Strafvereitelung wegen Nichtanzeige von Straftaten nach Prüfungen durch die Stellen zur Bekämpfung von Fehlverhalten im Gesundheitswesen
Ronny Rudi Richter
internationalen Wirtschaftsstrafrecht 32
Schriftenreihe zum deutschen, europäischen und internationalen Wirtschaftsstrafrecht
Herausgegeben von
Prof. Dr. Uwe Hellmann, Universität Potsdam Jun.-Prof. Dr. Elisa Hoven, Universität zu Köln
Prof. Dr. Dr. h.c. Michael Kubiciel, Universität Augsburg Prof. Dr. Christian Schröder,
Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
Band 32
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Strafvereitelung wegen Nichtanzeige von Straftaten nach Prüfungen durch die Stellen zur Bekämpfung von Fehlverhalten im Gesundheitswesen
Nomos
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Zugl.: Potsdam, Univ., Diss., 2017 ISBN 978-3-8487-4080-2 (Print) ISBN 978-3-8452-8389-0 (ePDF)
1. Auflage 2017
© Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 2017. Gedruckt in Deutschland. Alle Rechte, auch die des Nachdrucks von Auszügen, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, vorbehalten. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.
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Die Juristische Fakultät der Universität Potsdam hat diese Arbeit im Win‐
tersemester 2016/2017 als Dissertation angenommen. Nach Abgabe der Dissertation in Kraft getretene Änderungen der Rechtslage habe ich bei der Aktualisierung des Werkes berücksichtigt und insbesondere durch einen Nachtrag ergänzt. Jüngere Gesetze, Literatur und Rechtsprechung konnte ich bis Anfang Mai 2017 einbeziehen.
Mein herzlicher Dank gilt meinem Doktorvater Herrn Profossor Dr.
Uwe Hellmann. Mit einer einzigen Frage hat er mein wissenschaftliches Interesse geweckt. Er hat die Entstehung dieser Arbeit stets gefördert, wertvolle Anregungen gegeben und war immer bereit für konstruktive Ge‐
spräche. Dafür und für das, was ich von ihm lernen durfte, danke ich ihm herzlich. Außerdem danke ich ihm und seinen Mitherausgebern, Frau Ju‐
nior-Professorin Dr. Elisa Hoven, Herrn Professor Dr. Dr. Michael Kubi‐
ciel und Herrn Professor Dr. Christian Schröder für die Aufnahme dieser Arbeit in die Schriftenreihe zum deutschen, europäischen und internatio‐
nalen Wirtschaftsstrafrecht.
Herr Professor Dr. Georg Steinberg hat das Zweitgutachten in aller Kürze erstellt, zahlreichen Tätigkeiten zum Trotz. Dafür danke ich ihm sehr.
Besonderen Dank möchte ich zudem der Deutschen Gesellschaft für Kassenarztrecht für die Förderung dieser Arbeit durch Gewährung eines großzügigen Druckkostenzuschusses aussprechen, allen voran ihrem Vor‐
stand und dessen Vorsitzenden Herrn Professor Dr. Ulrich Wenner.
Ganz besonders herzlich danken möchte ich schließlich meinen Eltern Gundel und Rudi Richter, meiner Schwester Anke Richter, die mich wäh‐
rend meiner juristischen Ausbildung zu jeder Zeit unterstützt und mir Rückhalt gegeben haben und schließlich meiner besseren Hälfte Annabell Fahnenstich für Ihre Liebe, Ihren Zuspruch und Ihre Geduld. Ihnen vier ist diese Arbeit gewidmet.
München, Mai 2017 Ronny Rudi Richter
Abkürzungsverzeichnis 13
Einführung in die Untersuchung 19
Ablauf der Untersuchung 29
Die Stellen zur Bekämpfung von Fehlverhalten im Gesundheitswesen
1. Kapitel
30 Einrichtung und Weisungsgebundenheit der Stellen
A. 30
Pflicht zur Einrichtung
I. 30
Weisungsgebundenheit der Stellen
II. 31
Tätigkeit der Stellen zur Bekämpfung von Fehlverhalten im Gesundheitswesen
B.
36 Aufgaben der Stellen
I. 36
Fällen und Sachverhalten nachgehen
1. 36
Unregelmäßigkeiten bzw. rechtswidrige oder zweckwidrige Nutzung von Finanzmitteln 2.
39 Fälle mit finanziellem Bezug
3. 43
Beschränkung auf Fälle mit finanziellem Bezug
a) 43
Umfang des finanziellen Bezugs
b) 50
Bezug der Fälle zu den eigenen Aufgaben
4. 55
Aufgaben der KVen
a) 57
Aufgaben der Krankenkassen
b) 60
Umfang der Ermittlungstätigkeit der Stellen
5. 61
Herkunft der Hinweise auf »Fälle und Sachverhalte«
II. 65
Glaubhafte Hinweise Dritter, §§ 81a Abs. 2, 197a Abs. 2 SGB V
1.
65 Hinweise durch Prüf- und Disziplinarverfahren
2. 67
Prüfung auf sachliche und rechnerische Richtigkeit und Plausibilität
a)
67 Prüfungen durch KVen
aa) 67
Prüfungen durch Krankenkassen
bb) 71
Zuständigkeit über Entscheidung der sachlich- rechnerischen Richtigstellung
cc)
71 Zwischenergebnis
dd) 73
Die Wirtschaftlichkeitsprüfung
b) 74
Prüfungsgegenstand
aa) 74
Zuständigkeit
bb) 74
Prüfverfahren
cc) 75
Zwischenergebnis
dd) 80
Disziplinarverfahren
c) 81
Verfahrensgegenstand
aa) 81
Zwischenergebnis
bb) 84
Keine proaktive Ermittlungstätigkeit
3. 84
Zwischenergebnis und Folgerungen
C. 87
Pflicht zur Unterrichtung der Staatsanwaltschaft
2. Kapitel 89
Adressaten der Unterrichtungsaufgabe
A. 89
Organe der KVen und Krankenkassen
I. 90
Vorstände der KVen, der Orts-, Betriebs- und Innungskrankenkassen sowie der Ersatzkassen 1.
90 Vorstände und Geschäftsführer der
Landwirtschaftlichen Krankenkasse und der Deutschen Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See
2.
92 Mitarbeiter der Stellen
II. 94
Voraussetzungen der Unterrichtung
B. 97
Anfangsverdacht
I. 97
Definition und Beurteilungsspielraum
1. 97
Beurteilungsspielraum der Staatsanwaltschaft gemäß § 152 Abs. 2 StPO
a)
102 Meinungsstand
aa) 102
Eigener Standpunkt
bb) 106
Beurteilungsspielraum zur Feststellung des Anfangsverdachts gemäß §§ 81a Abs. 4, 197a Abs. 4 SGB V
b)
116 Meinungsstand
aa) 117
Eigener Standpunkt
bb) 122
Inhaltsverzeichnis
8
Anwendung der Kriterien auf den
Anfangsverdacht gemäß §§ 81a Abs. 4, 197a Abs. 4 SGB V
cc)
125
»Möglichkeit« des Anfangsverdachts
2. 128
Relevante Straftatbestände
3. 132
Meinungsstand
a) 133
Eigener Standpunkt
b) 134
Unterrichtungspflicht als Regelfall
II. 136
Geringfügige Bedeutung für die gesetzliche Krankenversicherung
III.
140 Meinungsstand
1. 140
Eigener Standpunkt
2. 142
Zeitpunkt der Unterrichtung
C. 146
Amtsträgereigenschaft
3. Kapitel 151
Amtsträger
A. 151
Beamte nach § 11 Abs. 1 Nr. 2 a) StGB
I. 151
Dienstherrenfähigkeit
1. 152
Die einzelnen »Dienstverhältnisse«
2. 155
Amtsträger nach § 11 Abs. 1 Nr. 2 b) StGB
II. 157
Amtsträger nach § 11 Abs. 1 Nr. 2 c) StGB
III. 161
Tätigkeit bei einer »Behörde« oder bei einer »sonstigen Stelle«
1.
162 Tätigkeit »bei« einer sonstigen Stelle oder »Handeln im Auftrag«
2.
167 Bestellungsakt
3. 168
Aufgaben der öffentlichen Verwaltung
4. 172
Zwischenergebnis
B. 180
Amtsträgereigenschaft gemäß §§ 258, 258a StGB
C. 181
Garantenstellung
4. Kapitel 187
Garantenstellung als rechtliche Einstandspflicht
A. 187
Entstehungsgrund der Garantenstellung
B. 188
Das Gesetz als weitgehend anerkannter Entstehungsgrund für Garantenstellungen
C.
193 Begründung einer Garantenstellung durch §§ 81a Abs. 4,
197a Abs. 4 SGB V I.
195 Meinungsstand
1. 195
Eigener Standpunkt
2. 197
Zwischenergebnis
II. 202
Anwendbarkeit der Entsprechungsklausel
D. 203
Meinungen zur Anwendung der Entsprechungsklausel
I. 203
Anwendung auf das Unterlassen der Anzeige bei der Staatsanwaltschaft
II.
206 Relevanz des § 14 StGB
E. 207
Tatbestandsausschluss durch berufsadäquates Verhalten
5. Kapitel 208
Berufsadäquates Unterlassen der Unterrichtung der Staatsanwaltschaft
A.
208 Konsequenzen berufsadäquaten Verhaltens
B. 212
Relevanz der Berufsadäquanz des Verhaltens für die Auslegung des § 258 StGB
C.
216 Berücksichtigung des berufsadäquaten Unterlassens im Rahmen der Auslegung des § 258 Abs. 1 StGB
D.
220 Verfolgungsvereitelung
6. Kapitel 225
Eintritt des Vereitelungserfolges
A. 225
Zeitliche Verzögerung
I. 226
Verzögerung der Bestrafung
1. 226
Verzögerungen und Behinderungen von Verfahrenshandlungen
2.
231 Gefahr der endgültigen Verfolgungsvereitelung
3. 232
Erfolgseintritt bei endgültiger Unmöglichkeit der Bestrafung des Vortäters
II.
232 Verzögerung der Ahndung um eine geraume Zeit
B. 236
Objektive Zurechnung des Erfolges
7. Kapitel 249
Zurechnungsanforderungen beim Unterlassen
A. 249
Inhaltsverzeichnis
10
Verhinderung des Erfolgseintritts mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit
B.
251 Anwendung auf das Unterlassen der Unterrichtung der
Staatsanwaltschaft C.
254 Kollegial- statt Einzelentscheidung
D. 255
Subjektiver Tatbestand
8. Kapitel 260
Vorsatz
A. 260
In Bezug auf das Vereitelungsverhalten
I. 260
In Bezug auf die rechtswidrige Vortat
II. 262
Vorsatzanforderungen
1. 262
Eventualvorsatz in Bezug auf die Vortat
2. 264
Vorsatzausschließende Irrtümer
B. 267
Irrtum über den Charakter der Vortat
I. 268
Irrtum über die Voraussetzungen der Anzeigepflicht
II. 269
Zusammenfassung der Ergebnisse
9. Kapitel 272
Nachtrag über den Erlass der »näheren Bestimmungen« 279 Geltung und rechtliche Einordnung
A. 280
Inkrafttreten der »näheren Bestimmungen«
I. 280
Qualifikation der »näheren Bestimmungen«
II. 280
Inhaltliche Auseinandersetzung mit den näheren Bestimmungen
B. 287
Einheitliche Organisation der Stellen
I. 287
Prüftätigkeit der Stellen
II. 289
Aufnahme der Prüftätigkeit
1. 289
Umfang der Prüftätigkeit
2. 292
Adressaten der Unterrichtungsaufgabe
III. 293
Unterrichtung der Staatsanwaltschaft
IV. 293
Unterrichtungspflicht im Regelfall
1. 293
Fälle mit nur geringfügiger Bedeutung für die gesetzliche Krankenversicherung
2.
295 Zusammenfassung
C. 296
Literaturverzeichnis 299
a.a.O. am angegebenen Ort
a.A. anderer Ansicht
abl. ablehnend
Abs. Absatz
AcP Archiv für civilistische Praxis
a.F. alte Fassung
AE-StGB AT Alternativ-Entwurf eines Strafgesetzbuches Allgemeiner Teil
AO Abgabenordnung
AöR Archiv für öffentliches Recht (Zeitschrift)
Art. Artikel
ArztR Arztrecht (Zeitschrift)
Ärzte-ZV Zulassungsverordnung für Vertragsärzte AT Allgemeiner Teil des Strafgesetzbuchs BABl. Bundesarbeitsblatt (Zeitschrift)
BAnz. Bundesanzeiger
BÄO Bundesärzteordnung
BayÄBl. Bayerisches Ärzteblatt (Zeitschrift) BayObLG Bayerisches Oberstes Landesgericht
BBeamtG Bundesbeamtengesetz
BeamtStG Beamtenstatusgesetz
BGB Bürgerliches Gesetzbuch
BGBl. Bundesgesetzblatt
BGH Bundesgerichtshof
BGHSt Entscheidungen des Bundesgerichtshofes für Strafsachen
BHÄV Bayerischer Hausärzteverband
BMV-Ä Bundesmantelvertrag-Ärzte
BMinG Bundeministergesetz
BR-Drucks. Bundesratsdrucksache
BSG Bundessozialgericht
BSGE Entscheidungen des Bundessozialgerichts
BT Besonderer Teil BT-Drucks. Bundestagsdrucksache BR-Drucks. Bundesratsdrucksache
BVerfG Bundesverfassungsgericht
BVerfGE Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts BVerwGE Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts
bzw. beziehungsweise
DÄ Deutsches Ärzteblatt (Zeitschrift)
d.h. das heißt
Die BKK Die Betriebskrankenkasse (Zeitschrift) DOK Die Ortskrankenkasse (Zeitschrift) DÖV Die Öffentliche Verwaltung (Zeitschrift) DRiZ Deutsche Richterzeitung (Zeitschrift) DVBl. Deutsches Verwaltungsblatt (Zeitschrift)
EBM Einheitlicher Bewertungsmaßstab
EKV-Ä Ersatzkassenvertrag-Ärzte
E 1959 Entwurf eines Strafgesetzbuchs, Stand 1959 E 1960 Entwurf eines Strafgesetzbuchs, Stand 1960 E 1962 Entwurf eines Strafgesetzbuchs, Stand 1962
f. folgende Seite
ff. fortfolgende Seiten
Fn Fußnote
FS Festschrift
GA Goldhammer`s Archiv für Strafrecht (Zeitschrift)
G-BA Gemeinsamer Bundesausschuss
GerS Der Gerichtssaal (Zeitschrift) GesR Gesundheitsrecht (Zeitschrift)
GS Gedenkschrift/Gedächtnisschrift
GG Grundgesetz
ggf. gegebenenfalls
GKV Gesetzliche Krankenversicherung
GMG Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversi‐
cherung
GOP Gebührenordnungsposition (Bestandteil des EBM) Abkürzungsverzeichnis
14
GRG Gesundheitsreformgesetz vom 20.12.1988, BGBl. I 2477
GS Gedächtnisschrift
GSG Gesundheitsstrukturgesetz vom 21.12.1992, BGBl. I 2266
GVG Gerichtsverfassungsgesetz
häb Hamburger Ärzteblatt (Zeitschrift)
Hdb. Handbuch
Hdb. d. KrV Handbuch der Krankenversicherung Hdb. FA MedR Handbuch des Fachanwalts Medizinrecht Hdb. d. VaR Handbuch des Vertragsarztrechts HessLT-Drucks. Drucksachen des hessischen Landtages
HK-AKM Heidelberger Kommentar für Arzt-, Krankenhaus- und Medi‐
zinrecht
Hrsg. Herausgeber
HS Halbsatz
HVM Honorarverteilungsmaßstab
HVV Honorarverteilungsvertrag
i.d.F. in der Fassung
inkl. inklusive
i.S. im Sinne
i.S.v. im Sinne von
i.V.m. in Verbindung mit
JA Juristische Arbeitsblätter (Zeitschrift) JR Juristische Rundschau (Zeitschrift) JURA Juristische Ausbildung (Zeitschrift)
jurisPK-SGB IV juris Praxiskommentar Viertes Sozialgesetzbuch jurisPK-SGB V juris Praxiskommentar Fünftes Sozialgesetzbuch JuS Juristische Schulung (Zeitschrift)
JW Juristische Wochenschrift (Zeitschrift)
JZ Juristenzeitung (Zeitschrift)
KaR Kassenarztrecht
KassKomm Kasseler Kommentar
KBV Kassenärztliche Bundesvereinigung
KBVen Kassenärztliche Bundesvereinigungen
KG Kammergericht
Komm Kommentar
KrV Die Krankenversicherung (Zeitschrift)
KV Kassenärztliche Vereinigung
KVen Kassenärztliche Vereinigungen
KVLG Zweites Gesetz über die Krankenversicherung der Landwirte vom 20.12.1988 (BGBl. 1988, Teil I, S. 2557)
KZBV Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung
KZV Kassenzahnärztliche Vereinigung
KZVen Kassenzahnärztlichen Vereinigungen
LG Landgericht
LPK Lehr- und Praxiskommentar
LSG Landessozialgericht
MedR Medizinrecht (Zeitschrift)
MDR Monatsschrift für deutsches Recht (Zeitschrift)
MschrKrim Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform (Zeit‐
schrift)
MüKo-StGB Münchener Kommentar Strafgesetzbuch (Kommentar) NJW Neue Juristische Wochenschrift (Zeitschrift)
Nr. Nummer
NRW Nordrhein-Westfalen
NStZ Neue Zeitschrift für Strafrecht (Zeitschrift) NZS Neue Zeitschrift für Sozialrecht (Zeitschrift)
NZWiSt Neue Zeitschrift für Wirtschafts-, Steuer- und Unternehmens‐
strafrecht (Zeitschrift)
OLG Oberlandesgericht
Pol Die Polizei (Zeitschrift)
RG Reichsgericht
RGBl. Reichsgesetzblatt
RGSt Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen
Rn Randnummer
RPG Recht und Politik im Gesundheitswesen (Zeitschrift)
RVO Reichsversicherungsordnung
S. Satz
SAPV spezialisierte ambulante palliativmedizinische Versorgung
SG Sozialgericht
Abkürzungsverzeichnis
16
SGb Die Sozialgerichtsbarkeit (Zeitschrift)
SGB I Erstes Sozialgesetzbuch
SGB IV Viertes Sozialgesetzbuch
SGB V Fünftes Sozialgesetzbuch
SGB X Zehntes Sozialgesetzbuch
SGG Sozialgerichtsgesetz
SK-StGB Systematischer Kommentar zum Strafgesetzbuch SK-StPO Systematischer Kommentar zum Strafprozessordnung
s.o. siehe oben
SozR Sozialrecht, Entscheidungssammlung des Bundessozialge‐
richts
SpiBuK Spitzenverband Bund der Krankenkassen
StGB Strafgesetzbuch
StPO Strafprozessordnung
StraFo Strafverteidiger Forum (Zeitschrift)
StrR Strafrecht
StV Der Strafverteidiger (Zeitschrift)
s.u. siehe unten
Tb. Teilband
VaR Vertragsarztrecht
Var. Variante
VerwArch Verwaltungsarchiv (Zeitschrift)
VE 1909 Vorentwurf zu einem Deutschen Strafgesetzbuch von 1909
VwGO Verwaltungsgerichtsordnung
VSSR Vierteljahresschrift für Sozialrecht (Zeitschrift)
VVG Versicherungsvertragsgesetz
VwVfG Verwaltungsverfahrensgesetz
wistra Zeitschrift für Wirtschafts- und Steuerstrafrecht (Zeitschrift) WzS Wege zur Sozialversicherung (Zeitschrift)
ZfS Zentralblatt für Sozialversicherung, Sozialhilfe und Versor‐
gung (Zeitschrift)
ZFSH/SGB Zeitschrift für Sozialhilfe und Sozialgesetzbuch (Zeitschrift) ZIS Zeitschrift für Internationale Strafrechtsdogmatik (Zeit‐
schrift)
ZMGR Zeitschrift für das gesamte Medizin- und Gesundheitsrecht (Zeitschrift)
ZRP Zeitschrift für Rechtspolitik (Zeitschrift)
ZStW Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft (Zeit‐
schrift) Abkürzungsverzeichnis
18
Abrechnungsbetrug, Untreue, Korruption, Schmiergeldentgegennahme1 sind Vorwürfe, die von den deutschen Medien in jüngster Zeit nicht selten erhoben wurden, wenn es um Vorgänge im deutschen Gesundheitswesen, insbesondere mit Beteiligung von Leistungserbringern geht. Neu ist dieses Phänomen aber keineswegs.
Schon zu Beginn der 1980er Jahre machten Ärzte und Apotheker durch
»Rezeptschwindeleien« zum Nachteil der Krankenkassen von sich reden2. Der Abrechnungsbetrug des Vertragsarztes gelangte 1985 verstärkt in das Blickfeld der Öffentlichkeit3. Jahre später wurden zudem Fälle der Un‐
treue des Arztes gegenüber den Krankenkassen bei der Verordnung von Arznei- und Heilmitteln gemäß § 266 StGB4, der Bestechlichkeit gemäß
§ 332 StGB bzw. Vorteilsannahme gemäß § 331 StGB, wie im bekannt ge‐
1 MEDICAL TRIBUNE vom 27.11.2015, S. 39, »Korruption: Ist die Annahme von Kugelschreibern schon eine Straftat?«; Stern vom 18.2.2016, S. 66 ff., »Die Krebs Mafia«; ÄRZTE ZEITUNG APP vom 1.3.2016, S. 8, »Korruption: Müssen Ärzte bald Rollkommandos fürchten?«; Süddeutsche Zeitung vom 10.3.2016, S. 16, »Gu‐
tes Geld für Pseudo-Studien«; Berliner Morgenpost vom 11.3.2016, S. 8, »Das frag‐
würdige Nebengeschäft der Ärzte«; Süddeutsche Zeitung vom 11.3.2016, S. 4, »Dr.
Müller-Pharma«; ÄRZTE ZEITUNG ONLINE vom 23.3.2016, Abruf 16:25 Uhr,
»Anti-Korruptionsgesetz: Berufsrechts-Verweis ist vom Tisch«; Süddeutsche Zei‐
tung vom 6.4.2016, S. 34, »Ein Streit zum Abschluss«; Süddeutsche Zeitung vom 8.4.2016, S. 8, »Eigenwillige Praxis«; Süddeutsche Zeitung vom 9.4.2016, S. 7, »Zu viele Lücken im Gesetz«; Der Tagesspiegel vom 12.4.2016, S. 6, »Schwere Opera‐
tion«; Frankfurter Rundschau vom 14.4.2016, S. 16, »Korrupten Ärzten droht Haft«; WELT am SONNTAG vom 17.4.2016, S. 37, »Gefährliche Pfleger«; Süddeut‐
sche Zeitung vom 20.4.2016, S. 17, »Abgerechnet und verkauft«; Süddeutsche Zei‐
tung vom 20.4.2016, S. 33, »Die ganze Palette des Betrugs«; DIE WELT vom 21.4.2016, S. 4, »Jeder Betrugsfall ist einer zu viel«; Süddeutsche Zeitung vom 23.4.2016, S. 8, »Milliarde macht ratlos«; Frankfurter Allgemeine, vom 25.4.2016, S. 17, »Ärzte und Apotheker in Pflegebetrugsskandal verwickelt«; WELT an SONNTAG vom 8.5.2016, S 38, »Die große Abzocke«; Handelsblatt vom 10.5.2016, S. 9, »Justiz fehlt der Biss im Kampf gegen Abrechnungsbetrug«.
2 Der Spiegel vom 29.11.1982, S. 44 ff., »Parfüm vom Apotheker«.
3 Herffs, Abrechnungsbetrug, S. 1 ff.; siehe hierzu in: Der Spiegel vom 30.6.1986, S. 87 ff., »Zäher Wahn«.
wordenen »Herzklappenskandal«5, aufgedeckt. Betrug, Untreue und Kor‐
ruption können in nahezu allen Bereichen des deutschen Gesundheitswe‐
sens auftreten6. Eine der vorläufig letzten Konstellationen sind illegale Zu‐
weisungspauschalen, beispielsweise für die Einweisung von Patienten in Krankenhäuser7.
2012 stellte der Große Senat für Strafsachen des BGH aber fest, dass ein niedergelassener, für die vertragsärztliche Versorgung zugelassener Arzt nicht nach §§ 331, 333 und 299 StGB bestraft werden könne, wenn er im Rahmen der ihm in der vertragsärztlichen Versorgung übertragenen Aufgaben tätig werde. Der zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassene Arzt sei weder Amtsträger im Sinne des § 11 Abs. 1 Nr. 2 c) StGB noch Beauftragter der gesetzlichen Krankenkassen im Sinne des § 299 StGB8. Zugleich stellte der BGH klar, dass er nicht die Möglichkeit habe, eine Strafbarkeit aus bestehenden Strafvorschriften allein aufgrund von Straf‐
würdigkeitserwägungen zu begründen, wenn Tatbestandsstruktur und Wertungen dieser Strafvorschriften einer Strafbarkeit entgegenstehen9.
5 BGH, MedR 2000, 193 (193 f.); OLG Hamburg, MedR 2000, 371 (371 ff.); Die Welt vom 3.3.1997, Abruf am 8.3.2016, »Streit um die richtige Lehre aus dem Herzklappen-Skandal«; Der Spiegel vom 7.7.1997, S. 29 »Kein Herz für Ärzte«;
siehe auch Der Spiegel vom 24.11.1997, S. 114 ff. »Kriminelles Geflecht«.
6 Siehe dazu das Grundsatzpapier von Transparency Deutschland (Stand Juni 2008)
»Transparenzmängel, Korruption und Betrug im deutschen Gesundheitswesen – Kontrolle und Prävention als gesellschaftliche Aufgabe«, S. 53 ff.; siehe dazu nur Journal für Hypertonie 2012, S. 36, »Zuweisung gegen Entgelt«.
7 Transparency International, Pressemitteilung vom 8.6.2010, »Transparency fordert konsequente Bekämpfung von Fangprämien im Gesundheitswesen«; www.medical- tribune.de, 8.5.2012, »Kooperationsarzt im Krankenhaus: Was ist rechtlich mög‐
lich?«; www.aerztezeitung.de, 22.5.2012, »Kassen-Studie unterstellt Ärzten Korrup‐
tion«; www.focus.de, 22.5.2012, »Kassen kritisieren »Fangprämien« und Korrupti‐
on im Gesundheitswesen«; www.Handelsblatt.de, 22.5.2012, »Krankenkassen wer‐
fen Ärzten und Kliniken Korruption vor«; de.reuters.com, 22.5.2012, »Kassen-Stu‐
die: Fangprämien im Gesundheitswesen gängige Praxis«; www.neues-deutsch‐
land.de, 23.5.2012, »Kriminaltango im Krankenhaus – Ärzte räumen Zuweisungen von Patienten gegen Entgelte ein, ihre Funktionäre streiten das ab«; Ausschuss‐
drucksache 17(14)0424(1) zur Anhörung am 15.5.2013, »Stellungnahme MEZIS:
Anhörung Prävention – Regelungen zur Bekämpfung von Korruption im Gesund‐
heitswesen (Anhörung 15.5.2013)«.
8 BGHSt 57, 202 (202 Leitsatz, 204 Rn 8 und 210 Rn 25).
9 BGHSt 57, 202 (217 f. Rn 46).
Einführung in die Untersuchung
20
Schon bald darauf nahmen die Aufrufe gegen korrupte Ärzte10 und For‐
derungen nach neuen Ermittlungsmöglichkeiten durch das Einrichten von Schwerpunktstaatsanwaltschaften11 sowie Aufforderungen zur Regelung neuer Straftatbestände, um eine Bestrafung zu ermöglichen12, zu. Nach‐
dem sich verschiedene Gesetzesentwürfe nicht durchsetzen konnten, ver‐
abschiedete der Bundestag schließlich am 14.4.2016 das »Gesetz zur Be‐
kämpfung von Korruption im Gesundheitswesen«13, das am 4.6.2016 in Kraft getreten ist14.
Der durch Medien erzeugte Druck und die stetig steigenden Lohnne‐
benkosten, unter anderem auch durch Kostenerhöhungen innerhalb der ge‐
setzlichen Krankenversicherung forcierten schon vor Jahren die Suche nach Wegen, die Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) besser zu gestalten. Ein Vorschlag bestand darin, Ausgaben durch Ermittlung von strafrechtlich relevanten Vermögensschädigungen im Be‐
reich der gesetzlichen Krankenversicherung durch Ärzte zu verringern15, denn allein die Schäden durch Abrechnungsbetrug werden auf Beträge in
10 Nordbayerischer Kurier vom 20.4.2013, S. 1, »Kassen-Aufruf gegen korrupte Ärzte«; Nordbayerischer Kurier vom 20.4.2013, S. 1 »Schurkenrolle«; Ruhr Nachrichten vom 20.4.2013, Mantel, »Krankenkassen als Ankläger«; Passauer Neue Presse vom 20.4.2013, S. 2, »Kassen suchen schwarze Schafe – Ärzte em‐
pört«; Augsburger Allgemeine vom 23.4.2013, S. 5, »Patienten als verdeckte Er‐
mittler«; die Tageszeitung vom 28.5.2013, S. 7, »Korrupt sind immer die anderen«.
11 Süddeutsche.de, 13.1.2013, »Fast tausend Ermittlungsverfahren gegen Ärzte«;
Frankfurter Rundschau vom 12.4.2013, S. 4, »Die Mehrheit der Ärzte ist nicht korrupt«; Nordbayerischer Kurier vom 20.4.2013, S. 1, »Kassen-Aufruf gegen korrupte Ärzte«.
12 Der Tagesspiegel vom 3.4.2013, S. 1, »Korrupten Ärzten drohen drei Jahre Haft«;
Der Tagesspiegel vom 3.4.2013, S. 4, »Der Bestechung auf der Spur«; Die Welt vom 4.4.2013, S. 9, »Korrupte Ärzte sollen drei Jahre in Haft«; Süddeutsche Zei‐
tung vom 4.4.2013, S. 8, »Bestechung in der Praxis«; Süddeutsche Zeitung vom 4.4.2013, S. 4, »Endlich ein Gesetz«; Bild.de vom 6.4.2013, »Wie bestechlich sind unsere Ärzte?«; Frankfurter Rundschau vom 12.4.2013, S. 4, »Die Mehrheit der Ärzte ist nicht korrupt«; Nordbayerischer Kurier vom 20.4.2013, S. 1 »Schurken‐
rolle«; ÄrzteZeitung vom 23.4.2013, S. 4, »Korruption: Kammern ohne harten Biss«; Süddeutsche.de vom 15.5.2013, »Länder wollen eigenen Gesetzesentwurf vorlegen«.
13 BT-Drucks. 18/6446, S. 1 ff.
14 BGBl. 2016, Teil I, S. 1254.
15 ÄrzteZeitung vom 30.7.2001, S. 1, »Abrechnungsbetrüger verhindern niedrigere Beiträge in der GKV«; Die Zahnarzt Woche vom 22.8.2001, S. 1, »Abrechnungs‐
Millionenhöhe geschätzt16. Schätzungen über die jährliche Gesamtscha‐
denshöhe im deutschen Gesundheitswesen variieren stark. Einige meinen, der Schaden belaufe sich auf einen Betrag zwischen 6 und 20 Milliar‐
den €17. Andere gehen von ca. 1 Milliarde € aus18. Eine nachvollziehbare Schätzung der Schadenshöhe ist auch der Bundesregierung bis zuletzt nicht möglich gewesen19. Um zukünftig nachvollziehbare Angaben zur Gesamtschadenshöhe zu ermöglichen, erweiterte das »Gesetz zur Be‐
kämpfung von Korruption im Gesundheitswesen« die Berichtspflichten der KVen und Krankenkassen über die Arbeit und die Ergebnisse der Stel‐
len zur Bekämpfung von Fehlverhalten im Gesundheitswesen20.
Den Tätern »dabei auf die Schliche zu kommen« und sie strafrechtlich zu überführen, ist nicht leicht und fordert von jedem damit betrauten er‐
mittelnden Staatsanwalt gute Kenntnisse des deutschen Gesundheitswe‐
sens, Kenntnisse, die jedenfalls nicht unbedingt bei den Staatsanwaltschaf‐
ten, dafür aber bei den Mitarbeitern der großen Akteure, insbesondere den KVen und Krankenkassen vorhanden sind21. Daher verwundert es kaum, dass gerade eine Mitwirkung dieser Akteure gefordert wird, um strafrecht‐
liches Verhalten von Ärzten, Apothekern, Physiotherapeuten, Kranken‐
hausmitarbeitern und anderen Leistungserbringern im Gesundheitswesen aufzudecken. Vorwürfe gegenüber KVen und Krankenkassen, sich nur un‐
zureichend mit der strafrechtlichen Ahndung auseinanderzusetzen, wurden
16 ÄrzteZeitung vom 30.7.2001, S. 1, »Abrechnungsbetrüger verhindern niedrigere Beiträge in der GKV«; Die Zahnarzt Woche vom 22.8.2001, S. 1, »Abrechnungs‐
betrug soll genauer ins Visier genommen werden«.
17 Transparancy International, Nachweise bei Badle, NJW 2007, 1028 (1028); Trans‐
parancy International, Nachweise bei Badle, NJW 2008, 1028 (1028).
18 Kiefer, Nachweise bei Badle, NJW 2007, 1028 (1028); Kiefer, Nachweise bei Badle, NJW 2008, 1028 (1028).
19 BT-Drucks. 17/4943, S. 4; BT-Drucks. 18/6446, S. 24, letzter Absatz.
20 In BR-Drucks. 360/15, S. 23 und BT-Drucks. 18/6446, S. 24 legt die Bundesregie‐
rung dar, mit der Erweiterung der Berichtspflichten, u.a. um die Angaben zum Schaden solle »das tatsächlich weitgehend unklare Ausmaß des Fehlverhaltens im Gesundheitswesen erhellt werden«.
21 Badle, NJW 2007, 1028 (1028) weist darauf hin, dass Verdachtsfälle überwiegend im Bereich der KVen und Krankenkassen bekannt werden, sodass die Ermittlungs‐
behörden auf die Unterrichtung durch KVen und Krankenkassen angewiesen sind;
so auch Badle, NJW 2008, 1028 (1028); Giring, FS-Müller, S. 199 (S. 206).
Einführung in die Untersuchung
22
nicht selten erhoben22. Diese Kritik wurde während der Beratungen zum GMG23 in der Fassung des Regierungsentwurfs besonders deutlich. Die Begründung des Regierungsentwurfs zur ursprünglich geplanten Einbin‐
dung eines Korruptionsbeauftragen gemäß §§ 274a-c E-SGB V lautete:
»In den letzten Jahren hat die öffentliche Diskussion zugenommen, dass Ein‐
zelne oder Gruppen die Strukturen der gesetzlichen Krankenversicherung da‐
hingehend missbrauchen, sich manipulativ Finanzmittel vor allem zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung und sozialen Pflegeversicherung zu verschaffen. Es hat sich gezeigt: Die Akteure unternehmen nicht ausreichende systematische Anstrengungen, damit Missstände abgestellt werden oder straf‐
bares Verhalten verfolgt wird. Das Ausmaß der öffentlich diskutierten Verfeh‐
lungen hat so zugenommen, dass es in Zukunft nicht hinreicht, ein Gegen‐
steuern alleine der Selbstverwaltung der gesetzlichen Krankenversicherung oder deren Arbeitsgruppen auf freiwilliger Basis anzuvertrauen.«24
Insbesondere den KVen wurde vorgeworfen, strafrechtlich relevantes Ver‐
halten von Ärzten nur ungenügend oder gar nicht bei der Staatsanwalt‐
schaft zur Anzeige zu bringen25. Dabei wird jedoch häufig nicht hinrei‐
chend berücksichtigt, dass die KVen als Körperschaften des öffentlichen Rechts neben zahlreichen anderen Aufgaben vor allem die Rechte und In‐
teressen ihrer Mitglieder wahrzunehmen haben, und zwar gegenüber den Krankenkassen, § 75 Abs. 2 S. 1 SGB V, aber auch gegenüber anderen In‐
stitutionen26.
Hinzu kommt, dass sich in vielen Ermittlungsverfahren gegen Ärzte der Verdacht einer strafbaren Handlung nicht bestätigt27. Das zeigt z.B. ein Bericht der hessischen Sozialministerin vom 26.11.200628. Danach wur‐
22 Die Welt vom 4.9.2009, S. 10, »Korruptionsvorwurf: Ärzte wehren sich«; Süddeut‐
sche Zeitung vom 4.9.2009 S. 2, »Die Kranken-Krankenkasse«; Süddeutsche Zei‐
tung vom 4.9.2009, S. 2, »Da fragt keiner nach – Warum die Kontrolle zu lasch ist«; Frankfurter Allgemeine vom 5.9.2009, S. 11, »Bundesaufsicht wirft Kranken‐
kassen schwere Mängel vor«.
23 Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GMG) vom 14. November 2003, BGBl. 2003, Teil I, S. 2190 ff.
24 BT-Drucks. 15/1170, S. 119.
25 Jahn/Sommer-Limpinsel, SGB V-Komm, § 81a Rn 8; Die Welt vom 4.9.2009, S. 10, »Korruptionsvorwurf: Ärzte wehren sich«.
26 BSG, SozR 3-2500 § 75 Nr. 8, S. 34; jurisPK-SGB V-Hesral, § 75 Rn 141; Kass‐
Komm-Hess, SGB V, § 75 Rn 33; Becker/Kingreen-Huster, SGB V-Komm, § 75 Rn 15; LPK-SGB V-Legde, § 75 Rn 26; Schnapp/Wigge-Schiller, Hdb. d. VaR,
§ 5 A Rn 137 u. Rn 181; Laufs/Kern-Steinhilper, Hdb. d. ArztR, § 28 Rn 41 f.
27 Giring, FS-Müller, S. 199 (S. 208).
den von der in Hessen eingerichteten »AG-Ärzte« im Jahr 2005 insgesamt 849 Ermittlungsverfahren gegen Ärzte wie folgt abgeschlossen: nur in einem Ermittlungsverfahren wurde Anklage bei einer Großen Strafkam‐
mer des Landgerichts erhoben, in zwei Fällen wurden Strafbefehle mit je‐
weils einem Jahr Freiheitsstrafe, ausgesetzt zur Bewährung, beantragt, in 181 Ermittlungsverfahren wurde nach § 153a StPO gegen Auflagen von der Verfolgung abgesehen, wobei Zahlungen in Höhe von 2.004.775 € auferlegt wurden29. Eingestellt wurden ferner 114 Ermittlungsverfahren ohne Auflagen nach § 153 Abs. 1 StPO, ein Ermittlungsverfahren gemäß
§ 154 Abs. 1 StPO und 545 Ermittlungsverfahren nach § 170 Abs. 2 StPO30. Insgesamt fünf Verfahren wurden abgegeben oder verbunden31.
Häufig wird den KVen ein zögerliches strafrechtliches Vorgehen gegen die eigenen Mitglieder vorgeworfen32. Angesichts des hohen Anteils an Einstellungen mangels hinreichenden Tatverdachts verwundert ein vor‐
sichtiges Anzeigeverhalten der KVen gegen Ärzte jedoch keineswegs, zu‐
mal eine Anzeige zu gravierenden Eingriffen im Rahmen des Ermittlungs‐
verfahres, z.B. zur Durchsuchung der Praxisräume und zur Beschlagnah‐
me von Dokumenten, führen kann.
Dennoch enthielt der Regierungsentwurf des GMG nicht nur für die Krankenkassen, sondern auch für die KVen eine Unterrichtungspflicht33. Zugleich zog der Regierungsentwurf eine strafrechtliche Verantwortung untätiger Akteure wegen Strafvereitelung in Betracht34.
Die Forderung nach einer Strafbarkeit wegen Strafvereitelung durch Unterlassen im Falle der Nichtanzeige von Straftaten durch Mitarbeiter der KVen und Krankenkassen ist keineswegs neu, denn der Ruf nach straf‐
rechtlicher Mitverantwortung der KVen im Zusammenhang mit dem ver‐
tragsärztlichen Abrechnungsbetrug wurde bereits vor mehr als 15 Jahren
29 Ausschussvorlage/SPA/16/73 S. 13 zur HessLT-Drucks. 16/5596.
30 Ausschussvorlage/SPA/16/73 S. 13 zur HessLT-Drucks. 16/5596.
31 Ausschussvorlage/SPA/16/73 S. 13 zur HessLT-Drucks. 16/5596.
32 Jahn/Sommer-Limpinsel, SGB V-Komm, § 81a Rn 8; Die Welt vom 4.9.2009, S. 10, »Korruptionsvorwurf: Ärzte wehren sich«.
33 BT-Drucks. 15/1170, S. 13 und S. 34.
34 BT-Drucks. 15/1170, S. 78.
Einführung in die Untersuchung
24
laut35. Noch länger – mehr als 25 Jahre – liegt die Forderung nach einer Anzeigepflicht der KVen zurück36.
Dieser Forderung kam der Gesetzgeber im Jahre 2004 nach. Das GMG verpflichtete die KVen und die KBVen gemäß § 81a SGB V, die Kranken‐
kassen gemäß § 197a SGB V, die Landwirtschaftliche Krankenkasse37 ge‐
mäß § 26 Abs. 1 S. 3 KVLG i.V.m. § 197a SGB V, den Spitzenverband Bund der Krankenkassen und – nur wenn angezeigt – die Landesverbände der Krankenkassen dazu, Stellen zur Bekämpfung von Fehlverhalten im Gesundheitswesen38 einzurichten. Die gleiche Pflicht trifft die Pflegekas‐
sen, den Spitzenverband Bund der Pflegekassen und – ebenfalls nur wenn angezeigt – die Landesverbände der Pflegekassen, § 47a Abs. 1 S. 1 und S. 2 SGB XI i.V.m. § 197a Abs. 1 S. 1 SGB V. Anders als die Krankenkas‐
sen und ihre Verbände haben die Pflegekassen und ihre Verbände jedoch nicht selbst die Stellen einzurichten, sondern die Aufgaben werden von den jeweiligen bereits bei den Krankenkassen und ihren Verbänden einge‐
richteten Stellen wahrgenommen, § 47a Abs. 1 S. 1 und S. 2 SGB XI i.V.m. § 197a SGB V.
Die Aufgabe dieser Stellen besteht darin, Fällen und Sachverhalten nachzugehen, die auf »Unregelmäßigkeiten« oder auf die »rechtswidrige oder zweckwidrige Nutzung von Finanzmitteln« im Zusammenhang mit den Aufgaben der jeweiligen in §§ 81a Abs. 1 S. 1, 197a Abs. 1 S. 1 SGB V genannten Einrichtungen hindeuten.
Wenn die Prüfung dieser Stellen ergibt, dass ein Anfangsverdacht auf strafbare Handlungen mit nicht nur geringfügiger Bedeutung für die ge‐
setzliche Krankenversicherung (GKV) bestehen könnte, sollen die KVen,
35 Vgl. ÄrzteZeitung vom 5.3.1998, S. 10, »Der Labormarkt im Zwielicht, das Motto etlicher KVen ist: Nichts hören und nicht sehen«; ÄrzteZeitung vom 10.6.1998, S. 8, »Inkonsequente Prüfungen? Nordrheins KV-Vize fürchtet Ermittlungen der Staatsanwälte nicht – Ärzte zeigen Vorstand der KVNo an«.
36 Für eine Anzeigepflicht: Teyssen/Goetze, NStZ 1986, 529 (533 f.); Teyssen, Arzt und Abrechnungsbetrug, 105 (121); gegen eine Anzeigepflicht: Bandisch, Arzt und Abrechnungsbetrug, S. 175 (S. 197); Schnapp, Arzt und Abrechnungsbetrug, S. 196 (S. 196); Schnapp/Düring, NJW 1988, 738 (741); Steinhilper, Arzt und Ab‐
rechnungsbetrug, S. 5 (S. 12 f.).
37 Gemäß § 166 SGB V führt die »Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau« in Angelegenheiten der Krankenversicherung die Bezeichnung
»Landwirtschaftliche Krankenkasse«, nachfolgend werden deshalb beide Bezeich‐
nungen verwendet.
die KBVen, die Krankenkassen, ihre Landesverbände, ihr Spitzenverband Bund, die Pflegekassen, ihre Landesverbände und ihr Spitzenverband Bund die Staatsanwaltschaft unverzüglich unterrichten. Es handelt sich um eine gesetzlich ausdrücklich geregelte Aufgabe. Unterbleibt eine Unter‐
richtung, so kommt nach der Gesetzesbegründung die Bestrafung wegen Strafvereitelung, § 258 StGB, in Betracht39. Näheres zur Ermittlungs- und Unterrichtungstätigkeit ist bis zum 1.1.2017 von den KBVen gemäß § 81a Abs. 6 SGB V und dem SpiBuK gemäß § 197a Abs. 6 SGB V zu regeln40.
Die Formulierung und der Nutzen der §§ 81a, 197a SGB V sind bislang überaus umstritten. Während zum Teil den Stellen bei den KVen kein effi‐
zienter Einsatz prophezeit41 und ein Beleg für die Effizienz der Stellen vermisst wird42, sehen andere einen Nutzen in der gezielten Bekämpfung von Fehlverhalten, weil damit Kosten und somit Versichertengelder in einem möglicherweise beitragsrelevanten Umfang eingespart werden könnten43. Darüber hinaus stärke die Stelle das Vertrauen der Versicherten in ihre Krankenkasse44. Die §§ 81a, 197a SGB V schüfen wichtige Voraus‐
setzungen für die effektive Bekämpfung von Betrug und Korruption im Gesundheitswesen45.
Die kritischen Stimmen überwiegen jedoch. Die Vorschrift sei fachlich missglückt und werde in jeder Hinsicht praktisch leer laufen46, es handele sich um eine »eher kryptische« Formulierung, soweit der Gesetzgeber von
»Fällen« und »Sachverhalten« spricht47. Die in §§ 81a, 197a SGB V ge‐
wählten Begriffe seien »nicht ganz eindeutig«, das gelte in besonderer Weise für den in § 81a Abs. 2 SGB V verwendeten Imperativ (»gehen den Hinweisen nach«)48. Der in § 81a Abs. 4 SGB V verwendete Terminus
39 BT-Drucks. 15/1525, S. 99.
40 Die § 81a Abs. 6 und § 197a Abs. 6 SGB V sind am 4.6.2016 mit dem »Gesetz zur Bekämpfung von Korruption im Gesundheitswesen« in Kraft getreten, BGBl. 2016, Teil I, S. 1254.
41 Steinhilper, MedR 2005, 131 (134); vgl. auch Steinhilper, FS-Dahm, S. 463 (S. 465).
42 Laufs/Kern-Steinhilper, Hdb. d. ArztR, § 37 Rn 4.
43 Pierburg, Die BKK 2004, 487 (489).
44 Pierburg, Die BKK 2004, 487 (489).
45 Badle, NJW 2007, 1028 (1028); Badle, NJW 2008, 1028 (1028); ähnlich Reichel, Pol 2006, 20 (24).
46 Müller, FS-Arge-MedR, S. 893 (S. 903).
47 Liebold/Zalewski-Hofmann/Zalewski, KaR, § 81a C 81a-4.
48 HK-AKM-Dahm/Schmidt, 1780 Rn 20.
Einführung in die Untersuchung
26
»nicht nur geringfügige Bedeutung« sei »schillernd«49. In Folge der
»überwiegend vagen Gesetzesformulierungen [sei] ein uneinheitliches Vorgehen [in] der Praxis zu erwarten.«50 Es drohe zudem die Gefahr eines
»Kompetenzwirrwarrs«, wenn die Aufgaben der Stellen nach § 81a SGB V nicht umgrenzt werden51. Die Stellen würden eine »politische Drohkulisse mit systematisch unklaren Folgen« aufbauen52. Es bestehe die Gefahr einer »großzügigen« Umsetzung der Anzeigepflicht, damit der An‐
zeigepflichtige wegen der ihm drohenden Strafbarkeit wegen Strafvereite‐
lung nicht selbst »in das Visier« der Staatsanwaltschaft gerät53. Die Krimi‐
nalisierung eines ganzen Berufsstandes drohe54. Es könnten sich »leicht defizitäre strafrechtliche Vor-Urteile auf Seiten der GKV-Kontrollstellen mit defizitären GKV-rechtlichen Bewertungen auf Seiten der Staatsan‐
waltschaften verbinden.«55 Die Bestimmungen dürfen deshalb nicht als eine »Aufforderung zum Denunziantentum missverstanden werden«56. Andere weisen diesen Einwand zurück und erklären, die Aufgabenwahr‐
nehmung durch die Stellen habe »mit Denunziantentum […] nichts zu tun«, denn es gehe um öffentliche Gelder, die aus gesetzlich festgelegten Beiträgen der GKV-Versicherten finanziert worden seien57.
Die Arbeit geht der Frage nach, ob eine Strafbarkeit nach §§ 258 Abs. 1 1.Var., 13 StGB in Betracht kommt, soweit eine sich aus §§ 81a Abs. 4, 197a Abs. 4 SGB V, § 26 Abs. 1 S. 3 KVLG i.V.m. § 197a SGB V, § 47a Abs. 1 S. 1 u. S. 2 SGB XI i.V.m. § 197a Abs. 4 SGB V ergebende Unter‐
richtungspflicht verletzt wird. Allerdings beschränkt sich die Untersu‐
chung zum einen auf die Unterrichtung der KVen und Krankenkassen und zum anderen auf die Konstellationen, in denen ihre Stellen Fehlverhalten im Bereich der vertragsärztlichen Versorgung ermitteln. Alle Akteure und alle Bereiche der gesetzlichen Krankenversicherung zu erfassen, d.h. auch die zahnärztliche Versorgung, die vorstationäre, stationäre, teilstationäre
49 HK-AKM-Dahm/Schmidt, 1780 Rn 22.
50 HK-AKM-Dahm/Schmidt, 1780 Rn 22.
51 Schirmer, VaR, S. 513.
52 Schirmer, VaR, S. 513.
53 Rixen, ZFSH/SGB 2005, 131 (133); Rixen, SozR. öff. WirtschR., S. 355 f.
54 Ratzel/Luxenburger-Hartmannsgruber, Hdb. MedR, § 7 Rn 49.
55 Rixen, ZFSH/SGB 2005, 131 (133); Rixen, SozR. öff. WirtschR., S. 355.
56 So Peters-Hencke, Hdb. d. KrV, § 81a Rn 3, 55. Lieferung, August 2004; ebenso Peters-Hencke/Degener-Hencke, Hdb. d. KrV, § 81a Rn 3, 79. Lieferung, Januar 2013.
und die nachstationäre Versorgung, die Versorgung mit Heil-, Hilfs- und Arzneimitteln, die ambulante spezialfachärztliche Versorgung gemäß
§ 116b SGB V und schließlich die Versorgung durch die Pflegekassen etc., würde den Umfang der Arbeit sprengen.
Die Strafvereitelung gemäß § 258 StGB ist ein Anschlussdelikt58, d.h., eine Strafbarkeit wegen Vereitelung einer Straftat ist nur möglich, wenn eine Vortat gegeben ist, die zudem alle Bedingungen der Strafbarkeit er‐
füllt59. In unserem Zusammenhang kommen mehrere Straftaten als Vortat in Betracht, ihre detaillierte Untersuchung muss aber, um den Umfang der Arbeit nicht zu überdehnen, entfallen. Zum Abrechnungsbetrug des Ver‐
tragsarztes liegen ohnehin schon mehrere Monographien vor60. Ebenso wenig werden die verschiedenen Tat- und Teilnahmeformen der Strafver‐
eitelung erörtert. Die Behandlung der Vollstreckungsvereitelung unter‐
bleibt, weil sie in unserem Zusammenhang keine Besonderheiten aufweist.
58 Siehe dazu nur Altenhain, Das Anschlußdelikt, S. 2; Eisele, StrR BT II, Rn 1102;
Heghmanns, StrR BT, Rn 1673; Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf, StrR BT, § 25 Rn 2; SSW-StGB-Jahn, § 257 Rn 1 und § 258 Rn 4; Rengier, StrR BT I, § 21 Rn 1;
Satzger, JURA 2007, 754 (755); Sch/Sch-Stree/Hecker, Vorbem. §§ 257 ff. Rn 2 und § 258 Rn 3; LK-Walter, Vor § 257 Rn 1 und § 258 Rn 2.
59 NK-StGB-Altenhain, § 258 Rn 11; SSW-StGB-Jahn, StGB-Komm, § 258 Rn 3 i.V.m. § 257 Rn 5 f.; vHH-Ruhmannseder, StGB-Komm, § 258 Rn 4 und 5; Sch/
Sch-Stree/Hecker, § 258 Rn 3; LK-Walter, § 258 Rn 20.
60 Siehe nur: Hancok, Abrechnungsbetrug durch Vertragsärzte; Hellmann/Herffs, Der ärztliche Abrechnungsbetrug; Herffs, Der Abrechnungsbetrug des Vertragsarztes.
Einführung in die Untersuchung
28
Eine Strafbarkeit wegen Strafvereitelung durch Unterlassen setzt das Be‐
stehen einer Pflicht zur Unterrichtung der Staatsanwaltschaft voraus. Fehlt es an einer Pflicht, kann das Unterlassen der Unterrichtung keine Pflicht‐
verletzung sein, der sekundäre Charakter des Strafrechts steht einer Straf‐
barkeit entgegen; die Sanktion setzt einen Verstoß gegen eine Verhaltens‐
norm voraus61.
Bevor sich die Arbeit der Unterrichtungspflicht zuwendet, erläutert sie im 1. Kapitel die Stellen und ihre Aufgaben. Dabei findet auch eine Ab‐
grenzung der Aufgaben der Stellen zu den Aufgaben der Staatsanwalt‐
schaft statt.
Im 2. Kapitel widmet sich die Untersuchung den Fragen, wer Adressat der gesetzlichen Unterrichtungsaufgabe ist, welche Tatbestandsmerkmale die Unterrichtung voraussetzt und in welchen Fällen eine Pflicht zur Un‐
terrichtung besteht.
Im 3. Kapitel richtet die Arbeit den Blick auf die Amtsträgereigenschaft der Adressaten der Unterrichtung. Insbesondere wird herausgearbeitet, dass die zur Unterrichtung verpflichteten Personen nicht Amtsträger i.S.v.
§ 258a StGB sind. Das 4. Kapitel geht der Frage nach, ob die zur Unter‐
richtung verpflichteten Personen Garanten gemäß § 13 StGB sind.
Während im 5. Kapitel untersucht wird, inwieweit berufsadäquates Ver‐
halten der mit der Unterrichtung beauftragten Personen als »Vereiteln« ge‐
mäß § 258 StGB gewertet werden kann, rücken das 6. und das 7. Kapitel die Fragen, wann ein Vereitelungserfolg vorliegt und unter welchen Vor‐
aussetzungen er der zur Unterrichtung verpflichteten Person zuzurechnen ist, in den Mittelpunkt der Untersuchung.
Das 8. Kapitel untersucht den subjektiven Tatbestand der Strafvereite‐
lung gemäß § 258 StGB, insbesondere nimmt es zu möglichen Irrtumkon‐
stellationen Stellung. Das 9. Kapitel fasst die wesentlichen Ergebnisse der Arbeit zusammen.
61 Freund, StrR AT, § 1 Rn 12; MüKo-StGB-Freund, Vor §§ 13 Rn 46 versteht »das Strafrecht als sekundäre Normenordnung«; Kindhäuser, StrR AT, § 2 Rn 2;
Die Stellen zur Bekämpfung von Fehlverhalten im Gesundheitswesen
Gegenstand der Untersuchung ist die Strafvereitelung wegen unterlassener Unterrichtung der Staatsanwaltschaft gemäß §§ 258, 13 StGB. Die Aufga‐
be zur Unterrichtung der Staatsanwaltschaft ergibt sich aus §§ 81a Abs. 4, 197a Abs. 4 SGB V. Sie ist der Ermittlungstätigkeit der Stellen nachgela‐
gert. Das ergibt sich aus dem Wortlaut in §§ 81a Abs. 4, 197a Abs. 4 SGB V, der lautet: »[…] wenn die Prüfung ergibt […]«, und aus dem Kon‐
text zu den §§ 81a Abs. 1 S. 1, 197a Abs. 1 S. 1 SGB V, die die Prüfungs- und Ermittlungstätigkeit der Stellen regeln. Folglich werden Fälle, die nicht Bestandteil der Ermittlungstätigkeit der Stellen sind, auch nicht von der Unterrichtungsaufgabe gemäß §§ 81a Abs. 4, 197a Abs. 4 SGB V um‐
fasst.
Die Untersuchung wendet sich daher, noch bevor die Voraussetzungen einer Unterrichtungspflicht erörtert werden, zunächst den Stellen zu und erläutert die von den Stellen wahrzunehmenden Aufgaben.
Einrichtung und Weisungsgebundenheit der Stellen
Pflicht zur Einrichtung
Seit dem Inkrafttreten des GMG am 1.1.200462 sind die KVen und die KBVen verpflichtet, Stellen zur Bekämpfung von Fehlverhalten im Ge‐
sundheitswesen einzurichten, § 81a Abs. 1 S. 1 SGB V. Die gleiche Pflicht erlegt § 197a Abs. 1 S. 1 SGB V den Krankenkassen und dem Spitzenver‐
band Bund der Krankenkassen und – nur wenn angezeigt – auch den Lan‐
desverbänden der Krankenkassen auf. § 26 Abs. 1 S. 3 KVLG i.V.m.
§ 197a SGB V überträgt diese Aufgabe schließlich auch der Landwirt‐
schaftlichen Krankenkasse.
1. Kapitel
A.
I.
62 Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GMG) vom 14.11.2003, BGBl. 2003, Teil I, S. 2190 ff.
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