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Einfluss von Medizintechnik auf die frühe Vater-Kind-Beziehung

3.4 Medizintechnik in der Neonatologie aus Sicht (werdender) Väter

3.4.4 Einfluss von Medizintechnik auf die frühe Vater-Kind-Beziehung

Der Aufbau einer Beziehung zum Kind findet bei einer Frühgeburt unter dem Eindruck einer von manchen Vätern als überwältigend empfundenen Kombination aus einer emotio- nalen Ausnahmesituation und sehr viel Medizintechnik statt.

Das sieht ja aus wie […] bei Raumschiff Enterprise im Maschinendeck, […] diese ganzen Monitore […], diese ganzen Kästen und die Schläuche und überall piept es und wenn man dann emotional […]

ganz schön durch den Wind ist […], dann ist das schon […] sehr beeindruckend. (V14.postnatal) Als ich […] beim Baby war, war das […] ein […] Schock […], weil ich […] habe das ja noch nie gesehen diese ganzen Kästen […], also ich habe auch geheult wie ein Schlosshund, […] das war […]

sehr emotional für mich. (V14.postnatal)

Das Interviewmaterial zeigt, dass Medizintechnik einerseits Distanz zwischen Vater und Kind schafft, Frühchenvätern andererseits aber auch einen besonderen Zugang zu ihrem

Kind bietet. Einige der Befragten beschrieben, dass Medizintechnik und insbesondere der Inkubator, in dem das Kind liegt, Abstand schaffe oder aufrechterhalte und es dem Vater erschwert, körperliche und emotionale Nähe zum Kind zu spüren.

Man kann ihn nicht aus dem Inkubator nehmen und an sich drücken, das ist schon traurig.

(V18.postnatal)

Der Kontakt ist durch den Inkubator ja schon unterbrochen. (V6.postnatal)

Das ist bei dem Inkubator definitiv so, […] dass er irgendwie eine Distanz aufbaut. […] Man ist froh, dass es diese Gerätschaft gibt, aber […] sie hat dafür gesorgt, dass […] erstmal […] die […] Bindung fehlt, die man eigentlich nach der Geburt gerne hätte […]. Man […] kümmert sich um einen Patienten, aber es […] war noch nicht so richtig das Vater-Feeling. (V20.postnatal)

Die Beschreibung, dass der Vater sein Kind zunächst als einen Patienten sah, verdeutlicht, dass insbesondere zu Beginn noch keine enge väterliche Bindung zum Kind bestand. Medi- zintechnik unterbricht im Kontext von Frühgeburtlichkeit den natürlichen Bindungsaufbau zwischen Vater und Kind. Manche der befragten Väter beschrieben, dass insbesondere in den ersten Lebenstagen das Kind scheinbar hinter der eingesetzten Technik verloren ging und hinter Kabeln und Masken verschwand. Das wurde im ersten Moment von einigen Vä- tern als erschreckend empfunden, jedoch nicht von allen als besonders negativ wahrgenom- men, sondern von einigen auch schlicht als Tatsache akzeptiert. Die Akzeptanz wurde damit begründet, dass es der Sicherheit des Kindes dient, oder dass man sich schnell daran ge- wöhnt. Durch diese Sichtweise wurden negative Aspekte von Medizintechnik am frühgebo- renen Kind relativiert. Manche Väter schienen sich damit abzufinden, dass die Technik zum Kind gehört und so dominierend ist, dass das Kind darunter verschwindet. Da Väter z. B.

das Gesicht des Kindes vor lauter Technik teilweise noch nicht richtig sehen konnten, konnte Technik dazu beitragen, dass das eigene Kind noch etwas Abstraktes und hinter Kabeln Ver- borgenes blieb. Es entsteht der Eindruck, dass in manchen Fällen Väter mit der Technik vertraut waren, noch bevor sie das Gesicht ihres Kindes sehen konnten.

Da kriegt man auch erstmal einen Schock […], weil an so einem kleinen Würmchen […] ne Millionen Kabel hängen, […] sieht erstmal sehr technisch aus. (V9.postnatal)

Wenn man da rein kommt, dann sieht man es überall blinken, klingeln, und das ist eigentlich das, was man […] wahrnimmt. Und […] irgendwo das Kind zwischen dem Ganzen, […] dann […] guckt man halt genauer und versucht das rings herum alles ein bisschen auszublenden. (V10.postnatal) Ich habe noch nie so richtig [das Kind] so ohne Maske und ohne allem Drum und Dran mir lange im Gesicht angeguckt, […] in einem andern Brutkasten […] würde ich ihn noch nicht mal richtig erkennen […], weil ich nur das ganze Drumherum immer sehe. (V11.postnatal)

Gestern […] habe ich […] das erste Mal das Gesicht voll gesehen, […] das erste Mal […] nach fünf, sechs Tagen. (V14.postnatal)

In manchen Fällen sorgten technische Geräte dafür, dass Väter sich mehr auf Messwerte als

auf ihr Kind konzentrierten. Ein Vater beschrieb, dass er als erstes auf EKG23 und Sauer- stoffsättigung anstatt auf das Kind selbst schaute.

Ich gehe auf Station, gucke […] links in den Glaskasten, ich weiß genau, auf welchem Slot Jakob liegt auf dem Monitor und gucke da erstmal. (V16.postnatal)

Die Technik [übernimmt] […] die Oberhand und […] kontrolliert einen auch selbst. Wenn […] der Fokus vom Kind weg rückt und [man versucht], […] jede Regungsänderung […] am Monitor wieder zu finden, […] wird man […] zum Sklaven der Technik […]. Auch wenn der Monitor im […]

Rücken stand beim Kuscheln, hat man dann im […] Fenster geguckt, ob es sich irgendwo spiegelt […]

und dass zeigt ja schon die Abhängigkeit, die man […] von […] [den] Instrumenten hat. […] Man verlernt […], auf das Kind zu gucken und […] wahrzunehmen, wie es ihm geht. (V20.postnatal) Da sich manche Väter daran gewöhnt hatten, aus den technischen Signalen Sicherheit be- züglich des Gesundheitszustandes des Kindes zu gewinnen, entstand für sie eine gewisse Abhängigkeit von der Medizintechnik. In dem Zusammenhang reflektierten sie auch die feh- lende Erfahrung, mit den Lebensäußerungen des Kindes umzugehen, wenn es keine Unter- stützung durch technische Geräte mehr gibt. Daraus kann Unsicherheit resultieren, wenn die eingesetzte Technik reduziert und das Kind schließlich nach Hause entlassen wird.

Es ist nicht so, dass ich mich auf die Entlassung nur freue, es […] schwingt auch […] eine gewisse Sorge mit, […] zu Hause ist kein Monitor mehr […]. [Es ist] eine andere Situation, als hätte man das reifgeborene Kind nach zwei Tagen mit nach Hause genommen, […] so sind wir jetzt anders kon- ditioniert. […] Zu Hause muss man lernen, dass Schreien zu interpretieren. (V20.postnatal) Wenn Körperkontakt zum Kind zunächst unmöglich war, blieb er auch dann durch Kabel am Kind erschwert, wenn er später möglich wurde.

[E]s [ist] jetzt schon so weit, dass wir kuscheln dürfen, man gibt uns das Kind […] raus zum auf die Brust Legen […]. Und das ist eigentlich eine schöne Zeit, aber schöner wäre […], wenn die ganzen Kabel weg wären, […] aber das dauert wohl noch. (V12.postnatal)

Im Material wird indessen deutlich, dass Medizintechnik nicht nur als etwas Distanzschaf- fendes wahrgenommen wurde. Technik kann auch als „Instrument“ dienen, das Vätern einen besonderen Zugang zu ihren Kindern ermöglicht und ihnen das Gefühl vermittelt, die Situ- ation unter Kontrolle zu haben. Indem Väter lernen, was die Technik kann und was be- stimmte Werte bedeuten, haben sie das Gefühl für ihr Kind sorgen zu können. Manche wie- sen auch auf Grenzen der Technik hin und betonten, dass Technik nicht den menschlichen Kontakt ersetzen darf.

Man braucht [Medizintechnik, ich] […] hoffe aber, dass es nie so weit geht, […] dass irgendwann […]

man hier von Robotern empfangen wird, […] der menschliche Kontakt ist am Ende mindestens genauso wichtig. (V20.postnatal)

23 EKG: Elektrokardiogramm.

Bezüglich der Abhängigkeit und Verunsicherung, die durch Medizintechnik und Anzeigein- strumente entstehen kann, ist im Interviewmaterial ein Unterschied zwischen prä- und post- natal befragten Vätern zu beobachten. Vor der Geburt ist das eigene Kind noch abstrakter und es besteht noch keine so enge Beziehung zum Kind. Pränatal wollte ein Vater explizit Instrumente nicht sehen und wünschte sich, dass der Monitor nicht im gleichen Zimmer ist wie er und seine Partnerin.

[Beim] CTG24 […] ist man natürlich froh […], dass man das alles überwachen kann […]. Auf der anderen Seite, […] [wenn] man dann selber auf diesen Bildschirm gucken kann […] und […] irgend- wann mal neben der Norm liegt, dann wird man schon mehr als nervös […], das wäre schön, wenn man diesen Monitor […] selber nicht sehen würde und das nur irgendwo im Ärzte- oder Schwesternzimmer zu sehen ist. (V19.pränatal)

Postnatal hingegen möchten die meisten Väter die Geräte sehen. Unter den postnatal Be- fragten zeigten sich hier Unterschiede: manche empfanden Geräte als distanzschaffend, für andere dienten die Geräte, die sie im Blick haben konnten, als „Brücke“ zu ihrem Kind, da sie das Gefühl hatten, das Kind besser kennenzulernen, wenn sie lernten, wie die Technik funktionierte. Postnatal ist oft schon eine engere Beziehung zum Kind aufgebaut worden und das Kind ist konkreter, so dass Väter vielleicht deshalb nach der Geburt mehr Wert darauf legen, die Monitore mit den Werten des Kindes zu sehen (V16, V20). Außerdem kön- nen postnatal Messwerte und Erscheinungsbild des Kindes nebeneinander betrachtet wer- den, während sich ein Vater pränatal nur an Messwerten orientieren kann, was Verunsiche- rung verstärken kann. Insgesamt ist Medizintechnik prä- und postnatal ein Indikator dafür, dass der Gesundheitszustand des Kindes kritisch ist.

[Wenn Kinder im Brutkasten behandelt werden müssen,] wäre [es] natürlich schlimm, weil da brauchen [sie] […] mehr Unterstützung, mehr als sonst meine ich. (V17.pränatal)

Diese ganzen Schläuche, dass es auf diese apparative […] Medizin angewiesen ist, das wäre ja […] bei einer normalen […] Geburt […] nicht der Fall. (V6.postnatal)

Da Väter keine andere Wahl haben, als sich damit abzufinden, dass die Technik zunächst zum Kind gehört, adaptieren sie sich durch Deuten der Werte an die Situation.