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3. März 2016 An die Staats- und Regierungschefs Europas

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3. März 2016

An die Staats- und Regierungschefs Europas

Wir, nationale und internationale Organisationen, die entlang der sogenannten westlichen Balkanroute in Griechenland, der ehemaligen jugoslawischen Republik Mazedonien, Serbien und Kroatien arbeiten, verurteilen die diskriminierenden und gefährlichen Maßnahmen, welche einige europäische Staaten gegenwärtig im Rahmen einer Politik der Abschreckung unternehmen, um die Einreise schutzbedürftiger Menschen, die auf der Suche nach Sicherheit sind, zu unterbinden.

Am 21. Februar 2016 haben einige europäische Staaten ihre Grenzen für Flüchtlinge aus Afghanistan geschlossen. Diese Maßnahme führte dazu, dass eine große Anzahl von Flüchtlingen nun in Griechenland festsitzt und in den Ländern des westlichen Balkans bisweilen chaotische Zustände herrschen. Einreisebeschränkungen aufgrund der Nationalität verstoßen gegen das Recht jedes Menschen auf eine individuelle Bewertung seiner Bedürftigkeit nach internationalem Schutz – und damit auch gegen internationale sowie europäische Flüchtlings- und Menschenrechte. Diese neuesten Entwicklungen stellen eine weitere Verengung der selektiven und willkürlichen Aufnahmepolitik dar. Diese setzte bereits Ende 2015 ein, als Europa seine Grenzen für all jene schloss, die nicht aus den „kriegszerrütteten“ Ländern Syrien, Irak oder Afghanistan kamen.

Diese neue Politik gehört zu einem Paket restriktiver Maßnahmen, welche die Sicherheit, die Rechte und das Wohlergehen von Menschen beeinträchtigen, die auf der Flucht nach Europa sind.

Bei einem Treffen am 18. Februar 2016 veröffentlichten die Polizeichefs von Österreich, Slowenien, Kroatien, Serbien und der ehemaligen jugoslawischen Republik Mazedonien eine Erklärung, in der neue Methoden der Identifikation und Registrierung angekündigt wurden. Diese haben das Potenzial, das Recht von Personen auf internationalen Schutz auf willkürliche und illegale Weise einzuschränken.

So wird in diesen Ländern die Einreise aus humanitären Gründen nur Menschen, die aus

„kriegszerrütteten Gebieten“ fliehen und „internationalen Schutz benötigen“, gewährt – und zwar nur, wenn ihre Nationalität bewiesen ist. Eine solche Maßnahme kann möglicherweise das Recht auf die Beantragung von Asyl1 verletzen sowie gegen die Verpflichtung aller Mitgliedsstaaten des Europarats zur Nichtdiskriminierung bei Einwanderungskontrollen, unter anderem aufgrund der

1Gemäß der Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 kann Asyl beantragt werden u. a. aus wohlbegründeter Furcht, wegen Zugehörigkeit zu einer bestimmten Rasse, Religion, Nationalität oder sozialen Gruppe oder einer politischen Überzeugung verfolgt zu werden.

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nationalen und sozialen Herkunft2, verstoßen. Zudem erlaubt die Erklärung weitere Einschränkungen auf der Grundlage „jeglicher anderer Beschränkungen von Zielländern“ wie zum Beispiel der Tagesobergrenze, die Österreich am 20. Februar eingeführt hat und die die Europäische Kommission für unvereinbar mit europäischem Recht und dem Völkerrecht hält3. Familienzusammenführung gehört auch zu den Gründen, aus denen einer Person die Einreise verweigert werden kann, obwohl das Recht auf Einheit der Familie zum Kernbestand des Völkerrechts gehört und Staaten dazu angehalten sind, geflüchteten Familien die Zusammenführung mit ihren Angehörigen zu ermöglichen.

Laut einer Ankündigung auf einem Treffen der Polizeichefs von Serbien und Bulgarien am 20.

Februar dürfen Flüchtlinge nur noch über Preševo (von der ehemaligen jugoslawischen Republik Mazedonien) nach Serbien einreisen. Außerdem würden Serbien und Bulgarien gemeinsame Maßnahmen ergreifen, um die weitere Einreise von Bulgarien nach Serbien zu verhindern. Diese Entwicklung ist angesichts der Berichte von Misshandlungen und rechtswidriger Behandlung von Flüchtlingen in Bulgarien4 sehr besorgniserregend. Außerdem ist Serbien dazu verpflichtet, Flüchtlingen die Einreise an jedem Grenzübergang zu erlauben5.

Die Maßnahmen widersprechen nicht nur geltendem internationalem und europäischem Recht zum Schutz von Asylsuchenden, sie vergrößern auch das Leid der Betroffenen und verschlimmern die bestehende humanitäre Krise. Plötzliche Grenzschließungen oder Einreisebeschränkungen führen dazu, dass Menschen unter unzureichenden und unmenschlichen Bedingungen auf sich selbst gestellt werden, da in Grenzbereichen nur selten große Zahlen von Menschen untergebracht werden können. Nachdem afghanische Flüchtlinge in viele Länder nicht mehr einreisen dürfen und neue Kontrollverfahren eingeführt wurden, sind Tausende Menschen, die zuvor ihr gesamtes Vermögen für die teure Reise nach Europa ausgegeben haben, gestrandet. Häufig müssen sie im Freien übernachten und haben keinen Zugang zu grundlegender Versorgung. Zurückzukehren ist nur für wenige eine Option, stattdessen wenden sich viele an Schlepper, um die Reise fortsetzen zu können – den ohnehin schon schutzbedürftigen Menschen drohen so verstärkt Gefahren wie Missbrauch, Gewalt und Ausbeutung. Wir sind besonders um Familien, Frauen und unbegleitete minderjährige Flüchtlinge besorgt – viele von ihnen aus Afghanistan – die durch Europa reisen, da die neuen Bestimmungen sie verstärkt zum Untertauchen drängen und sie so von humanitären Akteuren nicht erreicht werden können.

Wir rufen die europäischen Regierungen dazu auf, ihren internationalen Verpflichtungen nachzukommen und sich dafür einzusetzen, dass die unmittelbaren humanitären Bedürfnisse von Menschen auf der Flucht erfüllt werden. Die Regierungen müssen vor allem:

- die gegenwärtigen selektiven Einreisebestimmungen aufheben und ihrer Verpflichtung nachkommen, eine faire und gründliche Prüfung des Flüchtlingsstatus ungeachtet der Nationalität zu gewährleisten. Außerdem haben Asyl suchende Kinder

2Siehe z. B. “East African Asians v. the United Kingdom” (Eur. Komm, 1973); “Abdulaziz, Cabales and Balkandali v. the United Kingdom”; “Cyprus v. Turkey” und “Kiyutin v. Russia”

3Unter anderem: "Bruxelles demande l’Autriche de revenir sur son quota de demandeurs d’asile" (Le Monde, Feb. 2016), "Austrian cap on asylumseekers infuriates Commission" (Euractiv, 19. Feb. 2016)

4Belgrade Centre for Human Rights: “Safe Passage”-Zeugnisse von in Dimitrovgrad ankommenden Personen, Serbien, 20.-22.

Oktober 2015

5Artikel 22 das Asylgesetzes lautet: "Jeder Ausländer/jede Ausländerin kann bei einer Grenzkontrolle bei der Einreise in die Republik Serbien oder auf deren Staatsgebiet einem/einer befugten Polizeibeamten/Polizeibeamtin des Innenministeriums mündlich oder schriftlich seine/ihre Absicht kundtun, Asyl zu beantragen."

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das Recht auf eine auf dem Kindeswohl basierende Prüfung und auf eine individuelle Untersuchung ihrer Schutzbedürfnisse.

- unverzüglich für die Bedürfnisse jener Sorge tragen, die ihre Reise nicht fortsetzen können und ihnen verstärkt Aufnahme und Unterstützung zuteilwerden lassen, die Menschenwürde und Menschenrechte respektieren. Es sollten Vorkehrungen getroffen werden, um Notunterkünfte für besonders schutzbedürftige Kinder und Familien einzurichten.

- die gewaltsame Zurückweisung (besonders in Länder, in denen den Schutzsuchenden Verfolgung droht) beenden, da den Menschen dadurch das Recht verwehrt wird, einen Asylantrag zu stellen. Für jene Menschen, die kein Anrecht auf internationalen Schutz haben, muss sichergestellt werden, dass bei einer Rückführung ihre grundlegenden Menschenrechte geachtet werden.

- zusammenarbeiten, um ein koordiniertes Vorgehen bei der Krisenbekämpfung sicherzustellen. Dieses muss auf Informationsaustausch und Kooperation basieren und einseitige Maßnahmen vermeiden, welche zu einem gefährlichen Domino-Effekt führen können, der für schutzbedürftige Menschen besonders gefährlich ist. Es wird dringend eine gemeinsame Strategie benötigt, damit die betroffenen Staaten, insbesondere Griechenland, angemessene Ressourcen und finanzielle Mittel zur Verfügung haben, um den Menschen an ihren Grenzen Schutz und Unterstützung zu gewähren.

- sichere und legale Wege nach Europa für Asylsuchende schaffen, damit keine Menschen mehr auf ihrer gefährlichen Reise sterben und die Nachfrage nach Menschenschmuggel und illegalen Schleppernetzwerken verringert wird. Es ist offensichtlich, dass die gegenwärtige Abschreckungspolitik mit ihren Stacheldrahtzäunen, einschüchternden Polizeikräften und geschlossenen Grenzen verzweifelte, schutzsuchende Menschen kaum aufhält.

Die Staaten Europas haben die Pflicht, verletzliche Menschen zu schützen und die Rechte und Würde aller Menschen, die an ihren Grenzen ankommen, zu respektieren. Stattdessen zeigt die aktuelle Politik, auf welch gefährlichem Weg sich Europa befindet, indem europäische und internationale Flüchtlings- und Menschenrechte immer weiter untergraben werden. Noch kann Europa jedoch seinen Kurs korrigieren und Maßnahmen beschließen, die dem geltenden Recht entsprechen und schutzbedürftigen Menschen auf europäischem Territorium sofortigen Schutz bieten.

ActionAid

Albanian Helsinki Committee Belgrade Center for Human Rights Civic Initiatives Belgrade

Civil Rights Program Kosovo Doctors of the World Greece

European Council on Refugees and Exiles Građanskeinicijative – Civic Initiative Greek Council for Refugees

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Greek Forum of Refugees Grupa 484

Helsinki Committee for Human Rights in Serbia

Humanitarni centar za integraciju i toleranciju (HCIT)

Hrvatski pravni centar

International Rescue Committee Lawyers Committee for Human Rights Macedonian Young Lawyers Association Norwegian Refugee Council

Open Gate - La Strada Oxfam

Practical Policy Centre Serbia Praksis

Praxis Serbia Save the Children Solidarity Now

VluchtelingenWerk Nederland

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