerfall der amerikanischen Demokratie zu ver- hindern? Der wichtigste Schritt zum Schutz der demokratischen Institutio- nen wäre ein Bundeswahlrecht, das endlich die diesbezügliche Lücke in der US-Verfassung schließt. Bislang ist das Wahlrecht dort nicht geregelt, und die Durchführung selbst der Bundeswahlen liegt in der Verantwortung der ein- zelnen Staaten, was ein Einfallstor für Manipulationen bietet. Doch die beiden vorliegenden Gesetzesinitiativen – der John R. Lewis Voting Rights Advance- ment Act und der For the People Act – scheitern im Senat derzeit am Wider- stand der Republikaner, die dafür den Filibuster nutzen, der einer Minder- heit von Senatoren erlaubt, Gesetzesverfahren zu blockieren. Diesen können die Demokraten nicht brechen, dafür bräuchten sie 60 Stimmen im hundert- köpfigen Senat. Mit ihrer knappen Mehrheit von 51 Sitzen könnten sie zwar den Filibuster abschaffen oder seine Nutzung beschränken, aber dies schei- tert an Senatoren der Demokratischen Partei selbst. Es sind erneut vor allem Joe Manchin und Kyrsten Sinema, die dieses Instrument bewahren wollen, um auch in Zukunft die Rechte und Möglichkeiten der Minderheitsfraktion zu schützen. Angesichts der autokratischen Entwicklung der Republikaner und der Tatsache, dass diese in der Vergangenheit nicht gezögert haben, die Anwendung des Filibusters für Besetzungen von Bundesrichterposten abzu- schaffen, als das opportun war, scheint diese Haltung zumindest naiv.

Tatsächlich steckt aber mehr dahinter, nämlich fundamentale Schieflagen in der Demokratischen Partei und ihrer Wählerkoalition, die erheblich hete- rogener ist als die Basis weißer Christen der Republikaner. So hat sich der bereits genannte Trend der Arbeiterklasse hin zur Republikanischen Partei in jüngerer Zeit verstärkt. Er basiert auf zwei Entfremdungserfahrungen:

Zum einen geht es um die Positionierung der Demokratischen Partei zur öko- nomischen Globalisierung. Freihandel und Immigration werden nicht nur in den traditionellen Industrieregionen des „rust belt“ als bedrohliche Unter- bietungskonkurrenz wahrgenommen. Zu der umstrittenen liberalen Position der wirtschaftsfreundlichen „corporate Democrats“ kamen dann noch her- ablassende Äußerungen. So hieß es, die von der Freihandelspolitik gebeutel- ten Industriearbeiter sollten sich um mehr Bildung bemühen, um „fit für die Globalisierung“ zu werden.

Zum anderen führen heute die schwierigen kulturellen Auseinanderset- zungen über (strukturellen) Rassismus, Sexismus und Sprache zu einer Ent- fremdung. Gerade wo sie von den „Bewegungs-Demokraten“ kompromisslos

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forciert wird oder leicht so dargestellt werden kann (beispielsweise bei der Forderung „defund the police“ der Black-Lives-Matter-Aktivisten), führt die Identitäts-, Anerkennungs- und Sprachpolitik zu einem Backlash zugunsten der Republikaner. Inzwischen hat die Entfremdung daher auch einen Teil der gewerkschaftlich organisierten Beschäftigten erfasst, eine traditionelle Basis der Demokraten, die sich nicht nur ökonomisch, sondern auch kulturell unter Druck gesetzt sehen. Selbst der in diesen Fragen zunehmende Extremismus der Republikaner bietet dabei nur bedingt eine Chance für die Demokraten.

Moderate Wähler mag dies zwar abstoßen, aber grundsätzlich ist es für die Demokraten schwierig, beispielsweise den unterschwelligen oder expliziten Rassismus zu thematisieren, weil viele Wähler darüber schlicht nicht spre- chen wollen. Beide Entfremdungserfahrungen und die daraus resultierende Wählerwanderung sind Ausdruck einer Bildungspolarisierung zwischen den Parteien. Die Demokraten werden im Schnitt gebildeter, während der Anteil der Wähler ohne College-Abschluss bei den Republikanern steigt.

Diese wohnen überwiegend nicht in Städten, was die oben angesprochenen strukturellen Nachteile der Demokraten im Senat und im Electoral College noch verstärkt. Aber auch in den Städten haben die Demokraten durchaus Probleme, denn die Entfremdungserfahrungen erfassen inzwischen auch Latinos und Afroamerikaner ohne College-Abschluss, insbesondere Männer.

Diese Wählergruppen sind allerdings insgesamt nach wie vor eine Bank für die Demokraten, auch aufgrund der Ablehnung, die ihnen immer noch von den meisten Republikanern entgegenschlägt. Man könnte die Schwierigkei- ten der Demokraten, Wähler aus der Arbeiterklasse zu erreichen, als Populis- mus-Problem bezeichnen. Jenseits der Aufgabe, die Ansätze der „corporate Democrats“ und der Bewegungs-Demokraten unter einen Hut zu bringen – worum sich der moderat-linksliberale Mainstream der Partei redlich bemüht –, haben die Demokraten selbstverständlich die besseren Antworten. Aber Protektionismus, Handelskriege, Mauern, Hass und Ausgrenzung lassen sich eben einfacher in schlagkräftige Botschaften verwandeln als kompli- zierte industrie-, bildungs-, kultur- und integrationspolitische Maßnahmen.

So gewann Trump gegen Hillary Clinton 2016 die entscheidenden 80 000 Stimmen in nur drei Rust-Belt-Staaten, so kam Trump gegen Biden bis auf 45 000 Stimmen heran – wiederum in nur drei Staaten.

Immerhin haben die meisten Strategen der Demokratischen Partei erkannt, dass sie sich um die Arbeiterklasse bemühen müssen. Jahrelang herrschte bei ihnen ein „demographischer Triumphalismus“, der einfach davon ausging, dass die demographische Entwicklung der USA in Richtung einer „majority-minority-society“ – also einer Gesellschaft, in der die Summe der Minderheiten größer ist als die Gruppe der Weißen – den Demokraten eine strukturelle Mehrheit verschaffen würde. Doch die jüngsten Wahlen und die klare Evidenz, dass die weiße christliche Basis der Republikaner ver- lässlicher wählen geht, haben den Strategen diesen Zahn gezogen.

Zum Mobilisierungsproblem bei der Arbeiterklasse kommt für die Demo- kraten aller Flügel das Problem der „Steuerphobie“ der amerikanischen Mittelklasse. Selbst diejenigen Wähler, die grundsätzlich einer moderat sozi-

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aldemokratischen Wirtschafts- und Sozialpolitik aufgeschlossen gegenüber- stehen, haben selbstverständlich ihre ökonomischen Interessen im Auge. Und die vielen Jahrzehnte der „republikanischen Hegemonie“ in der Wirtschafts- und Sozialpolitik haben zu einem massiven Abbau staatlicher Leistungen geführt, die von diesen Wählern privat kompensiert werden mussten.4 Am Beispiel der Schulbildung lässt sich das daraus resultierende Dilemma gut illustrieren: Die nachlassende Qualität staatlicher Schulen an vielen Orten hat – neben anderen Faktoren – dazu geführt, dass Mittelklasse-Familien ver- stärkt in private Schulbildung investieren. Auch wenn sie daran interessiert wären, die Qualität der staatlichen Schulen wieder zu erhöhen, so stellen sie doch die dafür mutmaßlich notwendigen Steuererhöhungen vor ein Problem, denn sie müssen die privaten Schulgebühren ja einstweilen weiterzahlen.

Um grundsätzlich etwas an den sie benachteiligenden Strukturen des poli- tischen Systems zu ändern, müssten die Demokraten in eine Verschiebung der Kräfteverhältnisse investieren. Aber es sind Konstellationen wie das Mit- telklasse-Dilemma, die dazu beitragen, dass die meisten Demokraten auch weiterhin kein Interesse an einer fundamentalen Neuausrichtung des Lan- des entwickeln – jenseits der Democratic Socialists und Bernie Sanders. Die Demokraten waren nie eine Arbeiterpartei, nie eine wirklich sozialdemokra- tische Partei, auch wenn sie trotz ihrer Nähe zu Teilen der Wirtschaft selbst- verständlich nicht einfach „der linke Flügel“ einer prokapitalistischen Ein- heitspartei sind. So bemühen sie sich durchaus, beispielsweise die Situation der Gewerkschaften rechtlich zu verbessern. Die amerikanischen industriel- len Beziehungen sind extrem vergiftet. Eine Gewerkschaftsmitgliedschaft ist in den USA nicht individuell und freiwillig, sondern Resultat einer kollekti- ven Entscheidung. Gewerkschaften müssen daher Mehrheiten in Betrieben erlangen, um die Belegschaft kollektiv vertreten zu dürfen. Dagegen wehren sich die Unternehmen und die von ihnen angeheuerten gewerkschaftsfeind- lichen Beratungsunternehmen (union buster) mit allen Mitteln, unter Aus- nutzung der schwachen Gesetze und der milden Strafen für Verstöße. Ohne eine fundamentale Reform des Organisierungs- und Streikrechts wird sich an dieser Lage wenig ändern, egal wie gut die Arbeitsmarktlage ist. Doch die Biden-Regierung wird auch hier nicht liefern können, da die Demokraten gespalten sind, was den Republikanern wiederum das Filibustern erlaubt.

Die Panik der Demokraten vor dem Schicksalswahljahr 2022 ist berech- tigt. Angesichts des dramatischen Verfalls der demokratischen Kultur in der Republikanischen Partei müssen sie sich auf das schlimmste Szenario vor- bereiten – nämlich, dass ein Sieg der Demokraten von einem großen Teil der Bevölkerung schlicht nicht akzeptiert wird und es in der Folge zu politischer Gewalt kommt. Ansonsten bleibt den Demokraten nur, es den Republikanern nachzutun und mit der Angst vor einer Wiederholung der Trump-Jahre zu mobilisieren. Da Trump dieses Mal nicht selbst antritt, kann man nur hoffen, dass er ihnen weiter den Gefallen tut, sich gleichermaßen egomanisch wie polternd in den Vor- und Hauptwahlkampf einzumischen.

4 Thomas Greven, Die Republikaner. Anatomie einer amerikanischen Partei, München 2004.

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