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Rechtsmittel bei Beendigung des Verfahrens durch Entscheidsurrogat (Art. 241 ZPO)

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Unklarheiten, z.B. darüber, was Anfechtungsobjekt der Revision bildet oder welche Instanz für die Behandlung des Revisionsgesuchs zuständig ist.

Diesen Kontroversen soll der vorliegende Beitrag gewidmet sein. Dabei wird in einem ersten Schritt ein Blick auf die früheren kantonalen Regelungen und ins- besondere auf die Unterscheidung zwischen Berner Mo- dell und Zürcher Modell geworfen (II) und die bisherige Rechtsprechung des Bundesgerichts sowie der oberen kantonalen Gerichte ausgewertet (III). Anschliessend soll die Problematik analysiert (IV) und ein Blick auf vergleichbare Rechtsinstitute der ZPO geworfen werden (V). Abschliessend folgt eine Zusammenfassung der Er- gebnisse (VI).

II. Berner Modell und Zürcher Modell

In den früheren kantonalen Zivilprozessordnungen wa- ren der gerichtliche Vergleich, die Klageanerkennung und der Klagerückzug sowie deren Wirkungen auf das hängige Verfahren unterschiedlich geregelt. Dabei kann zwischen dem Berner und dem Zürcher Modell unter- schieden werden. Nach dem Berner Modell wurde der Prozess unmittelbar durch die Parteidisposition been- det. Ein nachfolgender Abschreibungsbeschluss des Ge- richts hatte nur noch deklaratorischen Charakter2. Dem Berner Modell folgte ein knappes Dutzend der Kantone (u.a. AR, BE, BL, BS, NE, TI). Nach dem Zürcher Mo- dell wurde der Prozess hingegen nicht schon durch die Parteidisposition, sondern erst durch den nachfolgen- den gerichtlichen Abschreibungsbeschluss beendet3. Das Zürcher Modell war in der Schweiz knapp vorherr-

2 Vgl. Pascal leumann liebster, in: Thomas Sutter-Somm/

Franz Hasenböhler/Christoph Leuenberger (Hrsg.), Kom- mentar zur Schweizerischen Zivilprozessordnung (ZPO), 2. Aufl., Zürich/Basel/Genf 2013, Art. 241 N 16 m.w.N.

3 Vgl. leumann liebster (FN 2), Art. 241 N 16 m.w.N.

I. Einführung

Das 6. Kapitel des 3. Titels des 2. Teils der ZPO behandelt die Beendigung des Verfahrens ohne Entscheid. Art. 241 ZPO regelt dabei die Verfahrensbeendigung durch be- stimmte Parteidispositionen, nämlich durch gerichtli- chen Vergleich, Klageanerkennung und Klagerückzug.

Gemäss Art. 241 Abs. 2 ZPO haben diese Parteidisposi- tionen die Wirkungen eines rechtskräftigen Entscheids.

Sie werden entsprechend als Entscheidsurrogate be- zeichnet1. Das Gericht hat im Anschluss das Verfahren gemäss Art. 241 Abs. 3 ZPO abzuschreiben.

Dieses Zusammenspiel von Entscheidsurrogat und gerichtlichem Abschreibungsbeschluss hat in Lehre und Rechtsprechung zu einigen Kontroversen geführt, insbesondere in Bezug auf das Rechtsmittelsystem bei Beendigung des Verfahrens durch Entscheidsurrogat.

Auch ein grundsätzlich klar formulierter Leitentscheid des Bundesgerichts hat bisher nicht zur erhofften Klä- rung geführt, da sich mehrere obere kantonale Gerichte ausdrücklich der Rechtsprechung des Bundesgerichts widersetzt haben.

Primär ist umstritten, welche Rechtsmittel in einem solchen Fall überhaupt zur Verfügung stehen. Einer ers- ten, vorherrschenden Ansicht zufolge ist die Revi sion primäres und ausschliessliches Rechtsmittel. Einer zwei- ten Ansicht nach sollen neben der Revision auch Beru- fung oder subsidiär Beschwerde zugelassen sein und eine dritte Ansicht verneint schliesslich die Möglichkeit einer Berufung, lässt aber die Beschwerde zu. Neben dieser Grundsatzkontroverse bestehen noch weitere

andreas baeckert, MLaw und robert Wallmüller, BLaw, bei- de Zürich.

Der Zweitautor hat an der Universität Zürich eine Masterar- beit zum Thema «Rechtsmittel gegen einen Vergleich» ver- fasst.

1 Vgl. Botschaft zur Schweizerischen Zivilprozessordnung (ZPO) vom 28. Juni 2006, BBl 2006 7221 ff., 7345, welche von Urteilssurrogaten spricht.

Rechtsmittel bei Beendigung des Verfahrens durch Entscheidsurrogat (Art. 241 ZPO)

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von verfahrensbeendenden Parteidispositionen vor (vgl.

Art. 428 aZPO NE).

Unter dem Zürcher Modell waren die Ungültigkeit einer verfahrensbeendenden Parteidisposition oder an- dere Mängel hingegen durch Anfechtung des Abschrei- bungsbeschlusses geltend zu machen. Dazu standen grundsätzlich zunächst die ordentlichen Rechtsmittel und nach Ablauf der Rechtsmittelfrist die Revision of- fen14.

Der Botschaft zur ZPO kann entnommen werden, dass der Gesetzgeber zur Anfechtung von verfahrens- beendenden Parteidispositionen grundsätzlich die Re- vision als Rechtsmittel zur Verfügung stellen wollte, da dies einer modernen Tendenz im Prozessrecht ent- spräche, und er dazu mit Art. 328 lit. c ZPO einen ent- sprechenden Revisionsgrund einführte15. Zwar sahen tatsächlich verschiedene, hauptsächlich jüngere frühere kantonale Prozessordnungen einen entsprechenden Re- visionsgrund vor (z.B. Art. 344 Abs. 1 lit. b aZPO AG,

§ 275 lit. b aZPO LU, Art. 428 aZPO NE, § 293 Abs. 2 aZPO ZH), allerdings folgten diese – mit Ausnahme der Zivilprozessordnung des Kantons Neuenburg – dem Zürcher Modell. Die Lehre zur früheren aargauischen Zivilprozessordnung verneinte gar mit guten Gründen die Möglichkeit einer Anfechtung mit Revision un- ter dem Berner Modell16. Die ZPO weist deshalb eine Systemwidrigkeit auf, wenn sie einerseits dem Berner Modell folgt, andererseits aber in Art. 328 lit. c ZPO die Revision zulässt17. Dieser Umstand dürfte zu einem grossen Teil die Ursache für die zahlreichen Kontrover- sen in Literatur und Rechtsprechung sein.

III. Überblick über die Rechtsprechung

1. Revision

Das Bundesgericht hat sich am 22. Februar 2013 in ei- nem Leitentscheid18 zur Frage nach den zur Verfügung stehenden Rechtsmitteln bei Beendigung des Verfahrens durch Entscheidsurrogat geäussert. Es hatte dabei eine

14 Vgl. richard Frank/hans sträuli/GeorG messmer, Kommen- tar zur zürcherischen Zivilprozessordnung, 3. Aufl., Zürich 1997, § 188 N 19; christoPh leuenberGer/beatrice uFFer- tobler, Kommentar zur Zivilprozessordnung des Kantons St. Gallen, Bern 1999, Art. 83 N 4d; barbara merz, Die Praxis zur thurgauischen Zivilprozessordnung, 2. Aufl., Bern 2007,

§ 256 N 5 i.V.m. § 255 N 9.

15 Vgl. Botschaft ZPO (FN 1), 7380.

16 Vgl. alFred bühler, Von der Prozesserledigung durch Par- teierklärung (Vergleich, Anerkennung, Rückzug) nach aar- gauischem Zivilprozessrecht, in: Aargauischer Juristenverein (Hrsg.), Festschrift für Kurt Eichenberger, Aarau 1990, 49 ff., 56; edelmann (FN 5), § 285 N 4.

17 Gl.M. martin h. sterchi, in: Berner Kommentar Schweizeri- sche Zivilprozessordnung, Band II, Bern 2012, Art. 328 N 25;

vgl. auch PhiliPPe schWeizer, in: Code de procédure civile commenté, Basel 2011, Art. 328 N 39 f.

18 BGE 139 III 133; vgl. auch BGer 5A_348/2014 vom 24. Juli 2014 E. 3.

schend (u.a. AG, LU, SG, SO, TG, ZH) und es war eine leichte Tendenz weg vom Berner Modell und hin zum Zürcher Modell erkennbar. So schloss sich etwa das Obergericht Solothurn 1983 mit einer Änderung der Rechtsprechung dem Zürcher Modell an4 und der Kan- ton Aargau wechselte mit Inkrafttreten seiner neuen Zi- vilprozessordnung 1988 vom Berner zum Zürcher Mo- dell5. Aus der Botschaft zur ZPO ergibt sich, dass unter der ZPO die Parteidispositionen den Prozess unmittel- bar beenden und der Abschreibungsbeschluss nur noch der guten Ordnung halber erfolgt6. Die ZPO folgt somit dem Berner Modell7.

Aus der Zuordnung der ZPO zum Berner Modell lässt sich jedoch noch keine abschliessende Aussage zu den verfügbaren Rechtsmitteln bei Beendigung des Ver- fahrens durch Entscheidsurrogat ableiten. In Kantonen, welche früher dem Berner Modell folgten, war die Un- gültigkeit eines gerichtlichen Vergleichs, einer Klagean- erkennung oder eines Klagerückzugs grundsätzlich mit- tels einer neuen Feststellungsklage geltend zu machen8. Viele Kantone kannten daneben allerdings noch weitere mögliche Rechtsmittel. So konnte z.B. im Kanton Bern Rechtsverweigerungsbeschwerde erhoben werden, wenn das Gericht bei einem blossen Teilvergleich zu Unrecht das gesamte Verfahren abgeschrieben hatte9, während im Kanton Basel-Land in einem solchen Fall Beschwer- de gegen den Abschreibungsbeschluss erhoben werden konnte10. Im Kanton Basel-Stadt stand bei Verfahrens- mängeln ebenfalls die Beschwerde zur Verfügung11. Im Kanton Tessin konnte der Abschreibungsbeschluss an- gefochten werden, wenn die Existenz einer verfahrens- beendenden Parteidisposition bestritten wurde12, und im Kanton Appenzell Ausserrhoden war es möglich, bei Willkür den Abschreibungsbeschluss mit Beschwerde bei der Aufsichtskommission anzufechten13. Soweit er- sichtlich, sah Neuenburg als einziger Kanton, welcher dem Berner Modell folgte, in seiner früheren kantona- len Zivilprozessordnung kein Klageverfahren, sondern einen besonderen Revisionsgrund für die Anfechtung

4 Vgl. OGer SO vom 29. Juli 1983 (= SOG 1983 Nr. 6).

5 Vgl. andreas edelmann, in: Alfred Bühler/Andreas Edel- mann/Albert Killer, Kommentar zur aargauischen Zivilpro- zessordnung, 2. Aufl., Aarau/Frankfurt a.M./Salzburg 1998,

§ 285 N 4.

6 Vgl. Botschaft ZPO (FN 1), 7345.

7 Vgl. auch BGer 5A_348/2014 vom 24. Juli 2014 E. 3.2.

8 Vgl. GeorG leuch/omar marbach/Franz kellerhals/mar-

tin sterchi, Die Zivilprozessordnung für den Kanton Bern, 5. Aufl., Bern 2000, Art. 207 N 2e.

9 Vgl. leuch/marbach/kellerhals/sterchi (FN 8), Art. 207 N 3b.

10 Vgl. heinrich Weibel/maGdalena rutz, Gerichtspraxis zur basellandschaftlichen Zivilprozessordnung, 4. Aufl., Liestal 1986, 130 m.w.N.

11 Vgl. bruno haberthür, Praxis zur Basler Zivilprozessord- nung, Basel 1964, 677.

12 Vgl. bruno cocchi/Francesco trezzini, Codice di procedura civile ticinese, Lugano 2000, Art. 352 N 10.

13 Vgl. max ehrenzeller, Zivilprozessordnung des Kantons Ap- penzell A.Rh., Herisau 1988, Art. 201 N 10.

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bünden32 und das Appellationsgericht Basel-Stadt33 ha- ben angedeutet, dass sie sich ebenfalls dem Bundesge- richt anschliessen werden. Schliesslich hat sich auch die I. Zivilkammer des Obergerichts Zürich grundsätzlich dem Bundesgericht angeschlossen und ihre bisherige, anderslautende Praxis aufgegeben34.

2. Berufung und Beschwerde

Die II. Zivilkammer des Obergerichts Zürich vertrat vor BGE 139 III 133 die Ansicht, dass bei der Beendigung des Verfahrens durch Entscheidsurrogat neben der Re- vision auch Berufung oder subsidiär Beschwerde gegen den Abschreibungsbeschluss möglich seien35. Sie be- gründete dies damit, dass es sich beim Abschreibungs- beschluss nicht um ein entscheidmässiges Nichts hand- le, sondern der Abschreibungsbeschluss verschiedene Entscheidungen des Gerichts enthalte. Die Revision betreffe nur gerade die Dispositionsakte der Parteien, bezüglich der Frage nach den prozessualen Folgen der Dispositionsakte könne sie jedoch nicht weiterhelfen.

Wenn deshalb die Existenz oder die formelle Gültigkeit eines Entscheidsurrogats bestritten wird, müssten dafür Berufung oder subsidiär Beschwerde gegen den gericht- lichen Abschreibungsbeschluss offenstehen36. An dieser Praxis hat die II. Zivilkammer des Obergerichts Zürich bisher auch nach der Publikation von BGE 139 III 133 festgehalten37. Sie begründete dies einerseits damit, dass ihre Praxis in der Lehre Zuspruch gefunden habe, und andererseits damit, dass die Revision in bestimmten Konstellationen (z.B. wenn die Wirksamkeit des Wi- derrufs eines gerichtlichen Vergleichs umstritten ist) ungeeignet sei und stattdessen Berufung oder subsidiär Beschwerde zuzulassen seien38.

Die I. Zivilkammer des Obergerichts Zürich vertrat in einem bisher singulär gebliebenen Entscheid die An- sicht, dass von BGE 139 III 133 dann abzuweichen sei, wenn geltend gemacht wird, dass gar kein Entscheidsur- rogat vorliege. In einem solchen Fall stelle der Abschrei- bungsbeschluss einen Endentscheid dar, welcher das Verfahren zu Unrecht beendet und gegen welchen je nach Streitwert Berufung oder Beschwerde offensteht39.

Auch das Kantonsgericht Neuenburg, welches sich zunächst BGE 139 III 133 angeschlossen hatte40, hat

32 KGer GR ZK2 13 30 vom 4. April 2014 E. 1.b.bb.

33 AppGer BS ZB.2013.40 vom 17. Juni 2014 E. 3.3.5.

34 OGer ZH RU120013 vom 15. Mai 2013 E. 5.b; bestätigt u.a.

in OGer ZH RE120005 vom 30. Mai 2013 E. 2.c; OGer ZH RU140019 vom 30. Mai 2014 E. 4; vgl. aber OGer ZH RU130051 vom 11. Oktober 2013 E. 2.c.

35 OGer ZH PD110003 vom 4. März 2011 E. 2.1; bestätigt u.a. in OGer ZH PF110004 vom 9. März 2011 E. 5.2.

36 OGer ZH PD110003 vom 4. März 2011 E. 2.1.

37 OGer ZH NP130033 vom 20. März 2014 E. 2; OGer ZH RU130067 vom 18. März 2014 E. 2.

38 OGer ZH NP130033 vom 20. März 2014 E. 2.

39 OGer ZH RU130051 vom 11. Oktober 2013 E. 2.c.

40 KGer NE ARMC.2013.74 vom 13. Januar 2014 E. 3.b.

Beschwerde gegen einen Abschreibungsbeschluss infol- ge gerichtlichen Vergleichs des Handelsgerichts Aargau zu beurteilen. Das Bundesgericht hielt zunächst fest, dass es sich beim gestützt auf Art. 241 Abs. 3 ZPO er- lassenen Abschreibungsbeschluss um einen rein dekla- ratorischen Akt handle, da bereits der gerichtliche Ver- gleich als solcher den Prozess unmittelbar beende. Der Abschreibungsbeschluss könne deshalb nicht Anfech- tungsobjekt einer Berufung oder Beschwerde nach ZPO bzw. einer Beschwerde nach BGG (Bundesgerichtsge- setz) bilden19. Lediglich der im Abschreibungsbeschluss enthaltene Kostenentscheid sei anfechtbar20. Weiter hielt das Bundesgericht fest, dass auch das Entscheidsurro- gat selber, selbst wenn diesem gemäss Art. 241 Abs. 2 ZPO die Wirkungen eines rechtskräftigen Entscheids zukommen, nicht mit Berufung oder Beschwerde nach ZPO bzw. Beschwerde nach BGG, sondern einzig mit Revision nach Art. 328 lit. c ZPO angefochten werden könne21. Die Revision bilde mithin primäres und aus- schliessliches Rechtsmittel für materielle und prozessu- ale Mängel des Entscheidsurrogats22. Das Bundesgericht stützte sich dabei in seinem knappen Leitentscheid auf die herrschende Lehre und die Botschaft zur ZPO23. Die in der Lehre vertretenen Minderheitsansichten wurden hingegen grösstenteils ausgeblendet und auch die reich- lich vorhandene, stärker differenzierende kantonale Rechtsprechung – insbesondere jene des Obergerichts Zürich – wurde nicht erwähnt. Trotzdem formulierte das Bundesgericht seinen Entscheid und seine Leitsätze absolut.

Die Ansicht des Bundesgerichts, wonach bei Been- digung des Verfahrens durch Entscheidsurrogat einzig die Revision als Rechtsmittel zur Verfügung steht, war zuvor bereits vom Kantonsgericht St. Gallen24 vertreten worden. Das Appellationsgericht Tessin25, das Oberge- richt Thurgau26, das Obergericht Aargau27, das Ober- gericht Bern28, das Obergericht Appenzell Ausserrho- den29 und das Kantonsgericht Waadt30 haben sich der Rechtsprechung des Bundesgerichts angeschlossen. Das Kantonsgericht Basel-Land31, das Kantonsgericht Grau-

19 BGE 139 III 133 E. 1.2; bestätigt in BGer 5A_348/2014 vom 24. Juli 2014 E. 3.2.

20 BGE 139 III 133 E. 1.2; bestätigt in BGer 5A_348/2014 vom 24. Juli 2014 E. 3.2.

21 BGE 139 III 133 E. 1.3 für den gerichtlichen Vergleich; BGer 5A_348/2014 vom 24. Juli 2014 E. 3.2 für die Klageanerken- nung und den Klagerückzug.

22 BGE 139 III 133 E. 1.3; bestätigt in BGer 5A_348/2014 vom 24. Juli 2014 E. 3.2.

23 Vgl. BGE 139 III 133 E. 1.2.

24 KGer SG BE.2011.41 vom 19. Oktober 2011 E. 3.

25 AppGer TI 11.2013.20 vom 22. April 2013 E. 2.

26 OGer TG ZBR.2013.42 vom 20. August 2013 E. 2.a.aa.

27 OGer AG ZSU.2013.91 vom 16. September 2013 E. 1.2.

28 OGer BE ZK 13 642 vom 11. März 2014 E. II.1.

29 OGer AR O2Z 13 3 vom 25. März 2014 E. 4.

30 KGer VD HC/2014/603 vom 29. Juli 2014 E. 3.

31 KGer BL 410 13 132 vom 23. Juli 2013 E. 2.2.

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des Verfahrens bestritten wird48. Weil BGE 139 III 133 keinen solchen Fall betraf, könne nicht davon ausge- gangen werden, dass die Ansicht, wonach der Abschrei- bungsbeschluss anfechtbar ist, nun überholt sei49. Da es sich beim Abschreibungsbeschluss nicht um ein Nichts, sondern um einen anderen gesetzlichen Entscheid i.S.v.

Art. 319 lit. b ZPO handle und die Abschreibung eines Verfahrens ohne Behandlung der gestellten Rechts- begehren einen nicht leicht wiedergutzumachenden Nachteil darstelle, habe die Anfechtung des Abschrei- bungsbeschlusses mittels Beschwerde zu erfolgen50. Für eine Anfechtung mittels Berufung fehle es hingegen an einem zulässigen Anfechtungsobjekt51.

IV. Analyse der Problematik

Unbestritten ist zunächst, dass der im Abschreibungsbe- schluss enthaltene Kostenentscheid des Gerichts selbst- ständig mittels Beschwerde angefochten werden kann (vgl. Art. 110 ZPO)52. Ebenfalls selbstständig mittels Beschwerde anfechtbar sind allfällige vom Gericht im Abschreibungsbeschluss angeordnete direkte Vollstre- ckungsmassnahmen (Art. 309 lit. a ZPO analog)53.

Umstritten ist hingegen die Anfechtbarkeit des Ent- scheidsurrogats und des Abschreibungsbeschlusses an sich. Die Anfechtbarkeit dieser Akte hängt zunächst von ihrer rechtlichen Qualifikation als mögliche Anfech- tungsobjekte einer Berufung, Beschwerde oder Revision ab, also insbesondere von ihrer rechtlichen Qualifika- tion als Entscheid (vgl. Art. 308 Abs. 1, Art. 319 lit. a/b, Art. 328 Abs. 1 ZPO). Die rechtliche Qualifikation des Abschreibungsbeschlusses wird von einem Teil der Leh- re und Rechtsprechung wiederum von der Art des An- fechtungsgrundes abhängig gemacht. Weit verbreitet ist dabei eine Unterscheidung zwischen formellen und ma- teriellen Mängeln54. U.E. ist jedoch eine Unterscheidung zwischen Mängeln, welche zur Nichtigkeit bzw. zum Nichtvorliegen des Entscheidsurrogats führen, und sol- chen, welche bloss zur Anfechtbarkeit des Entscheidsur- rogats führen, vorzunehmen55.

48 KGer SZ ZK2 2013 54 vom 7. November 2013 E. 3.a.aa.

49 KGer SZ ZK2 2013 54 vom 7. November 2013 E. 3.a.bb.

50 KGer SZ ZK2 2013 54 vom 7. November 2013 E. 3.b.aa.

51 KGer SZ ZK2 2013 54 vom 7. November 2013 E. 3.b.bb.

52 Vgl. BGE 139 III 133 E. 1.2; OGer ZH PD110003 vom 4. März 2011 E. 2.1; daniel steck, in: Karl Spühler/Luca Tenchio/

Dominik Infanger (Hrsg.), Basler Kommentar Schweizeri- sche Zivilprozessordnung, 2. Aufl., Basel 2013, Art. 241 N 20;

kriech (FN 45), Art. 241 N 23.

53 Zur Zulässigkeit der Anordnung von direkten Vollstreckungs- massnahmen im Abschreibungsbeschluss vgl. BezGer Uster ER130030 vom 4. Juli 2013; OGer ZH PD110003 vom 4. März 2011 E. 2.1.

54 Vgl. OGer ZH RU130051 vom 11. Oktober 2013 E. 2.c.; urs

h. hoFFmann-noWotny, in: Oliver M. Kunz/Urs H. Hoff- mann-Nowotny/Demian Stauber, ZPO-Rechtsmittel Beru- fung und Beschwerde, Basel 2013, Art. 308 N 36.

55 Gl.M. matthias maurer, Der Vergleichsvertrag, Diss. Zürich, Zürich/Basel/Genf 2013, N 793 ff.

sich in einem neueren Entscheid41 dem Bundesgericht offen widersetzt und die Berufung gegen einen gestützt auf Art. 241 Abs. 3 ZPO erlassenen Abschreibungsbe- schluss zugelassen. Es begründete dies damit, dass die Ansicht des Bundesgerichts und der herrschenden Leh- re nicht alle möglichen Konstellationen erfasse und in bestimmten Fällen zu unbefriedigenden Ergebnissen führen könne. Wird vor Erlass des Abschreibungsbe- schlusses ein Mangel des gerichtlichen Vergleichs gel- tend gemacht, präsentiere sich der nachfolgende Ab- schreibungsbeschluss als Entscheid. Auch bestehe weder aus Sicht der Parteien noch aus Sicht des Justizsystems ein Interesse daran, Streitigkeiten über Formfehler eines gerichtlichen Vergleichs in das Revisionsverfahren zu verschieben. Deshalb sei in solchen Spezialfällen die Be- rufung (und wohl subsidiär auch die Beschwerde) gegen den Abschreibungsbeschluss zuzulassen42.

Schliesslich hat sich auch das Obergericht Glarus43 – allerdings noch vor Berücksichtigung von BGE 139 III 133 – dafür ausgesprochen, dass, sofern strittig ist, ob ein Gericht das Verfahren zu Recht abgeschrieben hat, der Abschreibungsbeschluss der Beschwerde ans Bun- desgericht unterliege.

3. Beschwerde

Die I. Zivilkammer des Obergerichts Zürich vertrat, bevor sie sich später grundsätzlich BGE 139 III 133 anschloss, die Ansicht, dass gegen den Abschreibungs- beschluss Beschwerde, nicht aber Berufung erhoben werden könne44. Sie begründete dies – unter Verweis auf markus kriech45 – damit, dass die Revision nicht dazu diene, den Abschreibungsbeschluss nochmals durch das erkennende Gericht überprüfen zu lassen. Dafür sei der Weiterzug an die obere Instanz mittels Beschwerde das geeignete Mittel, da die Beschwerde die Rechtskraft und die Vollstreckbarkeit des Entscheidsurrogats nicht hem- me. Einer Anfechtung mittels Berufung würde hingegen aufschiebende Wirkung zukommen, was dem Willen des Gesetzgebers widersprechen würde46.

Mit anderslautender Begründung ging auch das Kan- tonsgericht Schwyz von der Möglichkeit einer Anfech- tung des Abschreibungsbeschlusses mittels Beschwerde aus und widersetzte sich offen BGE 139 III 13347. Es begründete seinen Entscheid damit, dass der Abschrei- bungsbeschluss dann anfechtbar sein müsse, wenn das Vorliegen einer Voraussetzung für die Abschreibung

41 KGer NE CACIV.2013.44 vom 11. Februar 2014 E. 1.

42 KGer NE CACIV.2013.44 vom 11. Februar 2014 E. 1.

43 OGer GL OG.2012.00074 vom 28. Februar 2013 E. 5.

44 OGer ZH RU120014 vom 30. März 2012 E. 3.c; OGer ZH RU120017 vom 30. März 2012 E. 3.c.

45 markus kriech, in: Alexander Brunner/Dominik Gasser/

Ivo Schwander (Hrsg.), Schweizerische Zivilprozessord- nung – Kommentar, Zürich/St. Gallen 2011 (Online-Stand 20.10.2013), Art. 241 N 17 ff.

46 OGer ZH RU120014 vom 30. März 2012 E. 3.c.

47 KGer SZ ZK2 2013 54 vom 7. November 2013 E. 3.a f.

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ein Entscheidsurrogat somit nicht Anfechtungsobjekt einer Berufung oder Beschwerde bilden63. Streng nach Gesetzeswortlaut fällt damit auch die Anfechtung mit- tels Revision ausser Betracht, da auch diese sich gemäss Art. 328 Abs. 1 ZPO gegen einen rechtskräftigen Ent- scheid zu richten hat. Auf diese Problematik soll im Zu- sammenhang mit den mangelhaften Entscheidsurroga- ten noch genauer eingegangen werden.

Umstrittener präsentiert sich die Situation betref- fend den Abschreibungsbeschluss. Das Bundesgericht64 und die herrschende Lehre65 sprechen auch diesem die Entscheidqualität ab und verneinen entsprechend die Möglichkeit einer Anfechtung mit Berufung oder Beschwerde. Für denis taPPy66 lässt sich der Abschrei- bungsbeschluss hingegen mit einem Nichteintretens- entscheid, welcher aus prozessualen Gründen das Verfahren beendet, vergleichen, weshalb der Abschrei- bungsbeschluss als Endentscheid zu qualifizieren sei.

Ähnlich argumentiert matthias maurer, welcher im Abschreibungsbeschluss einen formellen Endentscheid sieht67. Gemäss der II. Zivilkammer des Obegerichts Zürich68 (und implizit wohl auch dem Obergericht Glarus69) handelt es sich beim Abschreibungsbeschluss nicht um ein entscheidmässiges Nichts, sondern dieser enthalte vielmehr verschiedene Entscheidungen des Ge- richts, weshalb er als mittels Berufung oder Beschwerde anfechtbarer Entscheid zu qualifizieren sei. Schliesslich argumentiert auch das Kantonsgericht Schwyz70 damit, dass es sich beim Abschreibungsbeschluss nicht um ein prozessuales Nichts handle, qualifiziert den Abschrei- bungsbeschluss aber anders als die II. Zivilkammer des Obergerichts Zürich nur als anderen gerichtlichen Ent- scheid i.S.v. Art. 319 lit. b Ziff. 2 ZPO.

U.E. ist dem Bundesgericht und der herrschenden Lehre zu folgen und die abweichenden Ansichten, wel- che dem Abschreibungsbeschluss unabhängig vom Anfechtungsgrund Entscheidqualität zusprechen, sind abzulehnen. Dafür spricht zunächst die Gesetzessyste- matik. Die Überschrift des 6. Kapitels des 3. Titels des 2. Teils der ZPO, in welchem sich Art. 241 ZPO befindet, lautet «Beendigung des Verfahrens ohne Entscheid». Dies

63 Vgl. BGE 139 III 133 E. 1.3; dieter FreiburGhaus/ susanne

aFheldt, in: Thomas Sutter-Somm/Franz Hasenböhler/

Christoph Leuenberger (Hrsg.), Kommentar zur Schweize- rischen Zivilprozessordnung (ZPO), 2. Aufl., Zürich/Basel/

Genf 2013, Art. 328 N 6.

64 BGE 139 III 133 E. 1.2.

65 U.a. leumann liebster (FN 2), Art. 241 N 17; steck (FN 52), Art. 241 N 20; laurent killias, in: Berner Kommentar Schweizerische Zivilprozessordnung, Band II, Bern 2012, Art. 241 N 49; kurt blickenstorFer, in: Alexander Brunner/

Dominik Gasser/Ivo Schwander (Hrsg.), Schweizerische Zi- vilprozessordnung – Kommentar, Zürich/St. Gallen 2011 (Online-Stand 20.10.2013), Art. 308 N 13.

66 denis taPPy, in: Code de procédure civile commenté, Basel 2011, Art. 241 N 38.

67 maurer (FN 55), N 820.

68 OGer ZH PD110003 vom 4. März 2011 E. 2.1.

69 OGer GL OG.2012.00074 vom 28. Februar 2013 E. 5.

70 KGer SZ ZK2 2013 54 vom 7. November 2013 E. 3.b f.

Aufgrund dieser Ausgangslage erscheint es angezeigt, nachfolgend zunächst die rechtliche Qualifikation des mängelfreien Entscheidsurrogats und des darauffolgen- den Abschreibungsbeschlusses genauer zu betrachten.

In einem zweiten Schritt soll dann untersucht werden, ob das Vorliegen von Mängeln zu einer Änderung der rechtlichen Qualifikation führt und, darauf aufbauend, welche Rechtsmittel bei welchen Mängeln zur Verfü- gung stehen.

1. Rechtliche Qualifikation des mängelfreien Entscheidsurrogats und des anschliessenden Abschreibungsbeschlusses

Ein Entscheid ist die Klärung einer individuell-kon- kreten Rechtsstreitigkeit durch das Gericht56. Die ZPO unterscheidet verschiedene Arten von Entscheiden. Im Zusammenhang mit den Rechtsmitteln ist dabei die Un- terscheidung zwischen End- und Zwischenentscheiden (Art. 308 Abs. 1 lit. a ZPO) und anderen Entscheiden und prozessleitenden Verfügungen (Art. 319 lit. b ZPO) von Bedeutung. Ein Endentscheid ist gemäss Art. 236 Abs. 1 ZPO ein Sach- oder Nichteintretensentscheid, welcher das Verfahren beendet57. Mit einem Zwischen- entscheid wird hingegen nur über einzelne Streitpunkte entschieden und das Verfahren noch nicht abgeschlos- sen58. Bei den anderen Entscheiden und prozessleiten- den Verfügungen nach Art. 319 lit. b ZPO (Inzidenzent- scheide) handelt es sich um besondere Anordnungen des Gerichts, die im Laufe des Verfahrens zu treffen sind und im Wesentlichen den formellen Ablauf und die konkrete Gestaltung des Verfahrens bestimmen, oder um Entscheide über rein verfahrensrechtliche Zwi- schenfragen59.

Der gerichtliche Vergleich, die Klageanerkennung oder der Klagerückzug beenden gemäss dem vom Ge- setzgeber gewählten Berner Modell das hängige Verfah- ren unmittelbar60. Ihnen kommt zwar gemäss Art. 241 Abs. 2 ZPO die Wirkung eines rechtskräftigen Ent- scheids zu, nicht aber Entscheidqualität, da sie keine ge- richtliche Klärung einer individuell-konkreten Rechts- streitigkeit darstellen61. Vielmehr handelt es sich nur um Surrogate für einen gerichtlichen Entscheid. Dies wurde bereits in der Botschaft zur ZPO festgehalten62 und ist bislang in Lehre und Rechtsprechung richtigerweise un- bestritten geblieben. Mangels Entscheidqualität kann

56 manuel meyer, in: Baker & McKenzie (Hrsg.), Schweizerische Zivilprozessordnung (ZPO), Bern 2010, Art. 236 N 1.

57 Vgl. auch christoPh leuenberGer, Der Endentscheid nach Art. 236 und Art. 308 ZPO: Wie weit geht die Auslegung in Übereinstimmung mit dem BGG?, SZZP 2015, 89 ff. m.w.H.

58 meyer (FN 56), Art. 237 N 1.

59 Botschaft ZPO (FN 1), 7376.

60 Vgl. Botschaft ZPO (FN 1), 7345.

61 Gl.M. karl sPühler, in: Karl Spühler/Luca Tenchio/Dominik Infanger (Hrsg.), Basler Kommentar Schweizerische Zivilpro- zessordnung, 2. Aufl., Basel 2013, Art. 319 N 12.

62 Vgl. Botschaft ZPO (FN 1), 7380.

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Gemäss Rechtsprechung72 und herrschender Lehre73 hat die Anfechtung der Entscheidsurrogate grundsätz- lich mittels Revision zu erfolgen. Nach weit verbreiteter Ansicht ist es aber – vor allem aus prozessökonomi- schen Überlegungen heraus – auch möglich, den An- fechtungsgrund beim mit der Sache befassten Gericht geltend zu machen, solange noch kein Abschreibungs- beschluss ergangen ist. Das Gericht hat dann über die Anfechtung zu befinden und je nach Ergebnis das Ver- fahren wegen Unverbindlichkeit des Entscheidsurrogats weiterzuführen oder einen Abschreibungsbeschluss zu erlassen. Wird ein Abschreibungsbeschluss erlassen, bleibt wiederum nur noch die Revision74. matthias

maurer75 geht noch einen Schritt weiter und will in solchen Fällen im Anschluss Berufung oder Beschwer- de gegen den Abschreibungsbeschluss zulassen, da der Abschreibungsbeschluss einen Entscheid über das Vor- liegen von Anfechtungsgründen darstelle und es keinen Sinn mache, dieselbe Instanz im Rahmen der Revision nochmals über dieselben Rügen entscheiden zu lassen.

U.E. ist es zutreffend, dass die Anfechtung von zivil- rechtlich anfechtbaren Entscheidsurrogaten unter der ZPO ausschliesslich mittels Revision zu erfolgen hat.

Dies ist seitens des Gesetzgebers ausdrücklich so beab- sichtigt und Sinn und Zweck hinter dem neu geschaffe- nen Revisionsgrund in Art. 328 Abs. 1 lit. c ZPO76. Nicht gefolgt werden kann der Ansicht, dass die Anfechtung vor Erlass des Abschreibungsbeschlusses auch beim mit der Sache befassten Gericht erfolgen kann. Bei strikter Umsetzung des Berner Modells endet das Verfahren bereits mit der Einreichung des Entscheidsurrogats.

Dass das Entscheidsurrogat mit einem Willensmangel oder einem anderen zur zivilrechtlichen Anfechtbarkeit führenden Mangel behaftet ist, ändert nichts an dieser unmittelbar verfahrensbeendigenden Wirkung, da die zivilrechtliche Unverbindlichkeit erst auf Anfechtung einer Partei hin zu beachten ist. Im Zeitpunkt der Ein- reichung entfaltet das Entscheidsurrogat somit (noch) Wirkung und das hängige Verfahren wird unmittelbar beendet. Dem Gericht fehlt es dadurch an der nöti- gen Kompetenz, um anschliessend noch vor Erlass des Abschreibungsbeschlusses über die Anfechtung des Entscheidsurrogats zu entscheiden. Dafür ist vielmehr zwingend ein Revi sionsverfahren einzuleiten77. Dadurch kann es auch nicht zu der von matthias maurer ange- sprochenen Problematik kommen, dass dasselbe Gericht

72 BGE 139 III 133 E. 1.3; OGer ZH RU140017 vom 1. Mai 2014 E. 2.

73 U.a. steck (FN 52), Art. 241 N 21; leumann liebster (FN 2), Art. 241 N 26; killias (FN 65), Art. 241 N 49.

74 U.a. killias (FN 65), Art. 241 N 47; kriech (FN 45), Art. 241 N 12; steck (FN 52), Art. 241 N 25; taPPy (FN 66), Art. 241 N 38; herbert Wohlmann, in: Baker & McKenzie (Hrsg.), Schweizerische Zivilprozessordnung (ZPO), Bern 2010, Art. 241 N 14.

75 maurer (FN 55), N 805 ff.

76 Vgl. Botschaft ZPO (FN 1), 7380.

77 Gl.M. ernst Platz, Der Vergleich im schweizerischen Recht, Diss. St. Gallen, Zürich/St. Gallen 2014, 181.

im Gegensatz zum vorherigen 5. Kapitel (Art. 236–240 ZPO), welches dem Entscheid gewidmet ist. Diese An- sicht steht auch im Einklang mit einer strikten Umset- zung des vom Gesetzgeber gewählten Berner Modells, unter welchem das Verfahren bereits unmittelbar durch das Entscheidsurrogat beendet wird. Dem Gericht ist es deshalb gar nicht mehr möglich, im Anschluss an das verfahrensbeendende Entscheidsurrogat noch zusätz- lich einen verfahrensbeendenden Endentscheid oder einen verfahrensgestaltenden anderen gerichtlichen Entscheid zu fällen. Nachdem ihm ein mängelfreies Ent- scheidsurrogat eingereicht wurde, kommt dem Gericht mit anderen Worten gar kein Entscheidungsspielraum mehr zu. Es kann lediglich die Verfahrensbeendigung zur Kenntnis nehmen und das Verfahren der guten Ord- nung halber und zu Zwecken der Geschäftskontrolle de- klaratorisch abschreiben. Dem Abschreibungsbeschluss in einem solchen Fall Entscheidqualität zuzusprechen, würde dem Zürcher Modell entsprechen. Die Rechtspre- chung der II. Zivilkammer des Obergerichts Zürich, des Obergerichts Glarus und des Kantonsgerichts Schwyz lässt deshalb darauf schliessen, dass diese Gerichte den Schritt von ihren früheren kantonalen Zivilprozessord- nungen, welche dem Zürcher Modell folgten, hin zur eidgenössischen ZPO noch nicht vollständig vollzogen haben.

Zusammenfassend ist somit als Zwischenergebnis festzuhalten, dass bei Vorliegen eines mängelfreien Ent- scheidsurrogats weder dem Entscheidsurrogat selber noch dem anschliessenden Abschreibungsbeschluss Entscheidqualität zukommt. In einem nächsten Schritt bleibt zu prüfen, ob das Vorliegen von verschiedenen Mängeln an dieser Qualifikation etwas zu ändern ver- mag und welche Rechtsmittel zur Geltendmachung der Mängel zu erheben sind.

2. Rechtsmittel bei Anfechtbarkeit des Entscheidsurrogats

Ein Grossteil der Mängel im Zusammenhang mit Ent- scheidsurrogaten, welche in der Praxis geltend gemacht werden, dürfte wohl zur zivilrechtlichen Anfechtbar- keit des Entscheidsurrogats führen. Zu denken ist dabei insbesondere an Willensmängel (Irrtum, Täuschung, Furchterregung) bei Abschluss des Entscheidsurrogats.

Die zivilrechtliche Anfechtbarkeit führt zur einseitigen, privatrechtlichen Unverbindlichkeit des Entscheidsur- rogats. Aufgrund der Doppelnatur der Entscheidsurro- gate hat die Anfechtung des zivilrechtlich anfechtbaren Entscheidsurrogats nicht durch blosse Erklärung (vgl.

Art. 31 Abs. 1 OR), sondern auf die im Prozessrecht vor- gesehene Art und Weise zu erfolgen71. Wie die Anfech- tung unter der ZPO erfolgen kann, ist dabei umstritten.

71 leumann liebster (FN 2), Art. 241 N 26; vgl. auch BGE 110 II 44 E. 4.c für die Situation vor Erlass der ZPO.

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anders als vom Obergericht Zürich83 befürchtet, keine Rechtsschutzlücke. Zwar richtet sich die Revision gemäss Gesetzeswortlaut nur gegen rechtskräftige Entscheide und entsprechend ist es angezeigt, die Revision auch nur gegen rechtskräftige Entscheidsurrogate zuzulassen. Die Entscheidsurrogate werden allerdings bereits im Zeit- punkt der Verfahrensbeendigung – also im Zeitpunkt der Einreichung bei Gericht bzw. im Zeitpunkt des Zu- Protokoll-Gebens – formell rechtskräftig84, weshalb für die Erhebung einer Revision nicht bis zum Ablauf der ordentlichen Rechtsmittelfrist zugewartet werden muss.

Ein weiteres Problem besteht in Bezug auf die Revi- sionsinstanz. Gemäss Art. 328 Abs. 1 ZPO entscheidet über die Revision jenes Gericht, welches als letzte In- stanz in der Sache entschieden hat. Eine solche Instanz fehlt jedoch, wenn das Verfahren ohne Entscheid durch Entscheidsurrogat beendet wurde. Richtigerweise ist diese Lücke im Gesetzeswortlaut damit zu schliessen, dass in solchen Fällen jenes Gericht über das Revisions- gesuch zu entscheiden hat, dessen Verfahren durch das Entscheidsurrogat beendet wurde85.

Gemäss Art. 329 Abs. 1 ZPO beträgt die relative Frist zur Einreichung des Revisionsgesuchs neunzig Tage ab Entdeckung des Revisionsgrunds, wodurch die zivil- rechtliche Frist von Art. 31 Abs. 1 OR verkürzt wird86. Für den Beginn der zehnjährigen absoluten Frist zur Einreichung des Revisionsgesuchs nach Art. 329 Abs. 2 ZPO stellt der Gesetzeswortlaut wiederum auf die Rechtskraft eines Entscheids ab. In Zusammenhang mit Entscheidsurrogaten ist dabei auf den Zeitpunkt der Rechtskraft des Entscheidsurrogats abzustellen87. Die Gutheissung des Revisionsgesuchs führt zur Aufhe- bung des Entscheidsurrogats und zur Rückversetzung des Verfahrens in den Stand vor Einreichung des Ent- scheidsurrogats88.

3. Rechtsmittel bei Nichtigkeit bzw.

Nichtvorliegen des Entscheidsurrogats Von Mängeln, welche zur zivilrechtlichen Anfechtbar- keit des Entscheidsurrogats führen, sind Mängel, welche zur Nichtigkeit des Entscheidsurrogats führen, zu un- terscheiden. Primär dürfte es sich dabei um Mängel for- meller Natur handeln. Dazu zählen z.B. die fehlende Un- terzeichnung des Protokolls (vgl. Art. 241 Abs. 1 ZPO), die fehlende Vertretungsmacht des unterzeichnenden Rechtsvertreters oder die mangelnde Vergleichsfähig- keit der Streitsache. Allerdings können auch materielle Mängel die Nichtigkeit des Entscheidsurrogats bewir- ken. Zu denken ist etwa an einen Verstoss gegen zwin-

83 OGer ZH PE110014 vom 16. Juni 2011 E. 4; vgl. auch KGer NE CACIV.2013.44 vom 11. Februar 2014 E. 1.

84 Vgl. BGer 4A_269/2012 vom 7. Dezember 2012 E. 3.1.

85 Gl.M. sterchi (FN 17), Art. 328 N 7; Platz (FN 77), 185.

86 Vgl. Botschaft ZPO (FN 1), 7380.

87 Platz (FN 77), 193 m.w.N.

88 Vgl. Platz (FN 77), 188 f. m.w.N.

zweimal über dieselbe Rüge befinden muss, sondern die Prüfung erfolgt ausschliesslich im Revisionsverfahren.

Allenfalls ist eine Konversion der Anfechtungserklärung und Entgegennahme als Revisionsgesuch durch das Ge- richt möglich.

Bei der Anfechtung mit Revision ergeben sich aber einige Probleme, welche auf eine gesetzgeberische Fehl- leistung bei der Schaffung von Art. 328 Abs. 1 lit. c ZPO zurückzuführen sind. So hat sich die Revision zunächst gemäss Art. 328 Abs. 1 ZPO gegen einen rechtskräftigen Entscheid zu richten. Wie bereits festgestellt, handelt es sich aber weder beim Entscheidsurrogat noch beim Ab- schreibungsbeschluss um einen Entscheid, woran auch das Vorliegen eines zur zivilrechtlichen Anfechtbarkeit führenden Mangels nichts zu ändern vermag. Das Ver- fahren wird weiterhin durch das Entscheidsurrogat be- endet und dem Abschreibungsbeschluss kommt bloss deklaratorische Wirkung zu. Da jedoch die Intention des Gesetzgebers, in einer solchen Situation die Revision zuzulassen, klar ist, muss die Möglichkeit einer Revision entgegen dem Gesetzeswortlaut offen stehen. In der Lehre umstritten ist, welches Anfechtungsobjekt den rechtskräftigen Entscheid ersetzen soll. Das Bundesge- richt78 und ein Teil der Lehre79 sehen im Entscheidsurro- gat das Anfechtungsobjekt der Revision. Gemäss ande- ren Autoren soll hingegen der Abschreibungsbeschluss alleine80 oder zusammen mit dem Entscheidsurrogat81 als Anfechtungsobjekt dienen. U.E. hat sich die Revision einzig gegen das Entscheidsurrogat als Anfechtungsob- jekt zu richten, da diesem immerhin die Wirkung eines rechtskräftigen Entscheids zukommt (vgl. Art. 241 Abs. 2 ZPO) und der Abschreibungsbeschluss unter dem Ber- ner Modell nur deklaratorische Wirkung entfaltet. Auch soll mit der Revision ein Mangel des Entscheidsurro- gats und nicht des Abschreibungsbeschlusses geltend gemacht werden. Der Abschreibungsbeschluss erfolgte zu Recht, da das Verfahren durch das Entscheidsurrogat beendet worden war. Die ausschliessliche Anfechtung des Entscheidsurrogats entspricht sodann ebenfalls der Praxis unter der früheren Zivilprozessordnung des Kantons Neuenburg, welche als einzige die Kombina- tion aus Berner Modell und Revision kannte82. Mit einer Anfechtung des Abschreibungsbeschlusses würde man hingegen wieder ins Zürcher Modell zurückfallen.

Durch die Geltendmachung von Willensmängeln mittels Revision gegen das Entscheidsurrogat entsteht,

78 BGE 139 III 133 E. 1.3.

79 Platz (FN 77), 191 f. m.w.N.; romina carcaGni roesler, in:

Baker & McKenzie (Hrsg.), Schweizerische Zivilprozessord- nung (ZPO), Bern 2010, Art. 328 N 12.

80 nicolas herzoG, in: Karl Spühler/Luca Tenchio/Dominik Infanger (Hrsg.), Basler Kommentar Schweizerische Zivil- prozessordnung, 2. Aufl., Basel 2013, Art. 328 N 63; sPühler

(FN 61), Art. 319 N 12; schWeizer (FN 17), Art. 328 N 40;

maurer (FN 55), N 797.

81 killias (FN 65), Art. 241 N 50; FreiburGhaus/aFheldt (FN 63), Art. 328 N 6.

82 Vgl. François bohnet, Code de procédure civile neuchâtelois, 2. Aufl., Basel 2005, Art. 428 N 1.

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deshalb mit Berufung oder Beschwerde gegen den Ab- schreibungsbeschluss zu rügen.

Ein zweiter Teil94 argumentiert hingegen mit Prak- tikabilitätsüberlegungen, meist ohne sich dabei ver- tiefter mit der Frage nach der Entscheidqualität des Abschreibungsbeschlusses auseinanderzusetzen. Dieser Auffassung zufolge ist die Revision ungeeignet, um die Zulässigkeit der Abschreibung des Verfahrens nochmals überprüfen zu lassen. Sachgerecht sei vielmehr der Wei- terzug an eine übergeordnete Instanz. markus kriech95

sieht dabei aufgrund der fehlenden aufschiebenden Wirkung die Beschwerde, nicht aber die Berufung als geeignetes Rechtsmittel für die Überprüfung des Ab- schreibungsbeschlusses.

U.E. ist die erste Argumentationslinie zu verwerfen.

Auch in Fällen von nichtigen bzw. nichtvorliegenden Entscheidsurrogaten ist die Entscheidqualität des zu Unrecht erlassenen Abschreibungsbeschlusses zu ver- neinen. Zwar würde das Gericht in einer solchen Situ- ation über die nötige Kompetenz verfügen, um selber noch einen (End-)Entscheid zu fällen, da das Verfahren noch nicht durch das Entscheidsurrogat beendet wurde.

Allerdings beabsichtigt das Gericht mit dem Abschrei- bungsbeschluss auch in dieser Situation, bloss einen de- klaratorischen Beschluss ohne verfahrensbeendigende Wirkung zu erlassen. Inhalt des Abschreibungsbeschlus- ses bildet gerade die Mitteilung des Gerichts, dass es kei- nen Entscheid erlassen werde, da es keinen eigenen Ent- scheidungsspielraum mehr sehe. Eine solche Mitteilung, dass kein Entscheid erlassen werde, kann u.E. nicht sel- ber als Entscheid qualifiziert werden96. Da das Gericht ohnehin von Amtes wegen unabhängig von allfälligen Parteirügen zu überprüfen hat, ob das Verfahren durch das Entscheidsurrogat beendet wurde, ändert sich die rechtliche Qualifikation des Abschreibungsbeschlusses auch nicht, wenn die Parteien das Gericht zuvor auf den Mangel hingewiesen haben97. Dennoch macht es für eine Partei Sinn, das Gericht auf allfällige entsprechen- de Mängel hinzuweisen. Teilt das Gericht nämlich die Ansicht der Partei, so hat es – anders als bei Mängeln, welche bloss zur Anfechtbarkeit des Entscheidsurrogats führen – keinen Abschreibungsbeschluss zu erlassen, sondern das Verfahren weiterzuführen98, wodurch der

94 U.a. kriech (FN 45), Art. 241 N 21; OGer ZH RU120014 vom 30. März 2012 E. 3.c.; OGer ZH PD110003 vom 4. März 2011 E. 2.1.

95 kriech (FN 45), Art. 241 N 21; gl.M. OGer ZH RU120014 vom 30. März 2012 E. 3.c.; a.M. OGer ZH PD110003 vom 4. März 2011 E. 2.1., wonach Berufung oder Beschwerde offen stehen.

96 Im Ergebnis gl.M. anette dolGe, Anfechtbarkeit von Zwi- schenentscheiden und anderen prozessleitenden Entschei- den, in: Anette Dolge (Hrsg.), Zivilprozess – aktuell, Zürich/

Basel/Genf 2013, 43 ff., 52 f.

97 A.M. KGer NE CACIV.2013.44 vom 11. Februar 2014 E. 1.;

vgl. auch maurer (FN 55), N 805 ff.

98 Es erscheint angebracht, dies in einem Zwischenentscheid festzuhalten, damit die Gegenpartei sofort ein Rechtsmittel einlegen kann, sofern sie die Situation anders beurteilt (vgl.

maurer [FN 55], N 800 f.).

gende zivilrechtliche Grundsätze (Art. 27 ZGB, Art. 20 OR). All diese Mängel führen zur ursprünglichen abso- luten Unwirksamkeit des Entscheidsurrogats. Es vermag zu keinem Zeitpunkt Rechtswirkung zu entfalten.

Die fehlende Rechtswirkung des Entscheidsurrogats hat wiederum Auswirkungen auf die Beendigung des hängigen Gerichtsverfahrens. Grundsätzlich beendet das Entscheidsurrogat unmittelbar das Verfahren. Aller- dings kommt einem nichtigen Entscheidsurrogat diese verfahrensbeendigende Wirkung nicht zu89. Entspre- chend obliegt es dem Gericht, vor der Abschreibung des Verfahrens zu prüfen, ob das eingereichte Entscheidsur- rogat das Verfahren tatsächlich beendet hat oder nicht90. Liegt ein nichtiges Entscheidsurrogat vor, darf das Ge- richt das Verfahren nicht abschreiben, sondern hat es fortzusetzen. Erlässt das Gericht trotz Nichtigkeit des Entscheidsurrogats einen Abschreibungsbeschluss, begeht es eine Rechtsverletzung. Dasselbe gilt für den Erlass eines Abschreibungsbeschlusses trotz Nichtvor- liegen eines Entscheidsurrogats, da auch dieses inexis- tente Entscheidsurrogat logischerweise das Verfahren nicht zu beenden vermag. Zu denken ist etwa an eine Abschreibung des Verfahrens trotz Dissens der Partei- en oder an eine Abschreibung des gesamten Verfahrens, obwohl nur ein Teilvergleich vorliegt. Entscheidend ist nun, welche Auswirkungen diese Rechtsverletzung des Gerichts auf die rechtliche Qualifikation des Abschrei- bungsbeschlusses hat und mit welchem Rechtsmittel die Parteien solche Mängel zu rügen haben.

Das Bundesgericht91 und die herrschende Lehre92 bezeichnen die Revision sowohl für materielle als auch für formelle Mängel als primäres und ausschliessliches Rechtsmittel. Sie verneinen damit auch bei Vorliegen von Nichtigkeitsgründen die Entscheidqualität des Ab- schreibungsbeschlusses und betrachten die Revision als das geeignete Rechtsmittel zur Geltendmachung der Nichtigkeit. Jedoch finden sich auch verschiede- ne Minderheitsmeinungen, welche bei Vorliegen von Nichtigkeitsgründen bzw. formellen Mängeln andere Rechtsmittel gegen den Abschreibungsbeschluss zu- lassen wollen. Neben jenen, bereits näher betrachteten Stimmen, welche im Abschreibungsbeschluss per se ei- nen Entscheid sehen und entsprechend bei formellen Mängeln eine Anfechtbarkeit mittels Berufung oder Be- schwerde befürworten, können grundsätzlich zwei Ar- gumentationslinien unterschieden werden.

Ein erster Teil der Lehre93 argumentiert damit, dass es sich, wenn das Verfahren wegen der geltend gemachten Mängel nicht bereits durch das Entscheidsurrogat be- endet wurde, beim Abschreibungsbeschluss um einen formellen Endentscheid handle. Allfällige Mängel seien

89 kriech (FN 45), Art. 241 N 12.

90 Vgl. maurer (FN 55), N 70 f.

91 BGE 139 III 133 E. 1.2.

92 U.a. FreiburGhaus/aFheldt (FN 63), Art. 328 N 26; steck

(FN 52), Art. 241 N 21 f.; herzoG (Fn 80), Art. 328 N 65a.

93 U.a. OGer ZH RU130051 vom 11. Oktober 2013 E. 2.c.; hoFF-

mann-noWotny (Fn 54), Art. 308 N 36.

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des Teilvergleichs: Schreibt das Gericht das gesamte Ver- fahren ab, obwohl durch den Vergleich nur ein Teil der Rechtsbegehren erledigt wurde, verbleiben die restlichen Rechtsbegehren unbehandelt und das Gericht bringt durch den Abschreibungsbeschluss zum Ausdruck, dass es auch nicht beabsichtigt, noch über die verbleibenden Rechtsbegehren zu entscheiden. In einem solchen Fall kann deshalb Rechtsverweigerungsbeschwerde erhoben werden.

Für eine Rechtsverweigerungsbeschwerde bedarf es keines Entscheids als Anfechtungsobjekt103. Art. 319 lit. c ZPO schafft mit der Rechtsverzögerung bzw. Rechtsver- weigerung vielmehr gerade ein Anfechtungsobjekt für Fälle, in denen das Gericht nicht in Form eines Ent- scheids handelt104. Die fehlende Entscheidqualität von Abschreibungsbeschluss und Entscheidsurrogat steht der Rechtsverweigerungsbeschwerde somit nicht ent- gegen und die präsentierte Lösung ist insofern mit der Rechtsprechung des Bundesgerichts vereinbar105. Zu be- achten gilt es, dass die Rechtsverzögerungsbeschwerde gemäss Art. 321 Abs. 3 ZPO an keine Frist gebunden ist.

Darüber hinaus gelten jedoch dieselben Regeln wie für die anderen Beschwerdearten.

denis taPPy106 schlägt vor, dass die Parteien zunächst dem Gericht noch einen formellen Antrag auf Weiter- führung des Verfahrens stellen und erst bei Ablehnung dieses Antrags eine Rechtsverweigerungsbeschwerde er- heben sollen. Ein solches Vorgehen ist u.E. nicht nötig, aber sinnvoll. Der Abschreibungsbeschluss bringt die rechtsverweigernde Haltung des Gerichts bereits genü- gend deutlich zum Ausdruck, um Beschwerde erheben zu können. Ein Antrag auf Weiterführung des Verfah- rens kann dennoch durchaus Sinn machen, insbeson- dere wenn die geltend gemachten Nichtigkeitsgründe zuvor von den Parteien noch nicht ausdrücklich vor- gebracht worden waren und das Gericht dadurch noch zu einer Änderung seiner Meinung bewogen werden könnte. Das Verfahren ist nämlich zu diesem Zeitpunkt trotz des Abschreibungsbeschlusses noch nicht beendet und dem Gericht steht es somit frei, das Verfahren auf Antrag hin oder auch von Amtes wegen weiterzuführen.

Dadurch kann Zeit gespart werden und eine allenfalls bereits erhobene Beschwerde würde gegenstandslos.

V. Rechtsmittel bei vergleichbaren Rechtsinstituten

Nachfolgend wird noch ein Blick auf das Rechtsmit- telsystem bei mit Art. 241 ZPO verwandten Rechts- instituten der ZPO geworfen. Dadurch soll einerseits untersucht werden, ob die hier präsentierte Lösung in

bungsbeschluss gestützt auf Art. 242 ZPO; vgl. auch taPPy

(FN 66), Art. 241 N 39; blickenstorFer (FN 65), Art. 308 N 13.

103 FreiburGhaus/aFheldt (FN 63), Art. 319 N 18.

104 hoFFmann-noWotny (FN 93), Art. 319 N 39.

105 Vgl. hingegen blickenstorFer (FN 65), Art. 308 N 13.

106 taPPy (FN 66), Art. 241 N 39.

Umweg über ein Rechtsmittelverfahren verhindert wer- den kann.

Die Bedenken betreffend die Geeignetheit der Re- vision zur Geltendmachung der Nichtigkeit bzw. des Nichtvorliegens des Entscheidsurrogats sind allerdings begründet. Zunächst fehlt es streng genommen schon an einem Anfechtungsobjekt für die Revision. Es mu- tet etwas absurd an, die Partei dazu zu zwingen, Revi- sion gegen ein Anfechtungsobjekt zu erheben, dessen Existenz mit dem Rechtsmittel gerade bestritten wer- den soll99. Das Entscheidsurrogat fällt deshalb u.E. in solchen Fällen als Anfechtungsobjekt einer Revision ausser Betracht. Gleiches gilt für den Abschreibungs- beschluss, welcher weiterhin als deklaratorischer Akt nicht Anfechtungsobjekt der Revision bilden kann100. Ein weiteres Problem liegt in der nichtdevolutiven Na- tur der Revision. Das mit der Sache befasste Gericht hatte vor der Abschreibung des Verfahrens die Existenz und Nichtigkeit des Entscheidsurrogats bereits einmal zu prüfen. Wenn solche Mängel mittels Revision zu rü- gen wären, müsste dasselbe Gericht nochmals dieselben Punkte überprüfen, bevor der entsprechende Entscheid an eine andere, höhere Instanz weitergezogen werden kann. Dies erscheint in der Tat wenig zielführend und als blosse Zeitverschwendung, insbesondere wenn die Parteien das Gericht vor der Abschreibung des Verfah- rens bereits ausdrücklich auf die Mängel hingewiesen haben.

Es besteht somit die Problematik, dass die Mängel grundsätzlich wegen der fehlenden Entscheidqualität des Abschreibungsbeschlusses nicht mittels Berufung oder Beschwerde geltend gemacht werden können und auch eine Geltendmachung mittels Revision nicht mög- lich bzw. zumindest höchst impraktikabel ist. Die Lö- sung dieses Problems liegt u.E. in der Rechtsverweige- rungsbeschwerde gemäss Art. 319 lit. c ZPO.

Eine formelle Rechtsverweigerung i.e.S. liegt vor, wenn ein Gericht eine frist- und formgerecht unterbrei- tete Sache überhaupt nicht behandelt, obwohl sie dazu verpflichtet wäre101. Mit dem Abschreibungsbeschluss bringt das Gericht zum Ausdruck, dass es im Verfah- ren keinen Entscheid fällen will, da es sich nicht dazu verpflichtet sieht. Sofern diese Ansicht des Gerichts nicht zutrifft, da das Verfahren zuvor nicht durch das Entscheidsurrogat beendet wurde, begeht es u.E. eine nach Art. 319 lit. c ZPO anfechtbare formelle Rechtsver- weigerung i.e.S.102. Gut ersichtlich wird dies am Beispiel

99 Gl.M. Paul oberhammer, in: Karl Spühler/Luca Tenchio/

Dominik Infanger (Hrsg.), Basler Kommentar Schweizeri- sche Zivilprozessordnung, 1. Aufl., Basel 2010, Art. 241 N 9.

100 Anders hingegen scheinbar die Regelung unter der früheren kantonalen Zivilprozessordnung in Neuenburg, wo in sol- chen Fällen der Abschreibungsbeschluss als Anfechtungsob- jekt diente (vgl. bohnet [FN 82], Art. 428 N 1).

101 Vgl. hoFFmann-noWotny (FN 93), Art. 319 N 42 m.w.N.

102 Gl.M. boris müller, in: Alexander Brunner/Dominik Gas- ser/Ivo Schwander (Hrsg.), Schweizerische Zivilprozessord- nung – Kommentar, Zürich/St. Gallen 2011 (Online-Stand 20.10.2013), Art. 59 N 27, jedoch primär für den Abschrei-

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klar macht, dass das Verfahren zuerst ohne Entscheid endet und erst dann abgeschrieben wird. Auch die syste- matische Stellung im Kapitel betreffend die Beendigung des Verfahrens ohne Entscheid stützt diese Ansicht und aus den Gesetzesmaterialien ergibt sich ebenfalls, dass der Abschreibungsbeschluss nur der guten Ordnung halber erfolgen sollte114. Die für die Gegenansicht vor- gebrachten Argumente vermögen nicht zu überzeugen.

So kann auch das Vorliegen eines Entscheidsurrogats im Rahmen von Art. 241 ZPO umstritten sein, ohne dass dies dort zu einer Qualifikation des Abschreibungsbe- schlusses als Entscheid führt. Richtig ist, dass sich der Abschreibungsbeschluss infolge Gegenstandslosigkeit mit einem Nichteintretensentscheid vergleichen lässt und eine Gleichbehandlung möglich und im Ergebnis auch sinnvoll wäre. Der Gesetzgeber hat sich jedoch klar für eine Ungleichbehandlung entschieden, weshalb de lege lata an dieser unbefriedigenden Situation nichts zu ändern ist.

Anders als teilweise befürchtet115, führt die Qualifi- kation des Abschreibungsbeschlusses als bloss dekla- ratorischer Akt ohne Entscheidqualität nicht zu einer Rechtsschutzlücke. Zwar hat der Gesetzgeber anders als bei Art. 241 ZPO keinen besonderen Revisionsgrund geschaffen, nach der hier vertretenen Ansicht steht aber auch bei einer ungerechtfertigten auf Art. 242 ZPO gestützten Verfahrensabschreibung die Rechtsverwei- gerungsbeschwerde nach Art. 319 lit. c ZPO zur Verfü- gung116. Auch in diesem Fall bringt das Gericht durch den Abschreibungsbeschluss zum Ausdruck, dass es keinen Entscheid fällen will. Tut es dies, obwohl gar kei- ne Gegenstandslosigkeit vorlag, begeht es eine formelle Rechtsverweigerung i.e.S.

2. Einigung der Parteien im

Schlichtungsverfahren (Art. 208 ZPO) Art. 208 ZPO regelt den Vergleich, die Klageanerken- nung und den Klagerückzug vor der Schlichtungsbe- hörde. Auch diese beenden das hängige Verfahren un- mittelbar117 und ihnen kommt gemäss Art. 208 Abs. 2 ZPO ebenfalls die Wirkung eines rechtskräftigen Ent- scheids zu. Entsprechend lässt sich das zu Art. 241 ZPO Gesagte grundsätzlich auf Art. 208 ZPO übertragen118.

Nach hier vertretener Auffassung ist folglich auch im Rahmen von Art. 208 ZPO bezüglich der Rechtsmittel zu unterscheiden, ob der geltend gemachte Mangel zur

114 Vgl. Botschaft ZPO (FN 1), 7345.

115 Vgl. kGer BL 410 11 10 vom 21. Juni 2011 E. 1; oberhammer

(FN 99), Art. 242 N 11.

116 Gl.M. müller (FN 102), Art. 59 N 27.

117 JörG honeGGer, in: Thomas Sutter-Somm/Franz Hasenböh- ler/Christoph Leuenberger (Hrsg.), Kommentar zur Schwei- zerischen Zivilprozessordnung (ZPO), 2. Aufl., Zürich/Basel/

Genf 2013, Art. 208 N 11; ciPriano alvarez/James t. Peter, in: Berner Kommentar Schweizerische Zivilprozessordnung, Band II, Bern 2012, Art. 208 N 8.

118 Vgl. OGer ZH RU110046 vom 21. Oktober 2011 E. 1.

das allgemeine System der ZPO passt, und andererseits, ob der Gesetzgeber bei vergleichbaren Rechtsinstituten andere Lösungen gewählt hat, welche sich allenfalls de lege ferenda auf Art. 241 ZPO übertragen lassen. Die Ausführungen beschränken sich dabei auf einen groben Überblick und es werden nicht sämtliche Detailfragen abgehandelt.

1. Gegenstandslosigkeit (Art. 242 ZPO)

Bei Art. 242 ZPO handelt es sich um die zweite im 6. Kapitel des 3. Titels des 2. Teils der ZPO enthaltene Bestimmung. Art. 242 ZPO trägt die Überschrift «Ge- genstandslosigkeit aus anderen Gründen» und besagt, dass das Verfahren auch abzuschreiben ist, wenn es aus anderen Gründen ohne Entscheid endet.

Anders als bei Art. 241 ZPO geht die herrschende Lehre107 davon aus, dass der Abschreibungsbeschluss im Fall von Art. 242 ZPO konstitutive und nicht bloss de- klaratorische Wirkung entfaltet. Dies wird einerseits da- mit begründet, dass die Gegenstandslosigkeit umstrit- ten sein könne, weshalb ein gerichtlicher Entscheid über diese Frage nötig sei108, andererseits damit, dass sich der Abschreibungsbeschluss mit einem Nichteintretensent- scheid vergleichen lasse und eine Ungleichbehandlung nicht angezeigt sei109. Umstrittener ist hingegen die genaue Qualifikation des Abschreibungsbeschlusses.

Teilweise wird er als Prozessentscheid und teilweise als Endentscheid qualifiziert, was wiederum Einfluss dar- auf hat, ob der Abschreibungsbeschluss nur mittels Be- schwerde110 oder auch mittels Berufung111 angefochten werden kann. In der Rechtsprechung zeigt sich ein ähn- lich uneinheitliches Bild112.

U.E. ist jedoch entgegen der herrschenden Lehre der Abschreibungsbeschluss auch im Rahmen von Art. 242 ZPO nicht als Entscheid zu qualifizieren, da das hän- gige Verfahren bereits mit Eintritt der Gegenstandslo- sigkeit beendet wird und dem Gericht deshalb keine Entscheidkompetenz mehr zukommt113. Dies ergibt sich zunächst aus dem Wortlaut von Art. 242 ZPO, welcher

107 U.a. leumann liebster (FN 2), Art. 242 N 7 f.; taPPy (FN 66), Art. 242 N 7; killias (FN 65), Art. 242 N 21 f.; steck (FN 52), Art. 242 N 17.

108 killias (FN 65), Art. 242 N 21; steck (FN 52), Art. 242 N 17.

109 leumann liebster (FN 2), Art. 242 N 7 f.; dolGe (FN 96), 54.

110 killias (FN 65), Art. 242 N 24; steck (FN 52), Art. 242 N 20;

kriech (FN 45), Art. 242 N 9; oberhammer (FN 99), Art. 242 N 11.

111 leumann liebster (FN 2), Art. 242 N 8; taPPy (FN 66), Art. 242 N 7; dolGe (FN 96), 54.

112 Nur Beschwerde zulässig: KGer GR ZK1 12 79 vom 22. Januar 2013 E. 1.a. f.; kGer BL 410 11 10 vom 21. Juni 2011 E. 1. Auch Berufung zulässig: AppGer BS ZB.2012.4 vom 3. April 2014 E. 1; OGer ZH PD110003 vom 4. März 2011 E. 2.1. Das BGer betrachtet den Abschreibungsbeschluss als anfechtbaren End entscheid gemäss Art. 90 BGG (vgl. BGer 4A_272/2014 vom 9. Dezember 2014 E. 1.1).

113 Gl.M. müller (FN 102), Art. 59 N 27; vgl. auch KGer FR 102 2014 181 vom 18. Dezember 2014 E. 1.

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