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10. Juni 1989

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Heute auf Seite 3: Weder Verrat noch Bedrohung

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UNABHÄNGIGE WOCHENZEITUNG FÜR DEUTSCHLAND

Jahrgang 40 - Folge 23 Erscheint wöchentlich

Postvertriebsstück. Gebühr bezahlt

10. Juni 1989

Landsmannschaft Ostpreußen e.V. p P

Parkallee 84/86, 2000 Hamburg 13 W*.1* V*

LO-Sprecher Dr. Hennig schreibt an Brzezinski:

„Verlust der Glaubwürdigkeit"

US-Sicherheitsexperten wegen dessen Ausführungen zur deutschen Teilung zur Rede gestellt

Nachdem der amerikanische Sicherheitsex- perte Zbigniew Brzezinski sich kürzlich in einem Interview für die Beibehaltung der deutschen Teilung ausgesprochen hatte (wir berichteten), antwortete ihm jetzt der Spre- cher der Landsmannschaft Ostpreußen, Pari.

Staatssekretär Dr. Ottfried Hennig. Wir ver- öffentlichen seinen Brief im Wortlaut:

Sehr geehrter H e r r B r z e z i n s k i ,

nach nur vorhegenden Pressemitteilungen ä u ß e r t e n Sie k ü r z l i c h i n einem SatelHtenin- terview mit Journalisten i n Warschau: „ W i e viele A m e r i k a n e r bewundere ich die Deut- schen so sehr, d a ß ich lieber z w e i deutsche Staaten als einen h ä t t e . "

Diese A u s f ü h r u n g e n haben m i c h sehr betroffen gemacht, ja b e s t ü r z t . Bisher b i n ich d a v o n ausgegangen, d a ß die Persönlichkei- ten, d i e i n der amerikanischen Politik Ver- antwortung tragen oder getragen haben, die ethischen Grundlagen aer amerikanischen Verfassung - Menschenrechte, Freiheit, Selbst- bestimmung der Völker - ernst nehmen u n d d a ß sie z u den völkerrechtlich verbindlichen A b m a c h u n g e n stehen, die die U S A einge- gangen sind. Erlauben Sie, d a ß ich dies etwas n ä h e r a u s f ü h r e .

Die Vereinigten Staaten v o n Amerika haben als Siegermacht des Zweiten Weltkrieges zusammen m i t ihren damaligen Alliierten die Verantwortung für Deutschland als Ganzes ü b e r n o m m e n . D a r ü b e r hinaus ha- ben sich die U S A verpflichtet, das Recht aller Deutschen auf eine N a t i o n u n d auf Selbstbe- s t i m m u n g nicht nur anzuerkennen, sondern aktiv a n aer V e r w i r k l i c h u n g mitzuarbeiten.

So haben sich die Vereinigten Staaten v o n A m e r i k a i n A r t i k e l 7 des Vertrages ü b e r die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Teutschland u n d den Drei Mächten (Deutsch- landvertrag) v o m 26. M a i 1952 zusammen mit d e n ü b r i g e n Unterzeichnerstaaten ver- pflichtet, m i t friedlichen M i t t e l n auf e i n wiedervereinigtes Deutschland, das eine freiheitlich demokratische Verfassung besitzt u n d das i n d i e e u r o p ä i s c h e Gemeinschaft integriert ist, h i n z u w i r k e n .

Die tatsächliche Lage Deutschlands hat sich seit damals nicht g e ä n d e r t . E i n g r o ß e r Teil des deutschen Volkes lebt i n Unfreiheit, elementare Menschenrechte werden i h m verweigert. Eine Politik der Wiedervereini- gung ist angesichts dieses Zustandes keine nationalistische Politik, sondern sie ist ganz wesentlich MenschenrechtspoUtik - u n d sie ist e u r o p ä i s c h e Friedenspolitik, w e i l sie sich gegen niemanden richtet u n d für die M e n - schen eintritt.

Bei der deutschen Frage geht es keines- wegs nur u m eine abstrakte u n d völkerrecht- liche Problematik. Es geht konkret u n d unmittelbar u m Menschen u n d ihre G r u n d - rechte.

N i c h t n u r ö k o n o m i s c h e , kulturelle u n d soziale Verbindungen sind i n meinem V a -

Aus dem Inhalt

Seite

W e i z s ä c k e r Falsche D a r s t e l l u n g « 2 A g g r e s s i o n b e i der Jugend... 4 L i b a n o n : V ö l k e r m o r d a n C h r i s t e n 5 Preis f ü r D i e t l i n d i n der A u 9 E i n e Radfahrt d u r c h unser D o r f . . . 10 D e r W a l d als Wirtschaftsraum 11 E i n e patriotische Schrift H e r d e r s . 20

G e s t ä r k t e A l l i a n z : N a c h dem R a k e t e n k o m p r o m i ß v o n Brüssel u n d den weitreichenden V o r s c h l ä g e n v o n B u s h hat der Westen seine H a n d l u n g s f ä h i g k e i t z u r ü c k g e w o n n e n . Unser Foto zeigt d e n U S - P r ä s i d e n t e n w ä h r e n d seines Besuches i n B o n n m i t Bundes- kanzler H e l m u t K o h l Foto dpa terland durch diese perverse Teilung beein-

trächtigt oder völlig zerrissen, sondern auch Freunde u n d Familien, Väter u n d Söhne, B r ü d e r u n d Schwestern sind gegen ihren W i l l e n getrennt. Wer versucht, Mauer u n d Stachelaraht auf der Flucht z u ü b e r w i n d e n , sieht sich auch heute noch, 44 Jahre nach Kriegsende, der Gefahr ausgesetzt, erschos- sen z u werden.

Diese Lage i n Deutschland ist eine Reali- tät, die auch Jahre der Entspannungspolitik u n d der Konferenzen ü b e r Sicherheit u n d Zusammenarbeit nicht ü b e r w u n d e n haben.

Die deutsche Frage ist wegen dieser Realität zuallererst eine Frage der Menschlichkeit und der Menschen- u n d Freiheitsrechte.

Haben Sie als ehemals verantwortlicher Politiker der Vereinigten Staaten das Recht, die Perpetuierung dieses Zustandes der Unmenschlichkeit z u w ü n s c h e n ? Stellen Sie sich i n diesem Falle nicht auf die gleiche unmenschliche Ebene wie jene, die unter dem ideologischen Zeichen v o n Hammer u n d Sichel hierfür verantwortlich sind? Stellt sich angesichts Ihrer Ä u ß e r u n g e n zur deutschen Frage nicht die Frage nach der G l a u b w ü r - digkeit Ihrer Bekundungen z u Menschen- rechten u n d z u m KSZE-Prozeß? Stellt sich damit nicht gleichzeitig die Frage, wie ernst es amerikanische Politiker mit den Rechts- verpflichtungen nehmen, die Ihr L a n d ein- gegangen ist? U n d m ü s s e n Sie sich nicht fragen lassen, ob denn eine friedliche O r d - nung Europas ü b e r h a u p t möglich werden kann, wenn m a n d e m - nach d e m russi- schen - gr ö ß ten V o l k des Kontinents ele- mentare Menschenrechte verweigert? Ist nicht

die Tragödie der deutschen Teilung gleich- zeitig auch die Tragödie der Teilung Euro- pas?

Sehr geehrter Herr Brzezinski, ich m ö c h t e Sie auf diesem Wege daran erinnern, d a ß doch gerade Polen, dem Ihre Sympathien i n besonderem M a ß e gehören, die schmerzhaf- ten Erfahrungen einer Teilung erleben m u ß t e . Haben Sie wirklich das Recht, den Versöh- n u n g s p r o z e ß zwischen Deutschen u n d Po- len, der i n so vielen h u m a n i t ä r e n Aktionen u n d menschlichen Kontakten gerade in den letzten Jahren z u m Ausdruck gekommen ist, durch eine einem falsch verstandenen N a - tionalismus entsprungene emotionale Ä u - ß e r u n g z u stören? Haben Sie wirklich das Recht, sich gegen das Z i e l der Wiederverei- nigung auszusprechen, ohne sich gleichzei- tig gegen die Ideale der amerikanischen Verfassung z u wenden?

Was das deutsche V o l k einfordert, das ist nicht nationale G r ö ß e - das ist schlicht Menschlichkeit. Unser Anliegen ist gegen niemanden gerichtet, w i r bringen mit unse- rem Wunsch nach Einheit u n d Freiheit le- diglich das z u m Ausdruck, was für die Pa- trioten anderer Nationen ganz selbstverständ- lich ist.

Ihre Ä u ß e r u n g findet sich schon beim französischen Schriftsteller Francpis Mauriac.

Sie entstammt der Denkweise des Nationa- lismus des 19. Jahrhunderts, u n d ich darf Ihnen sagen, d a ß diese Ä u ß e r u n g unter seriösen Persönlichkeiten des pohtischen und kulturellen Europa des 20. Jahrhunderts singulär geblieben ist.

M i t freundlichen G r ü ß e n Ihr Ottfried H e n n i g

Deutsche Frage:

„Die Zeit ist reif

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Die Utopie von heute sei die Realität von morgen, hat der israelische Politiker Ben Gurion einst gesagt.

Und tatsächlich: Utopien, Visionen zur Verände- rung der seit vier Jahrzehnten zweigeteilten Welt haben derzeit Hochkonjunktur, und kaum ein Modell, das in diesen Tagen oder Wochen skiz- ziert wird, kann noch als „unsinnig" oder „un- realistisch" verworfen werden. Denn Bewegung ist allenthalben festzustellen.

Das hat US-Präsident George Bush während des NATO-Gipfels und bei seinem Besuch in der Bundesrepublik Deutschland verdeutlicht, als er in seiner großen Mainzer Rede von der „Schwelle zu einem neuen Zeitalter" sprach. Der „leiden- schaftliche Wunsch nach Frieden" könne nicht ewig verwehrt werden: „Die Zeit ist reif. Europa muß frei und ungeteilt sein." Und er fügte hinzu:

„Wir streben die Selbstbestimmung für ganz Deutschland und alle Länder Osteuropas an."

Dahinter steckt die Erkenntnis, daß im Osten das Zeitalter des Stalinismus seinen Offenbarungs- eid geleistet hat und in einigen, wenigen Jahren kaum noch etwas so sein dürfte, wie es sich seit Kriegsende für manchen Skeptiker als ewiglich dargestellt hat. Und zweifellos drängt nun mit Macht die deutsche Frage auf die Tagesordnung der Weltpolitik.

Dazu paßt die Bejahung des Selbstbestirnmungs- rechts für die Deutschen durch den Gorbatschow- Intimus und Kreml-Politiker Wadim Sagladin, der in einem Interview zwar einschränkte, Wie- dervereinigung stehe „zum jetzigen Zeitpunkt" nicht auf der Tagesordnung, damit aber zugleich an- deutete, daß die Entwicklung in diese Kichtung gehen könne.

Ein weiterer Gorbatschow-Berater, der Histori- ker Wjatscheslaw Daschitschew, hat als eine der

„Hauptaufgaben der bundesdeutschen Außen- rx>Utik" die „Überwindung der Getrenntheit" be- zeichnet, auch wenn das „nicht notwendigerweise"

zu einer Konföderation oder Wiedervereinigung führen müsse. Zugleich sprach er sich aber dafür aus, allmählich ,ft\\e Barrieren" wegzuschaffen, die diese „Getrenntheit kennzeichnen".

Veränderungen liegen also in der Luft, aber sie werden nicht von heute auf morgen kommen etwa in Form eines Wiedervereinigungs-Ange- bots durch Gorbatschow bei seinem Bonn-Besuch, und sie werden vor allem unsere existentiellen deutschen Interessen nicht erfüllen, wenn diese Interessen jetzt nicht klar definiert werden. So ist es unverständlich, daß in den deutschen Überset- zungen zweier aktueller NATO-Dokumente, in denen von der Überwindung der Teilung Euro- pas und Deutschlands die Rede ist, der englische Begriff „division" mit „Trennung" übersetzt wird.

Es kann aber - ein Blick in das Grundgesetz beweist das - nicht nur um eine Überwindung der „Tren- nung" zwischen den Deutschen dies- und jen- seits der Mauer gehen, etwa durch Reiseerleich- terung, durch Abbau der Grenzanlagen etc., sondern es muß um eine Überwindung der

„Spaltung", um die Wiederherstellung der staat- lichen Einheit aller Deutschen gehen.

Daß Bonn von der Entwicklung überrascht werden könnte, hat bereits vor einigen Wochen der deutschlandpolitische Sprecher der Unions- fraktion, Eduard Lintner, zugegeben. Es fehle, so bemängelte er, an Konzepten, obwohl immer deutlicher werde, daß Gorbatschow, in welcher Form auch immer, das Selbstbestimmungsrecht der Deutschen ansprechen werde.

Lintner hat nunmehr ein noch nicht veröffent- lichtes Strategiepapier mit einem Stufenplan zur Wiedervereinigung erarbeitet, das von einer Boulevard-Zeitung bereits zum „Geheimplan der C D U " hochstilisiert wurde. Lintner zum „Ost- preußenblatt": „Ein Geheimpapier gibt es nicht.

Aber ich registriere mit Interesse, daß von hohen sowjetischen Funktionsträgem das Selbstbestim- mungsrecht, auch für das deutsche Volk, bejaht wird. Angesichts dieser Situation müssen wir uns Gedanken machen, wie wir dieses Selbstbestim- mungsrecht realisieren können." Dazu solle sein Stufenplan, der von einer immer engeren Zusam- menarbeit mit dem Osten und vor aBem der DDR Cunter Wahrung unserer eigenen Vorstellungen") ausgeht, dienen. A m Ende des Prozesses solle eine Volksabstimmung dies- und jenseits der Grenze über die Wiedervereinigung stehen.

Dadurch würden dann möglicherweise, so Lint- ner, Militärblöcke überflüssig. Entscheidend sei, daß die Sicherheit gewährleistet bleibe.

Angesichts eines zu Reformen in jedem Be- reich gezwungenen Ostblocks verspricht die nahe Zukunft Europas und Deutschlands zahlreiche Überraschungen! Ansgar Graw

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Politik fcosßflpnufm&fott 10. Juni 1989 - Folge 23 - Seite 2

Europa-Wahl:

Testfragen

Der Bund der Vertriebenen hat an die Parteien und die Kandidaten, die sich bei der Europa- Wahl am 18. Juni 1989 um Sitz und Stimme im Europa-Parlament bewerben, sieben Test-Fragen gestellt. Die Fragen lauten:

Werden Sie im Europa-Parlament dafür eintreten:

1. daß die Bemühungen um die staatliche Einheit Deutschlands bei der europäischen politischen Eini- gung eine zentrale Rolle einnehmen;

. 2. daß auch im Zuge der fortschreitenden westeuro- päischen Einigung alle deutschlandpolitischen und deutschlandrechtlichen Elemente des Gemeinschafts- rechtes fortgelten;

3. daß neue europäische Verträge und institutionel- le Veränderungen die Verpflichtung aller Partner enthalten, das Streben des deutschen Volkes zu unter- stützen, in freier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands zu vollenden;

4. daß sich die Europäische Politische Zusammenar- beit (EPZ) und die Europäische Gemeinschaft mit ihrem ganzen politischen, diplomatischen und wirtschaftli- chen Gewicht auch vorrangig um den Abbau der mehrfachen Teilung Deutschlands und Europas be- mühen;

5. daß die Bundesrepublik Deutschland bzw. das ganze Deutschland auch in einer künftigen Europäi- schen Union als gleichberechtigter Partnerstaat dafür Sorge tragen kann, dem deutschen Volk sprachliche, geistige und kulturelle Heimstatt zu sein und daß alle europäischen Völker das selbstverständliche Recht behalten, sich im Europa der Zukunft zu ihrem Natio- nalstaat zu bekennen;

6. daß sich alle europäischen Organe mit ganzer Kraft für praktizierte Menschenrechte der unterdrück- ten Deutschen und Europäer einsetzen, damit die Staaten des Warschauer Paktes ihnen die in der Charta der Menschenrechte, der europäischen Menschenrechts- konvention, den UN-Menschenrechtsvakten und den KSZE-Vereinbarungen verankerten Menschenrechte und Grundfreiheiten gewähren;

7. daß das Europäische Parlament in der nächsten Legislaturperiode eingehend eine die umfassende Selbst- verwaltung der Volksgruppen gewährleistende „Char- ta der Volksgruvpenrechte" berät und deren Unter- zeichnung durch die Vertragsstaaten betreibt?

Warschau:

8. Mai 1945:

Verkehrte Darstellung der Geschichte

Bundespräsident Richard von Weizsäcker sprach fälschlicherweise von einer Kapitulation des Reiches

Wenn es gerade jungen Leuten - aber nicht nur denen - gelegentlich an historischem Wissen fehlt, kann dies nicht ernstlich ver- wundern. Denn allzu häufig werden Fakten und Tatsachen i n der Öffentlichkeit verkürzt oder gar falsch dargestellt, von Medien eben- so wie von Politikern.

Ein Beispiel: Die Vorgänge u m den 8. M a i 1945. Bundespräsident Richard von Weiz- säcker war es, der gerade erst - i n der Bon- ner Beethoven-Halle w ä h r e n d seiner Rede z u m 40jährigen Bestehen des Grundgesetzes - die Behauptung aufstellte: „ A m 8. M a i 1945 hatte das Deutsche Reich bedingungslos kapituliert."

Diese Aussage ist falsch. A m 8. M a i 1945 hat die Deutsche Wehrmacht bedingungslos kapituliert; aber nicht das Reich. In der von

Generalfeldmarschall Keitel, Generaladmi- ral von Friedeburg und Generaloberst Stumpf am 8. M a i 1945 m Berlin-Karlshorst unter- zeichneten Kapitulationserklärung heißt es unter Punkt 1.:

„Wir, die hier Unterzeichneten, handelnd in Vollmacht u n d i m Namen des Oberkom- mandos der Deutschen Wehrmacht, erklä- ren hiermit die bedingungslose Kapitulation aller i m gegenwärtigen Zeitpunkt unter deutschen Befehl stehenden oder von Deutsch- land beherrschten Streitkräfte auf dem L a n - de, auf der See u n d i n der Luft gleichzeitig gegenüber dem Obersten Befehlshaber der Alliierten Expeditions Streitkräfte u n d dem Oberkommando der Roten Armee."

Unter Punkt 4. heißt es dann: „Diese Kapitulationserklärung ist ohne Präjudiz für

Absolute „Solidarnocs"-Mehrheit im Parlament

Aber Mehrheit der Kommunisten

A m Sonntag haben 27 Millionen Polen in den ersten „halbdemokratischen" Wahlen seit 1947 über die Zusammensetzung des Sejm, des polni- schen Parlaments, und des Senates entschieden.

Dabei hatten sich die PVAP und andere „staats- tragende" Gruppierungen bereits vor der Wahl einen Anteil von 65 Prozent der Sitze im Parla- ment gesichert. Die Opposition könnte hier be- stenfalls ungefähr ein Drittel der Abgeordneten stellen. Anders jedoch im Senat, wo die Opposi- tion theoretisch alle einhundert Sitze einnehmen könnte.

Arbeiterführer Lech Walesa erklärte noch am Vorabend der Wahlen im Femsehen, er gehe erst das zweite Mal in seinem Leben zur Wahl. Vor vier Jahren hatte die Solidarität noch zum Boy- kott der Wahlen aufgerufen.

Dabei wird den Polen der Einstieg in die Demokratie nicht einfach gemacht. Jedem Wäh- ler wurden mehrere Stimmzettel ausgehändigt.

So erhielten die Wähler im Warschauer Arbeiter- viertel Praga-Nord insgesamt sieben Stimmzet- tel: einer mit der Landesliste, auf der die 35 Spit- zenkandidaten für den Sejm stehen, einer für den

Zeichnung aus „Berliner Morgenpost"

irgendwelche an ihre Stelle tretenden allge- meinen Kapitulationsbestimmungen, die durch die Vereinten Nationen u n d i n deren N a m e n Deutschland u n d der Deutschen Wehrmacht auferlegt werden m ö g e n . "

im Sejm bereits Vorher gesichert

Eine andere Kapitulationserklaiung als diese gibt es nicht. D a r ü b e r hinaus sei auf die Senat mit 32 Kandidaten für drei Plätze und fünf

Zettel für die fünf Sejmsitze, die diesem Stadtteü zustehen. Immer wieder mußten die Wahlhelfer Nachhilfeunterricht geben. Vor dem Wahlbüro informierte ein Stand der Solidarität: „Von den 82 Kandidaten sind nur vier von der Solidarität. Wenn Sie die wählen wollen, müssen Sie auf dem rosa Zettel die Namen Findeisen, Radziwill und Trze- ciakowski und auf dem Sejmmandat Nummer 22 Jan Bylinski stehenlassen. Alle anderen können Sie streichen." Auffallend war die starke Domi- nanz der Solidarität mit etwa 80 000 ehrenamtli- chen Wahlhelfern und die äußerst schwache Präsentation der kommunistischen PVAP. Das endgültige Wahlergebnis lag bei Redaktionsschluß noch nicht vor. Es zeichnete sich aber bereits ab, daß „Solidarnocs" nahezu sämtliche Senatssitze errungen hat.

Daß hingegen der Großteil der Sejmsitze be- reits vor der Wahl vergeben wurde, zeigt, daß die regierenden Kommunisten eine wirksame Parla- mentskontrolle (noch) nicht zulassen wollen.

Trotzdem ist dies ein erster Schritt zu einer Perestroika auch in Polen Ralf Loock

Erklärung des letzten Staatsoberhauptes des Deutschen Reiches, G r o ß a d m i r a l K a r l D ö - nitz, hingewiesen, die dieser i m JuU 1945 i m Gefangenenlager Bad Mondorf abgegeben hat. riier war es am 7. JuU 1945 z u einem Zwischenfall gekommen, der durch die Verlesung eines Textes durch den Lagerkom-

Gottesdienste:

mandanten, Oberst A n d r u s , hervorgerufen worden war. Oberst A n d r u s hatte feste*

stellt d a ß der Deutsche Staat aufgehört habe z u bestehen. Der G r o ß a d m i r a l nahm diesen Zwischenfall z u m A n l a ß t i n einer schriftli- chen E r k l ä r u n g seinen Standpunkt zum Charakter u n d Umfang der Kapitulation im M a i 1945 vor der Geschichte niederzulegen.

In d e m Dokument heißt es: „ D e r Komman- dant des Lagers, i n d e m ich mich als Kriegs- gefangener befinde, verlas a m 7. Juli eine aus drei Paragraphen bestehende Anordnung die i n § 2 unter anderem die Feststellung enthielt, der Deutsche Staat habe aufgehört z u bestehen. Der Satz w u r d e auf meine Einwendung nachträglich dahin berichtigt, d a ß es heißen sollte, die Deutsche Regierung habe aufgehört zu bestehen.

U m ^ M v e r s t ä n d n i s s e n ü b e r meinen Stand- punkt vorzubeugen, treffe ich folgende Klar- stellung:

1. Die Kapitulation ist v o n memen Beauf- tragten a u f G r u n d einer schriftlichen Voll- macht geschlossen worden, die ich als Staats- oberhaupt des Deutschen Reiches u n d damit Oberster Befehlshaber der Wehrmacht aus- gestellt habe, u n d die i n dieser Form von den bevollmächtigten Vertretern der Alliier- ten Streitkräfte verlangt w a r u n d anerkannt wurde. D i e Alliierten naben mich dadurch selbst als Staatsoberhaupt des Deutschen Reiches anerkannt.

2. D u r c h die mit meiner Vollmacht am 9.

M a i 1945 abgeschlossene bedingungslose Kapitulation der drei Deutschen Wenrmachts- t e ü e hat weder das Deutsche Reich aufge- h ö r t z u bestehen, noch ist dadurch mein Amt als Staatsoberhaupt beendet worden. Auch die v o n m i r berufene eeschäftsführende Regierung ist i m A m t geblieben; mit ihr hat die alliierte Ü b e r w a c h u n g s k o r n m i s s i o n in Flensburg bis z u m 23. M a i i m Geschäftsver- kehr gestanden.

3. D i e i m A n s c h l u ß an die Kapitulation erfolgende vollständige Besetzung des Deut- schen Reichsgebietes nat an dieser Rechtsla- ge nichts g e ä n d e r t . . . "

Die Tatsache, d a ß a m 8. M a i 1945 nur die Deutsche Wehrmacht kapituliert hat, dürfte d e m B u n d e s p r ä s i d e n t e n genau so bekannt sein, wie die Verhaftung aer letzten Reichs- regierung erst a m 23. M a i 1945. W a r u m aber hat Herr v o n Weizsäcker diese, die Geschich- te verfälschende, FormuHerung gewählt?

Ungenauigkeiten i n der Wiedergabe histori- scher V o r g ä n g e sind gerade i n dieser Zeit, da die Jugend sich wieder auf die deutsche Geschichte besinnt, tunlichst z u vermeiden.

H e l m u t Kamphausen

„Unchristliche Argumentation"

Herbert Hupka übte scharfe Kritik an Kardinal Glemps Aussagen

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In einem Gespräch mit der Tageszeitung

„Westfälischer Anzeiger" hat sich der V i z e - präsident des Bundes der Vertriebenen u n d Vorsitzende der Landsmannschaft Schlesien, Herbert H u p k a , z u Fragen der Aussiedler- politik g e ä u ß e r t . Eingangs widersprach H u p k a dem Eindruck, d a ß von den Vertrie- benen selbst die schärfsten Widerstände gegen Aussiedler k ä m e n . Er setzte sich entschie- den gegen diejenigen zur Wehr, die sich mit Vorurteilen gegen Aussiedler wenden wür- den. Leider wurden diese Vorurteile, die durch Unkenntnis ü b e r die H i n t e r g r ü n d e der nicht mehr vorhandenen Beherrschung der deut- schen Sprache geschürt. Die Aussiedler aus Oberschlesien sprächen z u 80 Prozent nicht mehr Deutsch. Daraus werde die falsche Schlußfolgerung gezogen: „Weil sie nicht mehr deutsch sprechen, sind sie auch keine Deut- schen. Doch sollte gefragt werden: W a r u m sprechen sie kein Deutsch? Irnmerhin sind diese Aussiedler Opfer einer gewaltsamen PolonisiemngspoUtik. Diese ist genau so von Übel, wie es einst die gewaltsame Germani- sierungspolitik war."

A u f die Frage, ob das heute von den Polen eingesehen werde, verwies H u p k a , der auch Landesvorsitzender der VertrieDenen-Union in Nordrhein-Westfalen ist, auf das hervor- ragende Interview des Bischofs Nossol aus Oppeln, das i n zwei Folgen i n der Kattowit- zer Kirchenzeitung, nicht aber i n der Oppel- ,

ner, erschienen ist. „Darin bekennt sich der d e n - ö i t .w a r e n dann bevorzugte Gemein- Bischof, der selber Oberschlesier ist, d a z u A j g u m e \ti Sr* E mPf i n d e nu n c h r i s t l i c h e

d a ß die deutschen M i t b ü r g e r nicht i n der rechten Weise behandelt w o r d e n seien - weswegen es jetzt die Unzufriedenheit mit der Ausreise gebe."

Z u r Frage der Vorurteile e r g ä n z t e Hupka, d a ß jeder froh sei, w e n n er die deutsche G r o ß m u t t e r habe. Manche h ä t t e n sicher erst durch Nachforschungen entdeckt, d a ß sie einen deutschen G r o ß v a t e r oder eine deut- sche G r o ß m u t t e r hätten. „ A b e r auch dann sind sie z u Recht hier mit ihrer Forderung, als Ueutsche anerkannt z u werden. Doch der jetzige Aussiedlerstrom k ä m e nicht, wenn es den Menschen besser ginge. D a r u m auch meine Forderung, bei den jetzigen Verhand- lungen sicherzustellen, d a ß d e n Deutschen nicht nur Rechte zugestanden werden, son- dern d a ß dies auch schriftlich fixiert wird c f üU C h j i e we|tere Frage, ob sich werüg- 2 2 2 iT er Polnischen Kirche ein Wandel 2 e ' verneinte H u p k a . „ D i e m i r über- E Ä ? ^ d r u c k e sind genau so schlecht.

r w f S ! .m p weiSert sich weiterhin, den

SSSäS!

?l e M öS ^ h k e i t z u deutschen k S 1 ^ e i n z u r ä u m e n . E r sagt, daß s £ n JE Tn d e u^ * s p r a c h i g e n Gottesdien- s t j f e u P a t e. ^ h a f t s g e m e i n d e n i m We- R ? n r ; i ^ len^rden-Sie k ö nn t e n dann ihre n « 2 5 S * S S $ ^ s b a u e n , die Glocken er-

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10. Juni 1989 - Folge 23 - Seite 3

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Das neue Buch

Wie lassen sich Frieden für Europa und die deutsche Einheit vereinbaren?

General a. D. Günter Kießling hat dazu ein Konzept vorgelegt.

Weder Verrat noch Bedrohung

V O N H A R R Y P O L E Y

W o steht Deutschland i m weltpolitischen Kräftespiel? Unorthodoxe G e d a n k e n v o n G ü n t e r K i e ß l i n g (re.)

I

n diesem Jahr begeht die Bundesrepublik Deutschland ihr vierzigjähriges Bestehen mit nicht i m m e r v e r s t ä n d l i c h e m A u f - wand, liegt doch dieser Gedenktag zwischen den klassischen J u b i l ä u m s d a t e n 25 u n d 50.

Unter massiven Vorgaben der Besatzungs- m ä c h t e g e g r ü n d e t , sollte dieser westdeut- sche Teilstaat „ v o n d e m W i l l e n beseelt, seine (der Deutschen) nationale u n d staatliche Einheit z u wahren", d e m staatlichen Leben für eine Ü b e r g a n g s z e i t eine neue O r d n u n g

P

eben. So steht es i m Grundgesetz, das der arlamentarische Rat a m 23. M a i 1949 in Bonn am R h e i n v e r k ü n d e t hat u n d das nach A r t i - kel 146 an d e m Tage seine Gültigkeit verlie- ren soll, an d e m eine Verfassung i n Kraft tritt, die v o n d e m deutschen V o l k e i n freier Entscheidung beschlossen w o r d e n ist.

M i t der Errichtung der Bundesrepublik w u r d e nicht ein neuer westdeutscher Staat g e g r ü n d e t , sondern ein Teil Deutschlands neu organisiert. Identisch mit dem Staat „Deut- sches Reich", i n der Hoheitsgewalt auf den

„ G e l t u n g s b e r e i c h des Grundgesetzes" be- schränkt, d ü r f e n die Bundesrepublik u n d ihre aufgeben. Sie haben alles z u unterlassen, was die Wiedervereinigung vereiteln w ü r d e . Kern- staat des zusarnmenzunigenden Deutschland z u sein, w a r u n d bleibt die Aufgabe - für die i m Grundgesetz vorgesehene Ü b e r g a n g s z e i t - dieser Bundesrepublik Deutschland.

D i e Auseinandersetzung u m den politisch richtigen u n d gangbaren W e g z u m Z i e l der gemeinsamen staatlichen O r d n u n g für alle Deutschen begleitete den W e g des deutschen Weststaates bis heute. Sie dauert an u n d stellt i m m e r d r ä n g e n d e r Fragen u n d Forderun- gen an die roÜtik. Der Status quo der A b - schreckung, das Gleichgewicht des Schrek- kens, sie sind nicht nur ein f r a g w ü r d i g e s Element des Nichtkrieges, sie zementieren die deutsche Spaltung u n d bleiben damit

(.unter

Kießling

Neutralität

Verrat

t'unturf SlRU Iii

Günter Kießling, Neutralität ist kein

Verrat. Entwurf einer europäischen Friedens- ordnung, Straube-Ver- lag, Erlangen/Bonn/

Wien, 322 Seiten, ge- bunden, mit Schutzum- schlag 32,- DM

ein bedrohlicher Faktor e u r o p ä i s c h e r U n s i - cherheit. Sprach doch schon der 1967 v o n dem belgischen A u ß e n m i n i s t e r Pierre H a r - mel für die N A T O verfaßte Bericht davon, d a ß ohne eine L ö s u n g der Deutschlandfra- ge, die den K e r n der g e g e n w ä r t i g e n Span- nungen i n Europa bildet, eine e n d g ü l t i g e u n d stabile Regelung i n Europa nicht m ö g - lich sei. , . ,.

W u r d e die ernsthafte Diskussion u m die Wiedervereinigung i m Rahmen einer block- ü b e r w i n d e n d e n europäischen Sicherheit lange Zeit abseits der offiziellen Politik i n interes- sierten Z i r k e l n , bei Vortragsverarustaltungen oder ü b e r Buchveröffentlichungen eeführt, trat 1986 mit d e m CDU-Bundestagsabgeord- neten Bernhard Friedmann ein Parteipohti- ker i n die A r e n a . M i t seiner These, die deut- sche Frage m ü s s e mit der A b r ü s t u n g ver- bunden werden („Einheit statt Raketen , Verlag Busse-Seewald), sie k ö n n e auf die- sem Wege gelöst werden, w e i l ihre Rege- lung i m Interesse der beiden Weltmächte hege, hatte er der deutschlandpoUtischen Debatte

Schub p-e^eben. Wahrend sicn

die Kritik aus seiner Partei i n Begriffen wie

„urtsirtnig", „unrealistisch" oder „gefährli- che Illusion" artikulierte u n d der Bundes- kanzler Friedmanns Argumente als „blühen- den U n s i n n " qualifizierte, gab es Zustim- m u n g in der seriösen Presse wie der „Welt"

u n d der „ F A Z " .

Z u den Stimmen des Zuspruchs hatte auch der Brief eines Generals a. D . aus Rendsburg gehört. Es heißt darin: „ M e i n e m Metier entsprechend beurteile ich die deutsche Frage aus sicherheitspolitischer Sicht ... W i e Sie bin ich der Meinung, d a ß die unaufhaltsame Entwicklung uns z u Lösungsvorschlägen für die deutsche Frage herausfordert. Anders als Sie schließe ich dabei einen müitärisch neu- tralen Status eines gesamtdeutschen Staates nicht aus."

Der dies schrieb, war kein Geringerer als der 1982 bis 1984 r a n g h ö c h s t e deutsche General i n der N A T O , Dr. G ü n t e r Kießling.

A l s A n g e h ö r i g e r des Jahrgangs 1925 hat Kießling als Infanterieoffizier i m Zweiten Weltkrieg an der Ostfront gekämpft. Das 1948 an der Freien Universität Berlin begonnene Studium der Wirtschaftswissenschaften schloß er mit der Promotion ab. 1956, nach einigen Jahren des Dienstes i m Bundesgrenzschutz i n die neu aufgestellte Bundeswehr ü b e r g e - wechselt, führte i h n seine militärische Lauf- bahn i n den höchsten Dienstgrad. A l s „Vier- Sterne-General" - das ist die u m s t ä n d l i c h e Umschreibung für den „Generaloberst" - wurde er 1982 Stellvertreter des N A T O - Oberbefehlshabers i n Europa. N a c h einer infamen Verleumdungskampagne, bei der Politik u n d Nachrichtendienste ihr Ansehen beträchtlich b e s c h ä d i g t e n u n d Kießling sei- ne R e h a b ü i t i e r u n g erzwang, schied er auf eigenen Wunsch aus d e m Dienst.

Europäische Friedensordnung

Es waren sicher nicht zuletzt seine Erfah- rungen als Militär i n den höchsten Verwen- dungsbereichen, die den mit miÜtärpoUti- scher Autorität u n d der geistigen Disziplin des Generalstabsoffiziers ausgestatteten Günter Kießling veranlaßten, sich in der Politik z u Wort z u melden.

Sein i m Frühjahr dieses Jahres i m jungen Straube-Verlag erschienenes Buch „ N e u t r a - lität ist kein Verrat" trägt den Untertitel

„ E n t w u r f einer e u r o p ä i s c h e n Friedensord- nung". F ü r den A u t o r ist mit dem Zustande- kommen einer solchen Friedensordnung die Wiederherstellung der deutschen staatlichen Einheit i n Freiheit untrennbar verbunden.

Seine These, Vorbedingung hierzu sei die Beseitigung der Spannungen, die sich „in der Teilung Deutschlands am deutlichsten u n d grausamsten offenbaren", wie es i m Harmel-Bericht heißt, w i r d in der Bundesre- publik offen kaum bestritten.

Ü b e r Wege zur Ü b e r w i n d u n g der Teilung laut nachzudenken, Lösungsvorschläge zur Diskussion z u stellen, w i r d i n die Grauzone des Suspekten, des politisch Unschicklichen gerückt. Dabei erschöpft sich die Kritik in der Ablehnung. Statt eigener Vorschläge über den einzuschlagenden W e g z u machen, erklären diese Kritiker bestenfalls, was man nicht w i l l . Beileibe keinen Nationalstaat (hat man solches etwa schon v o n Franzosen oder Italienern ü b e r die Gestaltung ihrer Selbst- bestimmung gehört?); verfeinert w i r d diese Absage an em deutsches Gemeinwesen noch mit dem Zusatz „Bismarckscher P r ä g u n g " , was immer das auch heißen soll. Berechtigte substantielle Kritik am Werk des Reichsgrün- ders h ö r t man nicht, offenbar w e i l diese Spezies Politiker sich so ausgiebig v o m Geist politischer Uberweisheit bestrahlt fühlen, d a ß sie es nicht für nötig hielten, „ G e d a n k e n u n d

Erinnerungen" durchzuarbeiten. Schließlich gehört noch z u dem Negationsritual die Beteuerung, es d ü r f e keinen deutschen

„ S o n d e r w e g " geben. Im Klartext kann das nur heißen, das deutsche Volk, wie kein anderes zwischen U r a l und Atlantik seit vier Jahrzehnten der „ S o n d e r b e h a n d l u n g " der Teilung unterworfen, d ü r f e ü b e r eigene Anstrengungen zur Ü b e r w i n d u n g der „grau- samen" Teilung nicht nachdenken. D i e deutsche Frage steht nicht auf der Tagesord- nung der Weltpolitik, also bitte nicht daran r ü h r e n .

G ü n t e r Kießling unternimmt es i n seinem dreigegliederten Buch, mit der G r ü n d l i c h - keit des brillanten Generalstäblers, die deut- sche Lage z u beschreiben, z u beurteilen u n d unter Berücksichtigung aller vorhandenen und denkbaren Details Wege z u m Z i e l zur Diskussion z u stellen. V o n der Politik for- dert er eine Entscheidung für die „ b e s t m ö g - liche L ö s u n g " .

Mittel und Zweck

Der A u t o r w i l l deutlich machen, d a ß sich letztlich nur ein Hindernis auf dem Weg zur deutschen Einheit entgegenstellt: die Angst vor V e r ä n d e r u n g e n , das blinde Vertrauen i n die friedensbewanrende und zukunftssichern- de Funktion des Status quo. Entscheidend bleibt für ihn der sicherheitspolitische A n - satz. Er w i l l Möglichkeiten aufzeigen, wie durch Ü b e r w i n d u n g der deutschen Teilung die militärische Konfrontation der Blöcke mitten i n Deutschland aufgehoben u n d auf diese Weise der Frieden sicherer gemacht werden kann. Das Problem von Bündnis u n d Nation nimmt einen breiten R a u m i n seiner Arbeit ein. W e n n er betont, d a ß Bündnisse Mittel z u m Zweck sind, so ist dies keine Absage an die N A T O . F ü r die Bundesrepu- blik, insbesondere für deren Deutschland- politik, ist die N A T O ein wichtiges, ja unver- zichtbares Mittel; aber eben nur ein Mittel.

Zweck dagegen ist die Freiheit u n d die Wohlfahrt der Nation.

Schlüssig arbeitet Kießling heraus, d a ß die Sowjets niemals einer L ö s u n g der Deutsch- landfrage zustimmen werden, die das Gleichgewicht zwischen den S u p e r m ä c h t e n z u ihren Ungunsten v e r ä n d e r n w ü r d e . Es bedarf kemerProphetie, u m voraussagen z u k ö n n e n , d a ß die Sowjets sich h ü t e n werden, ihre Herrschaft ü b e r die D D R aufzugeben, damit diese nahtlos i n die N A T O überführt werden kann. Für den Autor kommt es darauf an, den militärischenStatus eines wiederver- einigten Deutschland z u definieren u n d den Weg dahin z u ebnen, einen Weg, der keiner der oeiden Seiten Überlegenheit verschafft.

Z u r Zielsetzung seines Buches schreibt der Verfasser: ^ N e u t r a l i t ä t ist kein Verrat' nen- ne ich mein Buch. Damit w i l l ich drei Punkte u m r e i ß e n :

1. den militärischen Status eines wieder- vereinigten Deutschland, der weder ,Verrat' am Westen noch Bedrohung für den Osten w ä r e ,

2. die Notwendigkeit einer neuen deutsch- landpolitischen Diskussion, ohne , Verrats- v o r w u r f , ohne EMskriniinierung u n d Ver- teufelung der Andersdenkenden,

3. die Uberzeugung, d a ß die Wiederverei- nigung Deutschlands trotz aller machtpoliti- schen Realitäten erreichbar ist. D a z u m ü s s e n w i r eine L ö s u n g entwickeln, die weder den Sowjets eine Kapitulation zumutet, noch einer Absage an den Westen gleichkommt."

Für Kießling ist die Zustimmung der vier Siegermächte - z u denen er Frankreich zählt - unabdingbar. Sie z u erreichen, hält er für möglich: „Das ist eben die Kunst der Politik:

eine L ö s u n g z u präsentieren, bei der sich alle als Cpwinnpr fiihlpn könnpn: und Sarhp dpr

Diplomatie ist es, das Feld dafür vorzuberei- ten."

Nicht v o n ungefähr r ä u m t der gelernte Soldat der mihtärpolitischen Lage u n d stra- tegischen Problemen breiten R a u m ein. Sei- ne Gedanken i n den Abschnitten „ D a s Schlachtfeld des Bündnisses", „ D e r militäri- sche Status eines wiedervereinigten Deutsch- land", „Die gesamtdeutsche A r m e e " sind verständlich, „nachvollziehbar", wie man i n der neudeutschen Sprach-Aufgeblasenheit sagen w ü r d e .

Im letzten rjrittel seines Buches stellt er sein Gesamtkonzept u n d einen Stufenplan vor. Danach k ö n n t e nach einer Volksbefra- gung i n West- u n d Mitteldeutschland z u - nächst ein „ G e s a m t d e u t s c h e r Rat" errichtet werden. N a c h der Wiederherstellung der Länder i n der D D R k ö n n t e ü b e r einen Reichs- rat eine „Deutsche Konföderation" gebildet werden, die weitere M a ß n a h m e n zur Vorbe- reitung der Wiedervereinigung Berlins, z u Wahlen u n d der Konstituierung einer „Ver- fassunggebenden Nationalversammlung" i n die Wege leitet. M i t einer v o n dieser verfaß- ten Deutschen Republik soll dann der Frie- densvertrag abgeschlossen werden, der hin- sichtlich der Festsetzung der Ostgrenze eine Entscheidung nach fünf Jahren vorsieht.

Z u dem Buch, das vierzehn Seiten Quellen- anmerkungen enthält, hat Wolfgang Leon- hard - der i m ü b r i g e n dem A u t o r nicht i n allen Fragen zustimmt - i n seinem Vorwort

P

esagt: „Diese Thesen werden, w i e andere unkte, bestimmt eine Diskussion heraus- fordern. Meinungen d a r ü b e r werden hart aufeinanderprallen. G ü n t e r Kießlings Acht- stufenplan ... kommt auch zur rechten Zeit, denn eine offene u n d freie Diskussion ü b e r dieses Thema ist nicht mehr aufzuhalten u n d bitter nötig. Gerade angesichts der neuen gewaltigen V e r ä n d e r u n g e n - der Entwick- lung z u m europäischen Binnenmarkt auf der einen, der A u m m c h s t i m m u n g u n d begin- nenden Reformen i m Osten auf der anderen Seite - m u ß die deutsche Frage neu durch- dacht, neu analysiert werden, verbunden mit neuen Schlußfolgerungen für die Zukunft."

Diesen Diskussionsbeitrag liefert G ü n t e r Kießling nüchtern, präzise, durchdacht. Aber auch der Rezensent setzt Fragezeichen, wenn der A u t o r z. B. unreflektiert den negativ gefärbten Begriff „Finrilandisierung" verwen- det, der v o n diesem tapferen Vo l k i m N o r - den nur als Beleidigung empfunden werden kann. Zumindest mißverständlich ist auch die Forderung, „ d i e Franzosen für unsere Sache z u gewinnen, indem man sie davon ü b e r z e u g t , d a ß die Wiedervereinigung Deutschlands ihr Vorfeld bis an die künftige deutsche Ostgrenze erweitert".

Tägüch ist die V e r ä n d e r u n g der nach dem Kriege scheinbar u n v e r ä n d e r l i c h e n Macht- konstruktionen wahrzunehmen. Der Status quo bröckelt allenthalben. Es gilt, Deutsch- land i n das Neubemessen des Weltkoordi- natensystems als Land der europäischen Mitte einzubringen.

G ü n t e r Kießlings Buch ist hierzu ein in die Zukunft weisender Beitrag zur rechten Zeit.

(4)

Politik

£ n s CflpnußcntJfait

10. Juni 1989 - Folge 23 - Seite 4

Kurz notiert

Berlin:

Sowjets bauen mehr Panzer

M i t V e r w u n d e r u n g prüft das amerikani- sche Verteidigungsministerium eine A n a - lyse der CIY, aus der hervorgeht, d a ß die A b r ü s t u n g s - A u s s a g e n des sowjetischen Partei- u n a Staatschef s M i c h a i l Gorbatschow mit der Realität der sowjetischen W e i t e r r ü - stung nicht i n Ü b e r e i n s t i m m u n g stehen.

W e n n tatsächlich eine Steigerung i m Pan- zerbau erfolgt, entwertet diese Tatsache die Aussage Gorbatschows, innerhalb v o n z w e i Jahren 100 000 sowjetische Panzer auszu- mustern.

Ausländer ins Parlament?

Bei den nächsten Landtags- u n d Bundes- tagswahlen wollen die G r ü n e n i n Hessen A u s l ä n d e r als Kandidaten i n die Landesliste aufnehmen. Dies beschloß jetzt die Landes- versammlung der Partei i n Bad Camberg.

Bisher gab es bei Kommunalwahlen nur symbolische Bewerbungen v o n A u s l ä n d e r n auf Listen der hessischen G r ü n e n .

Menschenrechte durch Perestroika?

D i e Einhaltung der Menschenrechte u n d die sofortige Freilassung aller politischen Gefangenen i n der D D R fordert die I G F M anläßlich des bevorstehenden Besuches v o n M i c h a i l Gorbatschow. D e r A p p e l l „Offene Worte an M i c h a i l Gorbatschow" soll v o n möglichst vielen Bürgern unterzeichnet u n d dem Kreml-Chef w ä h r e n d des Bonn-Besu- ches ü b e r g e b e n werden. D i e I G F M fordert, d a ß sich Gorbatschow für die Entstalini- sierung i n der D D R einsetzt

Multimillionär Ceausescu

Nicolaie Ceausescu hat etwa 400 bis 500 Millionen Dollar auf Privatkonten i m westli- chen A u s l a n d angelegt. Dies behauptet R u m ä n i e n s Ex-Kömg Michael I., der i n der Schweiz lebt. E r fordert die Staaten des Westens auf, keine Waren mehr aus R u m ä - nien z u importieren, da Ceausescu erhebli- che Teile der Devisen persönlich einstreiche.

Wolgadeutsche erhalten Kirche

I m Saratow-Gebiet an der Wolga s o l l e i n religiöses u n d kulturelles Zentrum für die katholische Gemeinde der Wolgadeutschen entstehen. W i e die Z e i t u n g „Sowjetskaja Rossija" berichtet, hat die katholische Gemeinde i n der Stadt M a r x an der W o l g a die Erlaubnis erhalten, eine neue g r ö ß e r e K i r c h e z u bauen. Das frühere G e b ä u d e sei für die mehrere hundert M i t g l i e d e r z ä h - lende Kirchengemeinde z u k l e i n geworden.

Verzweifelte Aggression bei der Jugend

Die ideologische Anti-Familienpolitik als eine der Ursachen der Berliner und anderer Krawalle

Berlin erlebte in Kreuzberg kürzlich, anläßlich des 1. Mai, die schwersten Krawalle seit Kriegs- ende, bei denen von linksradikalen jungen Chao- ten mehr als 300 Polizisten verletzt wurden. Mitte Mai demonstrierten 16 000 Berliner gegen Ge- walt und für ein friedliches Zusammenleben in der Stadt. Der Bundestag debattierte in einer aktuellen Stunde über die Ausschreitungen, die Schäden in Millionenhöhe verursachten und scharfe politische Auseinandersetzungen zwischen dem rotgrünen Senat und der Opposition auslö- sten. Aus Anlaß der Berliner Unnmen ist nun die Diskussion über die Ursachen zunehmender Gewalt bei jungen Menschen in vollem Gange.

Geradezu naiv wird gefragt Warum machen sie das? Warum die „unnötige", verzweifelte A g - gression bei so jungen Menschen?

Antworten sind in den zahlreichen Diskussio- nen der siebziger und achtziger Jahre in nicht endenwollender Vielfalt aus jeweils aktuellem Anlaß immer und immer wieder angeboten worden. Und die Fülle der Antworten als Frucht

„ F r a u e n - G l e i c h s t e l l u n g "

nachdenklicher Hüne reicht gewiß aus, damit für jeden etwas dabei ist, was semem Erklärungsbe- dürfnis Genüge tut und damit seltsamerweise die Unruhe über das Unheimliche, weü Unerklärte beschwichtigt - bis sie neu zum Problem wird.

Da selbst in einem wirklichkeitsfemen, ideolo- gisierten Erklärungsversuch meist zumindest ein Kömchen Wahrheit enthalten ist, konnte man sich mit der Ausbeute - angefangen von der „Isola- tion der Jugend" bis zur „sinnlosen Daseinsform in einer kapitalistischen Leistungsgesellschaft'', von der „Studentenf eindlichkeit der ihre Wohnungs- fluchten geierhaft hütenden Kommerzienratswit- wen" bis zum „Verzweifeln der Jugend über Umweltzerstörung, Atomkraft und Aufrüstung''

- wiederzur Ruhesetzen. Das aber ist lange schon das aber wurde seit

f^Stät^^^

eine nicht mehr angemessene Reaktion. Denn es brandmarkt - wider alle brranrungen.

gut als erstes einmal zu unterscheiden: Berechtig- Zu den Giften gehören auch gesetzliche Maß- ter Protest gegen negative Trends oder Mißstände n ah m e n , die die Stabilität des Wurzelgrundes kann niemals gleichzeitig ein Freifahrtschein für Elternhaus und Familie mindern statt ihn zu stär- Gewalt sein - weder gegen Sachen noch gegen ^e n und die Kinderseelen moralisch in ihm zu Menschen. verankern. Wer natürliche, lebenswichtige Struk-

Es gibt schon eine derartig große Menge von turen antastet, darf sich nicht wundem, wenn sie hieb- und stichfestem Material über die Entste- nicht mehr tragen. Ein großer Teil der Gewalttä- hung zerstörerischer Aggressivität, daß sich auf t e r von Berlin sind beispielsweise Scheidungs- die Dauer die WahrscheuiÜchkeit zu konstrukti- w ai s e n , wie jüngst von dort verlautet,

ver Wende beträchtlich erhöhen würde, wenn wir Wi r längst Wenn der Innendruck des nur endlich den Mut hätten, einzugestehen, daß Q^^Q^ Seele durch Steigerung der Aggressivität die vielen Krawalle eine der Folgen ideologischer auf d e m Roden von Existenzbedrohung immer Anti-Familienpolitik sind. Schließlich haben wir men r angestiegen ist - und seelische Schutzlosig- auf diesem Feld psychische Gifte benennen kön- winf ^ e m e solche erlebt - , reicht der klein- nen, die die Seele gefährlich kränken - im wahr- Funke aus um die psychische Bombe hochge- sten Sinne des Wortes. Vor allem führt die fehlen- hen m ] a s g e R' r ja s geschieht dann schließlich mit de Geborgenheit zu seelischen Schäden, die oft der voraussagbarkeit von Naturgesetzen.

£ 2 S I S f Ä Ä

. Die A k t e - . s i n d m Alchen FaUen dje Opfer M u ^ d i e v o l l z e i m c h f i ^ K i ^ ^

sten Faktoren mit Langzeiriolge, in das sie selbst durch Nachdenken allein keinen Einblick gewin- nen können, ..Opfer ihrer eigenen, allmählich angestauten Über-Aggressivität, die durch die Vernachlässigungssünden eines maßlos und egoistisch nach Total-Befreiung heischenden Zeitgeistes entstanden ist.

Unsere Erfahrung würde gewiß ausreichen, um daraus erzieherische Schlüsse zu ziehen und rninisterielle Erlasse zu entwickeln. Es gilt ledig- lich, den Willen und den Mut zu haben, die Wahrheitskörner aus der Spreu der Scheinbegrün- dungen herauszuklauben. Gewiß ist das nicht dadurch möglich, daß man die Jungen fragt, warum sie mit Steinen geworfen haben. Die Fragebogen- technik mag wissenschaftlich noch so exakt sein.

Die nach Rechtfertigung heischende Eigenbegrün- dimg einer zerstörerischen Tat ist viel eher dazu angetan, die echten Hintergründe zu verstellen, als des Pudels Kern ans Licnt zu bringen.

Neue Forschung dieser Art wäre sinnlose Zeit- und Geldverschwendung in einer Situation, die kernen Aufschub mehr duldet. Es hegt vielmehr an uns, ob wir den Mut zur nüchternen Reue haben, aus der bereits durchaus erkennbaren Wahrheit praktikable Schlüsse zu ziehen, wir alle - u n d wohl vor allem unser Ministerium für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit. Christa Meves Zeichnung aus „Berliner Morgenpost"

Burschenschaften:

Hommage an deutsche Traditionen

Vorbereitender Gründungskommers mitteldeutscher Studenten

Feine Unterschiede

Dem polnischen Professor Dr. Kasimierz Kakol fällt es nach wie vor schwer, Josef Stalin so zu verurteilen, wie dies zur Zeit in der Sowjetunion geschieht. Daß Stalin Verbrechen begangen hat und dafür schuldig gesprochen werden muß, gehört jetzt auch zum kommu- nistischen Zeitgeist in der Volksrepublik Po- len. Als Vorsitzender der Hauptkommission zur Untersuchung der Naziverbrechen kann auch Kakol nicht umhin, dies zugeben zu müssen: „In Wirklichkeit haben wir große Versäumnisse in der Untersuchung der stali- nistischen Verbrechen, und deswegen stellen sie heute den Zentralpunkt der öffentlichen Meinung. Also nicht nur Verbrechen an den polnischen Offizieren in Katyn, sondern auch Massendeportationen der polnischen Bevölke- rung aus Teilen Ostpolens schon in den Jah- ren 1939,1940A bevor der Plan Barbarossa' (das war der Überfall auf die Sowjetunion vom 22. Juni 194i) angewandt wurde. Wir müssen unsere Versäumnisse aus der Ver- gangenheit nachholen."

Hier wird also zunächst eingestanden, daß polnischerseits ganz im Sinne des Komman- dos aus dem Kreml Geschichtsbetrachtung betrieben worden ist, und daß erst jetzt die

Wahrheit wiederum in Übereinstimmung mit dem Kreml nachgeholt werden darf.

Aber so weit, Stalin als Verbrecher zu ver- dammen, will man als Kommunist nun doch nicht gehen. Man möchte ihn von Hitler und

dessen Verbrechen abgehoben, besser gesagt wohlwollend unterschieden wissen. Kakol er- klärte im deutschen Dienst von „Radio Polo- nia": „Ich vertrete die Meinung, es besteht ein

f

roßer Unterschied zwischen den Nazi-Ver- rechen und Stalin-Verbrechen. Nazi-Verbre- chen, das war eine Verallgemeinerung und eine Vertretung der nazistischen Ideologie, in Ein- stimmigkeit mit der Ideologie. Die stalinisti- schen Verbrechen, das waren auch Verbrechen aus der kommunistischen Ideologie, gegen die Ideologie. Und das ist ein großer Unterschied..."

Um aiese Behauptung zu untermauern, wird von dem polnischen Ankläger, der zugleich die Konturen des Verbrechers Stalin und seiner Verbrechen verwischen möchte, indem er sich zum Verteidiger aufschwingt, erklärt, daß die Deutschen auf Hitlers Verbrechen stolz gewe- sen seien, während man die Verbrechen Sta- lins „unter den Tisch gesteckt hat, um nichts darüber zu sagen".

Hier lügt sich ein Kommunist in die Tasche.

Verbrechen bleibt Verbrechen, Stalin war kei- neswegs ehrenhafter als Hitler. Nur konnte man in den letzten Jahrzehnten täglich über die Verbrechen Hitlers berichten, mußte aber zugleich über die Verbrechen Stalins schwei- gen. Jetzt, da man endlich Stalin einen Verbre- cher nennen darf und auch so nennt, sollte man nicht erneut lügen und so tun, als sei Stalin ein Verbrecher von edlerem Zuschnitt gewesen. V a l e n t i n Altendorf

N o c h immer stemmt sich das SED-Regime mit Vehemenzgegen den frischen W i n d , den die Reformen Gorbatschows auch i n die D D R getragen haben. So war denn auch an mittel- deutschen Universitäten bisher v o n Selbst- bestimmung nicht die Rede; Glasnost u n d Perestroika standen erst gar nicht z u r Dis- kussion. U m so erstaunlicher ist es daher, d a ß i n der vorletzten Woche auf der t h ü - ringschen Rudelsburg mehr als einhundert Studenten mit farbigen B ä n d e r n u n d M ü t - zen zusammenkommen durften, u m einen vorbereitenden G r ü n d u n g s k o m m e r s neuer DDR-Verbindungen abzunalten. Der „Alli- anzkommers Rudelsburg 1989/' war bei der Naumburger Polizei angemeldet u n d sogar i n der Zeitung der Liberaldemokratischen Partei i m Lokalteil i n Halle a n g e k ü n d i g t worden.

Die Parteiführung hat augenscheinlich erkannt, d a ß sie die freiheiüichen Bestrebun-

§

en i n der Studentenschaft nicht ohne W i - erstand e i n d ä m m e n kann. Daher versucht die S E D seit langer Zeit, durch die F ü n t e r t ü r die studentische Jugend für sich z u gewin- nen: Sie toleriert die etwa zehn derzeit beste- henden Verbindungen unter der Auflage, d a ß diese sich i n die Studentenklubs der Univer- sitäten eingliedern u n d dem kommunisti- schen Kulturbund anschließen, der bei den jeweiligen Hochschulkreisleitungen Arbeits-

t

emeinschaften für studentenhistorische Kulturgeschichte unterhält. Die Tradition der historischen mitteldeutschen Korporationen soll nicht fortgesetzt, sondern burschenschaft- liche Geschichte unter kommunistischem Zeichen geschrieben werden.

So ganz w i l l aber dieser scheinbar geschick- te Schachzue der Partei, mit dem sie für ihre Politik werben w i l l , nicht gelingen. D i e Verbindungen z u tolerieren - selbst i m Rahmen kommunistischer Kontrolle - heißt auch, grundlegende Elemente burschenschaft- licher Vergangenheit anzuerkennen. Das kann aber nicht ohne parteipoUtische Kapriolen vonstatten gehen. Die Farben der Burschen- schaften waren bei der G r ü n d u n g der U r -

Burschenschaft 1815 i n Jena d e m Lützow- schen Freikorps entlehnt w o r d e n , das sich an den Freiheitskriegen gegen Napoleon (1813-1815) beteiligt hatte. Ihr Symbolgehalt läßt sich schwerlich mit dem totalitären System i n der D D R vereinbaren. D i e S E D löste das Problem ü b r i g e n s auf ihre Weise: Sie ließ in die schwarz-rot-goldene Fahne des Wartburg- festes das H a m m e r - u n d Zirkel-Emblem einsetzen.

A b e r nicht nur die C o u l e u r zeigte, d a ß sich die studentische Jugend an alte Traditionen anlehnt. In der Festrede w u r d e der Jenaer Philosoph Johann Gottlieb Fichte (1762-1814) zitiert, der sich i n seinen „ R e d e n an die deutsche N a t i o n " entschieden z u m Vater- land bekannt hatte. Ergebnis des „Allianz- kommerses", der v o n d e m Vertreter der Leipziger Verbindung „ S a x o n i a " geschlagen wurde, w a r aber nicht, w i e auch v o n SED- Stellen a n g e k ü n d i g t , die G r ü n d u n g einer Dachorganisation aller studentischer Verbin- dungen. Unter den K o m m i l i t o n e n wurde vermutet, d a ß die Partei die Absicht habe, emen solchen Verband mit V-Leuten zu unterwandern. Deswegen w u r d e eine sorg- fältige Personenauswahl verlangt und die Konstituierung der A l l i a n z verschoben - auf den Juni 1990, der 175. Wiederkehr des

^ j g s^a h r e s de r Ur-Burschenschaft Jena.

Mrt dieser Terrninsetzung demonstrierten A c 5 i ^e n t e n' d a ß sie mcd e n Vorgaben der S E D v o n einer organisierten Studenten- schaft entsprechen w o l l e n - u n d d a ß sie sich unter W a h r u n g der fortschrittlichen Tradi- tionen deutscher Geschichte für die Gestal-

< ün£ ^r L Z u ku n f t i n Europa einsetzen. Die u l 1 u n d Z o n a l e Jenaer Ur-Burschen- schaft k ä m p f t e seinerzeit für christlich-va- terländische Ideen, zugleich für poütische Freiheit etwa i n F o r m v o n Verfassungen, besonders aber für die Einheit der deutschen Nation D i e Biergläser mit aufgeklebtem Gorbatschow-Foto, die an der Kneiptafel geschwenkt wurden, lassen keinen Zweifel:

Glasnost ist auch i n der D D R nicht mehr aufzuhalten.

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