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Bernhard Knittel/Petra Birnstengel

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Verwirkung von Kindesunterhalt,

Themengutachten TG-1003 Bernhard Knittel/Petra Birnstengel

Themengutachten, DIJuF- Rechtsgutachten

1. Auflage 2015

Rn.

1- 22 Verwirkung von Kindesunterhalt, Themengutachten TG-1003

Prof. Dr. Bernhard Knittel und Petra Birnstengel Stand: 5/2018

1. Was bedeutet Verwirkung?

1.1 Grundsatz

1.2 Rechtsnatur der Verwirkung und ihre Geltendmachung 1.3 Zeitmoment und Umstandsmoment als Voraussetzungen 1.4 Verwirkung trotz gehemmter Verjährung

2 Warum kann Verwirkung schon nach einjähriger Untätigkeit des Unterhaltsgläubigers eintreten?

2.1 Allgemeines

2.2 Berechnung der Jahresfrist und Fristbeginn

2.3 Zeitmoment unabhängig von Titulierung der Forderung

3 Wie kann der Gläubiger den Eintritt der Verwirkung bezüglich des Zeitmoments verhindern?

4 Was ist bezüglich des Umstandsmoments zu beachten?

4.1 Grundsatz

4.2 Bisherige Tendenz in der Rechtsprechung 4.3 Neuere Auffassung des BGH

4.4 Maßnahmen gegen das Umstandsmoment der Verwirkung

5 Welche weiteren Abgrenzungs- und Streitfragen wurden zur Verwirkung von Unterhaltsansprüchen entschieden?

5.1 Keine Verwirkung bei Treuwidrigkeit bzw sonstigen Umständen auf Seiten des Schuldners

5.2 Keine Verwirkung bei Unterlassen der Einforderung einer Erhöhung des dynamisierten Unterhalts

5.3 Verwirkung durch Nichtbetreiben eines Rechtsstreits

5.4 Verwirkung durch widerspruchslose Hinnahme von Teilzahlungen oder selektive Einforderung von Rückständen

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5.5 Verwirkung von Unterhalt bei sehr später Feststellung der Vaterschaft 5.6 Keine Vorratspfändung bei Verwirkung aller Unterhaltsrückstände

6 Gelten die Grundsätze zur Verwirkung von Unterhaltsforderungen gleichermaßen für einen Rechtsnachfolger?

7 Kommen verwirkungsausschließende Mahnungen des Kindes für seinen eigenen Unterhalt auch einem Rechtsnachfolger für den übergegangenen Unterhaltsanspruch zugute?

8 Können Forderungen auch dann verwirkt sein, wenn der Gläubiger aus rechtlichen Gründen – etwa während des Insolvenzverfahrens oder der Wohlverhaltensperiode – an einer Vollstreckung gehindert ist?

1. Was bedeutet Verwirkung?

1.1 Grundsatz

Eine Verwirkung kommt nach allgemeinen Grundsätzen in Betracht, wenn der Berechtigte ein Recht längere Zeit nicht geltend macht, obwohl er dazu in der Lage wäre, und der Verpflichtete sich mit Rücksicht auf das gesamte Verhalten des Berechtigten darauf einrichten durfte und eingerichtet hat, dass dieser sein Recht auch in Zukunft nicht geltend machen werde (MüKo/Schubert BGB § 242 Rn. 356 mwN; Erman/Böttcher BGB § 242 Rn. 123, jeweils mwN).

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Insofern gilt für Unterhaltsrückstände nichts anderes als für andere in der Vergangenheit fällig gewordene Ansprüche (BGH 31.1.2018 – XII ZB/17, JAmt 2018, 213 Rn. 12 = FamRZ 2018, 589. Rückständige Unterhaltsansprüche können – selbst bei noch nicht abgelaufener Verjährungsfrist – verwirkt werden, wenn der Gläubiger über längere Zeit hinweg die Forderung nicht geltend macht und beim Schuldner das begründete Vertrauen hervorruft, er werde hierfür nicht mehr in Anspruch genommen (BGH 31.1.2018 – XII ZB 133/17, JAmt 2018, 213 Rn. 12; 7.2.2018 – XII ZB 338/17 Rn. 17, FamRZ 2018, 681 jeweils mwN; Wendl/Dose/Gerhardt § 6 Rn. 142 ff).

Diese Grundsätze gelten auch für den Minderjährigenunterhalt (OLG Naumburg 28.2.2013 – 8 UF 181/12 Rn. 39, FamRZ 2014, 133; OLG Hamm 13.5.2013 – 2 WF 82/13, FuR 2013, 723). Auch muss sich das unterhaltsberechtigte Kind das Verhalten seines gesetzlichen Vertreters zurechnen lassen (OLG Köln 14.1.2014 – 27 UF 92/13 Rn. 5; jurisPK-BGB/Viefhues BGB

§ 1613 Rn. 292 mwN). Besteht hinsichtlich der Unterhaltsansprüche eine Beistandschaft des Jugendamts, muss sich das unterhaltsberechtigte Kind dessen Verhalten in der Unterhaltsauseinandersetzung zurechnen lassen (OLG Hamm 17.03.2014 – II-6 UF 196/13, ZKJ 2014, 385; jurisPK-BGB/Viefhues BGB § 1613 Rn. 327 mwN). Hat das Jugendamt schuldhaft den Eintritt der Verwirkung nicht verhindert, kommen ggf Amtshaftungsansprüche gegen den Jugendamtsträger in Betracht (dazu näher DIJuF/Knittel/Birnstengel Themengutachten TG-1234 Ziff. 1.8).

Wird jedoch nur der Mindestunterhalt geltend gemacht, müssen besondere Gründe das Vorliegen des Zeit- und Umstandsmoments (dazu unten Ziff. 1.3) rechtfertigen. Denn der Pflichtige kann trotz Zeitablaufs nicht darauf bauen, dass das minderjährige Kind etwa nicht auf den Unterhalt in dieser Höhe angewiesen sei (OLG Brandenburg 26.3.2010 – 13 WF 41/08; OLG Schleswig 31.1.2013 – 15 UF 148/12 mAnm Bömelburg FamRB 2013, 215). Solche besonderen Umstände muss der Zahlungspflichtige darlegen, der sich auf die Verwirkung beruft (OLG Brandenburg 26.3.2010 – 13 WF 41/08; jurisPK-BGB/Viefhues BGB § 1613 Rn. 305). Allerdings hat sich die Bedeutung dieser Argumente im Hinblick auf die neuere BGH-Rechtsprechung (dazu Ziff. 4.3) ohnehin relativiert.

1.2 Rechtsnatur der Verwirkung und ihre Geltendmachung

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Die Verwirkung ist eine Ausprägung des Grundsatzes von Treu und Glauben (§ 242 BGB) und enthält den Vorwurf einer illoyal verspäteten Rechtsausübung an den Gläubiger. Die Verwirkung ist ein Sonderfall der unzulässigen Rechtsausübung und mit dem Verbot widersprüchlichen Verhaltens verwandt (Erman/Böttcher BGB

§ 242 Rn. 123 mwN). Das bedeutet nicht, dass die Inanspruchnahme des Rechts als missbilligenswertes Verhalten erscheinen muss. Die Verwirkung durch Zeitablauf setzt kein Unwerturteil über den Rechtsinhaber voraus. Die verspätete Inanspruchnahme muss der Gegenpartei lediglich unzumutbar sein. Darin liegt der maßgebliche Wertungsgesichtspunkt (MüKo/Schubert BGB § 242 Rn. 367 mwN).

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Ein verwirktes Recht oder eine Rechtsposition kann nicht mehr geltend gemacht werden. In der Literatur ist strittig, ob diese Wirkung – ähnlich der Einrede der Verjährung – nur eine Ausübungshemmung bedeutet (so Staudinger/Olzen/Looschelders BGB § 242 Rn. 316 mwN zum Streitstand) oder als

„rechtsvernichtende“ Einwendung zum Untergang des Rechtes führt (MüKo/Schubert BGB § 242 Rn. 373 mwN).

Die ganz hM vor allem in der Rechtsprechung vertritt hierzu folgenden Standpunkt: Anders als die Verjährung, welche als Einrede nur dann zu berücksichtigen ist, wenn sich der Schuldner ausdrücklich auf ein Leistungsverweigerungsrecht beruft (§ 214 Abs. 1 BGB), muss die Verwirkung als Einwendung ggf von Amts wegen durch ein im Streitfall mit der Unterhaltsforderung befasstes Gericht berücksichtigt werden, also unabhängig davon, ob sich die begünstigte Partei darauf beruft (stRspr, vgl BGH 12.7.1951 – III ZR 168/50, BGHZ 3, 94 [103 f]; 10.11.1965 – Ib ZR 101/63, NJW 1966, 343 [345]; OLG Brandenburg 10.6.2010 – 10 WF 113/10 Rn. 5; Palandt/Grüneberg BGB § 242 Rn. 96; jurisPK-BGB/Viefhues BGB § 1613 Rn. 290). Allerdings ist im Regelfall entsprechender Sachvortrag hierzu unverzichtbar (Viefhues FuR 2017, 2), weil die näheren Umstände für das angerufene Gericht nicht auf der Hand liegen werden.

Die Darlegungs- und Beweislast für die konkreten Voraussetzungen der Verwirkung trägt dabei grundsätzlich der Schuldner (BGH 31.1.2018 – XII ZB 133/17, JAmt 2018, 213 Rn. 17; hierzu Staudinger/Looschelders/Olzen BGB § 242 Rn. 332). Allerdings muss der Gläubiger nach entsprechendem gegnerischem Vorbringen seinerseits substanziiert darlegen, wann und unter welchen Umständen er sein Recht geltend gemacht hat (BGH 19.5.1958 – II ZR 53/57, NJW 1958, 1188 [1189]). Daher sind verwirkungshindernde Aktivitäten vorzutragen (MüKo/Schubert BGB § 242 Rn. 375).

1.3 Zeitmoment und Umstandsmoment als Voraussetzungen

Die Verwirkung setzt neben dem Zeitmoment, dh dem Ablauf eines längeren Zeitraums – wofür bei Unterhalt bereits ein Zeitraum von etwas mehr als einem Jahr genügen kann (dazu näher Frage 2) – auch ein Umstandsmoment voraus:

Der Schuldner muss aus dem Verhalten des Gläubigers das berechtigte Vertrauen darauf ableiten können, dass dieser seinen Anspruch nicht mehr geltend machen werde (BGH 31.1.2018 – XII ZB 133/17, JAmt 2018, 213 Rn. 14; vgl hierzu Staudinger/Looschelders/Olzen BGB § 242 Rn. 306 mwN).

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Letztlich kommt es darauf an, dass die konkreten Umstände zusammen mit der abgelaufenen Zeit die Folge der Verwirkung rechtfertigen (BSG 29.10.1968 – 4 RJ 245/67, NJW 1969, 767). Insofern besteht eine Wechselwirkung zwischen beiden Faktoren (BGH 19.10.2005 – XII ZR 224/03 Rn. 23, NJW 2006, 219 [220]; BAG 2.12.2006 – 9 AZR 747/06 Rn. 17, NZA 2007, 396 [398]). Zeit- und Umstandsmoment stehen in engem Zusammenhang. Je kürzer der verstrichene Zeitraum ist, desto gravierender müssen die Umstände sein, die dem Schuldner die Annahme nahelegen, dass er nicht mehr in Anspruch genommen werden wird (BGH 19.10.2005 – XII ZR 224/03 Rn. 23; BAG 2.12.2006 – 9 AZR 747/06 Rn. 17;

Staudinger/Looschelders/Olzen BGB § 242 Rn. 306 mwN).

1.4 Verwirkung trotz gehemmter Verjährung

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Hierbei betont die höchstrichterliche Rechtsprechung, dass eine Verwirkung auch während der Hemmung der Verjährung eintreten kann: Selbst wenn dem Anspruchsgläubiger im Rahmen der Verjährung ein gesetzlicher Hemmungstatbestand zugutekommt, steht das einer Verwirkung des Unterhaltsanspruchs nicht entgegen (vgl BGH 31.1.2018 – XII ZB 133/17, JAmt 2018, 213 Rn. 16; 16.6.1999 – XII ZA 3/99, FamRZ 1999, 1422; OLG Saarbrücken 21.7.2014 – 9 WF 49/14, FamRZ 2015, 331; OLG Naumburg 28.2.2013 – 8 UF 181/12, jeweils mHinw auf BGH 16.6.1999 – XII ZA 3/99).

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Entgegen einer in der Literatur vertretenen Auffassung (MüKo/Grothe BGB § 207 Rn. 7 mwN) schließt der Sinn („ratio legis“) des § 207 BGB den Eintritt der Verwirkung während des Hemmungszeitraums nicht aus. Die gesetzlichen Hemmungstatbestände beziehen sich auf das Verjährungsrecht und haben wie die Verjährung im Allgemeinen nur Bedeutung für die Frage, ob die Durchsetzbarkeit eines Anspruchs allein aus Zeitgründen scheitert. Ihre Wirkung besteht dementsprechend darin, dass sie den Ablauf der Verjährungsfrist hinausschieben (BGH 31.1.2018 – XII ZB 133/17, JAmt 2018, 213 Rn. 17; Viefhues jurisPR-FamR 7/2018 Anm. 5). Für die Verwirkung muss hingegen das Umstandsmoment hinzutreten. Zur Annahme der Verwirkung muss für den Schuldner ein vom Gläubiger gesetzter besonderer Vertrauenstatbestand vorliegen, der vom Schuldner konkret darzulegen und im Bestreitensfall zu beweisen ist. Da Verjährung und Verwirkung auf unterschiedlichen Grundlagen beruhen, widerspricht der Eintritt der Verwirkung mithin nicht dem Hemmungstatbestand des § 207 BGB (BGH 31.1.2018 – XII ZB 133/17, JAmt 2018, 213 Rn. 17; Viefhues jurisPR-FamR 7/2018 Anm. 5).

2 Warum kann Verwirkung schon nach einjähriger Untätigkeit des Unterhaltsgläubigers eintreten?

2.1 Allgemeines

Der BGH (31.1.2018 – XII ZB 133/17, JAmt 2018, 213 Rn. 13; 10.12.2003 – XII ZR 155/01 Rn. 10, FamRZ 2004, 531) hat bereits den Ablauf von nur „etwas mehr als einem Jahr“ als ausreichend für das Zeitmoment der Verwirkung erachtet: nämlich bei der Geltendmachung von Unterhaltsforderungen, deren Fälligkeit mehr als ein Jahr vor Rechtshängigkeit des Festsetzungsantrags bzw vor einem erneuten Tätigwerden des Unterhaltsgläubigers mit dem Ziel der Durchsetzung seiner Forderungen eingetreten ist. Erfasst sind aber auch Unterhaltsforderungen, die zunächst zeitnah zur Fälligkeit geltend gemacht, anschließend aber mehr als ein Jahr lang nicht weiterverfolgt wurden.

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2.2 Berechnung der Jahresfrist und Fristbeginn

Allerdings geht es hierbei nicht um eine starre Frist, sodass bei einer bloß geringfügigen Überschreitung des maßgeblichen Zeitraums von „etwa einem Jahr“

um ca zwei bis drei Wochen eine Verwirkung noch abzulehnen sein kann (Liceni- Kierstein FamRB 2017, 447). So hat das OLG Brandenburg die Verwirkung bei einer Überschreitung der Jahresfrist um nur knapp drei Wochen verneint (OLG Brandenburg 13.11.2012 – 10 UF 226/11 Rn. 38, wobei auch auf die „sehr zögerlichen Auskunftserteilung durch den Antragsgegner“ hingewiesen wurde).

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In anderem Zusammenhang führte der BGH aus: „Mit dieser Frist dürfte allerdings die äußerste Grenze erreicht sein. War der Unterhaltsberechtigte durch besondere Umstände, insbesondere durch solche, die im Verantwortungsbereich des Schuldners liegen, an einer zeitnahen Geltendmachung seines Rechts gehindert, gebieten die der Verwirkung zugrunde liegenden Grundsätze von Treu und Glauben, dass das ‚Zeitmoment‘ diesen Umständen anzupassen ist und unter Umständen weit längere Fristen ins Auge zu fassen sind“ (BGH 13.1.1988 – IVb ZR 7/87 Rn. 15, BGHZ 103, 62 = FamRZ 1988, 370).

Für die Berechtigung des Zeitmoments der Verwirkung beruft sich die Rechtsprechung auf zwei Argumente: Zum einen seien im Unterhaltsrechtsstreit

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die für die Bemessung des Unterhalts maßgeblichen Einkommensverhältnisse der Parteien nach längerer Zeit oft nur schwer aufklärbar. Zum anderen könnten ansonsten Unterhaltsrückstände zu einer erdrückenden Schuldenlast anwachsen (BGH 31.1.2018 – XII ZB 133/17, JAmt 2018, 213 Rn. 13). Deshalb gebiete der Schuldnerschutz, dass der Gläubiger seine Ansprüche zeitnah durchsetze. Dieser Grund sei so gewichtig, dass das Zeitmoment der Verwirkung auch dann erfüllt sein könne, wenn die Rückstände Zeitabschnitte betreffen, die nur etwas mehr als ein Jahr zurückliegen. Denn nach den gesetzlichen Bestimmungen der § 1585 b Abs. 3 BGB und § 1613 Abs. 2 Nr. 1 BGB verdiene der Gesichtspunkt des Schuldnerschutzes bei Unterhaltsrückständen für eine mehr als ein Jahr zurückliegende Zeit besondere Beachtung.

Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem das Recht erstmals hätte geltend gemacht bzw ausgeübt werden können. Bei Forderungen ist daher idR die Fälligkeit maßgeblich (BeckOK-BGB/Sutschet, 45. Ed., Stand: 1.11.2017, BGB

§ 242 Rn. 136; MüKo/Schubert BGB § 242 Rn. 380).

Im Umkehrschluss führt das Zeitmoment dazu, dass jedenfalls Rückstände der letzten 12 Monate nicht verwirken können. Erfasst wird von der Verwirkung nur derjenige Rückstand, der vom Zeitmoment berührt wird, dh die mehr als ein Jahr vor erneutem Tätigwerden zurückliegenden („überjährigen“) Ansprüche (OLG Brandenburg 12.1.2011 – 9 WF 383/09, FamFR 2011, 79; jurisPK-BGB/Viefhues BGB § 1613 Rn. 306). Unterhaltsrückstände aus dem letzten Jahr können also weiter geltend gemacht werden.

Die eingetretene Verwirkung hinsichtlich der aufgelaufenen Unterhaltsrückstände führt auch nicht zu einer Verwirkung des zukünftigen Unterhalts. Denn vor Fälligkeit kann kein Unterhaltsanspruch verwirken. Das Stammrecht wird durch jahrelange Nichtgeltendmachung nicht verwirkt (BGH 16.6.1982 – IVb ZR 709/80, BGHZ 84, 282 = MDR 1982, 835).

2.3 Zeitmoment unabhängig von Titulierung der Forderung

Der BGH hat betont, dass das erwähnte Zeitmoment unterschiedslos für titulierte wie auch für nicht titulierte Forderungen gelte. Denn auch vom Gläubiger einer titulierten Unterhaltsforderung ist zu erwarten, dass er sie zeitnah durchsetzt (BGH 10.12.2003 – XII ZR 155/01 Rn. 11, FamRZ 2004, 531;

16.6.1999 – XII ZA 3/99 Rn. 2, FamRZ 1999, 1422 = DAVorm 1999, 711; ebenso OLG Brandenburg 7.3.2013 – 13 UF 66/12, FuR 2013, 468; OLG Hamm 13.5.2013 – 2 WF 82/13, dazu Viefhues jurisPR-FamR 4/2014 Anm. 7; OLG Koblenz 7.3.2012 – 11 WF 250/12, FamRZ 2013, 971; OLG Oldenburg 23.8.2011 – 13 UF 16/11, FamRZ 2012, 148).

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Insoweit spielt zwar das Argument der schwierigeren Sachaufklärung keine Rolle.

Maßgebendes Gewicht kommt jedoch dem Schuldnerschutz zu: Ebenso wie vom Gläubiger eines noch nicht titulierten Anspruchs ist schon wegen der Zweckbestimmung der Leistung, nämlich den aktuellen Lebensbedarf des Gläubigers zu sichern, eine zeitnahe Durchsetzung der schon vor Fälligkeit titulierten Forderung zu erwarten, damit die Unterhaltsrückstände nicht zu einer drückenden Schuldenlast anwachsen (BGH 16.6.1999 – XII ZA 3/99 Rn. 2). Aus diesem Grund hat der Gesetzgeber auch für titulierte Unterhaltsansprüche, soweit es sich um wiederkehrende Leistungen handelt, ab deren rechtskräftiger Feststellung keine längere Verjährungsfrist als drei Jahre vorgesehen (§ 197 Abs. 2, § 201 BGB).

Das KG (28.6.2017 – 13 UF 75/16 Rn. 7, FF 2017, 460) führt darüber hinaus noch folgendes weiteres Argument an: Die zwangsweise Durchsetzung titulierter Forderungen liege weitaus näher als die Geltendmachung nicht titulierter Forderungen, weil der Gläubiger sich lediglich noch um die Zwangsvollstreckung, aber nicht mehr um die Titulierung als solche kümmern muss. Folglich könne bei Absehen des Gläubigers von einer zeitnahen Geltendmachung des titulierten Unterhaltsanspruchs beim Schuldner umso leichter der Eindruck entstehen, dass die bestehenden Rückstände endgültig nicht mehr geltend gemacht werden

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sollen (vgl OLG Brandenburg 4.9.2003 – 9 WF 158/03 Rn. 4, FamRZ 2004, 972 sowie Menne KindPrax 2004, 136 [137]).

3 Wie kann der Gläubiger den Eintritt der Verwirkung bezüglich des Zeitmoments verhindern?

Zur Bejahung von Verwirkung müssen das Zeitmoment und das Umstandsmoment kumulativ vorliegen (s.o. Ziff. 1.3).

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Der Eintritt der Verwirkung kann daher schon von vornherein verhindert werden, wenn das Zeitmoment sich nicht verwirklicht. Hierfür sind jedenfalls entsprechende Aktivitäten gegenüber dem Schuldner erforderlich.

Wie im Rahmen des Zeitmoments dem Einwand einer illoyal verspäteten Vollstreckung zu begegnen ist, dh durch welche Maßnahmen der Lauf der Jahresfrist unterbrochen wird, ist im Einzelfall mit Blick auf das gesamte Verhalten des Unterhaltsberechtigten zu entscheiden. Dieses muss von dem nach außen erkennbaren Bemühen getragen sein, den titulierten Anspruch zeitnah durchzusetzen. Hier sind nicht nur die eigentlichen Vollstreckungsmaßnahmen von Bedeutung. Vielmehr fallen darunter auch Vorgänge, die (noch) nicht unmittelbar der Durchsetzung des Anspruchs, aber der Vorbereitung dienen (Liceni-Kierstein FamRB 2014, 403 [404]).

So sind jedenfalls eine Aufforderung zur Auskunftserteilung, die Bezifferung des Unterhaltsanspruchs und die Zahlungsaufforderung für das Zeitmoment von Bedeutung (Viefhues FuR 2007, 2 [3]). In einem weiteren Sinne gehören hierzu auch Vorgänge, die der Vorbereitung der Durchsetzung des Unterhaltsanspruchs dienen sollen, etwa das Einräumen von Stellungnahmefristen zur weiteren Sachaufklärung. Ergibt sich demnach zB aus einer Gesamtschau des Schriftverkehrs des Sozialhilfeträgers, dass dessen Verhalten von dem Bemühen getragen war, den auf ihn übergegangenen Unterhaltsanspruch zeitnah durchzusetzen, scheidet Verwirkung aus (BGH 15.9.2010 – XII ZR 148/09, FamRZ 2010, 1888 mAnm Hauß; OLG Hamm 17.11.2011 – 2 WF 129/11; KG 3.7.2009 – 13 UF 150/08, NJW-RR 2010, 879; zur Anwendbarkeit der Regeln über die Verwirkung auf Sozialleistungsträger als Rechtsnachfolger näher Frage 6).

Dem Unterhaltspflichtigen muss jedenfalls hinreichend deutlich gemacht werden, dass der Berechtigte mit der Durchsetzung seines Anspruchs beschäftigt ist, und dass er notfalls gerichtliche Zwangsvollstreckungsmaßnahmen einleiten wird (Liceni-Kierstein FamRB 2014, 403 [404]; dazu nochmals zu Ziff. 4.4).

Bei alldem ist aber auf Kontinuität und Zusammenhang entsprechender Maßnahmen zu achten. So wurde obergerichtlich entschieden: Ein Unterhaltsschuldner, der zunächst auf erhöhten Unterhalt in Anspruch genommen wird, jedoch daraufhin eineinhalb Jahre lang von dem Verlangen nichts mehr hört, dürfe sich darauf einstellen, dass die weitergehende Unterhaltsforderung fallengelassen worden ist. Der Anspruch auf erhöhten Unterhalt sei damit verwirkt (OLG Brandenburg 16.12. 2008 – 10 UF 54/08; vgl auch OLG Nürnberg 18.6.2009 – 10 UF 1536/08 Rn. 11: „keine Anstalten getroffen, den Anspruch auch durchzusetzen“). Ob dies im Hinblick auf die neuere Auffassung des BGH zur Bedeutung des Umstandsmoments neben dem Zeitmoment und insoweit der Unbeachtlichkeit schlichter Untätigkeit (dazu Ziff. 4.3) noch so aufrechterhalten werden kann, ist zwar fraglich. Gleichwohl sind Gläubiger gut beraten, möglichst schon den Eintritt des Zeitmoments der Verwirkung zu vermeiden, indem nicht ohne triftigen Grund derartige Lücken bei der Geltendmachung des Unterhalts zugelassen werden.

Gegen eine Verwirkung im jeweiligen Einzelfall kann deshalb zunächst einmal sprechen, wenn der Gläubiger den Schuldner nachweislich durch periodische Mahnungen an seine ausstehende Zahlungspflicht erinnert hat (zur Frage, ob dies ausreicht: näher Ziff. 4.4). Als mindeste Maßnahme zur Vermeidung des Zeitmoments der Verwirkung sollte also dem Schuldner jährlich eine Aufstellung über die jeweils bestehenden Rückstände übermittelt und dabei sinngemäß mit

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entsprechendem Nachdruck darauf hingewiesen werden, dass deren Begleichung weiterhin erwartet werde.

Diese Zustellung einer derartigen Aufforderung durch Einschreiben kann als Vorsichtsmaßnahme im Einzelfall angezeigt sein, wenn mit einem Bestreiten des Zugangs durch den Schuldner gerechnet werden muss (zur Nachweisproblematik und den verschiedenen Einschreiben s. DIJuF-Rechtsgutachten JAmt 2015, 313).

4 Was ist bezüglich des Umstandsmoments zu beachten?

4.1 Grundsatz

Ist gleichwohl das Zeitmoment der Verwirkung hinsichtlich bestimmter Ansprüche erfüllt, weil die Gläubigerseite über mehr als ein Jahr hinweg untätig geblieben ist, muss aber zusätzlich auch das Umstandsmoment zu bejahen sein. Es müssen besondere auf dem Verhalten des Berechtigten beruhende Umstände hinzutreten, die das Vertrauen des Verpflichteten rechtfertigen, der Berechtigte werde seinen Anspruch nicht mehr geltend machen (BGH 7.2.2018 – XII ZB 338/17 Rn. 20, FamRZ 2018, 681; 31.1.2018 – XII ZB 133/17, JAmt 2018, 213 Rn. 14; 9.10.2013 – XII ZR 59/12 Rn. 14, NJW-RR 2014, 195).

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Allerdings bedarf es keiner besonderen Feststellungen dazu, dass der Unterhaltsschuldner sich tatsächlich auf den Fortfall der Unterhaltsforderungen eingerichtet hat, wenn nicht erkennbar ist, dass es im zu entscheidenden Fall ausnahmsweise anders lag (OLG Naumburg 28.2.2013 – 8 UF 181/12 Rn. 37, FamRZ 2014, 133; OLG Brandenburg 10.6.2010 – 10 WF 113/10; Viefhues FuR 2007, 2 [3]). Erfahrungsgemäß pflegt ein Unterhaltsverpflichteter in durchschnittlichen wirtschaftlichen Verhältnissen seine Lebensführung an die ihm zur Verfügung stehenden Einkünfte anzupassen, sodass er bei unerwarteten Unterhaltsnachforderungen nicht auf Ersparnisse zurückgreifen kann und dadurch regelmäßig in Bedrängnis gerät (BGH 13.1.1988 – IVb ZR 7/87 Rn. 17, BGHZ 103, 62 = FamRZ 1988, 370 mwN). Deshalb ist keine besondere Darlegung von „Vertrauensinvestitionen“ auf Seiten des Schuldners erforderlich.

4.2 Bisherige Tendenz in der Rechtsprechung

Bei der Prüfung der Verwirkung von Unterhaltsansprüchen wurde bisher in der Praxis häufig zu wenig Augenmerk auf das Umstandsmoment der Verwirkung gelegt (vgl. Schneider FamRB 2018, 134 [135]). Vielmehr wurde bei einer schleppenden Geltendmachung oder Vollstreckung von Unterhaltsansprüchen eine Verwirkung vorschnell mit dem Argument angenommen, von einem Unterhaltsgläubiger, der auf den Unterhalt zur Deckung des täglichen Lebensbedarfs angewiesen sei, könne erwartet werden, dass er seine Ansprüche zeitnah durchsetze (vgl zB OLG Brandenburg 12.7.2013 – 13 UF 66/12, FamRZ 2012, 1223; OLG Koblenz 7.3.2012 – 11 WF 250/12, FamRZ 2013, 971; OLG Hamm 13.5.2013 – 2 WF 82/13, MDR 2013, 1468). So fasste Spangenberg (NzFam 2015, 107 [108]) einmal die frühere Tendenz der Rechtsprechung so zusammen: „Das Umstandsmoment hat seine eigenständige Bedeutung verloren, sodass im Ergebnis der Verwirkungseinwand bereits mit dem Ablauf von mindestens einem Jahr der Untätigkeit möglich ist“.

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Die bloße Untätigkeit oder eine schleppende Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen beziehen sich aber lediglich auf das Zeitmoment und nicht auch auf das Umstandsmoment der Verwirkung. Sie reichen nicht aus, um das Vertrauen des Schuldners zu begründen, der Gläubiger werde sein Recht auch nicht in Zukunft geltend machen. Es müssen also zusätzliche Umstände aus der Sphäre des Gläubigers hinzutreten, die dazu führen, dass der Schuldner darauf vertrauen durfte, der Gläubiger werde sein Recht auch zukünftig nicht mehr geltend machen (Schneider FamRB 2018, 134 [135]).

4.3 Neuere Auffassung des BGH

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Der letztgenannte und in der Praxis vielfach ignorierte Grundsatz wurde nunmehr ausdrücklich vom BGH bekräftigt. Im Beschluss BGH 31.1.2018 – XII ZB 133/17, JAmt 2018, 213 Rn. 19 (bestätigt durch BGH 7.2.2018 – XII ZB 338/17 Rn. 20 ff, FamRZ 2018, 681) hat der BGH nunmehr nochmals (unter Bezugnahme auf die frühere, nicht zum Unterhaltsrecht ergangene Entscheidung BGH 9.10.2013 – XII ZR 59/12) ausdrücklich betont: Bloße Untätigkeit kann für sich genommen das Umstandsmoment nicht begründen (Leits. 2). Entscheidend ist, ob bei objektiver Beurteilung der Verpflichtete dem Verhalten des Berechtigten entnehmen durfte, dass dieser sein Recht nicht mehr geltend machen wolle, ob der Schuldner sich also darauf einrichten durfte, dass er mit einer Rechtsausübung durch den Berechtigten nicht mehr zu rechnen brauche (BGH 9.10.2013 – XII ZR 59/12 mwN). Erforderlich ist somit, dass der Schuldner aufgrund konkreter vom Gläubiger gesetzter Verhaltensweisen berechtigterweise davon ausgehen kann,

„es werde nichts mehr kommen“ (so Viefhues jurisPR-FamR 7/2018 Anm. 5; im Erg. auch OLG Köln 8.11.2016 – II-26 UF 107/16, FamRZ 2017, 1833).

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Dieser Vertrauenstatbestand könne nicht durch bloßen Zeitablauf geschaffen werden (BGH 7.2.2018 – XII ZB 338/17 Rn. 20, FamRZ 2018, 681; 9.10.2013 – XII ZR 59/12, NZFam 2018, 369 Rn. 11). Schlichtes Unterlassen der Geltendmachung des Anspruchs könne daher für sich genommen kein berechtigtes Vertrauen des Schuldners auslösen. Dies gelte auch für die von diesem unterlassene Fortsetzung einer bereits begonnenen Geltendmachung. Auch wenn der Gläubiger davon absehe, sein Recht weiter zu verfolgen, könne dies für den Schuldner nur dann berechtigterweise ein einschlägiges Vertrauen hervorrufen, wenn ihm das Verhalten des Gläubigers Grund zu der Annahme gebe, er werde den Unterhaltsanspruch nicht mehr geltend machen, insbesondere weil er seinen Rechtsstandpunkt aufgegeben habe (vgl BGH 13.1.1988 – IVb ZR 7/87 Rn. 16, BGHZ 103, 62 = FamRZ 1988, 370).

Deshalb genügt es nicht, wenn der Gläubiger entgegen seiner Ankündigung nach der Auskunftserteilung durch den Schuldner seinen Anspruch zunächst nicht beziffert. Die Annahme, der Gläubiger habe nach der Auskunftserteilung etwa seinen Rechtsstandpunkt aufgegeben und sei selbst davon ausgegangen, der Unterhaltsanspruch bestehe nicht, könnte allenfalls in folgendem Fall berechtigt sein: Ausgehend von der Auskunft erkennt der Gläubiger etwa wegen eines dadurch ausgewiesenen, unterhalb des Selbstbehalts liegenden Einkommens, dass ein Unterhaltsanspruch mangels Leistungsfähigkeit nicht gegeben gewesen wäre. Wenn aber das Einkommen des Schuldners schon laut der Auskunft oberhalb des angemessenen Selbstbehalts lag, kann auch der in der vorgerichtlichen Korrespondenz von ihm gegebene Hinweis auf eine wesentlich bessere Einkommenssituation der Mutter des Kindes zu keiner anderen Einschätzung führen. Denn daraus kann sich ggf regelmäßig allenfalls eine Reduzierung, nicht aber der vollständige Ausschluss eines vom Antragsgegner geschuldeten Unterhalts ergeben (BGH 31.1.2018 – XII ZB 133/17, JAmt 2018, 213 Rn. 18).

Dass das Ergebnis fallbezogen in dem vom BGH am 31.1.2018 entschiedenen Sachverhalt etwas überraschend wirkt, zeigt sich allein daran, dass offenbar auch das OLG Karlsruhe als Vorinstanz diese Frage anders beurteilt hat. Die beiden Schlüsselsätze der BGH-Entscheidung in Rn. 20 lauten: „Die übrigen vom Oberlandesgericht angeführten Umstände bestehen schließlich nur im Unterlassen der weiteren Geltendmachung des Unterhalts durch den Antragsteller. Dadurch allein konnte ein berechtigtes Vertrauen des Antragsgegners nicht begründet werden“.

Der zu einem noch nicht titulierten Unterhaltsanspruch ergangene Beschluss vom 31.1.2018 hat auch Auswirkungen auf die Frage der Verwirkung von tituliertem rückständigem Unterhalt. Der BGH verweist ausdrücklich auf seine Entscheidung vom 9.10.2013 (BGH 9.10.2013 – XII ZR 59/12) zum gewerblichen Mietrecht, in der er deutlich gemacht hatte, der Schuldner müsse dort bei einem gegen ihn ergangenen Titel damit rechnen, dass der Gläubiger 30 Jahre lang vollstrecken will. Daher könne aus der bloßen Nichtgeltendmachung der Forderung kein Vertrauenstatbestand im Sinne des Umstandsmoments der Verwirkung erwachsen. Bezüglich der Verjährung eines titulierten Unterhaltsanspruchs ist aber zu beachten, dass bei Titeln über Kindes- und Trennungsunterhalt die 30- jährige Verjährung nach § 197 Abs. 1 Nr. 3 und Nr. 4 BGB durch § 197 Abs. 2 und

§ 195 BGB auf drei Jahre verkürzt wird, soweit es sich um Unterhaltsraten aus

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Zeiträumen nach der Titelschaffung handelt. Nur Unterhaltsrückstände, die bereits bei Errichtung des Titels aufgelaufen waren und als solche tituliert sind, verjähren in 30 Jahren (jurisPK-BGB/Viefhues BGB § 1613 Rn. 292 mwN).

Die in der Rechtsprechung zuvor weit verbreitete Ansicht, der Gläubiger des titulierten Anspruchs müsse innerhalb der Jahresfrist durch aktive Maßnahmen, wie zB regelmäßige Vollstreckung, die Verwirkung verhindern (OLG Brandenburg 25.3.2014 – 10 UF 128/13, FamRZ 2014, 1708; OLG Hamm 13.5.2013 – 2 WF 82/13, FuR 2013, 723; OLG Koblenz 7.3.2012 – 11 WF 250/12, FamRZ 2013, 971; OLG Nürnberg 18.6.2009 – 10 UF 1536/08, ZFE 2010, 474; vgl auch OLG Oldenburg 23.8.2011 – 13 UF 16/11, FamRZ 2012, 148; KG 28.6.2017 – 13 UF 75/16, FuR 2017, 681), ist angesichts der aktuellen Entscheidungen des BGH nicht mehr haltbar. Denn wenn bei bloßer Untätigkeit schon eine nicht titulierte Forderung nicht verwirken kann, so muss dies erst recht bei einem titulierten Unterhaltsanspruch gelten (so auch Viefhues jurisPR-FamR 7/2018 Anm. 5 und jurisPK-BGB/Viefhues BGB § 1613 Rn. 330.3).

Es ist zu hoffen, dass dies verbreitet bei den Familiengerichten zu einer gläubigerfreundlicheren Beurteilung führen wird, welche von dem bisher meist strikt beachteten vermeintlichen Grundsatz der Verwirkung überjähriger Forderungen schon bei bloßer Untätigkeit der Gläubigerseite abrückt. Gleichwohl sind Beistände gut beraten, sich hierauf nicht zu verlassen und nicht etwa nunmehr bezüglich aufgelaufener Rückstände die Hände in den Schoß zu legen.

Schließlich ist es durchaus möglich, dass Unterhaltspflichtige bei unstrittigem Vorliegen des Zeitmoments der Verwirkung versuchen werden, das behauptete Umstandsmoment akribisch mit anderen Verhaltensweisen des Gläubigers zu begründen. Auch ist damit zu rechnen, dass ungeachtet der neueren BGH- Rechtsprechung von Schuldnerseite immer wieder ältere OLG-Erkenntnisse herangezogen werden mit der Begründung, der dort zur Bejahung der Verwirkung angelegte Maßstab passe auch im Lichte der nunmehr vom BGH vertretenen Meinung. Das zwingt dann zumindest zu unnötigen Argumentationsbemühungen.

Zur Vermeidung unliebsamer späterer Überraschungen sollte nach wie vor dem Schuldner jeweils in angemessenen Zeitabständen durch hierfür geeignete Maßnahmen verdeutlicht werden, dass auf die Einziehung aufgelaufener und derzeit nicht beizutreibender Rückstände weiterhin Wert gelegt werde.

4.4 Maßnahmen gegen das Umstandsmoment der Verwirkung

Auch der Eintritt des Umstandsmoments kann verhindert werden. Hierzu bieten sich bei bereits titulierten Forderungen in erster Linie regelmäßige Zwangsvollstreckungsmaßnahmen an,um dem etwaigen Vertrauen des Schuldners entgegenzuwirken, dass er künftig nicht mehr für den Rückstand in Anspruch genommen werde. Dies ist der sicherste Weg, der allerdings Kosten auslöst (Viefhues jurisPR-FamR 1/2018 Anm. 3).

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Zur Vermeidung jeglichen Missverständnisses sei hierzu angemerkt: Dass der BGH ausdrücklich hervorgehoben hat, bloße Untätigkeit könne (auch bei Erfüllung des Zeitmoments der Verwirkung) für sich allein das Umstandsmoment nicht begründen, darf nicht als Freibrief für die Gläubigerseite missverstanden werden, nach Erwirken des Titels in einen jahrelangen (oder vielleicht sogar über ein Jahrzehnt hinweg andauernden) Dämmerschlaf zu verfallen. Zum einen besteht – wie in Ziff. 1.3 hervorgehoben – eine Wechselwirkung zwischen Zeitmoment und Umstandsmoment: Je länger das Zeitmoment dauert, desto geringer werden die Anforderungen an das Umstandsmoment sein. Zum anderen kann das Umstandsmoment der Verwirkung womöglich mit ganz unterschiedlichen Gegebenheiten begründet werden. In einem vom Institut begutachteten Fall hatte die Gläubigerseite vor und nach einem bestimmten Neunmonatszeitraum rückständigen Unterhalt beigetrieben, aber den genannten Zeitraum dazwischen über mehr als acht Jahre hinweg schlicht „vergessen“. Dann kann aus der Zusammenschau des Gläubigerverhaltens für die verschiedenen Zeitabschnitte ggf die Mutmaßung abgeleitet werden, der Schuldner habe darauf vertrauen können, dass für den restlichen Zwischenzeitraum schon „nichts mehr kommen“

werde.

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Daraus sollte deutlich werden, dass das scheinbare frühere Dogma „Ein Jahr Zeitablauf bei Passivität des Gläubigers führt automatisch zur Verwirkung“

keineswegs in ein ebenso verfehltes neues Dogma umschlagen darf: „Laut BGH kann bloße Passivität niemals und unter keinen Umständen zur Verwirkung führen“. Würde man eine solche Behauptung wörtlich nehmen, bliebe erklärungsbedürftig, welche verbleibende Bedeutung denn überhaupt noch das Umstandsmoment haben soll. In allen einschlägigen Fällen geht es doch darum, dass der Gläubiger nichts unternommen hat um seine Forderung durchzusetzen.

Was soll denn dann überhaupt noch ein Vertrauen des Schuldners darauf begründen, dass er nicht mehr zu der Forderung herangezogen werde?

All diese Unsicherheiten, die sich wahrscheinlich auch in der instanzgerichtlichen Rechtsprechung der nächsten Jahre widerspiegeln werden, sprechen dafür, von vornherein aus Gläubigersicht aktiv die Einziehung des Unterhalts zu betreiben, um sich später nicht auf etwaige unerfreuliche Diskussionen darüber einlassen zu müssen, ob das unerklärte Stillhalten der Gläubigerseite bereits das Umstandsmoment erfülle oder nicht. Die nachfolgenden Ausführungen müssen deshalb – auch angesichts der neueren BGH-Rechtsprechung – vor dem Hintergrund der Frage verstanden werden: Was kann zur Vermeidung des Umstandsmoments beitragen, wenn es später wirklich einmal darauf ankommt, was der Gläubiger in dieser Hinsicht unternommen hat?

Das nachdrücklichste Vorgehen zur Vermeidung des Umstandsmoments besteht – wie zuvor bereits festgehalten – in Vollstreckungsmaßnahmen. Diese sollten nie aus dem Blick verloren werden, wenn die Gläubigerseite bei Unterhaltsansprüchen zur Vermeidung einer Verwirkung jedenfalls „im grünen Bereich“ bleiben will.

Dass hierbei allerdings zugunsten der Gläubigerseite nicht allein auf eine (ggf unterbliebene) Zwangsvollstreckung abgestellt werden kann, sondern schon vorausgegangene Maßnahmen wie Zahlungsaufforderungen und Mahnungen in die Beurteilung des Gläubigerverhaltens einzubeziehen sind, wurde bereits in Zusammenhang mit dem Zeitmoment angesprochen (vgl Frage 3). Gleichwohl geht eine Tendenz in der Rechtsprechung dahin, dass das Umstandsmoment der Verwirkung (soweit es im Einzelfall auch im Lichte der neueren BGH- Rechtsprechung darauf ankommt) letztlich nur dann ausgeschlossen werden könne, wenn der Gläubiger tatsächlich vollstreckt oder dies zumindest im Grundsatz glaubwürdig beabsichtigt (KG 28.6.2017 – 13 UF 75/16 Rn. 17, FF 2017, 460; OLG Hamm 13.5.2013 – 2 WF 82/13 Rn. 17, MDR 2013, 1468; OLG Koblenz 28.2.2013 – 13 WF 165/13, FamRZ 2014, 48).

Zwar wird demgegenüber auch vertreten, dass kontinuierliche Mahnungen über lange Zeit hinweg denselben Effekt haben können, ohne dass der Gläubiger anschließend zur Vollstreckung schreiten müsse (so zB OLG Naumburg 1.12.2009 – 3 UF 71/09, FamRZ 2010, 1090 [Leits.]; OLG Celle 10.4.2008 – 17 UF 217/07; ähnlich auch OLG Brandenburg 12.7.2011 – 10 UF 115/10, FamRZ 2012, 1223; OLG Saarbrücken 9.9.2010 – 6 UF 29/10, MDR 2011, 168; OLG Brandenburg 20.9.2007 – 9 UF 107/07, FamRZ 2008, 906). Gleichwohl sollte späterer Streit hierüber möglichst vermieden und eine (nicht von vornherein erkennbar aussichtslose) Vollstreckung auch zeitnah eingeleitet werden, um jeglichem späteren Schuldnereinwand zu diesem Punkt den Boden zu entziehen.

Denn der Gläubiger ist nicht davor sicher, dass sonst im späteren Streitfall nicht doch das Umstandsmoment der Verwirkung bejaht werden könnte, wenn der Schuldner sinngemäß vorbringt, er habe die offenbar „zahnlosen“ Mahnungen über etliche Jahre hinweg letztlich nicht mehr als Ausdruck eines vorhandenen Durchsetzungswillens der Gläubigerseite aufgefasst. Dass es hierbei jeweils auf die Gegebenheiten des Einzelfalls ankommen kann, muss nicht hervorgehoben werden.

Problematisch können die Fälle sein, in denen die Vollstreckung eines titulierten Anspruchs keinen Erfolg verspricht, weil der Schuldner nicht über pfändbares Einkommen verfügt (vgl OLG Brandenburg 7.3.2013 – 13 UF 66/12,

FamRZ 2014, 48 mwN). Verbreitet werden dann

Zwangsvollstreckungsmaßnahmen allein zur Verhinderung der Verwirkung für entbehrlich gehalten (zB OLG Hamm 13.5.2013 – 2 WF 82/13 Rn. 17, FamFR 2013, 416). Denn der Unterhaltsgläubiger handelt nicht illoyal und seine Untätigkeit ist ihm auch nicht vorwerfbar, wenn er in Anbetracht einer desolaten,

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bekanntermaßen unzureichenden Vermögenssituation des Unterhaltspflichtigen von offensichtlich nicht erfolgversprechenden Vollstreckungsmaßnahmen absieht (KG 28.6.2017 – 13 UF 75/16 Rn. 17, FF 2017, 460 mwN). Ebenso formuliert Wendl/Dose/Gerhardt § 6 Rn. 146: „Ist eine Vollstreckung dagegen nicht erfolgsversprechend, weil der Pflichtige unbekannten Aufenthalts ist, laufend den Arbeitsplatz wechselt oder kein pfändbares Einkommen hat, wird das Umstandsmoment regelmäßig zu verneinen sein.“

Vielmehr ist bei natürlicher Betrachtungsweise davon auszugehen, dass ein Gläubiger, dem bereits die eidesstattliche Versicherung bzw nunmehr Vermögensauskunft des Schuldners vorliegt, von weiteren Vollstreckungsversuchen schon aus wirtschaftlichen Gründen absieht, solange er nicht damit zu rechnen braucht, der Schuldner sei wieder leistungsfähig geworden (OLG Köln 8.11.2016 – 26 UF 107/16 Rn. 9, FamRZ 2017, 1833).

Nicht ausreichend ist allerdings die bloße Vermutung des Unterhaltsberechtigten, dass vollstreckbares Vermögen auf Seiten des Pflichtigen nicht vorhanden sei.

Soweit der Berechtigte – unter Kostengesichtspunkten – von Vollstreckungsmaßnahmen nur im Hinblick auf nicht pfändbares Vermögen des Schuldners absehen will, muss er dies zumindest hinreichend deutlich zum Ausdruck bringen (vgl zB OLG Brandenburg 25.3.2014 – 10 UF 128/13 Rn. 29, FamRZ 2014, 1708). Will er zudem vermeiden – zwecks eindeutiger Vermeidung des Umstandsmoments zur Absicherung für alle Eventualitäten – stets vor Ablauf eines Jahres erneut darauf hinzuweisen, dass er von der Vollstreckung zunächst nur im Hinblick auf die erwartete Erfolglosigkeit Abstand nimmt, muss er zumindest einmal vor Erfüllung des Zeitmoments unmissverständlich erklären, dass er bis auf weiteres von einer Vollstreckung absehe, weil er sich davon nichts verspricht, dass er aber auf der Zahlung der rückständigen Beträge weiterhin bestehe (OLG Brandenburg 25.3.2014 – 10 UF 128/13 Rn. 29). Ferner sollte der Berechtigte vom Unterhaltspflichtigen verlangen, unaufgefordert jede Verbesserung seiner Einkommens- bzw. Vermögensverhältnisse mitzuteilen (Liceni-Kierstein FamRB 2014, 403 [405]).

Bei Vermutung höherer Einkünfte des Schuldners sollte vorsorglich von der Möglichkeit Gebrauch gemacht werden, auch ohne die Glaubhaftmachung einer wesentlichen Veränderung der Vermögensverhältnisse des Schuldners die Abgabe einer neuen Vermögensauskunft (früher: eidesstattliche Versicherung) gem. § 802 c ZPO zu verlangen (vgl KG 28.6.2017 – 13 UF 75/16 mwN; jurisPK-BGB/Viefhues BGB § 1613 Rn. 335.2).

5 Welche weiteren Abgrenzungs- und Streitfragen wurden zur Verwirkung von Unterhaltsansprüchen entschieden?

5.1 Keine Verwirkung bei Treuwidrigkeit bzw sonstigen Umständen auf Seiten des Schuldners

Der Rechtsinstitut der Verwirkung schützt nur den Unterhaltsschuldner, der ohne eigenes Zutun, nämlich aufgrund einer Untätigkeit des Unterhaltsgläubigers nach Ablauf gewisser zeitlicher Grenzen (in der Regel etwa ein Jahr) davon ausgehen kann, dass Unterhaltsrückstände nicht mehr geltend gemacht werden. Dagegen kann ein Unterhaltsschuldner, der durch bewusstes Verzögern der Auskunft und Verschleppung des Verfahrens den Unterhaltsgläubiger in die „Verwirkungsfalle“ zu locken versucht, keinen Vertrauensschutz beanspruchen. Gleiches kann mit Blick auf § 242 BGB gelten, wenn der Schuldner über mehrere Jahre hinweg ein hohes Streitpotenzial aufrecht erhält und davon profitieren möchte, dass von gerichtlichen Maßnahmen mit Rücksicht auf den persönlichen Kontakt zwischen den Kindern und dem barunterhaltspflichtigen Elternteil im Interesse des Kindeswohls möglichst lange abgesehen wird (vgl OLG Stuttgart 17.3.2016 – 11 UF 252/15 Rn. 31; Liceni- Kierstein FamRB 2017, 447).

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Das für die Verwirkung eines Unterhaltsanspruchs beim Schuldner erforderliche Umstandsmoment fehlt, wenn der Unterhaltsschuldner zur Klärung des Anspruchs selbstständig an den Gläubiger herantritt; in diesem Fall liegt es fern und ist nicht feststellbar, dass der Schuldner sich darauf eingerichtet hat, der

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Unterhaltsberechtigte werde von der Prüfung seiner Ansprüche oder deren gerichtlicher Geltendmachung absehen (OLG Brandenburg 27.9.2016 –13 UF 91/16 Rn. 19, NZFam 2017, 465).

5.2 Keine Verwirkung bei unterlassener Einforderung einer Erhöhung des dynamisierten Unterhalts

Bei titulierten dynamischen Unterhaltsbeträgen begründet ein bloßes Untätigbleiben des Unterhaltsgläubigers (keine Aufforderung zur höheren Zahlung) keinen Vertrauenstatbestand auf Seiten des Unterhaltsschuldners, dass er nicht mehr auf die Erhöhungsbeträge in Anspruch genommen werden wird.

Denn diesem kann zugemutet werden, die von ihm geschuldeten Unterhaltsbeträge selbst zu errechnen (OLG Schleswig 31.1.2013 – 15 UF 148/12 mAnm Bömelburg FamRB 2013, 215; Viefhues jurisPR-FamR 7/2018 Anm. 5).

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5.3 Verwirkung durch Nichtbetreiben eines Rechtsstreits

Verwirkung kann auch dann eintreten, wenn der Unterhaltsanspruch bereits im Wege des Stufenantrags rechtshängig geworden ist, der Unterhaltsgläubiger den Rechtsstreit aber über einen längeren Zeitraum nicht betreibt (KG 29.4.2005 – 18 UF 145/04, NJW-RR 2005, 1308). Es gibt keinen Rechtssatz dahin, dass rechtshängige Forderungen nicht der Verwirkung unterliegen (vgl hierzu OLG Schleswig 25.8.1999 – 15 UF 237/98, FamRZ 2000, 889 [890]; OLG Düsseldorf 12.10.1988 – 5 UF 71/88, FamRZ 1989, 776 [778]). In dem vom KG entschiedenen Fall mit einem „Ruhen“ des Verfahrens von 2½ Jahren „konnte und durfte sich der Eindruck aufdrängen, die Auswertung der erteilten Auskünfte und Belege habe auf Seiten der Klägerin zu der Einschätzung geführt, dass Unterhaltsansprüche jedenfalls mit Blick auf die Vergangenheit nicht mehr bestünden“.

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5.4 Verwirkung durch widerspruchslose Hinnahme von Teilzahlungen oder selektive Einforderung von Rückständen

Das Umstandsmoment kann gegeben sein, wenn der Titelgläubiger sich über einen längeren Zeitraum hinweg widerspruchslos mit der Zahlung eines hinter dem titulierten Betrag deutlich zurückbleibenden Teilbetrags zufrieden gibt (KG 28.6.2017 – 13 UF 75/16, FF 2017, 460). Bedrängt der Gläubiger den Schuldner zuerst erst mit Mahnungen, Auskunftsforderungen und der Ankündigung von Erhöhungsforderungen und bleibt dann aber doch untätig, kann der Schuldner durchaus berechtigterweise den Eindruck gewinnen, der Gläubiger werde es darauf beruhen lassen, so dass der Unterhaltsrückstand verwirkt ist (Viefhues jurisPR-FamR 1/2018 Anm. 3).

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Eine Verwirkung ist ebenfalls eingetreten, wenn der Unterhaltsgläubiger eine mit Gründen versehene Kürzung der laufenden Zahlungen des Unterhaltsschuldners hinnimmt; dabei brauchen die Gründe für die Kürzung nicht einmal schlüssig zu sein (OLG Karlsruhe 25.1.2002 – 16 UF 137/01 Rn. 13, FamRB 2002, 323). Wenn der Schuldner für diese Kürzung des Unterhalts demnach einen Grund vorgebracht und der Gläubiger in der Folgezeit diesen Unterhalt nie nachverlangt hat, kann der Schuldner zu Recht annehmen, dass dieser Sachverhalt erledigt ist (OLG Karlsruhe 25.1.2002 –16 UF 137/01 Rn. 13).

Das OLG Hamm geht davon aus, dass auch bei einem titulierten Anspruch auf Kindesunterhalt für das Umstandsmoment der Verwirkung es im Einzelfall ausreichen kann, wenn der Unterhaltsberechtigte einen über einen bestimmten Zeitraum aufgelaufenen Unterhaltsrückstand nicht geltend macht, hingegen Rückstände aus anderen Zeiträumen durchgehend thematisiert (OLG Hamm 17.3.2014 – 6 UF 196/13, NZFam 2014, 759). Im entschiedenen Fall hatte der Beistand dem Schuldner nach Einreichung seiner Einkommensbelege im Juli 2005 mitgeteilt, dass er zunächst damit einverstanden sei, wenn der Pflichtige einen monatlichen Unterhalt von 100 EUR leiste. In der Folgezeit bis Januar 2011

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hat der Beistand weder im außergerichtlichen Schriftverkehr noch in dem in 2006/2007 geführten Abänderungsverfahren einen angeblichen Unterhaltsrückstand aus dem Jahr 2005 thematisiert. Eine Zahlungsaufforderung im Jahr 2006 bezog sich ausdrücklich auf Unterhaltsrückstände (erst) ab August 2006, obwohl es nahe gelegen hätte, in diesem Schreiben auch einen Rückstand aus dem Jahr 2005 zu beanspruchen.

5.5 Verwirkung von Unterhalt bei sehr später Feststellung der Vaterschaft

Wird die Vaterschaft erst mit großem zeitlichen Abstand zur Geburt festgestellt, versuchen die dann unterhaltspflichtigen Väter häufig ihrer Inanspruchnahme für Unterhaltsrückstände rückwirkend bis zur Geburt mit dem Verwirkungseinwand zu begegnen.

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Die Annahme einer Verwirkung wird nach überwiegender Ansicht nicht durch die Vorschrift des § 1613 Abs. 3 BGB ausgeschlossen, welche die Härte und wirtschaftliche Belastung aus der rückwirkenden Geltendmachung des Anspruchs erleichtern soll. Diese führt jedoch iE dazu, dass „der Rechtsbehelf der Verwirkung hier besonderer Zurückhaltung unterliegt und im Wesentlichen nur insoweit zur Anwendung gelangt, als die infrage kommenden Belastungen und Beeinträchtigungen des Unterhaltsschuldners außerhalb des Regelungsbereichs des § 1613 Abs. 3 BGB liegen“ (OLG Jena 23.5.2002 – 1 UF 21/02 Rn. 34, NJW- RR 2002, 1154).

Zu näheren Einzelheiten wird verwiesen auf DIJuF/Knittel/Birnstengel Themengutachten TG-1189, Frage 2.

5.6 Keine Vorratspfändung bei Verwirkung aller Unterhaltsrückstände

In der Praxis ist darauf zu achten, dass stets alle Rückstände geltend gemacht werden und durch regelmäßige Vollstreckungsversuche die Verwirkung verhindert wird. Sind hingegen alle Unterhaltsrückstände verwirkt, kann keine Vorratspfändung nach § 850 d Abs. 3 ZPO mehr durchgeführt werden, da diese nur zulässig ist, wenn mindestens gleichzeitig eine rückständige Unterhaltsforderung mitvollstreckt wird (OLG Frankfurt a. M. 21.12.1999 – 26 W 150/99, OLG-Report Frankfurt 2000, 269; jurisPK-BGB/Viefhues BGB § 1613 Rn. 339).

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6 Gelten die Grundsätze zur Verwirkung von Unterhaltsforderungen gleichermaßen für einen Rechtsnachfolger?

Dieselben Anforderungen an den Eintritt der Verwirkung sind zu beachten, wenn die aus übergegangenem Recht klagende Behörde tätig wird (BGH 15.9.2010 – XII ZR 148/09 Rn. 23, FamRZ 2010, 1888; OLG München 21.2.2017 – 26 UF 1466/16, NZFam 2017, 308). Zwar ist die Behörde bzw das Land als Rechtsnachfolger in den Unterhaltsanspruch – anders als der ursprüngliche Unterhaltsgläubiger – nicht lebensnotwendig auf die Realisierung der Forderungen angewiesen. Jedoch ist die Behörde aufgrund der Natur, des Inhalts und des Umfangs des Unterhaltsanspruchs, der sich durch den Übergang nicht verändert, gehalten, sich um dessen zeitnahe Durchsetzung zu bemühen (BGH 15.9.2010 – XII ZR 148/09 Rn. 23; 23.10.2002 – XII ZR 266/99 Rn. 12, FamRZ 2002, 1698 [1699]).

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Wesentlich ist auch in diesem Fall allein, ob sowohl das Zeitmoment als auch das Umstandsmoment der Verwirkung erfüllt sind, sodass ein schutzwürdiges Vertrauen des Schuldners darauf, für den betreffenden Unterhaltszeitraum nicht mehr in Anspruch genommen zu werden, bejaht werden kann.

Etwas anderes kommt von vornherein nur dann in Betracht, wenn die öffentliche Hand aus übergegangenem Recht noch keine Unterhaltszahlung verlangen konnte, insbesondere weil der Unterhaltspflichtige einem

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Auskunftsverlangen des zuständigen Trägers der Sozialleistung noch nicht nachgekommen war (Umstandsmoment). In diesem Fall kann der Unterhaltspflichtige bei einem Untätigsein der öffentlichen Hand von mehr als einem Jahr nicht ohne Weiteres darauf vertrauen, von ihr nicht mehr in Anspruch genommen zu werden (OLG Naumburg 12.7.2012 – 8 UF 103/12, FamFR 2013, 9; Viefhues FuR 2017, 2 [6]).

Das Umstandsmoment steht der Verwirkung auch entgegen, wenn dem Unterhaltspflichtigen aufgrund von Schreiben des anspruchstellenden Sozialhilfeträgers klar sein musste, dass dieser nach wie vor mit der Prüfung des Anspruchs beschäftigt war, um diesen bei Fehlen erheblicher Einwendungen ggf gerichtlich durchzusetzen. Dass sich das ganze Verfahren zeitlich gestreckt hat, kann dem Sozialhilfeträger jedenfalls dann nicht zum Vorwurf gemacht werden, wenn der Unterhaltspflichtige nichts weiter vorgetragen hatte (BGH 15.9.2010 – XII ZR 148/09, FamRZ 2010, 1888 mAnm Hauß; BGH 23.10.2002 – XII ZR 266/99, FamRZ 2002, 1698 [1699]; Viefhues FuR 2017, 2 [6]).

Allerdings reicht die Rechtswahrungsanzeige der Behörde, auf die der Unterhaltsanspruch übergegangen ist, allein nicht aus, um dem Umstandsmoment der Verwirkung dauerhaft begegnen zu können (OLG München 21.2.2017 – 26 UF 1466/16, NZFam 2017, 308; OLG Brandenburg 6.5.2016 – 10 UF 131/15, NJW- RR 2016, 1224). Es treffe zwar zu, dass die Rechtswahrungsanzeige Rechtsfolgen wie eine Mahnung herbeiführt und eine der Mahnung vergleichbare Warnfunktion hat. Doch ebenso wie vor längerer Zeit angemahnter Unterhalt nach § 242 BGB verwirkt werden kann, gelte dies auch für Unterhalt, der laut Rechtswahrungsanzeige auf einen Leistungsträger übergegangen ist.

7 Kommen verwirkungsausschließende Mahnungen des Kindes für seinen eigenen Unterhalt auch einem Rechtsnachfolger für den übergegangenen Unterhaltsanspruch zugute?

Wenn ein Kind – ohne das Bestehen einer treuhänderischen Rückübertragung – eigene ihm verbliebene Unterhaltsrückständeanmahnt, kann dies nicht den Eintritt der Verwirkung bezüglich anderer, auf einen Rechtsnachfolger übergegangener Unterhaltsforderungen verhindern, wenn dieser insoweit untätig bleibt. Es wäre also verfehlt, wenn UVG-Stelle, Jobcenter usw sich jeweils darauf verlassen würden, dass das Kind zB über seinen Beistand seine eigenen Unterhaltsansprüche geltend mache und selbst deshalb über längere Zeit hinweg von der Einziehung gesetzlich übergegangener Ansprüche absehen würden.

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Diese getrennte Betrachtung gilt selbstverständlich auch im umgekehrten Fall:

Mahnt die UVG-Stelle den Schuldner wegen gem. § 7 Abs. 1 UVG übergegangener Ansprüche, kommt dies nicht dem Kind zugute, wenn es seine eigenen ihm verbliebenen Unterhaltsforderungen gegenüber dem Schuldner nicht geltend macht.

Anders ist dies im Fall treuhänderischer Rückübertragung: Da sämtliche Forderungen wieder in der Hand des Kindes vereint sind, erfasst eine entsprechende Zahlungsaufforderung seines gesetzlichen Vertreters an den Schuldner sämtliche Rückstände, unabhängig davon, ob sie dem Kind selbst oder dem Übergangsgläubiger zustehen.

8 Können Forderungen auch dann verwirkt sein, wenn der Gläubiger aus rechtlichen Gründen – etwa während des Insolvenzverfahrens oder der Wohlverhaltensperiode – an einer Vollstreckung gehindert ist?

Es erscheint bereits fraglich, ob der Gläubiger, der aufgrund eines gesetzlichen Verbots (bspw § 89 Abs. 1, § 294 Abs. 1 InsO) zeitweilig gar nicht vollstrecken darf, sich durch vorübergehend unterlassene und erst später fortgesetzte Rechtsverfolgung überhaupt treuwidrig gem. § 242 BGB im Sinne einer Verwirkung verhalten kann. Veröffentlichte Rechtsprechung hierzu ist nicht bekannt. Allerdings sieht die neuere höchstrichterliche Rechtsprechung zur

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Verwirkung im Allgemeinen (und nicht konkret bezogen auf das Insolvenzrecht) nicht allein im Untätigsein die Verwirklichung des Umstandsmoments und daher wäre Verwirkung hier zu verneinen (BGH 31.1.2018 – XII ZB 133/17, JAmt 2018, 213; 7.2.2018 – XII ZB 338/17, FamRZ 2018, 681; vgl oben Ziff. 4.3).

Jedenfalls ist ein Gläubiger aber wohl auf der sicheren Seite, wenn er auch in dem entsprechenden Zeitraum dem Schuldner innerhalb der für das Zeitmoment der Verwirkung unterhaltsrechtlich maßgebenden Jahresfrist jeweils routinemäßig, zB durch entsprechende Schreiben, zu verstehen gibt, dass er nach wie vor an der Einziehung der bestehenden Forderung interessiert ist und diese (falls sie nicht aus anderen Gründen wie etwa die erteilte Restschuldbefreiung erloschen ist) wieder geltend machen wird, sobald das Vollstreckungshindernis entfällt.

Literaturverzeichnis:

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Erman, W. (Begr.) (2017). BGB. Kommentar in zwei Bänden, Westermann, H.- P./Grunewald, B./Maier-Reimer, G. (Hrsg). 15. Aufl., Otto Schmidt, Köln (zit.

Erman/Bearbeiter)

Juris Praxis-Kommentar BGB (2017). Bd. 4 Schuldrecht. Herberger, M./Martinek, M./Rüßmann, H./Weth, S. (Hrsg). 8. Aufl., juris GmbH, Saarbrücken (zit. jurisPK- BGB/Bearbeiter)

Knittel, B./Birnstengel/P. (2016). Geltendmachung des Kindesunterhalts rückwirkend ab Geburt bei erst spät feststehender Vaterschaft, TG-1189, in: DIJuF, Themengutachten, DIJuF-Rechtsgutachten, Stand: 6/2016, abrufbar unter www.kijup-online.de

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