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für Gesundheitsförderung

Zeitschrift von Gesundheit Berlin-Brandenburg 13. Jahrgang • 2. Ausgabe 2013

Schwerpunkt 18. Kongress Armut und Gesundheit

13 2

In diesem Info_Dienst

Personalien 2

Gesunde Bundespolitik 3

Kinder und Jugendliche 8

Altern und Gesundheit 13

Soziale, gesunde Stadt 17

Gesundheitsförderung in

der Arbeitswelt 21

Patienteninteressen 24

Termine/Veranstaltungen 27

Publikationen 28

Impressum 28

und Forschungstätigkeit und sprach sich für einen systematisch definierten Wissensbe- darf aus, der im Austausch zwischen Theorie und Anwendung erarbeitet wird. In diesem Zusammenhang erwies sich auch die erstma- lige Kooperation mit dem Kongress Health Inequalities als äußerst fruchtbar, da sie The- orie und Praxis unter einem Dach vereinte.

Auch die Einbeziehung der Fachgesellschaf- ten wie der Deutschen Gesellschaft für Public Health (DGPH) oder der Deutschen Gesell- schaft für Sozialmedizin und Prävention (DGSMP) zeigte sich als eine immense Berei- cherung.

Aber auch auf politischer Ebene wurde die Brisanz des Themas „Armut und Gesundheit“

auf dem Kongress deutlich. Am Mittwoch, den 6. März, kurz nach Kongressbeginn, wur- de der 4. Armuts- und Reichtumsbericht im Rahmen einer Bundespressekonferenz in fi- naler Fassung vorgelegt. Dessen Ergebnisse wurden in vielen der insgesamt über 80 Workshops und Fachforen kritisch aufgegrif- fen. Zudem konnte auf dem Kongress der Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Prä- vention intensiv diskutiert werden. In der Ab- schlussdiskussion am Donnerstagnachmit- tag bezogen Vertreter/innen aller Bundes- tagsparteien hierzu Stellung.

Mit der vorliegenden Ausgabe des Info_

Dienstes möchten wir versuchen, die Vielfalt der behandelten Themen des Kongresses ab- zubilden und die Kongressatmosphäre einzu-

Editorial

Der 18. Kongress Armut und Gesundheit liegt hinter uns. Deutlich wurde: Das diesjährige Motto „Brücken bauen zwischen Wissen und Praxis“ fand regen Zuspruch und zog sich wie ein roter Faden durch die Veranstaltungen.

Damit konnte bereits auf dem Kongress selbst der Transfer zwischen Wissenschaft und praktischer Anwendung, zwischen epide- miologischen Erkenntnissen und daraus fol- genden gesundheitspolitischen Strategien intensiv diskutiert werden.

Bereits in seinem Einführungsvortrag nahm Prof. Dr. Ansgar Gerhardus wortgewandt Be- zug darauf. Er verwies u.a. auf das immense Missverhältnis zwischen Forschungsbedarf

fangen. Die Fachgruppe Armutsbegriff der lak Berlin stellt ihren Entwurf für eine integrierte Armuts- und Sozialberichterstattung in Berlin vor. Prof. Dr. Fröhlich-Gilhoff erläutert, wel- che Strategien innerhalb des von ihm mode- rierten Fachforums entwickelt wurden, um Schulen und Kitas zu resilienzförderlichen Bildungsorten zu entwickeln. Der Frage, was die politische Teilhabe älterer Menschen mit Gesundheitsförderung zu tun hat, widmet sich der Beitrag von Prof. Heusinger. Welchen Gewinn Kommunen aus der Nutzung einer modernen Sozialplanung ziehen können, zeigt Dr. Reichwein auf. In der Rubrik Patien- teninteressen wird die Brückenbaufunktion der Selbsthilfe herausgearbeitet.

Auch in diesem Jahr nahmen mehr als 2000 Interessierte am Kongress teil. Wir bedanken uns nochmals bei allen, die uns bei den Vor- bereitungen und der Durchführung so tatkräf- tig unterstützt haben, insbesondere auch den Arbeitskreisen von Gesundheit Berlin-Bran- denburg und dem ZTG der Technischen Uni- versität Berlin.

Nach dem Kongress ist vor dem Kongress.

Daher laden wir Sie wie jedes Jahr ein, an die Ergebnisse anzuknüpfen und sich auch in den nächsten Kongress Armut und Gesundheit wieder engagiert einzubringen.

Stefan Pospiech, Geschäftsführer von Gesundheit Berlin-Brandenburg

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In diesem Info_Dienst

Gesunde Bundespolitik

„Vom Wissen zum Handeln und zurück:

Brücke, Boot oder (U-) Bahn?“. . . 3

Die Elefantenhochzeit . . . 4

„Ein Präventionsgesetz wäre so eine Brücke“. . . 6

Brücken bauen zwischen Bundespolitik und Public Health-Expertise. . . 6

Kinder und Jugendliche Gesund aufwachsen von Anfang an . . . 8

„Auch eine kleine Stadt wie Bad Liebenwerda kann die Gesundheit ihrer Kinder in besonderer Weise fördern“ . . 9

Bildungsinstitutionen zu resilienz- förderlichen Lebensorten für Kinder entwickeln . . . 10

„Wer wem die Brücke baut…“ . . . 11

Altern und Gesundheit „Macht politische Partizipation gesund?“ . . 13

Gesundheit und Mobilität . . . 14

„Pflegebedürftigkeit, Behinderung und Teilhabe in der sozialpolitischen Diskussion“ . . . 16

Soziale, gesunde Stadt Prävention und Gesundheitsförderung praktikabel machen . . . 17

Moderne Sozialplanung – Brücke zwischen Wissen und Handeln? . . . . 18

Die Zeit ist reif! Entwurf für eine integrierte Armuts- und Sozialbericht- erstattung in Berlin . . . 20

Gesundheitsförderung in der Arbeitswelt „Der Gesundheitsförderung kommt eine Schlüsselrolle zu…“ . . . 21

ReSuDi. . . 22

Psychische Belastungen am Arbeitsplatz. . . 23

Patienteninteressen Selbsthilfeorganisationen als Brückenbauer. . . 24

Patient/innen stärken. Was ist der rechte Weg? . . . 25

Termine/Veranstaltungen . . . 27

Publikation. . . .28

Impressum . . . .28

Carola Gold-Preis erstmals vergeben

Eva Göttlein und Heinz Hilgers werden im Rahmen des 18. Kongress Armut und Gesundheit ausgezeichnet

Erstmals wurde in diesem Jahr der Carola Gold- Preis für gesundheitliche Chancengleichheit verliehen. Der Preis wurde gemeinsam vom Vorstand von Gesundheit Berlin-Branden- burg und dem Steuerungskreis des bundes- weiten Kooperationsverbundes „Gesundheitli- che Chancengleichheit“ ins Leben gerufen. Be- nannt ist er nach der langjährigen Geschäfts- führerin von Gesundheit Berlin-Brandenburg und Leiterin der Geschäftsstelle des Kooperati- onsverbundes „Gesundheitliche Chancen- gleichheit“. Carola Gold hat entscheidend dazu beigetragen, das Thema der gesundheitlichen Chancenungleichheit ins öffentliche Bewusst- sein zu rücken. Sie setzte zahlreiche Impulse zur Verbesserung der gesundheitlichen und sozialen Lage insbesondere bei Kindern und Jugendlichen. Der kommunale Partnerprozess

„Gesund aufwachsen für alle!“ geht maßgeb- lich auf ihre Ideen und ihre Initiative zurück.

Aus den insgesamt 34 Nominierungen wurden Heinz Hilgers und Eva Göttlein von der Jury als Preisträger/innen ausgewählt, deren Engage- ment für mehr gesundheitliche Chancengleich- heit herausragend ist.

Eva Göttlein ist Leiterin der Fürther Projekt- agentur Göttlein, die eng mit den Kommunen Fürth und Nürnberg zusammenarbeitet. Diese koordiniert die Umsetzung von (Mikro-)Projek- ten in Stadtteilen des sozialen Brennpunkts.

Im Rahmen der vom Deutschen Institut für Ur- banistik durchgeführten Studie „Mehr als ge- wohnt – Stadtteile machen sich stark für Ge- sundheitsförderung“ wurden u.a. im Pro- grammgebiet Soziale Stadt Fürth Innenstadt Ansätze der Primärprävention bei Kindern und Jugendlichen v.a. in sozial benachteiligten Stadtteilen analysiert. Die daraus gewonnenen Erkenntnisse leisten einen wesentlichen Bei-

trag zur Qualitätsentwicklung in der Gesund- heitsförderung.

Heinz Hilgers, Präsident des Deutschen Kinder- schutzbundes, war langjähriger Bürgermeister von Dormagen. Das als „Dormagener Modell“

bundesweit bekannt gewordene Modell einer

„Präventionskette“ gilt heute als Vorbild für ein gesundes Aufwachsen. Gemeinsam mit vie- len engagierten Kolleg/innen konnten in Dor- magen Hilfs- und Unterstützungsmaßnahmen für betroffene Kinder und ihre Eltern kommu- nal vernetzt realisiert werden.

BKK Sonderpreis

„Gute Praxis“ geht an

„KinderStärken e.V.“

Auszeichnung für vorbildlichen Einsatz in der Gesundheits- förderung bei Kindern und Jugendlichen

Im Rahmen des 18. Kongress Armut und Ge- sundheit wurde am 6. März 2013 der Sonder- preis „Gute Praxis“ des BKK Bundesverbandes verliehen. Bewerben konnten sich in diesem Jahr bundesweit Institutionen und Organisatio- nen, die sich für das gesunde Aufwachsen von Kindern und Jugendlichen einsetzen. Aus ins- gesamt 56 Bewerbungen wurde der Verein

„KinderStärken e.V.“ ausgewählt. Heinz Kal- tenbach, Geschäftsführer des BKK Bundesver- bandes, überreichte der Geschäftsführerin von

„KinderStärken e.V.“, Susanne Borkowski, im Rahmen der Abendveranstaltung des Kongres- ses den Preis, der mit 2.000 Euro dotiert ist, als Anerkennung für die geleistete Arbeit.

Der Name des Vereins ist Programm: „Kin- derStärken e.V.“ initiiert in Sachsen-Anhalt er- mutigende Projekte für Kinder und Jugend- liche. Die Projekte des Vereins zeichnen sich in besonderer Weise dadurch aus, dass sie auf der Grundlage neuester kindheitswissen- schaftlicher Erkenntnisse entwickelt und die Kinder von Anfang an in Planung und Durch- führung einbezogen werden.Gegründet im Jahr 2008 von Studierenden, Professor/innen und Mitarbeiter/innen des Studiengangs Ange- wandte Kindheitswissenschaften der Hoch- schule Magdeburg-Stendal, zielen alle Aktivi- täten des „KinderStärken e.V.“ auf die Verbes- serung der Lebensbedingungen und die Stär- kung der Kompetenzen von Kindern, Jugendli- chen und Familien in der Stadt Stendal, dem Landkreis Stendal sowie in den Kindertages- stätten, Schulen und sozialen Einrichtungen.

Damit möchte „KinderStärken e.V.“ dazu bei- tragen, dass Stendal und Umgebung sich zu einer besonders „kinderfreundlichen Region“

ent wickelt.

IN KÜRZE ERHÄLTLICH

Die Dokumentation des

18. Kongress Armut und Gesundheit ist ab Sommer 2013 erhältlich.

Sie kann bereits jetzt für 5 Euro zzgl. Versandkosten vorbestellt werden.

Bestelladresse:

Gesundheit Berlin-Brandenburg Friedrichstraße 231 · 10969 Berlin Tel.: (030) 44 31 90 60

Fax: (030) 44 31 90 63

Email: sekretariat@gesundheitbb.de Webseite: www.armut-und-gesundheit.de

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Info_Dienst für Gesundheitsförderung 2_13 Gesunde Bundespolitik

„Vom Wissen zum Handeln und zurück:

Brücke, Boot oder (U-) Bahn?“

Eröffnungsvortrag zum 18. Kongress Armut und Gesundheit

40 Jahren nur drei Forschungsprojekte zu dem Thema gefördert haben. Zu Tollwut wurden dagegen im gleichen Zeitraum 89 Projekte ge- fördert, bei 65 Fällen in den USA (weltweit wa- ren es natürlich deutlich mehr).

Der eklatante Mangel an Forschungsprojekten zur Vermeidung von Schusswaffenopfern ist kein Zufall: Als Anfang der 90er Jahre mehrere von den staatlichen Centers for Disease Control and Prevention (CDC, vergleichbar dem RKI in Deutschland) geförderte Forschungsprojekte zeigten, dass das Risiko, durch Mord, Tot- schlag oder Selbstmord zu sterben, deutlich ansteigt, wenn man in einem Haushalt mit Schusswaffen lebt, wurden die Studien von der NRA als „Propaganda“ diffamiert und mit Hilfe von einzelnen Kongressabgeordneten durchge- setzt, dass Forschung zu dem Thema nicht mehr mit Steuergeldern gefördert wurde.

Einen Kontrast dazu stellt die Unfallforschung dar. Eine rege Forschungstätigkeit resultierte in

regulativen und technischen Maßnahmen, wie Gurtpflicht, Airbags oder besser geschützte Benzintanks. Das hatte drastische Konsequen- zen: Während in den USA seit den 50er Jahren die Zahl der Todesopfer durch Schusswaffen praktisch unverändert hoch geblieben ist, ging im gleichen Zeitraum die Zahl der getöteten Au- toinsassen um 80 Prozent zurück.

Natürlich gibt es auch andere Gründe, warum Forschungsbedarf und Forschungsförderung bzw. -tätigkeit nicht zusammenpassen: Das Glo- bal Forum for Health Research wies in den 90er Jahren darauf hin, dass nur 10 Prozent der glo- balen Forschungsmittel im Gesundheitsbereich für 90 Prozent der weltweiten Krankheitslast ausgegeben werden. Der Grund ist, dass für Krankheiten, unter denen vorwiegend die Men- schen in Afrika oder Südamerika leiden, deut- lich weniger Geld zur Verfügung gestellt wird als für Krankheiten, die primär Menschen in reichen Ländern betreffen.

Ein anderes Beispiel ist das Thema Überge- wicht. Hier gibt es kaum wissenschaftliche Er- kenntnisse zu settingbezogenen Maßnahmen, während medikamentöse und operative Verfah- ren sehr intensiv beforscht werden. Nur die letztgenannten Maßnahmen sind unmittelbar wirtschaftlich verwertbar, sodass es sich für die Hersteller unmittelbar finanziell auszahlt, in For- schung zu investieren.

Ein gezielter, komplementärer Einsatz von öf- fentlichen Mitteln in die Untersuchung von nicht-gewinnorientierten Maßnahmen findet bisher erstaunlicherweise kaum statt. Ein weite- res Problem ist, dass viele Forschungsförder- programme entlang von definierten Krankheits- entitäten oder technischen Innovationen ausge- richtet werden. Gesundheitsförderung bezieht sich dagegen nicht auf bestimmte Erkrankun- gen und zeichnet sich primär durch soziale, nicht durch technische Innovationen aus.

Die Kriterien der Anwender/innen:

Glaubwürdigkeit und lokale Relevanz Untersuchungen zeigen, dass es den potentiel- len Anwender/innen von Wissen(schaft) auf zwei Aspekte ganz besonders ankommt: die Die ungleiche Verteilung von Wissen

Am 14. Dezember 2012 erschoss ein junger Mann in der kleinen Stadt Newtown in den USA 20 Kinder, sieben Erwachsene und sich selbst.

Wie bei ähnlichen Ereignissen zuvor wurden anschließend Forderungen nach Maßnahmen zum Schutz gegen die Gefahren von frei verfüg- baren Schusswaffen laut. Die National Rifle Association (NRA), die von der Waffenindustrie finanzierte Vertretung der Besitzer /innen von Schusswaffen, lehnte dagegen jede Einschrän- kung beim Erwerb und Umgang mit den Waffen kategorisch ab. Sie begründete ihre Haltung u.a. damit, dass es praktisch keine wissen- schaftlich gesicherten Erkenntnisse über die Wirksamkeit der Maßnahmen gäbe.

Tatsächlich sind die wissenschaftlichen Er- kenntnisse in diesem Bereich sehr begrenzt.

Eine Gruppe von Wissenschaftler/innen hat Anfang 2013 berechnet, dass die staatlichen National Institutes of Health trotz vier Millio- nen Schusswaffenopfern innerhalb der letzten

Gesunde Bundespolitik

Eröffnungsrede von Prof. Dr. Gerhardus /

Health Inequalities / Präventionsgesetz als Brücke / Abschlussdiskussion des 18. Kongress Armut und Gesundheit

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Relevanz für die konkrete Situation und die Glaubwürdigkeit der Wissenschaftler/innen.

Wie oben gezeigt, liegen für einige Bereiche, wie z.B. die settingbezogene Prävention und Gesundheitsförderung, kaum wissenschaft- liche Erkenntnisse vor. Es mag helfen, sich von der Vorstellung zu lösen, dass es eine Welt des Wissens und eine Welt des Handelns gibt, die lediglich auf Brückenbauer warten müssen, um miteinander verbunden zu werden. Im Bereich von Prävention und Gesundheitsförderung fin- den sich handlungsrelevante Informationen – wenn überhaupt – meist nur auf verstreut lie- genden „Wissensinseln“. An dem Ausmaß die- ses Mangels wird sich durch einige wenige Forschungsprojekte in naher Zukunft wenig än- dern. Die Rolle von Wissenschaftler/innen könnte dann die von Lotsen sein, welche für die Boote der Anwender/innen die Wissensin- seln lokalisieren, deren Schätze kritisch begut- achten und den Erkenntniswert für die konkre- te Situation einordnen.

Ein Beispiel für den Bedarf an dieser Lotsen- funktion sind aktuelle Maßnahmen gegen Übergewicht. In Ermangelung einschlägiger Studien kopieren Gesundheitspolitiker/innen erfolgreiche Strategien zur Tabakkontrolle: In Ungarn werden Steuern auf Chips, Schokolade und Zutaten von Energydrinks erhoben, die Bürgermeister von San Francisco und New York bemühen sich darum, Marketingstrategien für Fastfood bzw. die Abgabe von Softdrinks in Riesenbechern zu verbieten und in den USA versucht eine Kampagne mit dem Slogan

„Eat’em like junk food“ Teenager auf den Ge- schmack von Gemüse zu bringen. Diese Art der unmittelbaren Übertragung wirft eine Reihe

von Fragen auf: Führen höhere Steuern auf ei- nige als ungesund identifizierte Nahrungsmit- tel nicht nur zu einem Ausweichen auf andere

„ungesunde“, aber von der Steuer nicht betrof- fene Nahrungsmittel? Oder ist möglicherweise der einzige Effekt, dass Menschen mit einem geringen Einkommen noch stärker belastet werden? Erhöhen Verbote von „Happy Meals“

und Mega-Portionen Cola nicht gerade den Reiz, diese zu unterlaufen? Und ob bei einer Marketing-Schlacht um die Gunst von Teen- agern am Ende das Gemüse die Oberhand ge- winnen wird, ist zunächst nicht mehr als eine interessante Frage.

Die Erwartung an Wissenschaftler/innen wäre es, Antworten auf diese Fragen zu bekommen.

Die Aufgabe für Wissenschaftler/innen ist es, diese Art von Fragen überhaupt zu stellen.

Spätestens an dieser Stelle bekommt die Glaubwürdigkeit von Wissenschaftler/innen und ihrer Institutionen eine überragende Be- deutung. Ein Beispiel für die Problematik ist eine Übersichtsarbeit mit dem apodiktischen Titel „Myths, Presumptions, and Facts about Obesity“, die Anfang 2013 im weltweit angese- hen New England Journal of Medicine veröf- fentlicht wurde. In dem Beitrag ordneten die Autor/innen insgesamt 22 Ursachen von und Maßnahmen gegen Übergewicht in eine von drei Kategorien ein: Mythen, (unbewiesene) Annahmen und Fakten. Obwohl die Autor/in- nen betonen, dass sie die 22 Ursachen und Maßnahmen aufgrund ihrer praktischen Rele- vanz für Public Health ausgewählt hätten, feh- len in dem Artikel ausgerechnet die aktuell be- sonders heftig diskutierten Ursachen für Über- gewicht wie Zucker, Fast-food oder Softdrinks

bzw. Maßnahmen zum Umgang damit. Diese tauchen allerdings in der sehr umfangreichen Erklärung zu den Interessenkonflikten auf, in der die Autor/innen ihre finanzielle Unterstüt- zung durch 30 oder mehr Firmen der amerika- nischen und internationalen Zucker-, Fastfood- und Softdrinkindustrie deutlich machen. Das hohe Gewicht, das die Anwender/innen auf die Glaubwürdigkeit ihrer wissenschaftlichen „Lot- sen“ legen, erscheint vor diesem Hintergrund mehr als verständlich.

Ausblick

„Vom Wissen zum Handeln“ bedeutet im Ana- logieschluss „Vom Nicht-Wissen zum Nicht- Handeln“. Bisher richtet sich die Auswahl von Forschungsthemen noch zu wenig nach einem systematisch definierten Wissensbedarf. Wis- senschaft und Anwendung sollten sich besser darüber austauschen, für welche Themen Wis- senslücken bestehen und auf welche Weise diese bearbeitet werden sollen. Aus den USA kommen vielversprechende Beispiele, wie das Förderprogramm zu Comparative Effectiveness Research und das nachfolgende Patient-Cente- red Outcomes Research Institute. Für Präventi- on und Gesundheitsförderung in Deutschland wären vergleichbare Initiativen und Institutio- nen dringend notwendig.

Prof. Dr. Ansgar Gerhardus, Leiter der Abteilung für Versorgungsforschung, Institut für Public Health und Pflegeforschung, Universität Bremen sowie Erster Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Public Health Literatur beim Autor

Die Elefantenhochzeit

Health Inequalities meets Armut und Gesundheit 2013

Der 18. Kongress Armut und Gesundheit hatte nicht nur einen markanten Wechsel seiner lieb gewonnenen, aber zu klein gewordenen Räum- lichkeiten zu verkraften, sondern auch eine inhaltliche Flankierung durch die (gelungene) Integration einer stärker theorieorientierten Public Health-Tagung. Der Tagungszyklus Health Inequalities, der seit 2006 existiert und aus den Bielefelder Gesundheitswissenschaf- ten rund um den damaligen Arbeitszusammen- hang von Klaus Hurrelmann entstand, hatte sich im Wesentlichen zwei Ziele gesetzt: Zum einen die in Deutschland innerhalb der Public Health sehr rückständige Debatte an die inter- nationalen Diskussionen heranzuführen und führende Vertreter/innen nach Deutschland zu holen und mit ihnen (u.a. Richard Wilkinson, David Blane, Eero Lahelma oder Mel Bartley) und den führenden Vertreter/innen der deut- schen gesundheitlichen Ungleichheitsfor- schung (u.a. Rolf Rosenbrock, Bettina Schmidt, Andreas Mielck, Petra Kolip) zu diskutieren.1

1 Aus diesen Tagungen sind u.a. die Publikationen Bauer, Ullrich et al. (Hg.): Health Inequalities, Wiesbaden 2008 oder der Band 45 (Health Inequalities) des Jahrbuchs Kriti- sche Medizin, Hamburg 2009 entstanden.

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Info_Dienst für Gesundheitsförderung 2_13

Workshop 2 – Welche Daten für wessen Daten?

Der zweite Workshop stand unter dem empi- rischen Motto „Welche Daten für wessen Taten?“ und fokussierte die universitäre For- schung und die Gesundheitsberichterstattung als zwei wesentliche Zugangswege zur Gene- rierung von Daten bzw. Informationen, die sich anhand unterschiedlicher Zielgruppen, Auf- traggeber, Forschungsmöglichkeiten und auch in Hinblick auf Transfer in die Praxis und Politik differenzieren lassen. Nico Dragano (UKD Düs- seldorf) diskutierte kritisch Möglichkeiten, Grenzen und neue Zwänge universitärer For- schung im Kontext der universitären und nicht- universitären Mittelvergabe. So werden etwa umfassende Evaluationsstudien kaum finan- ziert und unter Aspekten publikatorischer Ver- wertbarkeit „rechnet sich“ diese Art von For- schung für die beteiligten Wissenschaftler/

innen kaum. Daran anknüpfend wurde der Bei- trag von Michael Ebert (DLR Projektträger) ergänzt und die anders gelagerte Perspektive der Projektträger aufgezeigt.

In einem zweiten Block richtete sich der Fokus auf die Gesundheitsberichterstattung, die von Thomas Lampert (RKI Berlin) eindrucksvoll auf- gezeigt wurde. In Hinblick auf die vorhandenen Daten präsentierte er belastbare Kerndaten zur Analyse gesundheitlicher Ungleichheiten in Deutschland, die u.a. zeigen, dass gesundheit- liche Ungleichheiten in den vergangenen Jah- ren und Jahrzenten sich weiter verfestigen.

Klug kommentiert wurde der Beitrag von Frank Lehmann (BZgA), der aus der Perspektive kriti- scher Gesundheitspolitik u.a. auf die proble- matische Schnittstelle zwischen Wissenschaft und politischen Akteuren hinwies.

Workshop 3 – Bewahrung eines ungleichen Status quo ungleicher Gesundheit oder

Tackling Inequalities?

Die dritte Veranstaltung stand ganz im Zeichen der Kritik der Forschungs- und Präventions-Pra- xis: hier wurde aus unterschiedlicher Perspekti- ve zum einen die empirische Praxis eines Groß- teils der Public Health-Forschung auf’s Korn genommen. Michael Wright (FH Berlin) plädier- te dafür, die Menschen, die etwa von Public Health-Maßnahmen profitieren sollen, unmittel- barer in die Forschung im Kontext von partizipa- tiven Ansätzen mit einzubeziehen, um damit die Trennung zwischen Wissenschaft, Praxis und Klientel aufzuweichen. Der an schließende Kom- mentar von Wiebke Sannemann (LZG-NRW) bestärkte noch einmal die Positionen von Michael Wright, die allerdings in einem klaren Gegensatz zum Mainstream der (Drittmittel geförderten) Forschung stehen. Die spannende Diskussion ging dann in die Richtung, inwieweit es dem wissenschaftlichen Nachwuchs nahe gelegt werden kann, im internationalen Raum legitime und im deutschen Raum eher abgewer- tete Methoden (v.a. Action Research, Hand- lungsorientierte Forschung, Participatory Re -

Gesunde Bundespolitik

Zum anderen sollten die Diskussionen über gesundheitliche Ungleichheiten auch in For- schung und Theorie von Public Health in Deutschland wesentlich ausgedehnt werden, um gegenüber dem Vorbild des Tagungszyklus Armut und Gesundheit noch stärker die Klien- tel der Nachwuchswissenschaftler/innen ein- zubeziehen. Wenn es bei den Tagungen von Health Inequalities auch immer darum ging, die Public Health-Praxis nicht aus dem Blick zu verlieren, so war (und ist) der Ausgangspunkt doch eher der Hochschulbereich der Public Health-Institutionen. Durch den berufsbiogra- fisch bedingten Fortgang der Initiator/innen der Public Health-Tagungen aus Bielefeld und ihre räumlich Trennung entstand die Idee, die beiden Seiten der Medaille gesundheitlicher Ungleichheiten – Praxis und Theorie – unmit- telbar zu verbinden. Die Konsequenz war, dass Health Inequalities VI nunmehr ein (kleiner) Bestandteil des Kongress Armut und Gesund- heit wurde und damit das übergreifende Tagungsthema des diesjährigen Kongresses

„Brücken bauen“ bereits formal erreicht war.

Workshop 1 – De-/Konstruktivistische Perspektiven auf Public Health und

ihre Relvanz für ein Verständnis gesundheitlicher Ungleichheit Dass die Verschmelzung der beiden unter- schiedlichen Zugänge gut funktioniert hat, war bereits daran zu sehen, dass alle drei Veran- staltungen im Rahmen von Health Inequalities ausgebucht waren und das Publikum durch sehr gute Diskussionsbeiträge und Kommenta- re maßgeblich zum Gelingen beigetragen hat.

Inhaltlich wurde in den drei Veranstaltungen von Health Inequalities ebenfalls eine (große) Brücke von der Theorie zur Praxis geschlagen, indem ethnizitätstheoretische und poststruk- turalistische Ansätze daraufhin befragt wur- den, was sie für die Praxis von Public Health leisten können (wenn sie wollten). Hierzu dien- ten verständliche Input-Referate von Diana Sahrai (Uni Duisburg-Essen) und Regina Brun- nett (FH Fulda), die zunächst von Christian Strümpell, einem Gesundheitsethnologen aus Heidelberg, kommentiert wurden. Ein zentra- les Ergebnis war, dass die Praxis von Public Health solche theoretischen Konzepte maß- geblich dazu nutzen kann, sich vor Essentiali- sierungen und kulturellen Verallgemeinerun- gen (türkische Kinder, die Bildungsfernen oder die Übergewichtigen) zu hüten, die sozial benachteiligte Gruppen ein weiteres Mal domi- nieren, indem sie ihnen etwa den Autono- miestatus absprechen usw. Gleichzeitig sind die Identitätsbeschreibungen der Menschen aber ernst zu nehmen, d.h. dass die Perspekti- ve: „wir sind doch alle Menschen“ wesentlich zu kurz greift. Die Theorie kann vor allem die- ses nicht auflösbare Spannungsverhältnis zwi- schen (problematischen) Beschreibungen aus der professionellen Praxis und (problemati- schen) Selbstbeschreibungen der Menschen klären und präsent halten.

search) zu nutzen, unabhängig von der Qualität der Methoden, wenn die Berufsbiografie durch die konservative (und häufig bornierte) wissen- schaftliche Praxis riskant wird. Thomas Altgeld (LVG Niedersachsen) seinerseits kritisierte vor allem die Präventions- und Gesundheitsförde- rungspraxis, indem er in einem außergewöhn- lich lebendigen Vortrag eine Reihe von Beispie- len präsentierte, die – hier komplementär zu Michael Wright – die Wirksamkeit finanziell z.T.

aufwändiger Kampagnen nicht nachweisen kön- nen. Besonders spannend wurde die abschlie- ßende Sitzung dann durch die zweite Kommen- tatorin, Eva-Maria Bitzer (PH Freiburg), die kenntnisreich die eine oder andere Verallge- meinerung relativierte und ihrerseits für nach- vollziehbare Kriterien der Evidenzbasierung ein- trat.

Das Fazit der Sinnhaftigkeit dieser Elefanten- hochzeit muss letztlich von den Teilnehmenden selbst kommen, weil zumindest der Idee nach die drei gut besuchten Veranstaltungen dazu beitragen sollten, in den praxisorientierten Dis- kussionen immer wieder theoretische, skepti- sche und herrschaftskritische Argumente unmit- telbarer einzubauen. Aus der Sicht der drei Ver- anstalter ist die Kombination aus Health Inequa- lities und Armut und Gesundheit auf jeden Fall zukunftsfähig.

Prof. Dr. Ullrich Bauer, Universität Duisburg-Essen, Prof. Dr. Uwe H. Bittlingmayer, Pädagogische Hochschule Freiburg, Irene Moor und Prof. Dr. Matthias Richter, Universität Halle-Wittenberg

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„Ein Präventionsgesetz wäre so eine Brücke“

Statement Wissenschaft im Rahmen der Abschlussdiskussion des 18. Kongress Armut und Gesundheit

Ich bin um ein kurzes Statement dazu gebeten worden, was das Wissen um die Bedeutung der sozialen Determinanten für die Gesundheit für ein Präventionsgesetz bedeutet. Es geht um das Motto des Kongresses in diesem Jahr:

„Brücken bauen zwischen Wissen und Han- deln“. Ein Präventionsgesetz wäre so eine Brü- cke und für den Bauplan fehlt es sicher nicht an Wissen.

Wir wissen, dass Armut krank macht Neueste wissenschaftliche Erkenntnisse sind es ja nicht gerade, dass Armut krank macht.

1790 hat Johann Peter Frank, der Stammvater der Sozialmedizin, seine berühmte Rede in Pa- via vom „Volkselend als der Mutter aller Krank- heiten“ gehalten. Dass Armut krank macht, ist eine Erkenntnis, die älter ist als das Wissen, dass Bakterien und Viren krank machen kön- nen und erst recht älter als das Wissen um Gentechnik und Kernspintomogramme, das die Politik so begeistert, wenn es um das Gesund- machen geht.

Wir wissen, und man kann es nicht oft genug wiederholen, dass das ärmere Fünftel der Be- völkerung zehn Jahre früher stirbt als das rei- che. Wir wissen, dass es auch den Reichen selbst gesundheitlich besser gehen würde, wä- re die Gesellschaft weniger ungleich. Wir wis- sen, dass fast alle ernsten Krankheiten bei den Armen doppelt so häufig oder häufiger auftre- ten. Und wir wissen, dass sie auch in der Kran- kenversorgung da und dort benachteiligt sind, obwohl unser Gesundheitssystem an sich ziemlich „gerecht“ ist. Wir wissen auch, dass die vielen Risikofaktoren, die von Politiker/in- nen beim Thema Prävention so gerne ins Feld geführt werden – das Rauchen, die Adipositas, der Bewegungsmangel oder eine ungünstige Ernährung – engstens mit der sozialen Lage

zusammenhängen und dass hier die vielbe- schworene „Eigenverantwortung“ ihre Gren- zen hat. Und wir wissen, dass all die Ungleich- heit auch noch regional ungleich verteilt ist.

Wir wissen, was zu tun wäre

Dieser Reichtum an sozialepidemiologischem Wissen ist nicht eingesperrt im Elfenbeinturm der Wissenschaft, es wird der Politik im Ar- muts- und Reichtumsbericht der Bundesregie- rung und in der Gesundheitsberichterstattung des Robert Koch-Instituts geradezu hinterher- getragen, Jahr für Jahr. Oder hier, auf dem Kongress. Jahr für Jahr.

Spätestens seit der Ottawa-Charta 1986 wis- sen wir auch, was zu tun wäre: Die Verhältnisse gesundheitsgerecht gestalten, eben nicht nur

das Verhalten ins Visier nehmen, dazu vor Ort gehen, dahin, wo die Menschen leben und ar- beiten, „Settingansatz“, all die in die Pflicht nehmen, die für diese Settings Verantwortung tragen, von den Gemeinden bis zur Industrie,

„health in all policies“ und „Kooperation“ sind die Stichwörter dazu, aber auch die Benachtei- ligten, Schweigsamen und Machtlosen mitneh- men, „Empowerment“, und zwar ohne ihnen mit einer überzogenen Eigenverantwortungs- rhetorik auch noch die Verantwortung derer aufzubürden, die wirklich Einfluss haben, oder nur die Normen bürgerlicher Sittlichkeit ge- sundheitspädagogisch verpackt durchzuset- zen. Und natürlich geht es auch darum, immer wieder einmal zu schauen, ob das, was man gutgemeint hat, auch wirklich gut ist, also

„Evaluation“ und „öffentliche Berichterstat- tung“.

Fragen an das Podium

Das wären auch die Eckpunkte für ein Präven- tionsgesetz. Jetzt zu fragen, wie viel sich davon im aktuellen Referentenentwurf des Gesetzes zur Stärkung der Gesundheitsförderung und Prävention widerspiegelt, jenseits symboli- scher Miniaturen, wäre eine billige rhetorische Frage. Die Antwort kennen wir alle, spätestens nach diesem Kongress. Aber vielleicht kann die Politik auf dem Podium zum „Warum“ noch einmal Stellung nehmen. Warum blühen so viele gute Projekte und Initiativen überall im Land, wie wir hier auf dem Kongress sehen können, aber der große präventionspolitische Durchbruch gelingt nicht? Welche Hilfe kann Ihnen die Wissenschaft vielleicht noch geben?

Und: Welche Rücksichten mussten beim vorlie- genden Gesetzentwurf genommen werden, welche politischen Grundlinien haben denn diesmal den gesetzestechnischen Brückenbau zwischen Wissen und Handeln verhindert? Das würde man doch gerne verstehen. Und was wollen Sie tun, damit am Ende diese Politik des Machbaren nicht zur „Politik gegen besseres Wissen“ wird oder, um Johann Peter Frank noch einmal zu bemühen, zur wahren Mutter aller Krankheiten?

Dr. Joseph Kuhn, Mitglied des Herausgeber- kreises der Zeitschrift „Prävention“

Brücken bauen zwischen Bundespolitik und Public Health-Expertise

Abschlussdiskussion zum 18. Kongress Armut und Gesundheit

Der große Hörsaal in der Technischen Universi- tät ist gut gefüllt. Immer mehr Menschen strö- men in den Saal. Über 600 Interessierte sind zum Abschluss des 18. Kongress Armut und Gesundheit zusammengekommen, um mit Ge-

sundheitspolitiker/innen aller Bundestags- fraktionen über Prävention und Gesundheits- förderung zu diskutieren. Das Thema hat zu dem Zeitpunkt die höchste Ebene erreicht, nur wenige Tage nach dem Kongress soll der Ent-

wurf eines Gesetzes zur Stärkung der Präventi- on ins Kabinett eingebracht werden.

Zu Beginn nutzen die Publikumsanwälte als Vertreter/innen der Public Health die Gelegen- heit, den Bundespolitiker/innen ihre Gedan- ken zum Gesetzentwurf mitzugeben. Joseph Kuhn, Mitherausgeber der „Prävention“, stellt die drängende Frage in den Raum: „Warum blühen so viele gute Projekte und Initiativen überall im Land, wie wir hier auf dem Kongress sehen können, aber der große präventionspo- litische Durchbruch gelingt nicht?“ (vgl. auch

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Info_Dienst für Gesundheitsförderung 2_13 Gesunde Bundespolitik

S. 6) Auch Stephan Koesling, Geschäftsführer der Sächsischen Landesvereinigung für Ge- sundheitsförderung, macht deutlich: „[D]ie Strukturen sind vorhanden. Was fehlt, ist mehr Verbindlichkeit in der Politik, uns auf diesem Weg weiter zu begleiten. Und diese Brücke der Verbindlichkeit wollen wir hiermit weiter aus- bauen.“ Maria Ohlig vom Quartiersmanage- ment Trier-Nord als Vertreterin der Praxis möchte ebenso ihre Bedarfe der Bundespolitik mit auf den Weg geben. Sie nennt die notwen- digen Erfolgsfaktoren: „Da ist zum einen zu nennen Zeit, dann der Faktor Geld, dann kom- men drei K: Kooperationspartner, und zwar auf allen Ebenen, eine Koordinierung vor Ort und ein Konzept, ein integriertes Konzept.“

Einstimmig für die beabsichtigte Stärkung und Mittelerhöhung

Nun sind die Vertreter/innen der Bundestags- fraktionen gefragt, Stellung zu nehmen zu den Herausforderungen in Prävention und Gesund- heitsförderung. Die Moderator/innen – Theda Borde, Rektorin der Alice Salomon Hochschule Berlin und Hans-Bernhard Henkel-Hoving, Chefredakteur der Zeitschrift „Gesundheit und Gesellschaft“ – führen gemeinsam durch die Diskussion, bei der es doch sehr lebhaft zu- geht. Alle gesundheitspolitischen Vertreter/in- nen begrüßen erfreulicherweise die beabsich- tigte Stärkung und Mittelerhöhung für die Prä- vention, sehen aber jeweils unterschiedlichen Verbesserungs- bzw. Anpassungsbedarf.

Die Vertreterin der Regierungsfraktion Stefanie Vogelsang (CDU/CSU) betrachtet den Gesetz- entwurf erwartungsgemäß als „großen Schritt“. Insbesondere weist sie darauf hin, dass ein Euro pro Versichertem für die Präven- tion in Lebenswelten aufgewandt werden solle.

Dabei nennt sie als mögliche Lebenswelten u.a. „Orte der Bildung, des Arbeitens, des Äl- terwerdens und der Freizeitgestaltung“. Ein großer Teil dieser Gelder solle an die BZgA ge- hen zum Zweck der Vernetzung der einzelnen

Bereiche. Vogelsangs Regierungskollege aus der FDP-Fraktion, Lars Lindemann, plädiert ve- hement dafür, „dass wir Eigenverantwortung wieder ein Stück weit mehr erlernen in dieser Gesellschaft“. Er spricht sich zwar für verbindli- che Gesundheitsziele aus, aber gegen eine

„Assistenz von der Wiege bis zur Bahre“.

Umstritten: Finanzierung und Vernetzung Deutliche Worte der Kritik findet die Oppositi- on. Maria Klein-Schmeink (Bündnis 90/Die Grünen) befürchtet bei einer zu starken Kon- zentration auf die Eigenverantwortung „ein Auseinanderdriften zwischen denjenigen, die sich im Höchstmaße optimieren können und denen, die das nicht können“ und weist auf den bestehenden „stringenten Zusammen- hang zwischen sozialer Benachteiligung und Gesundheitschancen“ hin. Die Vertreterin der Bündnis 90/Die Grünen-Bundestagsfraktion fordert ein Umdenken: weg von der Konzentra- tion auf Krankheit, für die immer noch weit mehr ausgegeben werde, hin zu einer Stärkung der Prävention und Gesundheitsförderung.

Dies könne nur als gemeinsame Aufgabe und über ein Ansetzen in den Lebenswelten gelin- gen.

Mechthild Rawert als Vertreterin der SPD-Frak- tion erkennt eine Schwachstelle des Gesetz- entwurfes darin, dass finanziell lediglich die Krankenkassen für die Prävention in die Ver- antwortung genommen würden. Prävention und Gesundheitsförderung seien jedoch ge- samtgesellschaftliche Herausforderungen, die – gerade angesichts der Ergebnisse des Ar- muts- und Reichtumsberichtes – auch von Land, Bund und den Sozialversicherungsträ- gern zu bewältigen seien. Ein Präventionsge- setz solle nicht nur Einzelstrategien umfassen, sondern „dezidiert dazu beitragen, dass Men- schen empowert werden, also ihre sozialen Le- benswelten gestalten können, so dass sie langfristig und soweit wie möglich gesund sind“.

Martina Bunge (Die Linke) verschärft die Kritik am vorliegenden Gesetzentwurf, den sie als

„ein Anti-Präventionsgesetz“ ansieht, und hofft, das Gesetz möge spätestens im Bundes- rat aufgehalten werden. Prävention müsse im Zusammenhang mit der Kinder- und Jugend- wie auch der Bildungspolitik stehen und dürfe nicht isoliert angegangen werden. Daher seien auch weniger die Ärzt/innen die zentralen Ak- teure der Prävention, sondern es müssten ge- zielt die Individuen dort gefördert werden, wo Defizite bestehen. Dafür bedürfe es nicht neuer Modellprojekte, sondern einer stabilen und verlässlichen Finanzierung der Strukturen vor Ort, in den Kommunen und weiteren Lebens- welten.

Nicht auszuschließen, dass es diesem Entwurf wie seinen Vorgängern ergeht In der Diskussion wirken die Politiker/innen mitunter, als seien sie bereits mitten im Wahl- kampf. Insbesondere die Frage der Eigenver- antwortung provoziert Wortgefechte auf dem Podium, aber auch Zwischenrufe seitens des Publikums. Zudem ist die Höhe der Finanzie- rung wie auch die Frage, wer neben den Kran- kenkassen finanziell in die Pflicht genommen werden sollte, weiter strittig. Diskussionsbe- darf besteht auch in der Umsetzung: Soll die Prävention zentral, v.a. über die BZgA, gelenkt werden oder eher dezentral, von vielen ver- schiedenen Akteuren lokal und regional, um- gesetzt werden?

Ob der Gesetzentwurf, der Mitte März vom Ka- binett verabschiedet wurde, in dieser Legisla- turperiode noch den Bundestag passiert und auch vom Bundesrat gebilligt wird, ist fraglich.

Nicht auszuschließen ist, dass es diesem Ent- wurf wie seinen Vorgängern gehen wird, die nach intensiver Diskussion doch nicht das Par- lament passiert haben.

Wie auch immer die politische Entscheidungs- findung zum Präventionsgesetz ausgehen wird, wichtig war jedenfalls die Begegnung der Bundespolitiker/innen mit der versammelten Public Health-Expertise auf dem Kongress. Die Public Health-Akteure sollten daher auch wei- terhin fortfahren, sich auf den verschiedenen politischen Ebenen für eine nachhaltige Etab- lierung der Strukturen von Prävention und Ge- sundheitsförderung einzusetzen. Der Kongress Armut und Gesundheit wird seinen Beitrag da- zu auch im kommenden Jahr leisten.

Marianne Pundt, Claudia Reichenbach, Stefan Weigand

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Kinder und Jugendliche

Themenschwerpunkt Frühe Hilfen / Satelliten- veranstaltung „Ein gesundes Aufwachsen für alle Kinder und Jugendlichen ermöglichen“ / Resilienz- förderung in Kita und Schule / Wer wem

die Brücke baut

Gesund aufwachsen von Anfang an

Der Themenschwerpunkt Frühe Hilfen auf dem 18. Kongress Armut und Gesundheit

„Gesundheit und… Frühe Hilfen“ war der Titel eines umfassenden Themenblocks im Rahmen des 18. Kongresses Armut und Gesundheit von Gesundheit Berlin-Brandenburg. Die Teilneh- menden der Veranstaltung haben insbesonde- re die Menschen und Familien im Blick, denen eine Teilhabe an der Gesellschaft durch Armut erschwert ist. In diesem Zusammenhang ergibt sich eine bedeutende Schnittmenge zu den Fa- milien, Eltern und Kindern, deren Entwick- lungsmöglichkeiten durch die Frühen Hilfen frühzeitig und nachhaltig verbessert werden sollen. Aus diesem Grund hat das Nationale Zentrum Frühe Hilfen (NZFH) sich für diesen Themenblock besonders engagiert.

Durch die Bundesinitiative Frühe Hilfen ge- winnt der flächendeckende Ausbau von ent- sprechenden Strukturen vor Ort an Bedeutung.

Aus diesem Grund sind die Frühen Hilfen eines der zentralen Themen auf kommunaler Ebene bei den Fachleuten aus dem Gesundheitsbe- reich und der Jugendhilfe. Die Frühen Hilfen

sollen durch die Etablierung von Netzwerken, den Einsatz von Familienhebammen und den möglichen Einbezug von ehrenamtlichen Strukturen ergänzt und befördert werden.

Eröffnungsdiskussion

Die oben genannten Punkte waren Gegenstand der Eröffnungsdiskussion. In der Diskussion betrachteten die Teilnehmenden die aktuellen Entwicklungen jeweils aus ihrer Perspektive, die alle Ebenen des föderalen Systems berück- sichtigten. Frau MdB Maria Klein-Schmeink (Fraktion Bündnis 90/Die Grünen) stellte die aktuelle Entwicklung in den bundespolitischen Zusammenhang. Frau Paul, Leiterin des NZFH, beschrieb die Chancen der Bundesinitiative Frühe Hilfen für die Familien vor Ort aus Sicht der Bundeskoordinierungsstelle. Den landes- spezifischen Blick, gekennzeichnet durch das Landesprojekt „Kein Kind zurücklassen“, schil- derte Frau Dr. Hildegard Kaluza vom Ministeri- um für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport des Landes Nordrhein-Westfalen. In die-

sem Beitrag eröffnete Frau Dr. Kaluza auch die Perspektive der Anschlussfähigkeit von Projek- ten über das Alter von drei Jahren hinaus. Frau Dagmar Pohle, Bezirksbürgermeisterin des Be- zirks Berlin Marzahn-Hellersdorf, berichtete von den bisher gemachten Erfahrungen auf kommunaler Ebene. Sie benannte die Möglich- keiten und Grenzen der Bundesinitiative Frühe Hilfen auf kommunaler Ebene.

Verschiedene Themengebiete Die Teilnehmenden des Themenblocks „Ge- sundheit und… Frühe Hilfen“ diskutierten die aufgeworfenen Fragen und Problemstellungen in sechs Workshops und Fachforen im weiteren Verlauf des Kongresses. Einen Eindruck der lebhaften und umfänglichen Diskussion gibt die nachfolgende Darstellung einzelner Veran- staltungen zum Thema Frühe Hilfen.

In zwei Workshops besprachen die Anwesen- den das grundsätzliche Ziel der Frühen Hilfen die Bereiche Gesundheitswesen und Jugend- hilfe durch eine interdisziplinäre Zusammenar- beit zu verzahnen. Die Vortragenden bezogen die aktuellen Projekte, insbesondere das Pro- jekt „Interdisziplinäre Qualitätszirkel – Mögli- che Strukturen eine Zusammenarbeit zwischen niedergelassener Ärzteschaft und Jugendhilfe“

sowie weitere Vorhaben aus dem Nationalen Zentrum Frühe Hilfen in die Referate und Vor- träge mit ein. Dadurch entstand eine praxisna- he und lebhafte Auseinandersetzung.

Die interdisziplinären Kernkompetenzen in den Frühen Hilfen sind ein zentraler Bestandteil des Kompetenzprofils für Familienhebammen.

In einem weiteren Workshop diskutierten die Teilnehmenden die Auswirkungen des Kompe- tenzprofils auf die konkrete Arbeit in den Fami- lien. Neben den Veränderungen in der Arbeit vor Ort beleuchtete das Projekt SKIPPY die Veränderung auf fachlicher Ebene für die Sozi- ale Arbeit und den Hebammenberuf.

Die Frage nach der Wirksamkeit des Ansatzes von Frühen Hilfen bildete einen weiteren Schwerpunkt der Workshops. In diesem Kon-

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Info_Dienst für Gesundheitsförderung 2_13 Kinder und Jugendliche

text stellen sich Fragen, wie die Wirkung nach- gewiesen werden kann und welche Instrumen- te geeignet erscheinen, diese Wirkung abzubil- den.

Um die Umsetzung der Bundesinitiative Frühe Hilfen auf den unterschiedlichen föderalen Ebenen ging es im Workshop “Bundesinitiative Frühe Hilfen – Probezeit für den regelhaften Ausbau“. Das NZFH stellte die Aufgaben der Bundeskoordinierungsstelle vor. Das Land Sachsen-Anhalt präsentierte sein Konzept und erste Schritte zur dortigen Umsetzung der Bun- desinitiative Frühe Hilfen. Schließlich fokus- sierte die Vorstellung der Frühen Hilfen im Werra-Meißner-Kreis auf die kommunale Um- setzungsebene.

Abschlussdiskussion

Unter dem Motto „Brücken bauen – mit der Bundesinitiative Frühe Hilfen vom Wissen in die Praxis“ fand am letzten Tag die Abschluss- diskussion statt.

Die Besetzung des Podiums berücksichtigte ebenfalls die Zusammenhänge im föderalen System. Dieser Blickwinkel wurde ergänzt um

eine internationale Sichtweise durch den Ver- treter des Ludwig Boltzmann Instituts für

„Health Technology Assessment“ in Wien so- wie um eine wissenschaftliche Perspektive durch einen Vertreter der Alice Salomon Hoch- schule Berlin.

Zentrale Themen der Diskussion waren das Verständnis von Frühen Hilfen und welche Ziel- setzung diese in den verschiedenen Zusam- menhängen haben. Auch das Gesamtmotto des Kongresses „Brücken bauen“ wurde in dieser Runde aufgegriffen. Denn die Brücke von den professionellen Netzwerken und Ak- teur/innen zu den Familien, Eltern und Kindern gilt es zu bauen und zu gestalten. Die zentrale Fragestellung in diesem Prozess ist, wie die Familien in den jeweiligen Hilfeprozess einbe- zogen werden. Die Haltung der Fachkräfte wird hier ein Schlüsselfaktor zu gelingenden Hilfe- verläufen sein. Um den Eltern auf Augenhöhe

begegnen zu können, sind Partizipation und Förderung wesentliche Charakteristika dieser Haltung.

Aus Sicht des Nationalen Zentrum Frühe Hilfen hat der Kongress einen Beitrag geleistet, die aktuelle Fachdiskussion – vor allem in der Ge- sundheitsförderung und der Kinder- und Ju- gendhilfe – zu befördern. Die Anregungen aus der Fachpraxis liefern wichtige Anhaltspunkte und Impulse für die Weiterentwicklung und sind bereichernd für die Umsetzung der eige- nen Vorhaben.

Jörg Backes und Till Hoffmann, Nationales Zentrum Frühe Hilfen (NZFH) in der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA)

„Auch eine kleine Stadt wie Bad Liebenwerda kann die Gesundheit ihrer Kinder in besonderer Weise fördern“

Interview mit Bärbel Ziehlke und Maria Diener zum Satelliten des 18. Kongress Armut und Gesundheit

Dokumentation Frühe Hilfen online

Die Dokumentation des Themenschwerpunktes Frühe Hilfen im Rahmen des 18. Kongress Armut und Gesundheit können Sie einsehen unter www.fruehehilfen.de/fruehe-hilfen/

aktuelles/18-kongress-armut-und-gesundheit.

Die Satellitenveranstaltung zum 18. Kongress Armut und Gesundheit diente dazu, den Aus- tausch zwischen kommunalen Vertretern/innen und weiteren Akteuren zur Umsetzung von inte- grierten kommunalen Strategien zu vertiefen. In Vorträgen und Diskussionen wurden erfolgrei- che Strategien und Maßnahmen, insbesondere im Rahmen des kommunalen Partnerprozesses

„Gesund aufwachsen für alle!“, aufgezeigt. Eine breite Palette an themenspezifischen Work- shops – von der Beteiligung über Möglichkeiten der Finanzakquise, Bedarfsanalyse und Gesund- heitsberichterstattung bis hin zur Organisati- onsentwicklung in kommunalen Netzwerken – bot den etwa 200 Teilnehmenden die Möglich- keit, sich auszutauschen und ins Gespräch zu kommen.

Die Kurstadt Bad Liebenwerda im Landkreis El- be-Elster in Süd-Brandenburg nimmt seit Ende 2012 am kommunalen Partnerprozess teil. Ma- ria Diener ist im Bürgerservice der Stadtverwal- tung für die Aktivitäten Bad Liebenwerdas als Teil des Gesunde Städte-Netzwerks verantwort- lich. Bärbel Ziehlke ist die Amtsleiterin des Bür- gerbüros. Die Fragen stellte Stefan Bräunling.

Info_Dienst: Welches waren die grundsätzli- chen Überlegungen Ihrer Stadtverwaltung, sich am Partnerprozess zu beteiligen und auch den persönlichen Fachaustausch auf der Veranstal- tung in Berlin zu suchen?

Bärbel Ziehlke: Die Stadt Liebenwerda ist durch das Gesunde Städte-Netzwerk, in dem wir Mit- glied sind, auf den Partnerprozess „Gesund auf- wachsen für alle!“ aufmerksam geworden.

Maria Diener: Wir sehen darin die Chance, unsere Kontakte zu wichtigen Partner/innen auszu- bauen und durch den Austausch mit anderen Kommunen Anregungen und ggf. auch Hilfestel- lungen für unsere weite- re Arbeit zu bekommen.

An der Satellitenveran- staltung in Berlin haben wir aufgrund der zahlrei- chen, äußerst interes- santen und vielseitigen Workshops teilgenommen. Wir wollten uns ei- nen Einblick in die Tätigkeiten und Erfahrungen anderer Kommunen/Partner verschaffen sowie Anregungen für unsere eigene Arbeit sammeln.

Info_Dienst: Was waren für Sie die Highlights der Veranstaltung, was haben Sie Neues erfah- ren?

Maria Diener: Für mich war es interessant zu erfahren, wie die Stadt München mit ihrem „Pro-

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Dokumentation der Satellitenveran staltung zum 18. Kongress Armut und Gesundheit online Unter www.gesundheitliche-chancengleichheit.de/satellit-armut-gesundheit/programm finden Sie die Dokumentation der Satellitenveranstaltung „Ein gesundes Aufwachsen für alle Kinder und Jugendlichen ermöglichen – Strategien kommunaler Gesundheitsförderung“.

gramm gegen Alkoholkonsum bei Kindern und Jugendlichen“ vorgeht und was sie unternimmt, um dieser Altersgruppe den vernünftigen Um- gang mit diesem Genussmittel näherzubringen.

Darüber hinaus konnte ich im Rahmen eines Workshops fachlich fundierte Informationen zur Finanzierung von Projekten mit Stiftungsmitteln sammeln.

Bärbel Ziehlke: Im Workshop 1 referierte Prof.

Dr. Michael T. Wright vom Institut für Soziale Gesundheit, Katholische Hochschule für Sozial- wesen Berlin, zum Thema Partizipation. Dieser Workshop und die darin stattfindenden Diskus- sionen boten eine Vielzahl von Anregungen be- züglich unserer täglichen Arbeit.

Allerdings sind sie eher punktueller Art, da un- sere Größenordnungen nicht vergleichbar sind und sich die Strategien deshalb nicht eins zu eins übertragen lassen.

Info_Dienst: Ist die kreisangehörige Stadt – 10.000 Einwohner/innen, kein eigenes Gesund- heits- oder Jugendamt – eigentlich eine geeigne- te „Lebenswelt“, um die Gesundheit ihrer Kin- der und Jugendlichen zu fördern? Welches sind hier die hilfreichen Bedingungen?

Bärbel Ziehlke: Möglicherweise, gerade weil das so ist: Wir können in unseren kleinen Struk- turen ganz individuelle Ansätze in unseren kom- munalen Bereichen finden und nutzen. Darüber hinaus ist eine enge Zusammenarbeit mit priva- ten Bereichen möglich. Die Kommunikationswe- ge sind kürzer, der Austausch teilweise einfa- cher und persönlicher. Dennoch suchen wir na- türlich auch gerade in dieser Hinsicht noch neue

Möglichkeiten des Erfahrungsaustausches. Wir würden uns wünschen, dass auch kleinere Städ- te und Gemeinden in den Projekten mitarbeiten, deren Problemlagen besser mit unseren zu ver- gleichen sind.

Einen unserer Schwerpunkte sehen wir darin, die Übergänge zwischen den einzelnen Alters- gruppen zu gestalten. Darin sehen wir noch große Reserven für die Zukunft.

Maria Diener: Ich stimme Frau Ziehlke zu. Uns erwachsen auch Vorteile daraus, eine kleine Stadt zu sein. Bad Liebenwerda bietet Familien optimale Bedingungen, um in einer ruhigen und naturbelassenen Umgebung aufzuwachsen.

In zahlreichen Projekten bringen die Pädago- gen/innen in den insgesamt neun Kindertages- stätten, dem Grundschulzentrum Robert Reis sowie dem städtischen Hort Kindern gesunde Ernährung, Bewegung und Entspannung spiele- risch näher. Beispielhaft möchte ich hier auf

„Tiger-Kids“, den Trimm-Dich-Pfad, den ersten Zahlengarten Brandenburgs und das „Pfiffi- kus“-Projekt hinweisen. Für die Jugendlichen sind v. a. das Kinder- und Jugendfreizeitzentrum

„Regenbogen“ sowie das integrierte Jugendin- formations- und Medienzentrum (JIM) zentrale Anlaufstellen. Hier werden ihnen u. a. vielfältige Freizeitangebote, Beratungen und Medienschu- lungen angeboten. All diese Beispiele machen deutlich, dass auch eine kleine Stadt wie Bad Liebenwerda durchaus in der Lage ist, die Ge- sundheit von Kindern und Jugendlichen in be- sonderem Maße zu fördern.

Info_Dienst: Vielen Dank für das Gespräch!

Bildungsinstitutionen zu resilienzförderlichen Lebensorten für Kinder entwickeln

Bericht zum Fachforum „Förderung der Resilienz und psychischen Gesundheit“ im Schwerpunkt „Gesundheitsförderung im Setting Kita“

In dem, souverän von Maria Gies, Hamburgi- sche Arbeitsgemeinschaft für Gesundheitsför- derung e.V. moderierten, Fachforum „Förderung der Resilienz und psychischen Gesundheit“, wurden zwei Beiträge präsentiert.

Förderung der seelischen Gesundheit in Kitas und Schulen

Jutta Becker, Maike Rönnau-Böse und Klaus Fröhlich-Gildhoff vom Zentrum für Kinder- und Jugendforschung an der EH Freiburg (ZfKJ) stell-

ten „Kriterien und Erfolgsfaktoren der Imple- mentierung eines Konzepts zur Förderung der seelischen Gesundheit in Kindertageseinrich- tungen und Grundschulen in Quartieren mit be- sonderen Problemlagen“ vor. Ausgangspunkt für die seit 2005 am ZfKJ durchgeführten Praxis- forschungsprojekte zur Resilienzförderung wa- ren einerseits Erkenntnisse der Präventionsfor- schung: Projekte sind dann am erfolgreichsten und nachhaltigsten, wenn sie im Settingansatz realisiert werden, auf mehreren Ebenen anset-

zen und nicht die Qualifizierung einzelner Fach- kräfte oder die Etablierung einzelner Program- me beinhalten, sondern die Entwicklung gesam- ter Organisationen (Beelmann, 2006; Röhrle, 2008; Bengel et al., 2009). Zum anderen dienen die empirischen Erkenntnisse der Resilienz- und Schutzfaktorenforschung als theoretische Grundlage: Demzufolge hat die Beziehung zwi- schen pädagogischen Fachkräften und Kindern einen wichtigen Einfluss auf die seelische Ge- sundheit der Kinder, und es geht darum, auf personaler Ebene Schutzfaktoren (vor allem:

adäquate Selbst- und Fremdwahrnehmung, Selbststeuerungsfähigkeiten, positive Selbst- wirksamkeitserwartungen, soziale Kompeten- zen, Problemlösefähigkeiten und allgemeine adaptive Bewältigungsfähigkeiten) systema- tisch zu fördern – hier besteht eine große Affini- tät zum Konzept der Lebenskompetenzen der WHO (1994).

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Info_Dienst für Gesundheitsförderung 2_13 Kinder und Jugendliche

kung von Kindern und die Beachtung der emoti- onalen und sozialen Entwicklung insbesondere im pädagogischen Alltag, in ‚klassischen Unter- richtssituationen‘ zu verankern. Deutlich wurde, dass der alleinige Einsatz stark manualisierter Programme wenig wirksam ist; diese müssen an die jeweiligen Gruppen, deren soziale Situation, aber auch Sprachfähigkeiten angepasst wer- den. Ein weiterer Diskussionspunkt waren die Chancen aber auch Hürden bei der Verbreitung der Programme – hier erscheint es angesichts der positiven Evaluationsergebnisse und der guten Akzeptanz in der Praxis nötig, weitere Ressourcen zur Verfügung zu stellen.

Prof. Dr. Klaus Fröhlich-Gildhoff, Zentrum für Kinder- und Jugendforschung an

der EH Freiburg (ZfKJ) Literatur beim Verfasser

al., 2007). Die Evaluation zeigte positive Ergeb- nisse; so nahmen die Verhaltensauffälligkeiten ab und das prosoziale Verhalten der Kinder zu.

Heidrun Mayer beschrieb den Prozess von der Programmentwicklung zur Dissemination und der weiteren Verbreitung über die Multiplika- tor/innenschulungen. Die Qualitätssicherung erfolgt über Zertifizierung und Intervisionsgrup- pen.

Anschließende Diskussion

In der lebhaften Diskussion wurden vor allen Dingen Fragen zur praktischen Umsetzung ge- stellt. Dies betraf insbesondere den Bereich der Schulen, in denen das „Fächerlernen“ oft im Widerspruch zur (gezielten) Förderung sozial- emotionaler Kompetenzen steht. Dabei zeigte sich, dass es neben dem Durchführen von ge- zielten Unterstützungsprogrammen besonders wichtig ist, die Thematik der Ressourcenstär- In einem Mehrebenenmodell werden zunächst

die pädagogischen Fachkräfte (Erzieher/innen und Lehrer/innen) qualifiziert. Diese setzen die einzelnen Programmbausteine um, wodurch Nachhaltigkeit auch nach Auslaufen der „hei- ßen Projektphase“ gesichert ist. Alle Kinder der Einrichtung nehmen an Kursprogrammen zur Förderung der Resilienz teil, Eltern werden zu- sätzlich Beratung und Elternkurse angeboten.

Positive Effekte zeigen sich auf der Ebene des Selbstwertes und der kognitiven Entwicklung der Kinder, die Eltern fühlen sich in ihrer Erzie- herrolle sicherer und die Arbeitszufriedenheit der Fachkräfte steigt, wie die Evaluationen im Kontrollgruppendesign zeigten (Rönnau-Böse, 2013; Fröhlich-Gildhoff & Rönnau-Böse, 2012;

Fröhlich-Gildhoff et al., 2011). Dieses Konzept ist auch in Quartieren mit besonderen Problemla- gen und bei sogenannten „schlecht erreichba- ren“ Familien gut realisierbar, wenn sich die Bil- dungsinstitutionen zu resilienzförderlichen Le- bensorten für Kinder und Eltern weiterentwi- ckeln.

Förderung sozial-emotionaler Kompetenzen im Vorschulalter

Heidrun Mayer stellte das Programm „Papilio“

vor. Dieses Programm richtet sich an drei- bis sechsjährige Kinder mit dem Ziel der Verminde- rung von Verhaltensauffälligkeiten durch die Förderung sozial-emotionaler Kompetenzen.

Das Programm wird durchgeführt von beson- ders qualifizierten Fachkräften in den Kinderta- geseinrichtungen und umfasst auf Ebene der Kinder drei wesentliche Bausteine (Geschichten zur Förderung der emotionalen Kompetenzen und Selbst- und Fremdwahrnehmung, „Spiel- zeug macht Ferien“-Tage und besondere Spiele zur Verbesserung sozialer Kompetenzen). Eltern werden über Infoabende einbezogen (Mayer et

„Wer wem die Brücke baut…“

Gesundheit Berlin-Brandenburg gestaltet mehrere Workshops zur Gesundheitsförderung bei Kindern

Der diesjährige Kongress Armut und Gesund- heit lieferte mit seinem Motto „Brücken bauen zwischen Wissenschaft und Praxis – Strategien der Gesundheitsförderung“ eine Steilvorlage für die Präsentation und Diskussion vieler erfolgrei- cher Ansätze aus der täglichen Arbeit. Gesund- heit Berlin-Brandenburg beteiligte sich in meh- reren Workshops und Fachforen und stellte Er- fahrungen aus unterschiedlichen Projektberei- chen vor.

Workshop „Zugänge gestalten“

Selbstverständlich zogen sich auch diesmal die Diskussionen darüber, wie wir Zugänge zu Men-

schen in belastenden Lebenslagen gestalten können und wie Partizipation gelingt, wie rote Fäden durch das gesamte Programm des Kon- gresses. Im Rahmen des Themenfelds Frühe Hilfen (vgl. hierzu auch S. 8) wurde im Work- shop „Familien rund um die Geburt tatsächlich erreichen – Zugänge gestalten“ vor allem die Frage danach gestellt, welche Ressourcen und Bedarfe Familien rund um die Geburt, insbeson- dere in schwieriger sozialer Lage haben. An die- ser Stelle präsentierte Danielle Dobberstein von der Koordinierungsstelle Gesundheitliche Chan- cengleichheit Berlin die Ergebnisse der qualita- tiven Befragung von Eltern rund um die Geburt.

2011 wurden im Rahmen der Projekte „Gesund aufwachsen in Marzahn-Hellersdorf“ und „Viel- falt von Elternkompetenzen wahrnehmen“ in Berlin-Kreuzberg Eltern qualitativ befragt. Ne- ben anderen Aspekten spielt für Eltern der Wunsch nach frühzeitigen und einheitlichen In- formationen eine wichtige Rolle. Dabei sind vor allem solche Informationen wichtig, die Eltern in dieser Phase unterstützen, für sich und ihre werdende Familie stabile Lebensumstände zu schaffen. Stressig empfinden es Eltern auch, von einem Amt zum nächsten, von einer Ecke des Bezirks zur anderen geschickt zu werden.

Lokale Anlaufstellen, „mal eine Stelle, die einem alles beantworten kann…“, wünschen sich El- tern.

Diesem Bedarf entspricht der Angebotslotse Frühe Hilfen des Bezirks Berlin-Pankow, den Katharina Haverkamp von Stützrad e. V. zu Be- ginn des Workshops vorstellte. Hier haben Fa- milien die Möglichkeit, telefonisch oder per

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Gender- und diversitygerechte Gestaltung von Suchtprävention und Beratung

Im Rahmen des 18. Kongress Armut und Gesundheit fand ein Workshop zur gender- und diversitygerechten Gestaltung von Suchtprävention und Beratung statt. In diesem Zusammen- hang möchten wir Sie auf die Publikation „Suchtprävention und Beratung gender- und diversitygerecht gestalten – Em- pfehlungen zum Handeln“ hinweisen. Dieser sehr praxisori- entierte Leitfaden zielt vor allem auf eine Sensibilisierung von Multiplikator/innen, Mitarbeiter/innen aus Suchtpräven- tion und -beratung, Schulen, Jugendeinrichtungen, Sportver- einen, Jobcentern, Familienzentren ab und gibt konkrete Tipps für den beruflichen Alltag.

Die Handlungsempfehlungen sind erhältlich über das Bestell- portal der Fachstelle für Suchtprävention im Land Berlin oder im Buchhandel.

Suchtprävention und Beratung gender- und diversitygerecht gestalten – Empfehlungen zum Handeln

broschiert, DIN A4, 50 Seiten, erschienen im August 2012, Euro [D] 12,80 | Euro [A]

12,80 | CHF 15,65; ISBN 978-3-924100-42-1

E-Mail individuell relevante Infor- mationen zu erhalten bzw. an be- darfsgerechte Beratungs- und Unterstützungsangebote weiter- geleitet zu werden. Das Angebot wurde durch das bezirkliche Netzwerk Frühe Hilfen entwickelt und wird über Mittel des Jugend- amts finanziert – ein gutes Bei- spiel für ziel- und produktorien- tierte Netzwerke. Als weiteren guten Anknüpfungspunkt gab El- ke Mattern von der Hochschule für Gesundheit in Bochum einen Überblick zur Einbindung von Hebammen und Familienhebam- men in kommunale und lokale Netzwerke. Diese Impulsbeiträge gaben den Startschuss für eine anschließende breite und ange- regte Diskussion im Plenum.

Workshop „Partizipative Qualitäts- entwicklung in Kitas“

Viele Workshops des Kongresses unterstrichen das Recht und auch die Pflicht von Fachkräften, ihre oftmals knappen Ressourcen zur bedarfsgerechten Gestaltung und Weiterentwicklung der Qualität

von Angeboten einzusetzen. Im Workshop „Par- tizipative Qualitätsentwicklung in Kitas“ wurden die Gesundheitszirkel, das World Café und die Kitatransfertage als effektive Methoden vorge- stellt, wie Qualität gemeinsam entwickelt wer- den kann. Die Kitatransfertage, vorgestellt von Sabine Scheifhacken von Gesundheit Berlin- Brandenburg, werden sowohl in Brandenburg als auch im Berliner Bezirk Marzahn-Hellersdorf von Kitaleitungen und Kita erzieher/innen ge- nutzt, um im Austausch auf gleicher Augenhöhe verschiedene Themen wie z. B. Zusammenarbeit mit Eltern, alltagsintegrierte Sprachentwick- lung, Bewegungsförderung etc. zu diskutieren und gute Ansätze und Ideen untereinander aus- zutauschen. In der gemeinsamen Auseinander- setzung darüber kristallisieren sich handfeste Qualitätskriterien heraus, die Kitas in der Wei- terentwicklung ihrer täglichen Arbeit mit Kin- dern und ihren Familien unterstützen.

Im Rahmen des Kongresses stellten sich viele Projekte und Initiativen vor, die sich engagiert für die Bekämpfung gesundheitlicher Chancen- ungleichheit bei Kindern und Familien einset- zen. Sie machten deutlich, dass auch die Wis- senschaft noch einiges von der Praxis lernen kann.

Danielle Dobberstein, Maren Janella, Andrea Möllmann

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Info_Dienst für Gesundheitsförderung 2_13 Altern und Gesundheit

Altern und Gesundheit

Gesundheit durch politische Partizipation / Gesundheit und Mobilität in Brandenburg / Pflegebedürftigkeit, Behinderung und Teilhabe

„Macht politische Partizipation gesund?“

Impulsvortrag im Forum „Gesundheit durch politische Partizipation“

Als ich Kolleginnen oder Bekannten davon be- richtete, dass ich einen Vortrag mit diesem Ti- tel halten will, fanden viele das nun doch naiv.

Politische Aktivität solle gesund machen?! Po- litisches Engagement sei doch anstrengend, oft frustrierend, und deshalb ganz sicher belas- tend! Das können vermutlich alle bestätigen, die sich für oder gegen etwas einsetzen oder schon einmal eingesetzt haben. Wie komme ich also auf das Thema?

Im Grunde sind es drei Argumente, die ich zu bedenken geben möchte, und die meines Er- achtens dafür sprechen, dass politische Aktivi- tät gut für die Gesundheit ist. Denn Gesundheit hängt nicht zuletzt ab von:

1. den sozialen Beziehungen, also dem sozia- len Kapital, über das Menschen verfügen, 2. von ihren Selbstwirksamkeitsüberzeugun-

gen, d. h. davon, ob sie selbst daran glau- ben, Veränderungen bewirken zu können, und schließlich

3. von den Verhältnissen, in denen die Men- schen leben.

Politisches Engagement bietet die Chance, soziales Kapital aufzubauen Wie hängen soziale Beziehungen und Gesund- heit zusammen? Dazu hat es in den vergange- nen Jahren einige wichtige Untersuchungen und Erkenntnisse gegeben. Schon 1946 hat die WHO festgestellt, dass Gesundheit mehr als die Abwesenheit von Krankheit ist. Gesundheit heißt nach dieser Definition körperliches, see- lisches und soziales Wohlbefinden. Hinter die- ser Definition, die heute Konsens in den Ge- sundheitswissenschaften ist, steht die Er- kenntnis, dass auch die Beziehungen, in denen wir Menschen leben, unser Wohlbefinden stark beeinflussen. Dabei geht es nicht nur um die Beziehungen in der Familie oder im Freundes- kreis. Ganz entscheidend sind auch die in der Schule oder am Arbeitsplatz. Je nachdem, wie wir unsere Sozialkontakte erleben, können sie unsere Gesundheit fördern oder gefährden.

Das Netzwerk aus hilfreichen sozialen Bezie- hungen wird auch als soziales Kapital eines Menschen bezeichnet. Es ist genauso wenig umsonst zu haben wie Geld, denn ein soziales Netzwerk muss aufgebaut und gepflegt wer- den. Ohne Investitionen an Zeit, Kraft, Emotio- nen geht das nicht. Wie beim Geld, zeigt sich soziale Benachteiligung auch beim sozialen

Kapital und ist deshalb ein wichtiger Faktor, um zu erklären, warum sozial benachteiligte Menschen auch gesundheitlich besonders ge- fährdet sind.

Es ist unter den Bedingungen von Armut schwieriger, soziales Kapital aufzubauen und zu pflegen: Beengte Wohnverhältnisse, harte Arbeitsbedingungen oder Erwerbslosigkeit, fi- nanzielle Sorgen im Alltag usw. erzeugen ein Klima, in dem nicht so leicht glückliche Bezie- hungen gedeihen. Dadurch sind die sozialen Netzwerke der Benachteiligten oft kleiner als die der Bessergestellten. Außerdem bleibt man unter sich. Viele Kinder und Jugendliche aus benachteiligten Familien leben in den ent- sprechenden Wohnvierteln, besuchen die ent- sprechenden Schulen usw. Nur selten lernen sie Menschen aus ganz anderen Verhältnissen kennen. Und auch das hat Folgen für ihre Ge- sundheit. Denn ihr Zugang zu Angeboten, In- formationen, Unterstützung in gesundheitli- chen Fragen ist immer nur so gut wie der ihrer Kontaktpersonen. Es fehlt ihnen an Brücken in andere soziale Netzwerke, über die sie an bes- seres Gesundheitswissen gelangen könnten, mit anderen Worten an brücken-bildendem so- zialem Kapital, englisch bridging social capital.

Was hat das nun wieder mit politischer Aktivi- tät zu tun? Wer schon einmal in einer politi- schen Initiative aktiv war, wird bestätigen kön- nen, dass man sich dort oft schnell kennen- lernt. Sich für ein gemeinsames Ziel einzuset- zen, schweißt zusammen. Politische Aktivität ist eine hervorragende Gelegenheit, das sozia- le Netzwerk zu erweitern, und zwar oft auch um Menschen aus anderen Kreisen, also um das brücken-bildende Kapital.

Politische Partizipation stärkt die Selbstwirksamkeitsüberzeugungen Anerkennung in sozialen Beziehungen ist ein sehr wichtiger Faktor, um Selbstwirksamkeits- überzeugungen zu entwickeln. Sie fallen nicht vom Himmel, sondern entstehen in jedem Menschen abhängig von dem, was und wie er

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