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Lernaufgaben zur Individualisierung des Unterrichts mit Hilfe eines Aufgaben

Kooperativ: additiv – kompensatorisch - differenziert Koexistent: mit und ohne Wettbewerb

3.6 Lernaufgaben zur Individualisierung des Unterrichts mit Hilfe eines Aufgaben

– Anforderungs-Regler-Modells (AAR-Modell) gezielt planen

(Elke Schlecht)

Lernaufgaben nach dem Lehr-Lern-Modell von LEISEN werden von NITSCHE in dieser Handreichung ausführlich erörtert und beispielhaft dargestellt.

Neumaier hat 2002 ein Strukturmodell entwickelt, welches ermöglicht, Bewegungsaufgaben im Sportunterricht so zu gestalten, dass die koordinativen Anforderungen von Übungen passgenau auf die Bedarfe einer Lerngruppe oder aber auch eines

Einzelnen abgestimmt werden können. Das Koor- dinations-Anforderungs-Regler-Modell (KAR- Modell) wird durch zwei Kategorien bestimmt:

Informationsanforderungen (optisch, akustisch, taktil, kinästhetisch, vestibulär)

Druckbedingungen (Präzisionsdruck, Zeitdruck, Komplexitätsdruck,

Situationsdruck, Belastungsdruck) Wie funktioniert das KAR-Modell?

Die Lehrkraft legt zunächst eine Zielsetzung für das Unterrichtsvorhaben fest und konzipiert für die Lerngruppe dann eine Bewegungsaufgabe. Bei jeder Bewegungsaufgabe werden Anforderungen an die optischen (o), akustischen (a), taktilen (t), kinästhetischen (k) und vestibulären (v) Analysatoren gestellt. Damit kann ein spezifisches Profil in Bezug auf die Höhe und die Art der Informationsanfor- derungen – und somit auf die Höhe der Leistungsanforderungen – festgelegt werden.

Bei Anforderungen an die Bewältigung einer gruppentaktisch-kognitiven Aufgabenstellung zum An- griffsverhalten im Volleyball entstehen besonders hohe Informationsanforderungen hinsichtlich der optischen und vestibulären Analysatoren. Die Anforderungen an die taktilen und kinästhetischen Analysatoren befinden sich auf mittlerem Niveau, die des akustischen Analysators eher auf einem niedrigen Niveau.

Die Anforderungen an die Druckbedingungen sind bei unserem Volleyballbeispiel ebenfalls unter- schiedlich. Während Komplexitätsdruck, Zeitdruck sowie Situationsdruck sehr hoch sind, ist der Prä- zisionsdruck etwas niedriger, der Belastungsdruck (psychisch wie physisch) ist hier zu vernachlässi- gen.

Entsprechend den Anforderungen an gewünschte Zielsetzungen ist es folgend möglich, entspre- chende Bewegungsaufgaben zu konzipieren und mit der Gruppe zu üben. Dabei können Differenzei- rungen der Aufgabenstellungen für einzelne Schüle-

rinnen und Schüler besonders herausfordernd oder fördernd (binnendifferenzierend) variiert wer- den.

Modifizierungen des Strukturmodells zur besonde- ren Förderung – beispielweise in Ballsportarten – der visuellen Wahrnehmung sind über die Differen- zierung des optischen Analysators – z.B. peripheres Sehen, Blicksprünge, Tiefensehen – zusätzlich mög- lich.

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Wie kann das KAR-Modell für das Gemeinsame Lernen im Sportunterricht genutzt werden?

Auf der Grundlage des Koordinations-Anforderungs-Regler-Modells von NEUMAIER ist der Versuch entstanden, seine Konstruktionsprinzipien zu nutzen, um das Strukturmodell zur Modifizierung von Aufgaben – ausgehend von Aufgaben für die Lerngruppe des Regelschulsystems – für Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Entwicklungsbedarf einzusetzen. Für die Lerngruppe des Re- gelschulsystems kann das KAR-Modell nach wie vor in den verschiedenen Variationen genutzt wer- den.

Das Aufgaben-Anforderungs-Regler-Modell (Elke Schlecht)

Für die Entwicklung eines Aufgaben-Anforderungs-Regler-Modells (AAR-Modell) für Lernende mit sonderpädagogischem Förderbedarf bleibt die erste Kategorie der Informationsanforderungen be- stehen. Die beispielhafte Darstellung zum Einsatz der Rezeptoren im Unterricht bezieht sich auf die reflektierte Praxis, die das praktische Tun ebenso umfasst, wie Reflexions- bzw. Theoriephasen im Sportunterricht:

Die Informations-

art... informiert durch folgende Rezeptoren... … und ermöglicht erfolgreiche (sportliche) Aktionen z.B.

optisch/ visuell (o) - informiert über die zentrale und perip- here Wahrnehmung durch die Augen - Einschätzung von Entfernungen, Ge-

schwindigkeiten, Beschleunigungen, Ortsveränderungen

- Lesen von Texten, Bildreihen, Lehrfilmen …

- Wahrnehmen von Ballrichtung und -geschwindigkeit, -entfernungen, Bewegungen

der Mit- und Gegenspieler

akustisch (a) - informiert über das Gehör zur Aufnah- me von Sprache und Geräuschen - Orientierungshilfe - zum Einschätzen

von Entfernungen der Mit-

/Gegenspieler, Läufer als Konkurren- ten…

- Wahrnehmen/ Hören der Zurufe von Mitspie- lern, Ballgeräuschen, Bewegungen der Gegner/

Mitspieler im Raum

- Instruktionen von Trainern, Lehrern, Mitspie- lern

taktil (t) - informiert durch Rezeptoren in der Haut über Form, Oberfläche und Druck be- rührter Gegenstände

- Wahrnehmen/ Fühlen des Ballkontaktes, z.B.

der Kontaktflächen beim Gerätturnen

- Wahrnehmen/ Fühlen z.B. der Gegenspielerin/

des Gegenspielers, der Bälle, der Gegner in Kampfsportarten,

- Wahrnehmen/ Fühlen der Ballgeschwindigkeit durch Druck z.B. bei Tennis-, Badminton-, Tisch- tennisschläger,

kinästhetisch (k) - informiert durch Rezeptoren in den Muskeln, Sehnen, Bändern und Gelen- ken über Winkelstellungen des Rumpfes und der Gliedmaßen zueinander

- Wahrnehmen/ Spüren der Körperbewegung im Abgleich mit der Zielbewegung beim Beugen und Strecken der Fuß-, Knie-, Hüft-, Schulter-, Ellenbogen und Handgelenke sowie beim Springen und Laufen im Zusammenspiel mit dem Ball

- Stärke der (Ab-)Sprungbewegung vestibulär/ stati-

co-dynamisch (v) - informiert durch das Gleichgewichtsor- gan im Innenohr über Richtungs- und Beschleunigungsänderungen von Kopf und Körper und über ihre Lage

- Wahrnehmen/ Fühlen der Gewichtsverlagerun- gen im Stand, im Sprung, bei der Landung und im Fallen,

- Wahrnehmen/ Fühlen der Gewichtsverlagerun- gen in der Vor-, Rück- und Seitwärtsbewegung Abb. 12: Informationsanforderungen im AAR-Modell (nach Neumaier 2002)

Die zweite Kategorie bezieht sich auf die jeweiligen sonderpädagogischen Entwicklungsbereiche – Kognition/ Denken, Kommunikation/ Sprache, Bewegung/ Motorik, personale Kompetenzen, soziale Kompetenzen, die Kernelemente der allgemeinen Förderpläne darstellen, sich im Sprachgebrauch jedoch zum Teil auch unterscheiden (z.B. soziale Kompetenzen – Sozialverhalten).

Die Inhalte der Entwicklungsbereiche beziehen sich ebenfalls auf alle Anforderungen im Sportunter- richt, das dem Grundprinzip ‚reflektierter Praxis‘ verhaftet ist:

Entwicklungs-

bereich ... stellt folgende informationsbezogene Anforderungen

... und zeigt sich in erfolgreichem sportlichem Handeln Kognition/

Denken (D) …

- über eine taktische Maßnahme entscheiden - eine Gefahrensituation einschätzen - Spielverhalten zielgerichtet beurteilen - Spielstrategien entwickeln

- Problemlösung im Konfliktfall

- einen Bewegungsablauf zielgerichtet ausführen - Rechenoperationen ausführen, Schreiben, Visuali-

sieren, Modelle erfassen, Diagramme lesen und ver- stehen …

- Taktiken und Spielzüge kennen, qualitativ einschät- zen, auswählen, entscheiden

- Gefahrensituationen analysieren, beschreiben, erör- tern, vermeiden

- Spielregeln kennen und anwenden

- Konflikte in der Gruppe – z.B. beim Tanz – lösen - Sinnrichtungen sportlichen Handelns beurteilen

Kommunikati- on/ Sprache (Sp)

semantisch-lexikalische Ebene:

- nach unbekannten Begriffen fragen

- Versuch der Umschreibung eines unbekannten Be- griffs

- Bildung zusammengesetzter Wörter, Versuch von Wortneuschöpfungen/ Wortschatzerweiterung phonetisch- phonologische Ebene:

- Begriffe sachgerecht und klar aussprechen können - sich klar und verständlich artikulieren

- Laute richtig bilden, verstehen und schreiben

morphologisch-syntaktische Ebene:

- vollständige Aussage- und Fragesätze bilden können - Satzteile in eine richtige Reihenfolge bringen - Verben richtig beugen, Fälle und Präpositionen rich-

tig einsetzen

pragmatisch-kommunikative Ebene:

- Sprache in ihrer sozialen Funktion wahrnehmen - gestische und verbale Elemente einsetzen

- emotionale und situative Komponenten berücksich- tigen

semantisch-lexikalische Ebene:

- sportartspezifische Fachbegriffe sachgerecht an- wenden

- nachfragen, wenn Fachsprache nicht verstanden wird

phonetisch- phonologische Ebene:

- sportspezifische Fachbegriffe sachgerecht und klar aussprechen

- Regeln/ Vereinbarungen sprachlich klar und ver- ständlich ausdrücken

morphologisch-syntaktische Ebene:

- Vereinbarungen inhaltlich klar und verständlich aus- drücken

- Bewegungsbeschreibungen, Spielregeln präzise wie- dergeben

pragmatisch-kommunikative Ebene:

- Gefühle und Empfindungen klar ausdrücken/ be- schreiben

- im Spiel (non)verbal miteinander kommunizieren können

Bewegung/

Motorik (M)

- psycho-physische Anstrengungsbereitschaft zeigen - technisch-koordinative Fertigkeiten und taktisch-

kognitive Fähigkeiten zielgerichtet nutzen

- ästhetisch-gestalterische Fertigkeiten und Fähigkei- ten nutzen …

- beim ausdauernden Laufen, Schwimmen Anstren- gungsbereitschaft zeigen

- technisch-koordinativ und taktisch-kognitiv erfolg- reich in den verschiedenen Sportarten handeln - technisch-koordinativ und ästhetisch-gestalterisch

zielgerichtet handeln Personale

Kompetenzen (PK)

- Handlungen zielgerichtet ohne Berücksichtigung individueller Befindlichkeiten steuern

- Stärken und Schwächen individueller Lernstrategien kennen und nutzen

- Emotionale Bewältigungsformen beim motorischen Lernen …

- Ärger über einen Spielrückstand ausblenden - mit Angst konstruktiv umgehen können

- Freude bewusst wahrnehmen und genießen und zur Leistungsoptimierung nutzen

- eigene Lernschwächen erkennen und geeignete Lernstrategien nutzen

- Fachmethoden zielgerichtet anwenden und nutzen

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Entwicklungs- bereich ...

stellt folgende informationsbezogene Anforderungen

und ... zeigt sich in erfolgreichem sportlichem Handeln Soziale

Kompetenzen (SK)

- in der Gruppe zielgerichtet zusammenspielen - konstitutive, regulative und ethisch-moralische Re-

geln kennen und anwenden

- Fairness, Hilfsbereitschaft, Zuverlässigkeit u.v.m.

kennen und anwenden

- für sich und andere Verantwortung übernehmen

- Gruppen sozial verträglich bilden

- die Stärken und Schwächen anderer akzeptier - Schwache unterstützen/ fördern

- Spielregeln und Fairnessregeln einhalten - Absprachen treffen und einhalten

- Verantwortung z.B. als Schiedsrichter übernehmen Abb. 13: Sonderpädagogische Entwicklungsbereiche im AAR-Modell

Das vorliegende Aufgaben-Anforderungs-Regler-Modell (AAR-Modell) soll einen Beitrag dazu leis- ten, die verschiedenen Anforderungskategorien – Informationsanforderungen im Sport sowie Ent- wicklungsbereiche für Schülerinnen und Schüler mit und ohne sonderpädagogischen Entwicklungs- bedarf – innerhalb einer Aufgabenstellung so zu modifizieren, dass die individualisierte Aufgabe für jede Schülerin/ jeden Schüler als individuell angemessene Herausforderung wahrgenommen wird und dadurch einen hohen Aufforderungscharakter hat, der weder unter- noch überfordernd wirkt.

Gezielte Veränderungen in den Informationsanforderungen bzw. in den ausgewiesenen Förderbe- reichen können individualisiert und an die spezifischen individuellen Fördermaßnahmen für Schüle- rinnen und Schüler mit und ohne sonderpädagogischen Entwicklungsbedarf angepasst werden und auf diese Weise wesentlich zum erfolgreichen Gemeinsamen Lernen beitragen.

Durch die gezielte Steuerung der Anforderungen an die individuellen Lern- und Entwicklungsbedarfe wird eine Unterrichtsplanung und -steuerung mit modifizierten Aufgaben/ Anforderungen und ent- sprechenden Lernmaterialien beim kooperativen Lernen ermöglicht.

Abb.14: Aufgaben-Anforderungs-Regler-Modell zur individuellen (sonderpädagogischen) Förderung

Das Regler-Modell zeigt einerseits die Informationsanforderungen, andererseits die Anforderungska- tegorien hinsichtlich der sonderpädagogischen Entwicklungsbereiche als Kategorien auf.

Eine gezielte Individualisierung der Aufgabenstellungen kann dadurch erreicht werden, dass ein und dieselbe (Lern-)Aufgabe jeweils entsprechend dem individuellen Förderbedarf sowohl an die Informationsanforderungen als auch an die Entwicklungsbedarfe individuell angepasst werden kann.

Dazu können die jeweiligen Anforderungen entsprechend erhöht oder reduziert werden.

Die Stärke dieses Aufgaben-Anforderungs-Regler-Modells ist es, dass dazu als Grundlage die Aufga- benstellung für die Schülerinnen und Schüler der Regelklasse verwendet werden kann.

Für die Unterrichtsplanung bedeutet dies, dass die Lehrkraft zunächst jeweils vom schulinternen Lehrplan bzw. den entsprechenden UV-Karten ausgehen kann und die Aufgabe – mit Unterstützung der eingesetzten Förderschullehrkraft auf der Grundlage des jeweiligen Förderplans – modifiziert, ohne dazu grundsätzlich eine völlig neu- und andersartige Aufgabe entwickeln zu müssen. Unter diesen Bedingungen wird ermöglicht, dass grundsätzlich zunächst einmal alle Schülerinnen und Schüler in kooperativen Lernformen gemeinsam lernen können.

Wenn das nicht ausreicht, kann es in einzelnen Ausnahmen dennoch unverzichtbar sein, koexistente Lerngruppen zu bilden, die dann zieldifferente Aufgabenstellungen bewältigen.

Die Anpassung der individuellen informationsbezogenen wie entwicklungsbezogenen Anforderun- gen in sportspezifischen Aufgaben – z.B. Gestaltung einer Aufgabe mit höheren oder reduzierten Anforderungen an die Denkleistung – an individuelle Entwicklungsbedarfe ermöglicht individualisier- tes Lernen, ohne die Gesamtanforderungen für die Lerngruppe grundsätzlich zu reduzieren oder zu erhöhen.

Dadurch können zielgleich oder zieldifferent zu unterrichtende Lernende viele sportspezifische (Lern-/Bewegungs-) Aufgaben und Anforderungen gemeinsam in kooperativen Lernformen bewälti- gen.

Anwendungsbeispiel des AAR-Modells für Lernende mit einer Autismus-Spektrum-Störung Im Folgenden soll das Strukturmodell zur Modifizierung von (Lern-)Aufgaben im Sportunterricht bei- spielhaft für eine Gruppe mit Lernenden mit Autismus-Spektrums-Störung (ASS) dargestellt werden, ohne an dieser Stelle auf die komplexen und vielschichtigen Bilder von Autismus-Spektrum-

Störungen ausführlich eingehen zu wollen.

Bei der folgenden Lernaufgabe geht es beispielhaften um die Bewältigung einer mannschafts- und individualtaktisch-kognitiven Problemstellung zum Abwehrverhalten im Handballspiel.

Dabei entstehen im Bereich der Informationsanforderungen besonders hohe Anforderungen bei der Zielgruppe an die optischen (o), akustischen (a) wie taktilen (t) Analysatoren. Diese sind also ange- messen zu reduzieren, um eine Überforderung zu vermeiden, wenngleich von einem Regelschüler i.d.R. keine besonderen Herausforderungen im Bereich der taktilen Wahrnehmung empfunden wer- den.

Überempfindlichkeit gegenüber Geräuschen und visuellen Reizen sowie mangelnde Umstellungs- und Differenzierungsfähigkeit, Einschränkungen im non-verbalen Sprachverständnis, mangelnde Aufmerksamkeit sowie Probleme mit Berührungen und Körperkontakt stellen für Lernende mit einer Autismus-Spektrum-Störung Überforderungen dar, die – im Falle des Sportunterrichts durch indivi- dualisierte Aufgabenstellungen oder bei starken Merkmalsausprägungen des Störungsbildes ggf.

auch durch Nachteilsausgleiche – weitestehend kompensiert werden müssen.

Für die sonderpädagogischen Entwicklungsbereiche ergeben sich nach dem AAR-Modell zentrale Handlungsbedarfe im Sportunterricht für die Lernenden mit Autismus-Spektrum-Störung in der Kommunikation/Sprache (Sp), die eng mit den Bereichen der personalen (PK) wie sozialen Kompe- tenzen (SK) verknüpft sind. Des Weiteren bedarf es infolge der mangelnden Flexibilität auch der Re-

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duzierung der Komplexität des motorischen Handlungsauftrages (Spielen einer komplexen Ab- wehrtaktik im Hallenhandballspiel einschließlich individual-taktischer Maßnahmen in der Verteidi- gung) z.B. in der Lösung komplexer taktisch-kognitiver sowie technisch-koordinativer Anforderun- gen.

Bei der Konzeption einer Lernaufgabe müssen also die oben beschriebenen Anforderungsbereiche in der Aufgabenstellung gezielt reduziert und wie folgt modifiziert werden:

Informationsanforderungen:

Zur Reduzierung der akustischen Anforderungen erhält die Zielgruppe als erste Maßnahme Ohr- stöpsel, mit denen sie die Lautstärke abmildern, so dass störende Nebengeräusche reduziert oder ausgeblendet werden können. Dadurch wird die Konzentration auf die visuellen Anforderungen et- was erhöht.

Die taktilen Berührungen werden durch regulative Regelveränderung43 für die Schülerinnen und Schüler aus dem Regelschulsystem gezielt verändert. Sie haben die Aufgabe, konsequente Raumde- ckung zu spielen und in der Abwehr auf Körperkontakte bei den entsprechenden Schülerinnen und Schülern mit Autismus-Spektrum-Störung ganz zu verzichten. Diese Schülerinnen und Schüler trugen gesonderte farbige Trikots, an denen man sie frühzeitig optisch wahrnehmen konnte. Ihre Fähigkei- ten, situativ schnelle Entscheidungen zu treffen, werden besonders im Bereich der visuellen Anfor- derungen erhöht, wenngleich beide Gruppen aus völlig unterschiedlichen Gründen – erhöhte visuel- le Anforderungen zu bewältigen haben.

Die Informationsanforderungen an die kinästhetische (k) sowie die vestibuläre (v) Wahrnehmung bleiben unverändert und sind vom Grundsatz her für alle Lernenden gleich.

Anforderungen an (sonderpädagogische) Entwicklungsbereiche:

Die Anforderungen an den Bereich Denken (D) werden für die Lernenden mit Autismus-Spektrum- Störung insofern reduziert, als die Spielhandlungen besonders im Bereich des intuitiven Denkens – gegenüber dem operativen und strategischen Denken – eingeschränkt bleiben, weil die akustischen und optischen Signale durch Mit- und Gegenspieler und daraus resultierende Spielreaktionen einge- schränkt bzw. ganz ausgeblendet werden.

Die Anforderungen an personale Kompetenzen (PK) (Einsatzwille und Einsatzbereitschaft, Individu- altaktik mit dem Treffen situativer Spielentscheidungen) sowie soziale Kompetenzen (SK) (Fairness, Verantwortung für andere) werden durch entsprechende Vereinbarungen über den Umgang mit moralischen Regeln je nach Ausprägung der Autismus-Spektrum-Störung gesteuert. Hierzu werden individualisierte Lernplakate angefertigt, die für alle Lernenden jederzeit sichtbar in der Halle ausge- hängt wurden, um ggf. darauf zurückgreifen zu können.

Die Anforderungen an den Bereich Kommunikation/ Sprache (Sp) können bei den Lernenden mit Autismus-Spektrum-Störung besonders im Bereich der pragmatisch-kommunikativen Ebene hinsicht- lich der Anforderungen an die (non-)verbale Kommunikation im Spiel nicht vollständig erfüllt wer- den, weil die Anforderungen an soziale (SK) und personale Kompetenzen (PK) nicht in gleichem Maße erfüllt werden können wie von Schülerinnen und Schülern ohne Entwicklungseinschränkun- gen. Es würde den Lernenden mit einer Autismus-Spektrum-Störung ggf. helfen, fest eingeübte Spielzüge anzuwenden, um nicht mit ständig wiederkehrenden situativen Entscheidungen überfor- dert zu werden.

43 Siehe Regelschema nach Digel

Die Anforderungen an den Bereich Motorik (M) sind bei Lernenden mit einer Autismus-Spektrums- Störung nicht grundsätzlich eingeschränkt. Durch die Einschränkungen im Bereich der taktilen und akustischen (sowie ggf. kinästhetischen) Anforderungen sowie in der Anwendung komplexer tak- tisch-kognitiver Spielhandlungen mit situativ notwendigen Handlungsentscheidungen im Bereich mannschafts-, gruppen- und individualtaktischer Maßnahmen wird jedoch ein Absenken der sport- artspezifischen Anforderungen notwendig. Dies bezieht sich beispielhaft auf Sportarten mit intensi- ven Körperkontakten oder Sportbereiche, in denen ein vergleichsweise hoher Lärmpegel mit schnel- len Raumveränderungen die Regel ist.

Je nach Ausprägungsgrad der Störung kann es ggf. sogar notwendig werden, den/ die Lernende/n in koexistenten Gruppen mit gesonderten Anforderungen zu beauftragen, weil das komplexe Spielge- schehen in einer Mannschaftssportart für die Lernenden mit einer Autismus-Spektrum-Störung grundsätzlich eine Überforderung darstellt.

Sprachsensibler Unterricht44

Die Notwendigkeit zur Anwendung eines sprachsensiblen Unterrichts bezieht sich nicht allein für Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf. Vielmehr sind – je nach Zusam- mensetzung der Lerngruppe – mehr oder weniger intensive Maßnahmen zur Förderung eines sprachsensiblen Fachunterrichts notwendig. Deshalb befindet sich ein grundlegender Regler

‚Sprachsensibler Unterricht‘ hierfür unterhalb der beiden Kategorien ‚Informationsanforderungen‘

sowie ‚Anforderungen in den Bereichen sonderpädagogischer Förderung‘ quer zu den beiden Kate- gorie-Ebenen, die sowohl Lehrende wie Lernende umfasst.

Die Sprache leistet einen bedeutsamen Beitrag zum fachlichen Lernen. Dabei geht es um den souve- ränen Umgang mit der besonderen Sprache des unterrichtlichen Lehrens und Lernens, der Bildungs- sprache.

Dies gilt für alle Lernenden, aber insbesondere für Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogi- schem Förderbedarf. Darüber hinaus sind auch Lernende gemeint, die zwei-oder mehrsprachig auf- wachsen sowie Schülerinnen und Schüler aus bildungsfernen Schichten.

Schülerinnen und Schüler müssen mit Bildungssprache und ihren (fachspezifischen) Konzepten ver- traut gemacht werden. Bildungssprache unterscheidet sich von der Alltagssprache durch ihre Orien- tierung an den Regeln des Schriftsprachgebrauchs, auch wenn sie in der mündlichen Kommunikation verwendet wird.

Im Unterricht wird Bildungssprache von der Lehrkraft gebraucht, um Unterrichtsgespräche zu füh- ren, Lernaufgaben zu stellen, Sachzusammenhänge zu verdeutlichen, Fachwissen zu vermitteln oder auch Bewegungsverbesserungen oder -korrekturen schnellstmöglich und zeitlich möglichst nah zum sportlichen Handlungsvollzug durch sog. Signalwörter zu vermitteln. Auch zur materialen Steue- rung des Sportunterrichts bzw. in Arbeitsmaterialien wird Bildungssprache eingesetzt.

Nur wenn Schülerinnen und Schüler Bildungssprache verstehen, ist es ihnen möglich dem Unterricht zu folgen. Die Beherrschung von Bildungssprache ist also für Schülerinnen und Schüler entscheidend, wenn sie in der Schule erfolgreich sein wollen.

44 orientiert an dem Beitrag der Qualität- und Unterstützungsagentur – Landesinstitut für Schule zu: Gründe für den sprachsensiblen Fachunterricht und damit verbundene Ansprüche; Qualitäts- und Unterstützungsagentur – Landesinsti- tut für Schule: sprachsensibler (Fach-) Unterricht http://www.schulentwicklung.nrw.de/cms/sprachsensibler-

fachunterricht/gruende-und-ansprueche/index.html vom 28.07.2016

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Im weitesten Sinne gehört der sprachsensible Fachunterricht dementsprechend zu den schulischen Strategien, Kinder und Jugendliche in ihrer altersgemäßen Sprachentwicklung zu fördern. Dabei zeichnet sich der sprachsensible Fachunterricht im Vergleich zu anderen Sprachförderstrategien durch folgende besonderen Merkmale aus:

Sprachsensibler Fachunterricht ...

ist Regelunterricht und keine organisatorische Sonderform, also kein zusätzlicher Förderun- terricht, sondern Kernelement einer (durchgängigen) Sprachbildung für alle Lernenden.

stellt sprachliche Hilfen und Lerngelegenheiten bereit, damit die Schülerinnen und Schüler im Sportunterricht angemessen fachsprachlich handeln und die Ziele des Regelunterrichts errei- chen können.

entfaltet sein volles Potenzial, wenn die Fächer untereinander und mit dem Deutschunter- richt abgestimmt zusammenarbeiten.

nimmt im Fach Sport in besonderer Weise drei fachsprachliche Ausprägungsformen in den Blick: Bildsprache (z.B. Bewegungszeichnungen, taktische Handlungsabfolgen, Fotos und Fil- me zur Demonstration von Bewegungstechniken,) fachtheoretische Sprache (Sprachbeson- derheiten der einzelnen Sportarten und Disziplinen) sowie fachpraktische Sprache (z.B. Sig- nalwörter während sportlicher Bewegungshandlungen).

setzt voraus, dass die Schülerinnen und Schüler soweit Deutsch beherrschen, um sich in grundlegenden Alltagssituationen verständigen zu können.

ist von besonderer Bedeutung für Schülerinnen und Schüler, die Familien mit Migrationshin- tergrund und/oder schwächer ausgeprägter literaler (schriftsprachlicher) Kultur aufwachsen.

Im Folgenden wird auf der Grundlage der oben gemachten Ausführungen zu Informationsanforde- rungen, zu den verschiedenen Entwicklungsbereichen sowie zur Notwendigkeit von sprachsensib- lem Unterricht beispielhaft das AAR-Modell für die beschriebenen Schülerinnen und Schüler mit einer Autismus-Spektrum-Störung dargestellt.

Ziel ist es, notwendige Modifizierungen von Aufgabenstellungen systematisch zu erfassen und für die Modifizierung der Aufgabenstellung zur Bewältigung der Aufgabenstellung zu nutzen.

Mit Blick auf die Arbeitsbelastung von Lehrkräften wird es mit zunehmenden Erfahrungen in der Anwendung dieses Modells immer besser gelingen, das Modell anwenden zu können, ohne jedes Mal eine differenzierte Analyse ausführen zu müssen.

Abschließend sei – neben den ausführlich dargelegten Möglichkeiten zur Individualisierung einer Aufgabenstellung mit Hilfe des Aufgaben-Anforderungs-Regler-Modells (AAR-Modells) – darüber hinausgehend darauf hingewiesen, dass eine Autismus-Spektrum-Störung45 eine massive Einschrän- kung verschiedenster Persönlichkeitsbereiche darstellt, die nicht allein durch individualisierte Aufga-benformate kompensiert werden kann.

Generell gilt darüber hinaus, dass die wechselseitige Anbahnung und Gestaltung einer Beziehung zu den Lehrkräften und den Mitschülerinnen und Mitschülern von besonderer Bedeutung ist. Darüber hinaus benötigen diese Schülerinnen und Schüler eine Lernumgebung (vgl. Schlecht, a.a.O. Kapitel 3.4 und 3.5 sowie Plener, a.a.O. Kapitel 3.7) die ihnen ein hohes Maß an Vorhersehbarkeit, Verläss- lichkeit, Eindeutigkeit und Konstanz hinsichtlich personeller, zeitlicher und räumlicher Bedingungen ermöglicht. Hierzu gehören auch ein eindeutiges Erziehungsverhalten, ein vertrauter Lernplatz in möglichst reizarmer Umgebung und verlässliche Rückzugsmöglichkeiten.

Der Sportunterricht erfüllt gerade diese Rahmenbedingungen – mit seinen fach- bzw. disziplinspezi- fischen Anforderungen – nicht bzw. nur bedingt. Insofern wird deutlich, dass die allgemeinen

45 Bezirksregierung Düsseldorf (Hrsg.), Autismus-Spektrum Störung – Empfehlungen zu individuellen Nachteilsausglei- chen bei Autismus-Spektrum-Störung http://www.brd.nrw.de/schule/grundschule_foerderschule/pdf/Empfehlungen- zur-Ausgestaltung-von-NTA-bei-ASS-_25_02_2015__.pdf S. 2

Abb. 15: Beispiel für eine Differenzierung der Anforderungen von Lernenden im Regelschulsystem (Regler Grau) gegenüber ausgewählten Schülerinnen und Schülern mit einer Autismus-Spektrums-Störung (weißer Regler)