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586

Zur Textkritik des Awestä.

Von F. Spiegel.

Die neuerdings erfolgte Veröffentlichung kritisch berichtigter

Texte, welche die Scbriften von Bartholomae, Geiger und de Harlez

entbalten, giebt mir eine erwünschte Gelegenheit, mich über meine

eigenen Grundsätze bei der Textkritik des Awestä ausführlicher

auszusprecben. Dass sich auf diesem Gebiete ebenso grosse Ab¬

weichungen zeigen , wie auf dem Gebiete der Interpretation, kann

bei der Verscbiedenheit der Standpunkte nicbt im mindesten auf¬

fallen, denn auch hier will die Burnoufsche Richtung die iränische

Philologie auf dieselbe Basis gestellt wissen, auf welcher die

übrigen Zweige der Philologie aucb stehen, also auf die historische,

während dagegen die Bopp'sche Richtung vielmehr die Sprach¬

vergleichung als Grundlage der Porschung anzusehen bestreht ist.

1.

Es ist wohl nicht zu viel behauptet, wenn wir sagen, dass

heut zu Tage der Awestätext von den meisten Forschern mit dem

festen Glauben aufgescblagen wird , es sei erwiesen , dass wir im

Awestä einen Text vor uns baben, der bis ins 8. Jahrhundert v. Chr.

zurückgeht. Da nun unsere ältesten Handschriften erst im 14. Jahrb.

n. Cbr. beginnen, so liegt ein ungeheurer Zwischenraum zwischen

der Abfassung des Buches und seiner ersten schriftlichen Be¬

zeugung , und es bedarf kaum noch des Beweises , dass der Text

von Jahrhundert zu Jahrhundert bedeutende Verändemngen erlitten

habe. Mit Hülfe der verwandten Spracben, vor Allem mit Hülfe

des Sanskiit, sucbt man sich ein ungefähres Bild zu macben, wie

etwa die eränische Sprache im 8. Jahrb. v. Chr. ausgesehen haben

möge, mit diesem Bilde tritt man an die Handschriften heran,

und von ihm ist die Gestaltung des Textes vielfach abhängig.

Was nun . mich selbst betrifFt, so habe icb von jeher gesucht, mich

von allen vorgefassten Meinungen möglichst firei zu balten. Für

mich ist also das Awestä zunäcbst nur ein Buch aus dem Jahre

1323 n. Chr., denn bis zu diesem Zeitpunkte lassen sich unsere

(2)

Spiegel, mr Textkritik des Awesta. 587

Handschriften zurückfiihren. Es bedarf indess keines grossen Auf¬

wandes von Gelehrsamkeit, um zu zeigen, dass die heiden Schrift¬

arten, in welchen der Text und die alte Uebersetznng des Awestä

geschrieben ist, im 14. Jahrh. unserer Zeitrechnung in denjenigen

Landstrichen, aus welchen unsere Awestähandschriften ursprüng¬

lich stammen, nicbt mehr im allgemeinen Gebrauche gewesen sind.

Von einer dieser Schriftarten, von derjenigen nämlich, in welcher

die Uebersetzung des Awesta geschrieben ist, vermögen wir auch

ganz genau zu sagen , in welcher Zeit sie im Gebrauche war.

"Wir finden sie nämlich zuletzt auf den in Eran geprägten Münzen

der ersten Khalifen, und von da aufwärts bei den iränischen

Fürsten in der letzten Periode der Sasanidenherrschaft, endlich

auf den Münzen der Säsäniden selbst, von dem letzten aufwärts

bis zu Qobad I, bei den fHiheren Säsäniden ist eine etwas ab¬

weichende Schriftart in Gebrauche; die Schrift der Awestäüber-

setzung stammt mithin etwa aus dem 6. Jahrh. n. Chr. Es ist

von vorneherein wahrscheinlich, dass die Schrift mit welcher der

Awestätext geschrieben ist, ungefähr aus derselben Zeit stammen

werde, wie die Schrift der Uebersetzung, denn die meisten Zeichen

stimmen in Form und Bedeutung vollkommen äberein. Wir können

hier den Gegenstand natürlich nicht näher erörtem, wir begnügen

uns also , blos zu sagen , dass eingehende Forschungendie all¬

gemeine Ueberzeugung hervorgemfen haben, es sei die Awestä¬

schrift erst aus der säsänidischen Münzschrift hervorgegangen, wie

sie sich seit Qobäd I entwickelt hatte, und hervorgemfen durch

das Bedürfniss einer genaueren Bezeichnung der Laute, als sie in

der älteren, höchst unvollkommenen Scbrift möglich war, zu dem

Ende wurde nicht nur die Zahl der Zeicben für die Consonanten

7ermebrt, sondem es wurden auch für die früher fast gar nicht

bezeichneten Vocale soviele Zeichen erfunden, als nöthig erschienen,

um alle Nuangen derselben auszudrücken. Dieses Alphabet, das

die Vocale nicht nur vollständig bezeicbnet, sondern sie auch mit

den Consonanten auf gleiche Stufe setzt, rmterscheidet sich dadurch

von allen ursprünglichen orientahschen Alphabeten, denn selbst

das Sanskrit und das altpersische Alphabet betrachten die Vocale

mehr als eine Zugabe , denn als ebenbürtig mit den Consonanten.

Nur ein sehr spät entstandenes Alpbabet macht davon eine Aus¬

nahme , nämlich das armenische , und an dieses schhesst sich das

Awestäalphabet nach seiner ganzen Einrichtung an. Wie nun bei

der Zusammensetzung des armenischen Alphabetes griechischer

Einfluss nachweisbar ist, so lässt sich derselbe —• mittelbar oder

nnmittelbar — auch bei dem Awestäalpbabete vermuthen , denn

das griechische Alphabet war den Eräniem zur Zeit Qobäds I

lange bekannt und seine Vorzüge für die Wiedergabe eines Textes

in einer indogermanischen Sprache, den semitischen Alphabeten

1) Vgl. Hübschmann in Kuhn's Zeitschrift für Sprachforschung 24, 368 flf.

(3)

588 Spiegel, zur Textkritik des Awestä.

gegenüber, nmsste ihnen einleuchten. Die Träume von einem

alten in Baktrien erfundenen heiligen Alpbabete, mit welchem das

Awestä geschrieben sei, sind wohl für immer zerronnen, unser

Awestäalphabet gehört weder nach Baktrien noch ist es jemals

ein heiliges Alphabet gewesen, die Eränier bedienten sich von

jeher semitischer Alphabete, und aus diesen ist auch das Awestä¬

alphabet hervorgegangen. Nach dem Gesagten ist nun wohl klar,

dass der Awestätext, in der Form, in welcher wir ihn jetzt vor

uns haben, nicht vor Anfang des 6. Jabrh. unserer Zeitrechnung

aufgezeichnet sein kann. Damit ist freilich nicht gesagt, dass

derselbe erst in jener Zeit entstanden sei, vielmebr weisen uns

die Handschriften selbst mehrfach auf eine frühere Gestaltung des

Textes hin, vor Allem wird aber eine so späte Abfassung des

Awestätextes unwahrscheinlich durch die Awestasprache. Wir

wissen jetzt genug von den Sprachverhältnissen des alten Erän

um behaupten zu dürfen, dass die Awestasprache im 6. Jahrh.

unserer Zeitrechnung längst ausgestorben war, es liegt also nicht

blos die Möglichkeit, sondem selbst die Wahrscheinlichkeit vor,

dass der Text des Awestä in einer weit finiheren Zeit entstand

und in einer wenig vollkommenen semitischen Schriftart fort¬

gepflanzt wurde, bis zu dem Zeitpunkte, wo er in die voll¬

kommnere Awestäschrift umgeschrieben wurde. Mit ziemlicher

Sicherheit lässt sich das Aussterben der altöränischen Sprachform

in das Jahrhundert von Chr. Geb. setzen, bis dahin und noch

darüber hinaus, his in die Zeit der Achämeniden, mag also

unser Awestätext zurückgehen. Mit dieser allgemeinen Annabme

werden wir uns vorläufig begnügen müssen, vom 8. Jabr. v. Chr.

sind wir damit allerdings noch weit genug entfemt. Eine genauere

Feststellung des Alters des Awestätextes hängt natürlich ganz und

gar von den historischen Momenten ab, die sich uns aus der Be¬

trachtung und Erforschung dieses Textes selbst ergeben. Der

Hinweis auf das Alter der Sprache genügt um so weniger, als ja

nöthigenfalls sogar angenommen werden könnte, das Buch sei erst

nach dem Aussterben der Sprache geschrieben worden. Wir können

uns durch willkürliche Annahmen nicht gleich beim Beginne unserer

Untersuchung die Hände binden lassen.

Meines Erachtens ist die Pflicht eines Herausgebers des

Awestä zunächst, den Text so herzustellen, wie er damals unter

den Säsäniden festgestellt wurde, als man das Awestä in die

Schrift umschrieb, in welcher es uns die Handschriften geben.

Es ist dies eine; Aufgabe, die noch lange nicht beendigt ist. Die

Frage , ob es Sich denn auch verlohne , einem so späten Texte

seine Anfinerks«mkeit zuzuwenden, ist unbedingt zu bejahen.

Man sollte doch endlich einmal aufhören, das alte, seit 1630 be¬

stehende Vorartheil zu wiederbolen, als ob die Parsen von ihren

heihgen Schriften uichts mehr verständen. Es hat sich genügend

herausgestellt, dass jene Nachricht auch mit Hinsicht auf die

(4)

Spiegel, zur Textkritik dea Awettd. 689

heutigen Paxsen übertrieben ist, warum vollends unter den Sasa¬

niden die eränischen Priester ihre Religionsbüeher nicht verstanden haben sollen, ist gar uicht einzusehen, damals, als die theologische Gelehrsamkeit viel galt und eine beträchtliche Anzahl von Priestern die Pflicht und die Mittel hatten, eingehenden Studien obzuhegen.

AUer Wahrscheinlichkeit nach haben wir in dem Texte imserer

Awestäbandschriften eine Arbeit vor uns, die wir dem masore¬

thischen Texte des A. T. vergleichen dürfen, nur dass sich die

Zuthaten der neueren Bearbeiter nicht so reinlich von der alten

Ueberlieferung abheben, wie in den mit vocaUoser Schrift ge¬

schriebenen semitischen Texten. Aber auch bei den Redaetoren

des Awestätextes war eine feste Tradition über die Aussprache

desselben vorhanden, wie sich jetzt noch unschwer nachweisen

lässt, und es ist sehr wohl der Mühe werth, dieselbe kennen zu

lernen. Die PeststeUung des Textes kann naturgemäss bloss auf

Grund der Handschriften erfolgen, die gewöhnhch für schlecht

gelten. Auch hier bin ich durchaus anderer Ansicht: unsere

Awestäbandschriften sind gar nicht so schlecht, sie sind sogar

zum Theü recht gut. Immer und immer wieder muss an Wester¬

gaards durchaus wahrheitsgemässe Bemerkung (Zend-Avesta pref.

p. 15) erinnert werden, dass aUe unsere Awestäbandschriften den¬

selben Text geben, dass stets Absatz auf Absatz, Wort auf Wort

in derselben Reihenfolge sich findet. Es ist dies, wie ich meine,

ein sehr bedeutendes Zeichen der Treue. Nur innerhalb der ein¬

zelnen Wörter zeigen sicb Varianten und hier ist die Zahl der¬

selben aUerdings Legion, wer sich aber die Handschriften genauer

ansieht, wird auch hier bald unterscheiden lemen. Eine grosse

Menge von Varianten findet sich nur in Handschriften aus den

letzten Jahrhunderten, die in älteren Handschriften gar nicht oder

nur selten vorkommen und im letzteren FaUe sich leicht beseitigen

lassen. Es ist zu hart, selbst diese Art von jungen Varianten

als Fehler oder Nachlässigkeiten zu bezeichnen, sie sind vielmehr

das Ergebniss einer sehr laxen Orthographie, welche annimmt,

dass dasselbe Wort auf verschiedene Art richtig geschrieben wer¬

den könne. Diese nachlässige Orthographie ist nicht auf die

Awestatexte beschränkt, auch Texte in neueren iränischen Sprachen,

wenn sie in Awestäschrift geschrieben werden, zeigen dieselbe.

Früher (vgl. meine Ausgabe des Awestä 2, 17) woUte ich den

Grund dieser Orthographie in der Identificimng der Awestäschrift

mit der neupersischen finden, dies mag auch der Fall sein bei

Handschriften, die in Persien geschrieben sind, ich habe mich aber

jetzt überzeugt, dass in noch höheren Grade die Orthographie des

Guzerati die Schuld an diesem Verderbnisse trägt. Man begegnet

in Parsenschriften die in Guzerati geschrieben sind derselben Un-

gebundenheit , namenthch in Bezug auf Wörter, die aus dem

Persischen oder Arabischen herüber genommen sind, nicht selten

findet man ein eben gelesenes und verstandenes Wort einige Zeilen

(5)

590 Spiegel, «ur Vexthritik des Awesta.

später in ganz anderer, vollkommen unkenntlicher Gestalt. Auch

jetzt noch scheint mir meine früher schon geäusserte Vermuthung

wahrscheinlich, es möge diese üngebundenheit dadurch gefördert

worden sein, dass man den Awestätext — um schnell eine grössere

Anzahl von Handschriffen zn erhalten — dictando schreiben liess,

so dass die einzelnen Abschreiber die Worte nur mit dem Gehör,

nicht mit dem Auge erfassen konnten. Entfemt man nnn die

Varianten, die blos dieser neueren Orthographie ihr Dasein ver¬

danken, so wird die Zahl derselben erheblich gehchtet, eine be¬

trächtliche Anzahl wird immerhin noch bleiben, aber nur ein Theil

derselben ist auf Unachtsamkeit der Abschreiber zurückzuführen,

ein anderer Theil enthält wirkhche Lesarten, welche zu beachten

und im Interesse der iränischen Philologie zu verwerthen, die

Pflicht eines Herausgebers ist.

Als Ausgangspunkt zu weiteren handschriftlichen Forschungen

wird man die Resultate benützen dürfen, zu welchen die beiden

Herausgeber des Awestä übereinstimmend gekommen sind; man

wird ihnen um so mehr Vertrauen schenken können , als diese

Uebereinstimmung eine Pracht unabhängig betriebener Studien ist.

Beginnen wir mit dem Vendidäd, so habe ich in der Einleitung

zmn ersten Band meiner Awestäausgabe gezeigt, und Westergaard

hat mir beigestimmt, dass diejenigen Handschriften des Vendid&d,

welche mit Uebersetzung versehen sind , auf eine einzige Grund¬

schrift zurückgehen müssen. Die beiden ältesten Handschriften,

welche wir besitzen (AB nach meiner, L. 4. K. 1 nach Wester¬

gaards Bezeichnung) können nicht unmittelbar aus derselben Hand¬

schrift abgeschrieben sein, weil sie zahlreiche Abweichimgen von

einander aufweisen, dass sie dem ungeachtet auf ein und dasselbe

Original zurückgehen müssen, hat Westergaard (pref. p. 3 flg.) aus

den auffallenden Fehlem, die ihnen eigenthümlich sind, unwider¬

leghch dargethan. Keine dieser alten Handschriften ist uns voll¬

ständig erhalten, glückhcher Weise ist jedoch der sehr gute pariser

Codex (C oder P 2) eine sehr genaue Abschrift von B, genommen

zu einer Zeit, als diese Handschrift noch vollständig war, und

noch dazu wurde C mit dem noch vollständigen Codex A colla¬

tionirt, und die hauptsächlichsten Abweichungen über dem Texte

bemerkt, so dass wir behaupten können, den Text unserer ältesten

Handschriften voUständig vor uns zu haben. Auf die anderen

weniger guten Handschriften mit Uebersetzung, welche bis jetzt

verglichen worden sind, lasse ich mich hier nicht weiter ein, es

genügt zu sagen, dass ich dem Urtheile Westergaards (1. c. p. 7)

voUkommen beistimme, es sei in keiner derselben eine Spur einer

vom ABC unabhängigen handschriftlichen QueUe zu entdecken.

Die zweite Klasse von Handschriften sind die Vendidäd-sädes (vgL

meine Äwest&ausgabe 1, 12 flg. Westergaard pref. p. 7). Sie unter¬

scheiden sich von der ersten Klasse in wesentlichen Punkten, aber

auch hier habe ich die Ueberzeugung, dass sie sämmthch auf einen

(6)

Spiegel, zur Textkritik de» Awestä. 591

einzigen Grundcodex zurückgehen, der uns aber nicht erhalten zu

sein scheint, wenigstens sind alle bis jetzt verghchenen Vendidäd¬

sädes neu, und in Indien geschrieben. Zu diesen beiden Klassen,

die mir bereits bekannt waren, hat Westergaard (1. c. p. 8) noch

eine dritte gefügt, sie besteht nur aus zwei Handschriften, näm¬

lich K. 9 und einer aus Persien gekommenen bombayer Hand¬

schrift, die er mit R bezeichnet. Die erste dieser beiden Hand¬

schriften habe auch icb theilweise collationirt, aber bei meiner

Ausgabe keinen Gebraucb davon gemacht, weil ich die darin be¬

merkten Abweicbungen für willkürliche Correeturen des Destür

Däräb hielt '), durch die Vergleichung mit R bat sich indessen

herausgestellt, dass beide Handscbriften die Abschriften eines von

den gewöhnlichen Vendidäd-sädes abweichenden Originals sein

müssen. Ueber den eigentlichen Werth dieser dritten Handschriften¬

reihe ist es mir ebenso schwer geworden ins Reine zu kommen wie

Westergaard : Man kann in ihnen ebensowohl eine von allem An¬

fang an abweichende Textrecension als den späteren Versuch einer

Textrevision vermuthen. Wir werden unten auf diese Klasse von

Hamdschriften ausführlicher zurückkommen. In den Handschriften

des Ya(;na und des Vispered finden wir ganz äbniiche Erscheinungen

wieder. Die werthvollste Handschrift des Yaena ist ohne Zweifel

die alte von mir mit A , von Westergaard mit K 5 bezeichnete,

sie steht an Alter ebenbürtig neben den Handschriften AB des

Vendidäd, sie ist auch die einzige in Europa, welche die alte

Uebersetzung enthält. Denselben Text, wenn auch in einem weniger

guten Zustande, findet man auch in den sogenannten Izashne-sädes,

welche den Ya9natext ohne die Uebersetzung enthalten , also in

der von mir mit C, von Westergaard mit P 6 bezeicbneten Hand¬

schrift und in K. 11, über welche Westergaard (1. c. p. 12) näbere

Mittheilungen gemacht hat. Auch der Text der Handschriften,

welche die Uebersetzung Neriosenghs enthalten, schliesst sicb an

diese Handschriftenklasse an. Ihnen gegenüber steht wieder der

Text der Vendidäd-sädes ganz in derselben Weise wie beim Ven¬

didäd, auch hier lässt sich diesen beiden Klassen noch eine dritte

anfügen, welche sich in den (von mir nicht verglichenen) Hand¬

schriften K. 4 und 9 findet. Ueber das dritte Buch, den Vispered,

wollen wir nur kurz bemerken, dass man auch in ihm die obigen

1) Die Angabe Basics Uber K. 9 lautet (s. dessen samlede Afhandlinger ,3, C): Izeshne et Vispered, mixta; item Vendidad descriptus ex libro e Persia allato Destür Kaüsi et Destür Dorabi manibus, exemplar nitidum ef bene conservatum. Die Angabe Uber K2 (E) lautet: Accuratum exemplum (copia) superioris exemplaris (i. e. B.), Destür DarAbi (Daris) manu descriptum , tum quum vetus illud exemplar nondum dilapsum erat. Von der Unrichtigkeit dieser letzteren Angabe hatte ich mich Uberzeugt (E ist nichts weniger als eine genaue Abschrift von B), ich misstraute daher auch der ersteren und vermuthete, dass das persische Original nur vorgeschoben sei, um den Cor¬

reeturen des Destür Däräb grösseres Ansehn zu geben.

(7)

592 Spiegel, zur Textkritik des Awestd.

drei Klassen von Handscliriften unterscheiden kann (vgl. m. Aus¬

gabe 2, 5 flg. und Westergaard 1. c. p. 13). Aus diesen drei

Büchem bestehen die von den Parsen bei der Liturgie gebrauchten

und darum sorgfältig bebandelten Texte. Was die Yashts betrifFt,

so geniessen sie nicht dasselbe Ansehen, und dies zeigt sich unter

Andern auch in den Handschriften, die von sehr ungleichen Werthe

sind. Wir schhessen sie von unseren Untersuchungen aus, aber

den Yashttexten werden die Resultate der Untersuchungen unserer

besseren Handschriften vielfach zu Gute kommen.

Auf die Handschriften nun muss meiner Ueberzeugung nach

der Herausgeber des Awesta seinen Text begründen, gerade so,

wie dies in anderen Zweigen der Philologie auch der Brauch ist.

Dabei ist der Text der Handschriften mit Uebersetzung und der

Vendidäd-sädes sorgfältig auseinander zu halten, denn beide führen

uns auf zwei verschiedene Grundschriften. Ich habe in den Vor¬

reden zu den beiden Bänden meiner Textausgabe eine Anzahl der

auffälligsten Abweichungen zusammengestellt, allein das Verzeich¬

niss ist bei weiten nicht vollständig, und soUte es nicht sein.

Hier mag auch gleich auf eine DifiFerenz zwischen Westergaard

und mir hingewiesen werden. Westergaard findet nämlich (pref.

p. 10 not. 1), dass ich zu viel der Orthographie der neueren

Handschriften gefolgt und dadurch zn Irrthümern verleitet worden

sei. Leider habe ich es versäumt, mich genau nach dem Sinne

dieser Bemerkung zu erkundigen, so lange es noch Zeit war, ich

glaube aber Westergaard nicht falsch zu verstehen, wenn ich sage,

dass damit nicht gemeint sei, ich hätte die Handschriften EF

(K. 2 P. 10) ungebührhch bevorzugt, denn ich glaube nicht, dass

dies geschehen ist, weil ich von jeher diesen Handschriften einen

geringen Werth zuschrieb; gemeint ist wohl, dass ich die Ven¬

didäd-sädes zu sehr bevorzugt habe, denn in der That kommt

ein nicht geringer TbeU der Abweicbungen meines Textes von

dem Westergaards auf die Rechnung dieses Umstandes. Auch so

hat ja Westergaard Recht, denn alle uns bekannten Vendidäd-

sädes sind junge Handscbriften, zu meiner Rechtfertigung kann

ich jedoch sagen, dass ich zwar keine einzelne Handschrift der

Vendidäd-sädes einer besonderen Berücksichtigung werth finde,

dass mir aber die Lesart der Vendidäd-sädes ebensoviel gilt, wie

die der alten Handschriften , wenn sie unter sich übereinstimmen,

denn ich halte den Gmndcodex der Vendidäd-sädes dem der Hand¬

schriften mit Uebersetzung vollkommen ebenbürtig. Die Ver¬

gleichung dieser beiden Texte giebt uns eine ziemliche AnzabI

von Lesarten, deren Mebi°zahl meiner Ueberzeugung nach bis in

die Zeit der Textredaction zurückreicht. In der Beurtheilung der

Lesarten unterscheide ich mich nun in mehreren wesentlichen

Punkten von den bei der Textgestaltung des Awestä gewöhnlichen

Ansichten. Es ist fräher geradezu ausgesprochen worden , dass

man aus der Zahl der Lesarten diejenige zu wählen habe, die

(8)

Spiegel, xur Textkritik des Awestd. 599

sich am besten an das Sanskrit anschliesst, und nach diesem Grund¬

sätze scheint auch jetzt noch meistens gehandelt zu werden. Nach

dem, was ich oben von meiner Ansicht über die Handscbriften

des Awesta mitgetbeilt habe, wird man es natürhch finden, dass

ich einem solchen Grundsatze nicht folgen kann, denn wenn eine

neuere Handscbrift besser zum Sanskrit stimmen sollte, als die

alten Handschriften, so kann ich darin nur ein Spiel des Zufalls

sehen, wie es bei der willkürlichen Orthographie neuerer Hand¬

schriften aUerdings nicht undenkbar ist, einen Werth kaim aber

eine solche Lesart nicht beanspruchen, denn da alle unsere neueren

Handschriften aus den alten stammen, wie wir gesehen haben, so

kann keine bessere Lesart in dieselben gekommen sein. Ich biUige

aber auch die Tendenz nicht, den Awestätext nach den Vorschriften

des Sanskrit umzugestalten, der Awestäphilologe hat vielmehr den

Text wieder herzustellen, wie er nach den Ansichten der Redae¬

toren gelautet hat, erst wenn dieses geschehen ist, kann man

beurtheilen, in welchen Fällen sich die Awestasprache dem Sanskrit

nähert, und in welchen sie davon abweicht. Ein anderer Punkt,

in welchem ich mich gleichfalls sehr weit von der allgemeinen Ge¬

wohnheit entferne, ist der folgende. Man pflegt die Masse der

vorbandenen Lesarten als eine Masse von Pehlern anzusehen, unter

welchen sich die einzig richtige Textform verborgen hat, diese

ricbtige Form sucht man mit Hülfe der Sprachvergleichung heraus-

zuflnden, alles Uebrige wird als nutzlos bei Seite geworfen. Es

hegt auf der Hand, dass diese Art, Lesarten zu beurtbeilen, eine

sehr ungewöbnliche ist, wäre dies z. B. das Verhältniss der Les¬

arten in den classischen Sprachen, so müssten scbon längst alle

Classikerausgaben voUkommen identisch sein. Es ist aber sicher,

dass es eine gute Anzahl von Lesarten giebt, die aUe möglich

sind, und richtig sein können, so dass es oft recht schwer wird,

diejenige herauszufinden, welche den Vorzug verdient, diejenige

nämlich, welche der Ausdruck des Verfassers der betreffenden

Schrift ist. Ganz ebenso ist es im Awestä. Man sollte sich doch

endlich einmal von der Ansicht los macben, die Redaetoren und

Abschreiber des Awestä seien lauter unwissende und nachlässige

Menschen gewesen, denen man keine Aufmerksamkeit zu schenken

brauche. Wer den vorhandenen Lesarten des Awestä die erforder¬

liche Aufmerksamkeit scbenkt, dem wird es nicht lange verborgen

bleiben, dass gar oft eine doppelte Textgestaltung vorbanden ist,

und dass viele dieser Abweichungen in verschiedener Ansicht über

die Lesung des vocallosen Urtextes ihren Gmnd haben, und min¬

destens dieselbe Beaebtung verdienen, wie etwa die verschiedenen

Lesarten des Qorän. Es kann also gar nicht selten der Fall vor¬

kommen, dass man den Text auf doppelte Art gestalten kann,

ohne dass die eine oder die andere Ansicht fehlerhaft zu sein

braucht.

Wir wollen, ehe wir weiter gehen, gleich einige Beispiele

Bd. XXXVI. 39

(9)

594 Spiegel, zur Textkritik ties Awestd.

für diese unsere Behauptung anführen. Unter den Fällen, in

welchen ich den neueren Handschriften zu sehr gefolgt sein soll,

hebt Westergaard (a. a. 0.) die Lesart paourva hervor, die sich

kaum je in den alten Handschriften finde. Ich muss gestehen,

dass mir dieser Vorwurf Westergaards niemals ganz verständlich

war, denn er selbst erkennt die Form paourva gleichfalls an. So

steht Vd. 8, 130. 131. 18(5. 9, 48 (= 8, 40. 41. 58. 9, 15 W.)

in beiden Ausgaben paourum, im Einklänge mit den besten Hand¬

schriften, ebenso Vd. 18, 55. 56 (= 18, 26 W.) paourvo. An

den meisten Stellen, wo ich paourva lese, hat Westergaard paurva

vorgezogen, aber auch da muss ich bestreiten, dass sich meine

Lesart in den besseren Handschriften gar nicbt finde. Vd. 8, 125

(= 8, 39 W.) lese ich paourvaeibya gegen paurvaeibya bei Wester¬

gaard. Meine Lesart findet sich in BCbcd, paourvaibya in E , die

Correctur in C hat paurvaeibya und F. purvaeibya. Da die Corree¬

turen in C nach dem alten Codex A gemacht sind, so muss man

sehliessen, dass in A paurvaeibya stand, während der gleicb alte

Codex B paourvaeibya liest, und dass ebenso aucb der Urcodex

der Vendidäd-sädes gelesen baben muss. Dagegen ist Vd. 13, 131

(= 13, 45 W.) nur C auf meiner Seite, und zwar aus Versehen,

denn da ABbc paurvaeibya lesen, sollte diese Lesart auch in C

stehen. An einer weiteren Stelle Vd. 9, 18 (9, 9 W.) lese ich

paourvaeibyo und Westergaard paurvaeibyo, ich habe keine Va¬

rianten zu der SteUe gegeben, aber Westergaard selbst hat bemerkt,

dass AB paourvaeibyo lesen und ich habe noch hinzuzufügen, dass

bed dasselbe tbun. In der Stelle, welche wohl Westergaard haupt¬

sächhch im Auge gehabt hat Vd. 2, 58 (= 2, 24 W.) ist meine

Lesart paourva allerdings sehr schwach beglaubigt, denn nur etwa

paorva in F führt darauf hin , alle anderen Handschriften haben

paurva. Vergleicben wir nun aber Vd. 18, 91 (= 18, 40 W.), wo

sich wieder die Lesarten paourva und paurva gegenüber stehen,

so finde ich in meinen Handschriften pani-va blos in A, paourva in

BCEPbcd. Westergaard selbst bemerkt zu der Stelle : Thus (näm¬

lich paurva) L. 4, paourva K. 1. 9. 10. Ganz ähnlich steht es

auch im Ya9na. Y9. 9, 69 (= 9, 21 W.) lese ich paourva,

Westergaard paurva, erstere Lesart findet sich in BC. Y9. 17, 11

(= 16, 3) lese ich paourväo, Westerg. p.aurväo. Die Varianten sind:

paurväo AC, paorväo Bed paourväo d. Y9. 64, 39 (=65, 10 W.)

lesen AC mit Westergaard paurväm, dagegen bed mit mir paour-

väm. An einigen Stellen liest Westergaard pourvo , während ich

nach Burnoufs Vorgang paourvo lese nämlich Vd. 7, 95. 96

(= 7, 36. 37) und Y9. 9, 70 (= 9. 21). Ich muss zugeben,

dass an diesen Stellen paourvo schwach beglaubigt ist, ich halte

jedoch )ueine Lesart fest.

Ich glaube durch die Mittheilung dieser Lesarten nachgewiesen

zu haben, dass die Form paourva auch in den alten Handschriften

keineswegs unerhört ist. wir erhalten jedoch kein anderes Resultat,

(10)

Spiegel, zur Textkritik des Awestä. 595

als dass unsere Handschriften |Zwischen paourva und paurva hin

und her schwanken. Wie soll sich nun aber der Herausgeber

des Textes diesen Schwankungen gegenüber verhalten? Justi hat

im Anscbluss an Westergaard die drei Formen paurva, paourva

und pourva in seinem Wörterbuche verzeichnet, als Bedeutung

von paurva giebt er : vome, der vordere und vergleicht skr. pürva,

paourva bedeutet ihm der frühere, vordere, entsprechend dem

altp. paruva , für pourva endlicb , das gleichfalls der frühere be¬

deutet, wird auf paurva zurückgewiesen. In der alten Ueber¬

setzung werden alle diese drei Wörter durcb ein einziges aus¬

gedrückt, und auch ich wüsste keine Verschiedenheit der Bedeutung

anzugeben, ich glaube daber, dass wir ein Wort in drei ver¬

schiedenen Aussprachen vor uns haben , dass namentlich die Le¬

sungen paurva und paourva vollkommen gleichberechtigt sind, die

erste Form schliesst sich an altp. paruva an, wäbrend paourva dem

indischen pürva näher steht. In paourva ist also der Vocal a

zu u entartet, wie im Sanskrit, und dazu noch gesteigert worden.

Solcbe unregelmässige Steigerangen, die nicht durch die Wort¬

bildung begründet sind , finden wir im Awestä gar manche , ich

erinnere nur an gaoyaoiti gegenüber von skr. gavyüti und an

gaona gegen skr. gfuna. Was mich in meiner Vorliebe für die

Lesart paourva bestärkt, ist die Schreibung der nahe verwandten

Wörter paouraya und paoirya. Nur paouruya ist richtig, nicht

paourvya, denn vor y, v, muss sich der Halbvocal in seinen ent¬

sprechenden Vocal auflösen, wie vor den Nasalen (man schreibt

gaoyaoiti , kaoyäm (nicbt kavyäm) , mainiväo (für mainyväo). Zu

altp. parava stimmt das abgeleitete paraviya, das norderänische

paouruya steht dem indischen pürvya näher; durcb Ausfall des

u wurde aus paouruya das spätere paoirya. — Aehnliche Schwan¬

kungen finden wir in den Lesarten von poura. Ich habe die

Varianten des ziemhch häufig vorkommenden Wortes vor mir,

sie geben kein ganz reines Resultat, im Allgemeinen kann man

jedoch sagen, dass die von Burnouf gewählte Lesart poura, die

auch ich angenommen habe, die Lesart der Vendidäd-sädes sei.

Diese Lesung führt auf altp. paru zurück (mit Verdunklung des

a in o) und ist ganz unbedenkhch, neben der von Westergaard

gewählten Lesart pöura muss noch paouru als gut bezeugt an¬

geführt werden , was uns auf skr. puru mit Steigerung des u

führen würde. Um es kurz zu sagen: es liegen uns hier zwei

verschiedene traditionelle Lesungen vor, von welchen die eine

poura dem Altpersischen näber steht, die zweite paouru dem

indiscben puru. Es mögen diese verscbiedenen Aussjiracben ver¬

schiedenen Provinzen angehört haben. Ganz ähnhch verhält es

sich mit vouru. Diese Lesung ist aus ursprünglichen varu ent¬

standen, wie pouru aus para, daneben finden wir aber auch noch

vöura und vaouru, letztere Lesung scheint sich mir durch gr. ivgvg

zu empfehlen. Zu einer älmliclien Benierkung giebt auch Vd.

aa*

i> 3

(11)

596 Spiegel, zur Textkritik des Awestd.

3, 63. 64 Veranlassung. An der erstgenannten Stelle ist zaoruro

neben zaururo gut bezeugt. Dies scbeint darauf hinzuweisen,

dass neben der Wurzelform zar auch zur für das Alteranische

anzunehmen ist, ganz wie im Sanskrit jar und jur neben einander

stehen. Ueber die Pormen nis-hadhaeta und nis-hidhaeta habe

ich schon im Commentare zu Vd. 8, 29 gesprochen. Wie aus¬

gezeichnet die erstere Lesart bezeugt ist, werden die Varianten

zu Vd. 8, 29. 9, 120. 133. 16, 1. 21. Y9. 10, 44 zeigen. Ich

sehe auch gar nicht ein, warum man blos nis-hid im Alteränischen

zulassen solle, da doch auch das ältere Sanskrit sad neben sid

zeigt, imd wir im Griechischen sowohl ^i^ofiat als i^ofittt, zugeben müssen.

Bisher haben wir nur von Lesarten gesprocben, welche keiner

der beiden Handscbriftenreihen eigenthümhch waren, und wir aus

den Schwankungen selbst der besten Handschriften scbliessen

mussten, dass scbon frühe die Aussprache der Wörter nicht überall

die gleiche war. Ehe wir nun Lesarten besprechen, durch welche

sich die Handschriften mit Uebersetzung und die Vendidäd-sädes

scheiden, woUen wir darauf aufmerksam machen, dass die Ven¬

didäd-sädes nur zwei barte Ziscblaute kennen, wie das Altpersische,

diejenigen Laute nämlich, die ich durch 9 und s zu umschreiben

pflege, während der Laut sh feblt, wie er ja auch eigentlich un¬

nöthig ist. Zwar ist es leicht genug, den Buchstaben sh in den

einzelnen Handscbriften der Vendidäd-sädes nachzuweisen, aber er

gehört nicht dem Schriftsystem an und ist mit Unrecht aus den

Handschriften mit Uebersetzung eingedrungen. Wer die Hand¬

schriften des Vendidäd-säde zur Grundlage einer Textausgabe

macht, wird sh ganz streichen müssen. Es wird nicht nöthig

sein, diese Behauptung weitläufig zu beweisen. Jedermann kann

sich von der Richtigkeit derselben überzeugen, wenn er einige

Capitel des Awestä in Broekhaus' Ausgabe des Vendidäd-säde

durchliest, und die beigegebenen Varianten berücksicbtigt. Bei¬

spiele v.n Varianten, bei welcben die Handschriften mit Ueber¬

setzung auf der einen, die Vendidäd-sades auf der andern Seite

stehen, habe ich bereits in den Vorreden zu meiner Textausgabe

mitgetbeilt und es genügt hier, an Einiges zu erinnern. So lesen

im 1. Capitel des Vendidäd die Handschriften mit Uebersetzung

durchgängig fräthwere^em, die Vendidäd-sädes fräthware9em , da¬

gegen findet man Vd. 6, 16—50 und Vd. 8, 65—71 umgekehrt

upagharezaiti in den Handscbriften mit Uebersetzung, upagherezaiti

in den Vendidäd-sädes. Wie mir scheint, ist dieser Wechsel sehr

wohl der Berücksichtigung werth, er zeigt, dass in den Augen

der Schreiber ere und are nur verschiedene Aussprachen desselben

Lautes waren, nicht aber das letztere eine Steigerung des ersteren

ausdrückte. Durch den ganzen Vendidäd geht die Abweichung,

dass die Handschriften mit Uebersetznng pesho-tanuy? lesen, die

Vendidäd-sädes aber pesho-tanvi. Grammatisch sind beide Pormen

4 3

(12)

Spiegel, zur Textkritik des Awestä. 597

zulässig , die Vendidäd-sädes haben aber hier das Verdienst , die

Locativfomi tanvi erhalten zu haben, Locative auf i sind bei

Themen auf u im Awestä eben nicht bäufig. Durchgängig lesen

die Handschriften mit Uebersetzung im Vendidad upamänayen, wo

die Vendidad-sades upamänayän geben, und wiedemm sind beide

Pormen grammatisch zulässig. Im Ya^na fehlt es nicht an ähn¬

lichen Pällen. Y9. 9, 37 lesen die Handschriften mit Uebersetzung

baomairyo oder bnmaiiyo, was ,sehr schlecht" bedeuten muss, die

gewöhnliche Lesart ho mairyo gehört den Vendidäd-sädes an. Y9.

11, 6 lesen die Hds. mit Ü. huyäo die VS. haoyäo. Erstere

Form ist auf ein Thema hvi, fem. von hva, zurückzuführen, letztere

auf havi, fem. von hava. Es würde eine eigene Abhandlung er-

fordem, um alle solche Varianten zu erschöpfen, ich begnüge mich,

hier nur noch einige Stellen auszuheben, welche neuerdings Auf¬

merksamkeit erregt haben.

Einen recht interessanten Fall verschiedener Lesung finden

wir im 17. Capitel des Vendidäd. Dort steht (17, 3) barenti und

barinenti in den Handscbriften mit Uebersetzung, in den Vendidäd-

sädes brinenti, ebenso (17, 10) barenaguba in den Handschriften

mit Uebersetzung gegen bnnaguba in der Vendidäd-sädes. Die

Lesart der Vendidad-sädes will Bartholomae (das altiranische

Verbum p. 105) vorgezogen wissen und es ist mir gar nicht

zweifelhaft, dass man ihm folgen kann, die Wurzelform bri ist

unbedenklich und auch durch das Substantivum broithra oder

baroithra erwiesen. Es entspricht bri dem vedischen bhri und

lat. ferio (vgl. Job. Scbmidt, Vocalismus 2, 255) und ist aus bhar

entstanden (vgl. meine Bemerkungen in Kuhn's Zeitschrift 5, 231).

Nur dass die von mir gewählten Lesarten barenefiti (eine leichte

Verbessemng von barinenti), barenaguba unrichtig seien, kann ich

nicht glauben , sie sind auf die ursprünglicbe Wurzelform bar

zurückzuführen. Auch Westergaard's gut hezeugte Lesart barenti

ist nicht zu verwerfen, es ist die im Alteränischen beliebte Zu¬

sammenziehung gleichlautender Silben und steht statt barenenti.

Den Einwand, dass berenenti, berenaguha stehen müsste, kann ich

nicht gelten lassen, denn für mich stehen are und ere auf der¬

selben Stufe. Für die Wurzelform bar spricht neup. ^.jlX-j^,

das aus bareniden entstanden sein muss (einem aus der Praesens¬

form gebildeten Infinitiv, wie ^jjjJUi), bei der Ableitung aus bri

bliebe die Verdopplung des r unerklärlich.

Einen weiteren Beweis, dass mehr als eine Lesart annehmbar

ist, bietet die SteUe Y9. 13, 1 (Y9. 12, 1 W.). Die Anfangsworte

lauten in meiner Ausgabe : nä9mi daevo fravarän? mazdaya9no,

bei Westergaard aber : näi9imi daevo fravarän? mazdaya9no. Ueber¬

setzt habe ich diese Worte : ,ich vertreibe die Daevas, ich bekenne mich als ein Zarathustrischer". Diese Uebersetzung ist, wenigstens

(13)

598 Spiegel, zur Textkritik des Awestä.

insofem nä(;mi in Betracht kommt '), nicht beanstandet worden,

sie giebt aber gleichwohl zu emsten Bedenken Veranlassung, zu¬

nächst von Seiten des Sinnes. Sich als Zaratbustrier zu bekennen,

bleibt natürlich jedem Menscben unbenommen , wenn aber jemand

behauptet, er vertreibe die Daevas, so fragt man billig, wie das

gemacht wird. Viel besser ist der Gegensatz in den traditionellen

Uebersetzungen : ,ich schimpfe die Daevas , ich bekenne mich als

Mazdaya9na'', es wird hier sehr schön die Parteinahme für Ahura

Mazda ausgedrückt und es verlohnt sich daher der Mühe nach¬

zudenken, ob wir uns diese Auffassung nicht aneignen können.

Eine Schwierigkeit besteht nun in der That nicht, denn wenn man

auch nä9mi auf nay , verderben , zurückleiten kann , ohne irgend

eine Lautregel zu verletzen, so ist es doch nicht geboten, dem

Worte diese Ableitung zu geben , vielmehr liegt es nahe an nad

zu denken, wovon sich näymi ebenso leicht ableitet wie aeyma

von id. Nad entspricht nun lautlich dem skr. nand, eine Wurzel

für die mir Grassmann richtig die Grundbedeutung „rauschen"

angenommen zu haben scbeint, daraus hat sich im Sanskrit der

Begriff des Lobens entwickelt, im Alteränischen umgekehrt der

des Tadeins, Verachtens. Demgemäss bringe icb jetzt meine frübere

Uebersetzung der obigen Stelle mit der traditionellen in Einklang.

Wenn ich nun auch gar keinen Grund sehe, die Lesart der Ven¬

didäd-sädes, näymi, aufzugeben, so will ich daram doch nicht be¬

haupten, dass die von Westergaard gewählte Lesart nai^imi, die

sich in den Handschriften mit Uebersetzung findet, nicht ebenso

gut sei. Auch Yt. 13, 89 erscheint neben näyta-daevo in anderen

Handschriften und bei Westergaard naipt-daevo, wofür wohl näigta-

daevo zu corrigiren ist. Es ist klar, dass der Vocal i in näiyimi,

näiyta nicht durch Epenthese entstanden sein kann, denn 9 duldet

eine solche überhaupt nicht, vielmehr müssen wir neben nad noch

eine Wurzelform näid annehmen, zu der man auch näidhyäo ziehen

muss , und diese ist offenbar mit skr. nind identisch , noch näher

steht griecb. övsiöog. Von näid leitet sich näiyimi ganz regel¬

recht ab, der einzige Anstoss ist das eingeschaltete i (naig-t-mi),

meines Wissens das einzige Beispiel im Awestä, ich glaube aber

nicht, dass dieser Umstand genügt, die Porm zu verwerfen, wir

haben viel' zu wenig Material , um positiv aussprechen zu können,

was im Alteränischen möghch sei und was nicht.

In der Stelle Vd. 13, 78 (13, 28 W.): paro khshüisca äzüitisca

geus mat baratu qarethanäm. Die Lesart khshüisca gehört blos

den VS., das Wort ist gut eränisch, ich glaube dasselbe im Com¬

mentare zu d. St. ricbtig erklärt zu haben. Die H. mit U. lesen

aber khshvayca, was auf skr. xu führt und ebenso richtig ist.

Recht interessant ist Y9. 41, 22 die Lesart yavano, welche

1) nie Form daevo ist ganz in der Ordnung, es ist aber hier nicht der Ort, weitläufig über sie zu reden.

(14)

Spiegel, zur Textkritik des Awestd. 599

die VS. durchgängig für yevino der anderen Handschriftenreihe

geben. Während yevino sich zunäcbst an neup. ^^,y>- anschliesst,

inuss yavano mit dem Vd. 17, 9 vorkommenden yavohva in Ver¬

bindung gesetzt werden, für welches Justi richtig ein Thema yavan

angenommen hat. Die Wortformen yavan und yevin dürften sich

in der Bedeutung nur wenig von einander unterschieden haben.

Es ist aber oben bereits von einer dritten Handschriftenreihe

die Eede gewesen, welche Westergaard nachgewiesen hat. Wie

Westergaard selbst, so war auch ich lange in Zweifel, ob man in

den zu dieser Classe gehörenden Handschriften einen aus einer

dritten Grundschrift geflossenen Text zu sehen habe oder blos

eine spätere Correctur des Textes unserer Vendidäd-sades. Haben

wir es hier blos mit einem Corrector zu thun , so ist er freilich

ein kritisches Talent von hohem Bange gewesen, wie man sie im

Oriente nicbt häufig findet. Es ist mir darum jetzt doch wahr¬

scheinlicher, dass auch diese dritte Handschriftenreihe als selbst¬

ständiger Text gelten müsse. Niemand kann beweisen , dass nur

die beiden Textrecensionen, auf weicbe unsere zwei Handschriften¬

reihen zurückgehen, überall in Erän gebraucbt wurden, es mag

neben ibnen noch manche andere gegeben haben , die sich leichte

Abweichungen erlaubten. Man wird jedoch nicht leugnen können,

dass ein Mann von Verstand und Kenntnissen , namentlich mit

Hülfe der alten Uebersetzung, auch vom rporgenländischen Stand¬

punkte aus gar manche der Verbesserungen machen konnte, die

wir in der dritten Handschriftenreihe finden. Eine der glück¬

lichsten Aenderungen dieser Handschriftenreihe findet sich Vd. 8, 65

(= 8, 23 W.), wo in den beiden anderen Handschriftenreihen

äthravana steht, was nicht erklärt werden kann, hier aber aothra-

vana. Dieses Wort ist von aothra, Schuh, mit dem Suffix vana

gebildet wie äfrivana von afri. In meinem Commentare zu der

St. habe ich diese Verbesserung eine unzweifelhafte genannt, ich

weiss jetzt nicht, ob ich darin nicht zu weit gegangen bin. Keinen¬

falls hat der alte Uebersetzer so gelesen, er übersetzt das Wort

durch ein ganz unbekanntes nicht aber wie aothra. Eine ähnliche

einleuchtende Verbesserung dieser Handschriftenreihe ist Vd. 8, 237

(= 8, 75 W.) bäzuwe statt der sinnlosen bänuwe, wenn wir nur

wüssten, ob es nicht eine moderne Correctur ist. Auffallen muss

es immerhin, dass die alte Uebersetzung nicbts Entsprechendes

für dieses Wort giebt, hätten die Uebersetzer dasselbe vor sich

gehabt, so würde es ihnen ebenso wenig Mühe gemacht haben

als uns, so aber muss man scbliessen, dass es erst später in den

Text kam, in dem es ganz gut fehlen kann. Vd. 7, 110. III

(= 7, 42 W.) ist daenu blos durch die dritte Handschriftenreihe

bezeugt, die beiden anderen haben daeno. Meine Bedenken gegen

daenu habe ich bereits im Commentare mitgetheilt. Vd. 7, 128

(= 7, 50 W.) ist die Lesart vikante? in den persischen Hand¬

schriften ganz passend , aber die Lesarten der anderen Beihen

♦ S *

(15)

600 Spiegel, zur Textkritik des Awesta.

vikeflti oder selbst vikefita geben aucb einen ganz guten Sinn.

Vd. 3, 66 (= 3, 20 W.) lesen blos R und K.9 kerefsqäräm , alle

übrigen Handscbriften aber kerefsqäräm. Vd. 9, 181, wo das

Wort wieder vorkommt, hat nur A kerefsqäräm, die übrigen Hand¬

schriften wieder kerefsqäräm und zwar mit Einsehluss der beiden

oben genannten, was einigermassen verdächtig ist. Doch erscheint

Vd. 6, 94. 97 und 7, 75. 78 kerefsqaro überall mit kurzen a.

Da im Neupersischen ^yS' und JyS>- am Ende der Composita in

gleicher Bedeutung vorkommt, so sind wohl auch im Alteränischen

beide Pormen erlaubt gewesen. — Statt ayti oder ista, wie die

indischen Handschriften Vd. 13, 83 (= 13, 30 W.) schreiben, liest

K. 9 isti , was am besten zum Sanskrit stimmt und von Wester¬

gaard in den Text aufgenommen worden ist. Vd. 14, 28 (=

14, 8 W.) gehört die Lesart gaoidh?, die sich in Westergaards

Texte findet , allein K. 9 an, die indischen VS. lesen alle gaoidhi, was ich für die richtige Lesart halte, die Handschriften mit Ueber¬

setzung haben gaoidba, was blos verschrieben sein kann, wie die

Epenthese zeigt.

Es ist merkwürdig, dass die Wichtigkeit von R. und K. 9 im

Vispered und Yayna nicht so hervortritt, wie im Vendidäd. Wir

erhalten aber hier an der gleichfalls aus Erän stammenden Hand¬

schrift K. 4 ein wichtiges kritisches Hülfsmittel und die vielfache Uebereinstimmung dieser Handscbrift mit K. 9 ist wohl zu beachten.

Wir heben auch hier einige der bemerkenswerthen Lesarten aus:

Vsp. 1, 31 steht in meiner Ausgabe gav? hudhäogho, Westergaard

dagegen liest gav? budhäogh?. Von den von mir verglichenen

Handschriften spricbt nur eine einzige (b) für hudhäogh?, Wester¬

gaard hat sie in K. 9 und auch in einigen indischen Handschriften

gefunden , K. 4 dagegen liest hudhäogho. Die Verbindung der

Wörter gäus und hudhäo ist im Awestä sehr gewöhnlich, das

Correcte wäre natürlich, dass das Adjectivum im Dativ steht, wie

das Substantiv zu dem es gehört, doch kommt es im Awestä oft

genug vor, dass Genitiv und Dativ verbunden werden, die Lesart

hudhäogho ist daher gar nicht anstössig. Es fragt sich aber über¬

baupt, ob an unserer Stelle hudhäogho zu gav? gehören soll und

nicht vielmehr zu väytro-beretah?. Diese Präge wird angeregt

durch die so ähnliche Stelle Vsp. 2, 32, wo nur K. 4. 9 gav?

hudhäogh? lesen, alle anderen Handschriften aber gav? hudhäoghem

geben. Man muss sich also hier die Präge vorlegen, ob hudhäogho,

hudhäoghem Pehler der indischen Handschriften sind, oder ob

hudhäogh? eine spätere Correctur sei, veranlasst durch die so

häufige Verbindung von gäus hudhäo. Mir scheint die letztere

Ansicht die wahrscheinlichere.

Yy. 8, 4 (= 8, 3 W.) hat nur K. 4 den Vocativ daen?, während

die anderen Handschriften daena lesen. Die Sache ist gleichgültig,

da beide Pormen des Vocativs vorkommen.

* S *

(16)

Spiegel, zur lextlcritik des Awestd. 601

Y9. 10, 1 (=10, 1 W.). Die Lesart vidaevayo bei Wester¬

gaard stützt sich auf K. 4 die VS. haben vidaevo (bc), vidaivo (d)

oder vi daevo (e) lauter unmögliche Formen. Meine Lesart vi

daevyo stützt sich auf BC, ich vermuthe, dass dies auch die Les¬

art von A gewesen sein dürfte. Dieser wichtige Codex ist leider

an unserer Stelle defect und durch eine neuere Abschrift ergänzt,

in welcher das unmöghphe vidaeinao steht. Der Nom. pl. daevyo

ist ganz regelmässig gebildet, von fem. auf i aber sonst nicht zu

belegen, ebenso wenig aber auch daevayo.

Yq. 10, 29 (= 10, 11 W.). Ich habe bereits im Commen¬

tare gesagt, dass ich die Lesart skata beibehalten habe, weil sie

alle meine Handschriften ohne Ausnahme geben, Westergaards Les¬

art skyata ist aus K. 4 entnommen. Ich halte die Variante nicht

für bedeutend, allerdings aber für eine verschiedene Aussprache

ein und desselben Wortes, nacb der einen Aussprache ist y bei¬

behalten, nach der anderen ist es verschwunden. Das Aufgeben

des y nach sh ist zwar bäufig genug, nach sk ist es mir sonst

nicht mehr vorgekommen. Das Wort iskata, welches gewiss mit

unseren Worte zusammenbängt, bat mich in meiner Lesung noch

bestärkt.

2.

Ein Hülfsmittel, welches ein Herausgeber des Awestä bei

der Textkritik notbwendig benützen muss, ist die alte üebersetzung.

Es handelt sich hier natürlich nicbt um die Frage nach der Treue

dieser üebersetzung, sondern nur um ibren Werth für die Kritik

des Textes. Zwar habe ich diese Frage schon früher eingehend

behandelt *), es wird aber nützlich sein , hier nochmals darauf

zurückzukommen und den kritischen Werth dieser Uebersetzung

durch neue Belege zu erweisen. Es darf als ausgemacht gelten,

dass die alte üebersetzung zwar zu der uns vorliegenden Gestalt

des Awestätextes in sehr naher Beziehung steht, nicht aber sich

sklavisch an die eine oder die andere Handschriftenreihe anschliesst.

Bei der grossen Wörtlichkeit der Uebersetzung lässt sich die Les¬

art der sie folgt, meistens noch mit vollkommner Sicherheit fest¬

stellen und dadurcb erbält die Uebersetzung selbst den Werth

einer Handscbrift, welche älter ist als sämmtliche Handschriften

die uns zu Gebote stehen. In einigen Fällen führt die Ueber¬

setzung auf Lesarten, die nicht in unserem Texte stehen. So ist

es sicher, dass dieselbe Y9. 30, 2 geushäis gelesen haben muss

statt geus äis, wie in unseren Handschriften steht, und diese Ver¬

besserung wird, soviel ich weiss, allgemein gebilligt. Ebenso ver¬

hält es sich Yq. 32, 10, wo alle Handschriften mänä lesen, die

Lesart der Uebersetzung, mä nä, ist neuerdings auch von Bar¬

tholomae gebilligt worden, Westergaards Conjectur väytä statt

1) Cf. meine Einleitung in die traditionellen Schriften der Färsen 2, 54 flg.

(17)

602 Spiegel, xur Textkritik des Awestd.

väyträ (Yq. 29, 1) wird nur durch die Uebersetzung unterstützt.

Viel bätffiger sind jedoch die Fälle, wo sich die Uebersetzung für

die Lesart der einen oder anderen Handschriftenreihe entscheidet.

Ich erinnere nur daran, dass Vd. 1, 34 die Uebersetzer offenbar

mit den Vendidäd-sädes Qayanem gelesen haben '), nicht shayanem

wie in den Handschriften mit Uebersetzung steht, wäre in ihrem

Texte die Lesart shayanem vorbanden gewesen, so würden sie

das Wort gewiss ebenso wiedergegeben haben, wie sonst noch

zweimal in demselben Capitel. Ebenso haben Vd. 1, 40. 71. 80

die Uebersetzer gewiss mit den Vendidäd-sades aiwisitära gelesen,

nicht aiwistära, denn ihre Uebersetzung passt am besten zu der

ersteren Lesart. Dagegen haben Vd. 2, 135 die Uebersetzer die

Lesart der Handscbriften mit Uebersetzung vor sich gehabt, denn

atha wird durch ■;:in"'i» übersetzt, adha dagegen pflegt mit imN

wiedergegeben zu werden. Wenn nun Vd. 1, 11 zwar alle Hand¬

schriften mit üebersetzung adha lesen , von fünf Vendidäd-sädes

aber nur ein einziger, die übrigen aber ayadha oder aydha, so

muss uns dies einigermassen bedenklich machen , weil die alte

üebersetzung piSSN i. e. np. ^■, übersetzt, eine Bedeutung,

welche dem adha sonst nirgends mehr gegeben wird. Es ist

darum raöglich , dass wir in ayadha ein seltenes sonst in den

Texten nicht mehr vorkommendes Wort vor uns haben , das wir

als dem indischen idä, jetzt, entsprechend ansehen müssten. Ayadha

raüsste dann eine aufgelöste Form für aedha sein. Cf äidha Vd.

22, 23 und meine Bemerkungen zu der St. Auch Vd. 3, 17

scheiden sich wieder die drei Handschriftenreihen, während die

Handschriften mit Uebersetzung uq zazenti lesen, was sich nur

als 3. pl. praes. von zä fassen lässt, haben die VS. uq zanti oder

UQ zenti , d. i. das Verbalnomen von zan, gebären, die persischen VS. lesen uq zizenti, was wohl aus uq zizanenti zusammengezogen

ist. Nur zu den beiden letzteren Lesarten stimmt die alte Ueber¬

setzung. aus diesem Grunde gebe ich ihnen den Vorzug. — Vd.

5, 53. 68 sieht man deutlich, dass die Uebersetzer mit den VS.

vashaighe gelesen haben, denn sie geben das Wort mit „sprechen'

wieder, die Lesart der Hdschr. mit üebersetzung, vayagbe würde

in der Uebersetzung durch yim'D ausgedrückt sein. — Interessant

ist auch die Stelle Vd. 8, 282. 295. Ich habe dort berezvoget

geschrieben , so lesen meine Handschriften an der letzteren Stelle

fast alle, nur mit der unbedeutenden Variante berezivoget, an

ersterer Stelle aber überwiegend berezyoget. Jede der beiden

Lesarten lässt sich balten : berezvoget muss von berezvant stammen

und das neutr. sg. sein, das Regelmässige wäre zwar berezvat mit

Ausstossung des n. aber auch der Abfall des t ist möglich und

berezvo — berezvan lässt sich nicht beanstanden. Aber auch bere-

1) Cf. Geiger, die Pehleviversion des 1. Capitels des Vendidäd p. 44.

(18)

Spiegel, zur Textkritik des Awestd. 603

zyoget lässt sich vertheidigen : berezyo ist das Neutram des Com¬

parativs von berezat und giebt ziemlich denselben Sinn wie berezvo.

In den Handschriften R und K. 9 hat nun Westergaard noch bere-

zyaoget (i. e. berezi-aoget) gefunden und dies ist die Lesart,

welche die Uebersetzer vor sich gehabt haben müssen.

Als eine kurze Probe, wie diese verscbiedenen Hülfsmittel in

die Kritik des Textes eingreifen, mag der Anfang des zweiten

Fargard des Vendidäd (Vd. 2, 1—16) bier besprochen werden,

weil diese Stelle allgemein bekannt und erst neuerdings in den

Chrestomathien von Geiger und Harlez wieder veröfFentlicht worden

ist. Gleich der erste Satz bietet eine nicht uninteressante Va¬

riante : beide Ausgaben lesen den Vocativ mainyo , diese Lesart

hat auch Harlez beibebalten, während dagegen Geiger mainyü liest.

Aus den Varianten zu meiner Ausgabe kann man sehen , dass an

dieser Stelle mainyo vorwiegend in den Vendidäd-sädes beglaubigt

ist, die wichtigsten unter den Handschriften mit Uebersetzung aber

mainyü lesen. In der Parallelstelle Yy. 19, 1 ist das Umgekehrte

der Fall, dort lesen ABCb mainyo, ce dagegen mainyü und d

mainyv, was dasselbe ist. Aehnlich verhält es sich Yt. 14, 1 aber

an anderen Stellen, wie Yt. 22, 1 ist mainyü so gut beglaubigt,

dass auch Westergaard so liest. Ich sebe nun um so weniger

ein , waram das Alteränische nach dem Sanskrit geregelt werden

soll , als Formen wie mainyo doch nur dem Klange nicht aber

der Sache nach zu skr. tano stimmen würden und waram der

Voc. sg. nicht ebenso gut mainyü lauten konnte, wie er im Griech.

yXvxv lautet. Ich nehme also an, dass mainyo (= urspr. mainyav)

und mainyü gleich correcte Bildungen sind, sei es, dass zweierlei Aussprachen des Wortes überliefert waren, oder dass dialektische

Verschiedenheit vorhanden war. In §. 2 finden wir das dunkle

apereye in den meisten Handschriften, so lesen Westergaard und

Geiger, während die von mir gewählte Lesart aperege nur in zwei

unbedeutenden Handschriften (Fc) steht. Die Gründe welche mich

gleichwohl bewogen haben, dieser letzteren Lesart den Vorzug zu

geben, habe ich bereits im Commentare mitgetheilt, aperege lässt

sich kaum erklären (vgl. auch Bartholomae , das altiränische Ver¬

bum p. 29), weshalb auch Geiger durch eine Conjectur nach¬

zuhelfen sucht. •— In §.3 finden wir die Schreibart ahüirim bei

Westergaard, Geiger und Harlez, während ich ahüirim lese. Ein

Blick in die Variantenliste zu §§. 3. 6 in meiner Ausgabe wird

zeigen, dass auch die von mir gewählte Lesart gut beglaubigt ist,

zudem giebt sie die Form, welche man der Regel nach erwartet.

Uebrigens ist der Unterschied von keiner Bedeutung und die ver¬

schiedene Schreibweise ist wohl durch scr. plena und defectiva in

der Urschrift entstanden. Wichtiger sind in §. 8 die Varianten

daenayäo, wie Westergaard und Harlez, und daenayäi, wie ich und

Geiger lesen. Ohne Frage ist die von Westergaard aufgenommene

Genitivform das Regelmässige, wie man aus den Varianten sieht

(19)

604 Spiegel, zur Textkritik des Awestd.

ist sie in den von mir benützten Handschriften ungemein schwach

beglaubigt, ihre Bedeutung erhält sie erst durch die aus Persien

stammenden Vendidäd-sädes. Gleichwohl glaube ich, dass daenayäi

schon als die schwerere Lesart vorgezogen werden muss, und

daenayäo macht auf mich den Eindruck einer Correctur. Der

Gebrauch des Dativs statt des Genitivs ist im Awestä häufig genug

(vergl. meine altb. Grammatik §. 271 vergl. Grammatik §. 324), für

unsere Stelle vergleiche man noch Yq. 17, 46 (16, 8 W.) avaghäo

pairikayäi, wofür Yq. 67, 23 (68, 8 W.) sogar avagbäi pairikayäi

stebt. Wegen der Varianten ist auch Westergaards Note zu der

ersteren Stelle zu vergleicben. Perner Yq. 56, 10. 2 (57, 24 W.)

daeno-diQO daenayäi, wo der Dativ in den besten Handschriften

steht. Es ist durchaus nicht nöthig, eränische Constructionen,

welche durch handschriftliche Zeugnisse gesichert sind durch in¬

dische Parallelen zu stützen, im vorliegenden Palie ist dies jedoch

leicht, man vergl. A. Kuhn in seiner Zeitschrift 15, 420 flg. —

In §§. 9. 14 setzen die Handschriften mit Uebersetzung das Wort

aem ein , während an erster Stelle alle VS. an der letzteren die

meisten dasselbe weglassen. Westergaard hat aem in seinen Text

aufgenommen, worin ihm Geiger und Harlez folgen, ich habe es

weggelassen. Ich gebe zu, dass man nacb der gewöhnlichen Aus¬

dracksweise des Vendidäd das Wort erwartet, es kann aber, obne

den Sinn zu stören, aucb fehlen und der Umstand, dass es die

alte Uebersetzung an beiden Stellen nicht hat, musste mich be¬

stimmen, dasselbe wegzulassen. — Statt ciQto, wie jetzt allgemein

gelesen wird , steht in meiner Ausgabe cisto. Diese Lesart ist

eine Aenderang gegen meine Handschriften , sie wurde im An¬

schluss an eine von Bumouf aufgestellte Regel vorgenommen,

nach welcher ein vorausgehendes i , u ein folgendes q in s ver¬

wandeln sollten. Diese Regel ist längst hinfälhg geworden , die

Verbältnisse baben sich aber seitdem geändert, indem die dritte

Handschriftenreibe bei Westergaard die Lesart cisto wirklich auf¬

weist , sodass das Wort von cish abzuleiten wäre , und die alte

Uebersetzung bestätiget diese Auffassung.

3.

Wir haben oft genug betont, dass wir den Awestätext,

ivie er in den Handschriften vorliegt, für eine selbständige Re¬

daetion balten , welche ein Herausgeber vor Allem zu berück¬

sichtigen hat. Auch die Versabtheilung hängt mit dieser Text¬

recension zusammen . sie ist nicbt aufs Gerathewohl gemacht,

sondem stützt sich auf das Verständniss des Textes durch die

Redaetoren. Natürlich ist es durchaus nicht meine Absicht, die

Forschungen über den .Awestätext auf diese Recension zu be¬

schränken, weitere Untersuchungen gelten aber meines Erachtens

nicht sowohl unserem Texte als der Vorgeschichte dieses Textes.

Ich habe es niemals verhehlt, dass ich den Awestätext nicht für

(20)

Spiegel, zur Textkritik des Awesta. 605

so alt halte als man gewöhnlich annimmt, ich betrachte die Frage,

wie hoch sich derselbe hinaufführen lässt zur Zeit noch als eine

offene, deren Beantwortung von weiteren Forscbungen abhängig

ist Ich wiederhole , was ich schon früher gesagt habe (cf Bd.

xxxin, 305 flg.), dass man sich hüten muss. Alles was bei morgen¬

ländischen ScbriftsteUem vom Awestä und den Textrecensionen

des Awestä erzählt wird, ohne Weiteres auf das uns vorliegende

Buch zu beziehen. Unser Awestä ist ein Gebetbuch , das nach

Ansicht der Parsen nur einen vollständigen Abschnitt (den Ven¬

didäd) enthält, sonst aber nur eine Auswahl von Awestätexten,

welche zu hturgischen Zwecken benützt wurden, das eigentlicbe

Awestä war viel umfangreicher. Es scheint darum auch fraglich,

ob dieses Buch, welches wir Awestä nennen, wirkhch alle diese

Recensionen erlebt hat, von welchen uns berichtet wird. Nur von

einer derselben köimen wir dies mit Sicherheit behaupten, von

der Recension des Aderbäd, auf welche in unserem Awestatexte

selbst Bezug genommen wird '). Aderbäd Mahrespend lebte, nach

den uns zugekommenen Nachrichten, unter dem Säsäniden Shäpür II

und es ist auch nicht unwahrscheinlich, dass dieser Fürst, der

ebenso kräftig wie für seine Religion begeistert war, eine solche

Revision der eränischen Religionsbüeher veranlasst hat. Mit Shä¬

pür U werden wir aber bereits in die erste Hälfte der Sasaniden¬

herrschaft geführt und da wir oben gesehen haben, dass die Schrift,

in welcher das Awesta geschrieben ist, nicht über das 6. Jahr¬

hundert zurückgeht, so werden wir annehmen müssen, dass unter

Shäpür II das Werk in einer anderen Schrift geschrieben wurde,

als in der jetzigen. Es liegt also dem Kritiker vor Allem ob,

die Schrift zu ermitteln, in welcher unser Awestä damals ge¬

schrieben wurde. Am nächsten liegt die Vermuthung, es möge

dies die Schrift gewesen sein , in welcher die alte Uebersetzung

geschrieben ist, denn dass aus dieser die Awestäschrift zunächst

hervorgegangen sei, darüber sind, soviel ich weiss, alle Forscher

auf diesem Gebiete einverstanden. Ebenso nahe liegt aber auch

die Vermuthung, es möge die Schrift gewesen sein, in welcher

Shäpür II seine Inschriften niederschrieh , oder überhaupt eines

der älteren Pehlevialphabete. Pür welche dieser Möglichkeiten

man sich auch entscheiden mag, man kommt zu demselben Re¬

sultate, dass es eine aus der ursprünglichen semitiscben Schrift

hervorgegangene, also voeallose Schrift war, in welcher das Awestä

geschrieben wurde, und unsere Awestäbandschriften weisen auch

noch ganz unzweideutig auf diesen Zustand hin. Dieses ursprüng¬

liche Awestäalphabet bestand aus nur 17 Zeichen und es lässt

sich meiner Ueberzeugung nach auch das Verhältniss mit Sicher-

1) Vgl. meine Awestäübersetzung 1, 41. 3, 214. 218. 227 und Justi, Ge¬

schichte Persiens p. 219 flg. , wo Uberhaupt Ansichten ausgesprochen werden, welche den meinigen sehr nahe kommen.

(21)

606 Spiegel, zur Textkritik des Awestä,

heit noch ermitteln , in welchem jenes finihere Alphabet zu dem

jetzigen Awestäalpbabete steht. Indem ich eingehendere Unter¬

suchungen über diesen Punkt für einen anderen Ort vorbehalte

(vergl. Gr. §. 46 flg.), will ich hier nur kurz erwähnen, dass in

der alten Schrift das Zeicben für die Tennis auch noch die bei¬

den Spiranten zu vertreten hatte, nicht blos die dumpfe, sondem

auch die tönende Spirans, dass den drei sogenannten Lesemüttern

nicht blos die Aufgabe zufiel, die Vocale ä, i, u sammt deren

Trübungen zu bezeichnen , sondern auch noch die Consonanten

h, y, V zu vertreten, endlich dass die Nasale nur geschrieben

wurden, wenn sie zwischen Vocalen standen oder ein Halbvocal

ihnen folgte. Diese Sätze gelten für das gesammte Awestä mit

Ausnahme der Gathäs , welche meiner Ansicht nach ursprünglich

in einer verschiedenen Schriftart geschrieben waren und zwar in

einer deren Princip sich mehr der altpersischen Schrift näherte.

Dafür spricht schon die durchgängige Verlängerung der Vocale

am Ende der Wörter auch ist es klar, dass in den Gäthäs die

tönende Spirans nicht mit dem Zeichen der Tennis, sondern mit

dem der unaspirirten Media zusammengefallen sein muss. Aus

diesen Schriftverhältnissen geht bervor, dass den Redaetoren des

Awestätextes ein sehr weiter Spielraum gelassen war, als dieselben

daran gingen den Text in die jetzige Schriftart zu umscbreiben,

dass es unerlässlich ist, für die frühere Zeit eine mündliche Ueber¬

lieferung der Aussprache neben dem geschriebenen Texte anzunebmen.

Dass diese Tradition nicht an allen Orten und in allen Punkten

übereinstimmte, ist natürlich und auch aus unseren Handschriften ersichtlich, manche der oben mitgetheilten Lesarten und viele andere

lassen sich auf diese schwankende Ueberlieferung der Aussprache

zurückführen, einige andere mögen hier nocb erwähnt werden.

Vielfach finden wir Schwankungen in der Aussprache von Vocalen.

So ist Vd. 13, 50 yujyeyti neben yujyayti gut bezeugt, ebenso

Vd. 8, 109 yraeshyantim neben yraeshyeintim Vd. 17, 29 vae-

dhayante und vaedhayginti. Neben dämahva finden wir auch dä-

mohu, dagegen garemohva, man schreibt baväithyäi , daväithyäo,

aber auch drvaityäi, bavaintyäo. Nicht uninteressant ist auch die

Schwankung pata und pita in dem Namen für den Vater. Hübsch¬

mann hält nur die letztere Form für correct und will die erstere

gestrichen wissen, aber icb bin nicht seiner Ansicht, denn auch

im Neupersischen bestehen nach Aussage der Lexicographen für

jXj die Aussprachen padar und pidar neben einander. Wenn es

nun auch möglich ist, anzunehmen, es habe dieser moderne Zu¬

stand auf die Aussprache des Awestäwortes eingewirkt, so ändert

dies nichts an der Sache, denn aucb die moderne Aussprache

beweist eben, dass man früher in Erän die beiden Formen patar

und pitar besass, die erstere ist die altindogermanische Form, die

zweite eine arische Schwächung, die entschieden im Altpersischen durchgedrungen ist, dieses Ueispiel ist aber nicht der einzige Fall

(22)

tipUget, zur Textkritik des Awesta. 607

in welchem das Süderänische sich genaner an das Sanskrit an¬

schliesst als das Norderänische. Ungemein schwankend sind selbst

unsere besten Handschriften hinsichtlich der Auslaute i und

u und 0, es ist dies ein Uebelstand, der schwer ins Gewicht fällt,

da diese Endvocale bei der Flexion eine bedeutende Rolle spielen,

es dürfte durch dieses Schwanken bewiesen sein, dass man sich

in vieler Hinsicht in dieser Beziehung schon unsicher füblte, als

die Umschreibung des Textes vorgenommen wurde. Einige dieser

Schwankungen weisen indessen auf Doppelformen hin , die in der

Sprache selbst bestanden.

Um nun zu ermitteln, welcben Wertb wir dieser späten tra¬

ditionellen Aussprache beilegen dürfen, wird es nöthig sein, die¬

selbe mit einer wirklichen alteränischen Aussprache zu vergleichen,

denn das Sanskrit, als eine fremde Sprache, kann hier natürlich

nicht massgebend sein. Eine genau verbürgte alteränische Aus¬

sprache giebt uns nun das Altpersische. Es mag sein, dass man

zur Zeit des Darius I und Xerxes I die Worte nicht mehr genau

so aussprach, wie wir es zu thun gewohnt sind, es kann aber

nicht zweifelhaft sein , dass es eine Zeit gab , in welcher wirklich

so gesprocben wurde, wie man schrieb. Auch der Einwurf, dass

das Altpersische ein süderänischer Dialekt sei, die Awestädialekte

dagegen norderänische, kann uns nicht sonderlich beirren, da wir

ja wissen, dass der Unterschied der eränischen Dialekte ein geringer war. Das Material, welches uns die altpersischen Keilinschriften

bieten, ist zwar kein sehr grosses, es reicht aber vollkommen hin

zur Vergleichung, da wir in allen altiränischen Dialekten eine

gute Anzahl identischer Wörter und Wortformen vorfinden. Ich

glaube nicht zuviel zu behaupten, wenn ich sage, dass eine ein¬

gehende Vergleichung der altpersischen Aussprache mit der Awestä-

aussprache die Ueberzeugung befestigen wird, die altpersische Aus¬

sprache sei die ältere , die Awestaaussprache die jüngere , aber

auch, dass die letztere nicht auf Willkür, sondern auf historischer

Entwickelung beruht. Eine ins Einzelne gehende Vergleichung

beider Alpbabete habe icb an einem anderen Orte gegeben , hier

will ich nur auf einige Hauptpunkte aufmerksam machen. Die

tönenden Spiranten des jüngeren Awestä fehlten dem Altpersischen

durchaus (auch in den Gäthäs sind sie sehr problematisch), es ist

wohl nicht zweifelhaft, dass sie eine sehr späte Entwickelung der

Ausspracbe hervorgerufen hat. Im Nachtheil gegen das Awestä

scheint das Altpersische darin zu sein , dass d.asselbe die Con¬

sonanten t, n, h im Auslaute nicht schreibt, aber dieser Nachtheil

ist nur scheinbar, die genannten Laute wurden, wenn auch nicht

geschrieben , noch gehört , auch im Griechischen ist bekanntlich

schliessendes t und n schon bei Homer vielfacb gesebwunden,

ohne dass man darum die homerische Sprache für jung hält.

Dass im Altpersischen iy, uv steht, wo die Awestädialekte blos

y und v geben, ist gewiss ein Zeichen grösseren Altei-s. Vor Allem

(23)

608 Spiegel, zur Textkritik des Awestd.

aber ist das Vocalsystem des Altpersiseben klar und einfach, es

wird Niemand bebaupten wollen, dass dasselbe eine Redaetion des

complicirten und heruntergekommenen Voealsystems der Awestä-

spracben sei.

Einen Beweis dafür, dass die Vergleichung der Awestasprachen

mit dem Altpersischen auch für die Textkritik des Awesta von

Wichtigkeit sei, mögen die folgenden Beispiele liefem. Wir finden

im Altpersischen sehr häufig das Verbum shiyu gebraucht, welches

gehen bedeutet und welchem im Awestä shu, im Neupersischen

shudan (^Jlä) entspricht. Ebenso führt uns das altp. Nomen

shiyäti auf eine Wurzel shiyä, welche im Awestä als shä erscheint

und mithin ist shäiti im Awestä mit shiyäti identisch, ebenso

gebört bieber das neup. sbäd (jLä). Man sieht hieraus, dass nach

sh im Awestä und im Neupersischen ein iy, y nach und nach

geschwunden ist, was bei den «"wähnten nachweisbaren Wortformen

geschehen ist kann auch bei anderen geschehen sein , für welche

ein weniger ausreichendes Material in unseren Händen ist. Wenn

wir z. B. im Awestä die Formen irishy§iti, irishyät;, irishyän von

iiish abgeleitet finden, während wir dagegen Vd. 7, 101 (= 7, 38 W.)

irishefito überwiegend beglaubigt finden, Vd. 15, 39 (= 15, 12 W.).

ebenso irishafltäm und irisbefitäm, so finden diese Lesarten durch

das oben nachgewiesene Verschwinden des y nach sh ibre Erklärang.

Westergaards Lesarten irisbiüto und irishintäm will ich daram

nicht als unmöghch verworfen wissen, sie lassen sich namentlich

durch die Varianten von Vd. 13, 87 (=13, 31 W.) unterstützen,

ich möchte sie aber auch nicht so erklären wie es gewöhnlich

gescbiebt, als seien sie durcb samprasarana aus irishyanto etc.

entstandeu, ich sebe in dem Vocale i vielmehr blos eine Färbung

des a , wie sie in yimo , väcim , drujim etc. vorliegt. Es erklärt

sich auch durch dieses Verschwinden des y, wenn wir im Awestä

tbishyant, daneben aber tbishaguba finden, das auffallende cvat hat

schon Bopp richtig durch civa^ erklärt. Dieselbe Erscheinung des

Verschwindens eines y finden wir auch nach j und z. Der altp.

Form adurujiya stehen im Awestä Pormen wie aiwi-drazhaiti und

aiwi-druzheftti gegenüber, es ist dies um so auffallender, als auch

noch in den Gäthäs die Form adrujyant vorkommt. Ohne Zweifel

ist auch hier y geschwunden und aiwi - druzbaiti ist auf ein ur¬

sprüngliches aiwi-drajyaiti zuräckzuführen. Dem altp. jiv wie skr.

jiv steht im Awestä ju gegenüber, während doch sonst j vor u

nicbt vorkommt. Ohne Frage ist dieses ju durch die Uebergangs¬

form jyu auf jiv zurückzuführen. Dei'selbe Fall wie bei sh und

j ist auch bei z eingetreten, dadurch ist es zu erklären, wenn wir

Vd. 22, 21 baeshazäni finden neben den sonst gewöhnlichen Formen

baeshazyois, baeshazyata und baeshazyät. Die Beobachtung dieser

Eigentbümlicbkeit ist aucb der Grund, warum ich an zemo, als

der richtigen Fox-m des Genitivs von zyäo, allen gegentheiligen

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