ÄTHIOPIEN UND DER YEMEN UM 1650
Von E. van Donzel, Leiden
In seiner Sirat al-HabaSa^ erzählt der yemenitische Gesandte Hasan b.
Ahmad al-gaymi, daß der äthiopische König Fäsiladas (regierte 1632-
1667) ihm im Trunk die Genehmigung erteilte, aus Gondar nach seinem
Land zurückzukehren. Dieses Detail ist eines von den vielen, die al-Hay-
mi's Bericht über das Äthiopien um 1650 enthält.
Die Initiative zu seiner am 4. Juli 1647 in Sahära, der Burg der zaiditi¬
schen Imäme, angefangenen Reise hatte bei Fäsiladas gelegen. Bereits
1642 hatte der König dem Imäm al-Mu'ayyad billäh geschrieben, er
wünsche seine Freundschaft und er hoffe, der Imäm werde ihn über eine
neue Route durch die Danakil-Wüste zum Roten Meer informierend Die
Sprache des Briefes ist nicht eindeutig; wir können aber aus al-Haymi's
Bericht Folgendes schließen.
Der König wollte einen neuen Handelsweg nach Baylül eröfTnen, einem
kleinen Hafen am Roten Meer nördlich von Assab. Masavma', damals der
einzige Hafen Äthiopiens, war seit 1557 von den Türken besetzt'. Wegen
der großen Schwierigkeiten, die den äthiopischen Kaufleuten dort gemacht
wurden, lag ein von den Türken unabhängiger Hafen also im äthiopischen
Interesse. Der Weg von Gondar nach Baylül führte aber durch die gefähr¬
liche Danakil-Wüste, wo Feuerwaffen unentbehrlich waren. Türken und
Portugiesen besaßen zwar solche Waffen, da beide aber Feinde Äthiopiens
waren, konnte Fäsiladas sich nicht an sie wenden. Um 1550 hatten osma-
lüsche Truppen unter der Leitung von Özdemir Pascha zwar vergeblich ver¬
sucht, den Zugang zum äthiopischen Hochland zu beherrschen, doch seit¬
dem war fast der ganze In- und Export in den Händen der Türken. Anderer¬
seits waren die Portugiesen schon 1632, bei Fäsiladas Herrschaftsüber¬
nahme, wegen ihres römisch-katholischen Glaubens von ihm selber aus
dem Land verbarmt worden, und die Furcht vor einem portugiesischen
Gegenangriff von Goa aus war noch größer als seine Abneigung gegen die
Türken.
So kam nur der yemerütische Imäm als Lieferer von Feuerwaffen in
Frage. 1635" war es den Zaiditen im Yemen gelungen, die osmaiüschen
Truppen zu besiegen. Beeindruckt von diesem großen Erfolg war Fäsiladas
' F. E. Peiser: Der Gesandtschaftsbericht des Hasan ben Alytned El-Haimi (sie).
Herausgegeben von -. Berlin, 1894, 48.
^ Biblioteca Anibrosiana, ms. ar. 115, fol. 118"; 'Abdallah b. Hamid al- Hiyayd: Sifärat al-imäm al-MutawaJckü 'alü AUäh Ismä'il b. al-Qäsim ilä l-balät al- malaki fi 'ä^imat ai-haba&a (ründär 1057/1647. In: Magallat Kulliyat al-Sari'a wa'l- diräsät al-islämiya. Mekka 1397-8, Bd. III, S. 24-5.
C. Conti Rossini: La Guerra turco-abissina del 1578. In: Oriente Moderno 1
(1921-2), S. 634-6, 684-91; H (1923), S. 48-57.
F. Wüstenpeld: Jemen im XI. (XVII.) Jahrhundert. Die Kriege der Türken, der Arabischen Imame und die Gelehrten. Mit einem geographischen Anhange. Göttingen,
1885, S. 56.
- so kann man wohl annehmen - auf die Idee gekommen, die Zaiditen
könnten ihm bei seinem Plan behilflich sein. Die frommen Muslime im
Yemen aber konnten - wie sich unschwer vorstellen läßt - an einer fast rein
äthiopischen Angelegenheit, nämlich dem Handelsweg nach Baylül, nur
dann Interesse zeigen, wenn auch der Islam dadurch gefördert würde.
Beziehungen nach außen, besonders zu einem christlichen König, dessen
Untertanen teilweise Muslime waren, boten vielleicht Möglichkeiten, den
Islam zu verbreiten. Eine solche Mentalität spricht m. E. aus der Antwort
des Imäms al-Mu'ayyad billäh vom Pebruar 1643 auf das Schreiben des Fä¬
siladas von 1642. Der lange Briefl enthält fast alle Koranstellen, die die
Beziehungen zwischen Muslimen und Christen behandeln. Der Imäm
vränscht sich den Bund der Bruderschaft, den die Religion ermöglicht,
erklärt aber auch, daß „die Nachkommen der Familie des Propheten - d. h.
die Zaiditen - fortfahren, seine Religion und sein Gesetz für uns zu bewah¬
ren, seine Einladung an die Schwarzen und Roten - d.h. an die gesamte
Menschheit - zu verteidigen und sich in Protest zu erheben, indem sie das
Schwert des Heiligen Krieges ziehen gegen alle, die sich seinem Befehl
widersetzen". Er hofft, „daß dieser edle Sultan und nicht-arabische König auf Gottes Befehl ein Helfer für uns sein wird, ein Helfer, wie es die Apostel
waren". Auch erkennt der Imäm die Nachbarschaft an, womit wohl die Not¬
wendigkeit von friedlichen Beziehungen gemeint ist.
Aber, wde al-Haymi berichtet'', beeilt sich der Imäm nicht, solche enge¬
ren Beziehungen anzuknüpfen. Nur wenn der König einen zweiten Brief
sende, so sagt der Imäm seinen Ratgebern, werde man seinem Wunsch
entgegenkommen und einen hohen yemenitisehen Gesandten nach Äthio¬
pien schicken.
Fäsiladas ließ die Sache nicht ruhen. Die Baylül-Route muß ihm sehr
wichtig gewesen sein. Er muß aber auch verstanden haben, daß für die Zai¬
diten eine islamfreundliche Haltung seinerseits conditio sine qua non war,
um sich für seine Baylül-Pläne zu interessieren. Es lag also aufder Hand,
„Baylül" und „Islam" zu verknüpfen, ähnlich dem berühmten „Paris vaut
bien une messe" des französischen Königs Henri IV. Aus der weiteren
Geschichte geht hervor, daß man Fäsiladas derartige Überlegungen zumu¬
ten kann.
Fünf Jahre später, 1647, reiste al-Hägg Sälim b. 'Abd al-Rahim, derselbe
äthiopische Muslim, der schon 1642 dem Imäm den ersten Brief überreicht
hatte, nach Sahära ab. Fäsiladas Brief ist nicht überliefert, der Inhalt ist
aber aus al-Haymi's Bericht bekannt'. Der König bittet den Imäm al-Muta¬
wakkil 'alä Alläh, der 1644 seinem Bruder al-Mu'ayyad billäh nachgefolgt
war, er solle den hohen yemenitisehen Funktionär rasch senden. Es han¬
delte sich dabei, wie al-Haymi berichtet, um „ein Geheimnis, das nicht ein¬
mal in den Dokumenten zur Sprache kommen durfte und über das der
' Biblioteca Ambrosiana, ms. ar. 115, fol. 120'-123'; al-IJiyayd; Sifära, S. 25- 30.
'' Peiser: Gesandtschaftsbericht, S. 3.
' Peiser: Gesandtschaftsbericht, S. 4.
König seinen Gesandten nicht informiert hatte, aus Angst vor den Neidern
- womit wohl der äthiopische Klerus gemeint ist - und vor den Schwierig¬
keiten, die dem König selbst daraus entstehen könnten". Uber den Inhalt
dieses sogenannten „Geheimnisses" werden wir nicht informiert. Auch die
Yemeniten, so geht aus al-Haymi's Bericht hervor, waren sich nicht klar
darüber, ob sie die Absichten des Königs richtig verstanden. Es scheint mir
aber, daß das Geheimnis mit der Verknüpfung von Islam und Baylül zu tun
hatte. Wenn ich al-Haymi's Text richtig interpretiere, enthielt das Schrei¬
ben des Fäsiladas zweierlei: einen Punkt, der nicht völlig geheim bleiben
konnte, und einen zweiten, der zwar in Äthiopien geheim bleiben sollte,
aber darm im Yemen große Erwartungen hervorrief.
Der nicht ganz zu verheimlichende Punkt war Fäsiladas Absicht, einen
neuen Handelsweg nach Baylül zu eröfTnen. Er wollte den Imäm auffor¬
dern, Gesandte über Baylül und rücht über Masawwa' nach Äthiopien zu
schicken, damit der Weg von Baylül ins Hochland - tatsächlich gefährlich,
wie al-Haymi noch erleben sollte - durch die yemenitisehen Waffen siche¬
rer werde. Al-Haymi, der noch im selben Jahr 1647 über Baylül nach Äthio¬
pien reiste, läßt keinen Zweifel daran, daß er es nur den Feuerwaffen ver¬
dankte, die Gefahren dieses Weges überstanden zu haben.
Der zweite geheim zu haltende Punkt im königlichen Brief von 1647 muß
wohl die Anspielung auf das Interesse am Islam gewesen sein. Nur so kann
man die hohen Erwartungen erklären, die der Brief in Sahära hervorrief,
und auch die Art und Weise, in der der äthiopische Gesandte vom Imäm
empfangen wurde. In der Öffentlichkeit hätte der König in dieser Weise
nicht vorgehen können. Am äthiopischen Hof irgendeine Sache geheimzu¬
halten, war schon an sich unmöglich, wie al-Haymi bemerkt*, geschweige
denn ein Vorhaben, das so sehr gegen die christliche Tradition des Landes
verstieß. Ein Aufstand des Hofes, und ganz besonders des Klerus, wäre
sicherlich das Resultat gewesen. Eine ofTizielle Erklärung des Körügs, er
hätte Sympathie fur die römisch-katholische Religion, das heißt also für
die Portugiesen, hätte kaum schlimmer sein können. Die islamische Kom¬
ponente im „Islam-und-Baylül"-Plan mußte unbedingt verborgen bleiben,
jedenfalls in Äthiopien. Auf der anderen Seite des Roten Meeres aber wur¬
den Brief und Gesandter mit großem Enthusiasmus empfangen. Der Imäm
al-Mutawakkil 'alä Alläh, noch in Niebuhr's Tagen (1763) als ein sehr from¬
mer Muslim verehrt', brachte al-Hägg Sälim in einer Privataudienz großes
Interesse entgegen und fragte ihn, was er von den Absichten des Königs
hielt. Sälim antwortete: „Ich glaube, der König will zum Islam übertreten".
Der Imäm war begeistert, und die Mehrheit seiner Ratgeber waren mit ihm
der Meinung, man solle einen Gesandten nach Äthiopien schicken, um die
wirklichen Absichten des Köiügs ausfindig zu machen. Al-Mutawakkil 'alä
Alläh blieb dennoch vorsichtig. Er gab al-Haymi, inzwischen zum Leiter
' Peiser: Gesandtschaftsbericht, S. 43.
' C. Niebuhr: Beschreibung von Arabien. Kopenhagen, 1772, 194-5; id. Reisebe¬
schreibung nach Arabien und andem umliegenden Ländem. 2 Bde, Kopenhagen,
1774-8, I, S. 458-9.
der Mission ernannt, den Auftrag, bei der ersten Audienz nur den soge¬
nannten offenen Brief zu zeigen, in dem die Antwort und die Geschenke
erwähnt waren. Einen zweiten Brief, der offensichtlich über den Übertritt
des Königs zum Islam handelte, sollte er nur zeigen, „wenn du (al-Haymi)
herausfindest, daß er die Religion des Islam, die alle anderen Religionen
überragt, annehmen will"'".
Und so reiste al-Haymi, wie gesagt, am 4. Juli 1647 von Sahära ab. Über
Baylül traf er nach einer gefährlichen Reise am 17. März 1648 in Gondar
ein. Ehrenvoll von Fäsiladas empfangen, zeigte er den offenen Brief vor.
Den zweiten aber hielt er zurück, weil ihm schon sehr bald während einer
Privataudienz klar geworden war, daß der König rücht am Islam interes¬
siert war. Offenbar sprach Fäsiladas nur über sein Baylül-Projekt, denn am
Ende der Audienz fragte al-Haymi, (der übrigens das Thema des Gesprä¬
ches nicht erwähnt, vielleicht weil der König ihn um Geheimhaltung gebe¬
ten hatte, bis er es dem Imäm mitgeteilt hätte), ob dies der Grund sei, wes¬
halb der König ihn habe kommen lassen. Fäsiladas antwortete: „Ja, in der
Tat, so ist es. Es ist eine wichtige Sache, die nur Leute wie du fiir sich
behalten können". Al-Haymi war offenbar enttäuscht und unzufrieden,
denn er drängte weiter: „Hältst du nicht noch etwas anderes in deinen
Gedanken zurück? Diese Audienz ist doch die beste Gelegenheit, um die
Angelegenheit zu untersuchen und die tiefsten Geheimiüsse zu offenba¬
ren". Da antwortete Fäsiladas: „Das ist alles. Es gibt keinen anderen
Grund, aus dem du hättest zu uns kommen müssen '".
Das war fiir al-Haymi das Ende einer Illusion. „Keinem in diesen!
Palast", so klagt er, „war an der Aufforderung zum Islam {da'wa) gelegen,
und keiner ging darauf ein. Der Körüg und wir waren wie Leute, von denen
man sagt: Du bist in dem einen wädi und ich im anderen, und für dich steht
noch viel zwischen dem Wünschenden und seinem Wunsch". Und fast
wortwörtlich wiederholte er die entsprechenden Worte des Imäms: „Und
so wandten wir uns von ihm ab, ließen einen Vorhang zwischen uns her¬
unter und verschlossen uns ihm"'d
Die entscheidende Audienz fand am 23. März 1648 statt, sechs Tage
nach al-Haymi's Ankunft in Gondar. Er hätte also schon Ende März wieder
abreisen können und wollte wahrscheiidich nichts lieber. Er mußte aber
erfahren, daß es noch nie leicht gewesen war, den äthiopischen Hof ohne
Erlaubnis des Königs zu verlassen. Erst im Dezember begann die Rück¬
reise. Die Regenzeit von Juli bis September, von der al-Haymi sehr beein¬
druckt war, mag diesen langen Aufenthalt mit bevrirkt haben, die meiste
Zeit ging aber damit hin, daß sich der Gesandte mit dem König über den
Rückweg stritt: Baylül oder Masawwa'.
Für al-Haymi kam der gefährliche Weg über Baylül rücht in Frage. Er
hatte einfach Angst vor dieser Route, und auch heute kann man ihn darin
verstehen. „Nicht zweimal", so zitiert er ein bekanntes Sprichwort, „wird
Peiser: Gesandlschaftsbericht, S. 9.
" Peiser: Gesandtschaftsbericht, S. 44.
Peiser: Gesandtschaftsbericht, S. 44.
einer gebissen, der sich vor einundderselben Schlangenhöhle hütet"". Es
muß aber für den frommen Muslim aus dem Yemen noch einen anderen
Grund gegeben haben, dem Wunsch des Königs, über Baylül zurückzukeh¬
ren, nicht zu entsprechen. Da Fäsiladas seinen Anteil am Projekt, nämlich
seine Bekehrung zum Islam, nicht wahrgemacht hatte, wollte al-Haymi
sich auf keinen Fall am Baylül-Plan des Königs beteiligen. Fäsiladas hatte
den Imäm und seinen Gesandten betrogen hinsichtlich dessen, was ihnen
am tiefsten am Herzen lag: ihre Religion. Und so wurde al-Haymi gezwun¬
gen, von zwei Übeln das kleinere zu wählen und sich mit den Türken in
Masawrwa' in Verbindung zu setzen. Er schrieb dem Imäm, er wolle über
diesen Hafen zurückkehren und schlug seinem Gebieter vor, er solle den
türkischen Pascha um freies Geleit bitten.
Trotz der Feindschaft zwischen Türken imd Yemeniten, die al-Haymi
dem äthiopischen König gegenüber deutlich erwähnt'", war der Pascha von
Masawwa' sehr besorgt gewesen, als er hörte, daß der yemenitische
Gesandte über Baylül gereist war. Seine Sorge galt ohne Zweifel den zehn
Prozent Zoll-Einnahmen des Hafens'^, die gefährdet wurden, falls das Bay¬
lül-Projekt des Königs gelänge. Hinzu kam wohl, daß ein eventuelles Bünd¬
nis zwischen dem Yemen und Äthiopien ihm als Bedrohung erscheinen sein
mußte. Er sandte einen Gesandten zum äthiopischen Hof, augenscheinlich
um dem König ein Geschenk darzubringen, in Wirklichkeit aber, um den
Grund ausfindig zu machen, weshalb der Yemenit nicht über Masawwa'
gekommen war. Der yemenitische Gegner sollte dazu beitragen, die tür¬
kische Monopolstellung in Masawwa' zu sichern, und al-Haymi hatte offen¬
sichtlich nichts dagegen.
Seinerseits wollte der König von einer Rückkehr über Masawwa' nichts
wissen. Kurz nach der oben erwähnten Privataudienz schickte al-Haymi
den Dolmetscher des Hofes, al-äarif Muhammad b. Müsä aus Bukhärä, der
vom Islam abgefallen war, zu Fäsiladas mit der Bitte, über Masawwa'
zurückkehren zu dürfen. Offenbar hatte der König diese Möglichkeit noch
nicht in Erwägung gezogen. Da ihn einmal diese Bitte überraschte und er
zum anderen betrunken war, willigte Fäsiladas ein, und der türkische
Pascha in Masawwa' wurde sofort von al-Haymi informiert. Jedoch nahm
der Körüg seine Einwilligung alsbald wieder zurück.
Fast neun Monate stritten Fäsiladas und al-Haymi sich über den Rück¬
weg. Der König versuchte, al-Haymi's Gefährten zu beeinflussen und zwar
mit Geschichten über die schlechte Behandlung, die sie von Seiten der Tür¬
ken zu erwarten hätten. Ganz grundlos waren solche Geschichten nicht,
aber al-Haymi hatte mehr Vertrauen zu seinen feindseligen Glaubensge¬
nossen als zu dem unzuverlässigen König. Schließlich gab Fäsiladas nach,
aber erst, nachdem al-Haymi eine Erklärung unterzeichnet hatte, aus der
hervorging, daß die Entscheidung, über Masavma' zu reisen, und ein damit
verbundener möglicher Mißerfolg zu seinen Lasten und nicht zu denen des
" Peiser: Ge.iandtschqftsbericht, S. 45.
'" Peiser: Gesandtschaftsbericht, S. 48-9.
" E. VAN Donzel: Foreign Relations of Ethiopia. Leiden/Istanbul 1979, S. 9-10.
Königs ginge. Diese Erklärung wurde al-Hägg Sälim übergeben, der sie
dem Imäm überreichen sollte.
Und so konnte al-Haymi dann endlich am 16. Dezember 1648 Gondar
verlassen. Uber Masawwa' kehrte er nach Sahära zurück, wo er am 19.
März 1649 ankam. Nach einem Jahr und fünf Monaten war seine Sirat al-
HabaSa beendet. Sehr enttäuscht darüber, daß jede Hoffnung, den äthiopi¬
schen König zum Islam zu bekehren, sinidos war, rief er in einer der beiden
Qasiden, die er seinem Bericht hinzufügt, zum §ihäd gegen Äthiopien auf
Obwohl der Heilige Krieg den Zaiditen ein vertrauter Begriff war, ist
schwer festzustellen, ob der Gedanke an ein solches Unternehmen ernst¬
haft gemeint war. Gerade al-Haymi mußte wissen, wie außerordentlich
schwer dieser güiäd sein vmrde.
In seinem Bericht erwähnt al-Haymi kein einziges Geschenk des Königs
für den Imäm. Offenbar hatte er auch keines, denn kurz nachdem er Äthio¬
pien verlassen hatte, sandte Fäsiladas dem Imäm Pferderüstzeug als
Geschenk. Im Geleitbrief entschuldigte er sich für die Verspätung, wie aus
der Antwort des Imäms von 1651 hervorgeht". Wollte Fäsüadas sich an al-
Haymi rächen, indem er dem Gesandten kein Geschenk für seinen Herrn
mitgab? Ein solches Verfahren war doch wohl sehr ungewohnt, auch wenn
die diplomatische Mission mißlungen war.
Imäm al-Mutawakkil 'alä Alläh nahm die Geschichte mit den Geschen¬
ken nicht so schwer. Wenn Geschenke der Grund für die Gesandtschaft des
al-Haymi gewesen wären, so schreibt er dem König, dann hätte ein Über¬
bringer, der niedriger gestellt war, dergleichen erledigen können. „Im
Gegenteil, ihn (al-Haynü) haben wir ausgewählt, um dir in unserem Namen
das Geschenk der Religion und die Einladung zum Islam zu überbringen,
nachdem wir in dir die Bereitschaft spürten, diese anzunehmen, und nach¬
dem du uns gebeten hattest, einen Gesandten zu schicken . . . Dies ist das
Geschenk, an das wir dachten, das Verlangen, das wir hegten, das Ziel,
nach dem vrir strebten, und der Schatz, dem wir zueilten". Der Imäm
erwähnt dann die wohlbekannte Korrespondenz zwischen Muhammad und
dem Nagäsi, dem Negus von Äthiopien. Der Grund für diese Erwähnung
liegt auf der Hand: „Es ist unsere Pflicht, dich dazu aufzufordern, wozu
unser Vorfahr aufgefordert hat, und es ist deine Pflicht, dem zuzustimmen,
dem dein Vorfahr zugestimmt hat". Nachdem er sich für die Geschenke aus
Äthiopien bedankt hat, fährt der Imäm fort: „Mit deinem Gesandten haben
wir auch deine Erklärung über deinen Brief empfangen. Mit Gottes Erlaub¬
nis wird das dahin führen, daß wir das erwünschte Ziel und die verlangte
Sache erreichen, also in Gottes Wort zusammenkommen und vereinigt sind
in der Sache Gottes und im Wort". Aus dieser Bemerkung kann man viel¬
leicht schließen, daß Fäsüadas in einem Geheimschreiben ein andermal,
sogar nach dem Mißerfolg von al-Hajoni's Mission, auf sein Interesse am
Islam angespielt hatte. Jedenfalls schien der Imäm noch nicht alle Hoff¬
nung auf des Königs Bekehrung zum Islam aufgegeben zu haben. Aber auch
hier war der Wunsch der Vater des Gedankens.
Biblioteca Vaticana, ms. ar. 971, fol. 152"; al-Hiyayd: Sifära, S. 37-9.
Ob es nach diesem Brief des Imäms von 1651 noch weitere Korrespon¬
denz zwischen den Imämen und den äthiopischen Königen gegeben hat,
ist bisher nicht bekannt. Die äthiopischen Quellen, fast immer nur auf das
Land selber, oder besser auf den Hof, bezogen, sprechen nicht davon.
Außer bei al-6annüzi, aus dessen Arbeit" die oben erwähnten Briefe stam¬
men, gibt es vielleicht noch weiteres Material bei den anderen yemeniti¬
sehen Autoren.
" 'Abdallah b. Hamid al-Hiyayd: al-Mutahhar b. Muhammad al-Öarmüzi wa-
mu'allafätuhu 'an al-dawla al-Qäsimiya. In: Magallat al-mu'arrikh al-'arabiya. Bagh¬
dad, VIII, S. 58-70; R. B. Serjeant: The Portuguese off the South Arabian Coast.
Oxford 1963, S. 113; R. B. Serjeant and Ronald Lewcock: San'a'. An Arabian
Islamic City. London 1982, S. 79a.
SYMMETRIE UND PAARBILDUNG IN DER
KORANISCHEN ESCHATOLOGIE
PHILOLOGISCHES ZU SURAT AR-RAHMAN^
Von Angelika Neuwirth, Amman
Ein charakteristisches Beispiel für grammatisch-stilistische Grenzphä¬
nomene im Koran, die dem kritischen Erklärer besondere Probleme auf¬
geben, bietet der Dualgebrauch in den Paradiesbeschreibungen in Sürat ar-
Rahmän (55), V. 46-76. Über die Erklärung der Tatsache, daß hier - statt
wie sonst üblich - nicht von ^anna bzw. ^annät, sondem von ^annatän die
Rede ist - wa-li-man häfa maqäma rabbihi ^annatän -, sind die ilamischen
Exegeten wie in vielen anderen Fällen, nie zu einem einhelligen Verständ¬
nis gelangt. Was der Behandlung dieser Sure in der Exegese ihr besonderes
Interesse verleiht, ist eine Diskussion, die - Anfang des 3. Jh. von einem
Philologen ausgelöst - nicht nur die exegetischen Positionen zu diesen Ver¬
sen in zwei diametral entgegengesetzte Lager gespalten hat, sondern zu¬
gleich auch die einer rhetorisch-poetologischen Koranerklämng innewoh¬
nende Problematik in aller Schärfe zutage gebracht hat.
Die Duale in Sure 55 sind seit Nöldekes bahnbrechendem Jugendwerk
von 1860 ein Musterbeispiel für die angeblich forcierte Redeweise des
Korans, die durch den Reim erzwungen sein soll. „Wenn z. B. in der 55.
Sure von zwei himmlischen Gärten die Rede ist mit je zwei Quellen und
zwei Arten von Früchten und noch zwei anderen Gärten, so sieht man
deutlich, daß die Duale dem Reim zuliebe gebraucht sind"^ - eine mechani¬
stische Erklämng, von der sich auch die spätere Forschung nicht befreit
hat.
Wie verhält es sich wirklich mit der Frequenz der Duale imd welche
Funktion kommt ihnen zu?
1. Das Verständnis der ganzen Sure steht und fällt mit dem Verständnis
des Refrains fa-bi-ayyi älä'i rabbikumä tukaddibän - eine polemische
Frage, die beim Auftreten (V. 13) an das unmittelbar folgend genannte
generische Paar Menschen/ömwew gerichtet ist. Die Kombination ins/
§inn vrird im weiteren Verlauf der Sure noch fünfmal über den Gesamttext
verteilt; die im Refrain immer wieder angesprochenen Gmppen sind also
auch im Text selbst stets deutlich präsent. Nun geht das Spiel mit den Phä¬
nomenen der Paarigkeit aber über diese Kombination ins/^inn weit hinaus
und macht vielmehr den spezifischen Charakter der ganzen Sure aus. Eine
Fülle von Phänomenen schließen sich in dieser Sure zu Paaren zusammen
(was hier aus Zeitgründen nur für den Anfang der Sure vorgestellt werden
kann): zunächst die Himmelskörper sams/qamar in V. 5, dann die beiden
' Eine ausfiihriichere Bearbeitung dieses Themas wird hoffentlich in den
Melanges P. Michel Allard et P. Paul Nwyia, hrsg. von P. Pouzet, in Beüut erschei¬
nen können.
^ Th. Nöldeke: Geschichte des Qoräns. Göttingen 1860, S. 30; unverändert über¬
nommen in zweite Auflage: GdQ^, S. 40.