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60 1) Grad und Güte der Reformaspiration

Die bisherigen Forschungsergebnisse zur Schulentwicklung insgesamt und speziell zur Schulprogrammarbeit weisen darauf hin, dass das professionelle Selbstverständ-nis von Lehrern nicht durch eine ausgeprägte Bereitschaft zur Reform ihrer Schule gekennzeichnet ist. Erschwerend kommt hinzu, dass der Widerspruch zwischen Norm und Funktion einem reformerischen Ansinnen grundsätzlich (also nicht nur im Kontext der Schulprogrammarbeit) im Wege steht. Außerdem wird zuweilen in Ab-rede gestellt, Lehrer verfügten über die für Reformen erforderlichen Kompetenzen.

Einerseits. Andererseits konnten mit mikrologischen Studien Ergebnisse vorgelegt werden, die darauf hindeuten, dass trotz aller oben genannten Widrigkeiten und Un-zulänglichkeiten Lehrer dazu in der Lage sind, bestehende Handlungsspielräume zum Zwecke der Entwicklung ihrer Schule produktiv zu nutzen. Mehr als ein Hin-weis auf die grundsätzliche Möglichkeit reformerischen Handelns ist aber bisher nicht zu unterstellen. Zwischen der reformoptimistischen und der reformpessimisti-schen Sichtweise klafft eine empirische Lücke. Von einzelnen Fallstudien abgesehen ist das tatsächliche Reformvermögen von Lehrern bisher nicht systematisch empi-risch untersucht worden. Auch quantitative Studien haben es bisher nicht vermocht, diese Forschungslücke überzeugend zu füllen (vgl. oben die Ausführungen in Kapitel 3). Die Vorstellung aber, Lehrer befänden sich in einer strukturfunktionalen Um-klammerung und seien daher kaum zur Entwicklung ihrer Schule in der Lage, ist aufgrund der Forschungslage auch nicht haltbar. Überspitzt formuliert: Der Typus des allzeit bereiten radikalen Reformers ist genauso wenig zu erwarten wie derjenige des durch die Strukturzwänge Paralysierten. Die empirische Evidenz ist vor diesem Hintergrund also zwischen der reformpessimistischen und der reformoptimistischen Sichtweise zu verorten.

Die Frage nach dem Reformvermögen von Lehrern ergibt sich nicht allein aus dem wissenschaftlichen Diskurs und seinen empirischen Defiziten, sondern auch aus impliziten und ungeprüften Annahmen von kultusadministrativer Seite: Alle Inter-viewprobanden sind zugleich Autoren des Schulprogramms ihrer jeweiligen Schule.

Sie sind also Urheber wie auch Adressaten des Schulprogramms. Offenkundig wird die Reformkompetenz der Lehrer vorausgesetzt, aber weder von wissenschaftlicher noch von administrativer Seite hinterfragt.

61 Möglicherweise liegt dem Ausbleiben dieser Frage die Annahme zugrunde, Lehrer seien als Experten für Unterricht zugleich auch Experten für Unterrichts- bzw.

Schulentwicklung (mehr zu dieser denkwürdigen Annahme und der an ihr geübten Kritik oben in Kapitel 2). Will man nun abseits der Spannungsfelder schulischer Pra-xis, die die Handlungsspielräume der Lehrer einschränken, aber auch abseits von empirischen Einzelfällen, mit denen auf bestehende Handlungsspielräume hingewie-sen wird, und jenseits aller Lippendienste eines wohlwollenden, aber unverbindli-chen „Denkens“ und „Meinens“ über die Notwendigkeit von Reformen sowie unbe-eindruckt von unbestätigten Annahmen über die Fähigkeiten von Lehrern herausfin-den, über welches Reformvermögen nun tatsächlich das lehrende Personal verfügt, dann ist zu fragen, wie die Lehrer die Kriseninduktion verarbeiten: Ist bei den Pro-banden eher eine Hinnahme oder gar eine Affirmation des Bestehenden zu erkennen?

Oder nehmen sie im Rahmen des Interviews die Dilemma-Szenarien zum Anlass, eine Kritik am Bestehenden zu üben? Wo oszillieren die Probanden zwischen diesen beiden Polen, wo sind sie in ihrer Verstehensweise zu verorten? Ist eine Bereitschaft zur kritischen Selbstreflexion oder eher eine Anpassung an die bestehende Praxis zu erkennen?

Hierbei interessiert auch: Ist in den Äußerungen der Probanden eine Motivation er-kennbar, die Paradoxie der von außen verordneten Freiheit der „verwalteten Schule“

zu überwinden, um die Gestaltungsspielräume produktiv für eigene Reformbemü-hungen zu nutzen? Zusammengefasst:

(a) Wird in den Deutungsmustern der Probanden eine Reformaspiration er-kennbar, die im Rahmen der Schulprogrammarbeit produktiv hätte verarbeitet werden können?

(b) Falls dies der Fall ist, welcher

Art und Güte ist die Reformaspiration, die sich aus dem pädagogischen Deu-tungsmuster des Probanden ableiten lässt?

(c) Lassen die Deutungsmuster der Probanden eine Orientierung an Routinen oder an einer Neubestimmung der pädagogischen Arbeit erkennen?

62 Wie oben gezeigt wurde, ist die Forschungsdiskussion zur Reformaspiration von Lehrern im Kontext von Schulprogrammarbeit inhaltlich unbestimmt (vgl. die Aus-führungen in Kapitel 4.6), weil qualitative Untersuchungen mit einem präzisen Be-zug zu konkreten professionsspezifischen Handlungsfeldern nicht existieren. Worauf aber könnten sich Lehrer konzentrieren, wenn es um die Reform ihrer Schule geht?

Die oben aufgeführte Frage nach Art und Güte der Reformaspiration ist also näher zu bestimmen. Damit in dieser Studie auf die inhaltliche Unbestimmtheit bisheriger Studien nicht mit explorativer Zufälligkeit geantwortet wird, sollen vorab inhaltliche Kriterien definiert werden, damit die oben gestellte Frage nach Art und Güte der Re-formaspiration auf konkrete Inhalte bezogen werden kann. Bei allen drei folgenden Unterfragen bezieht sich demnach das Erkenntnisinteresse auf den qualitativen Ge-halt der Antwort.11

- Weil es Lehrern im Rahmen der Schulprogrammarbeit nicht obliegt, eigenmächtig die bestehenden Lehrpläne, die Schulordnung oder das Prüfungswesen zu reformie-ren, diese Bereiche nicht nur ihre personalen, sondern teilweise auch die institutio-nellen Zuständigkeiten überschreiten, ist eine Fokussierung der Akteure auf ihr Kerngeschäft zu erwarten, und zwar: Bildung, Erziehung, Unterricht (vgl. Gruschka et al. 2003: 23). Dieser Kernbereich markiert in Abgrenzung zu „höheren“ Kompe-tenzträgern nicht nur den Bereich der Möglichkeiten innerer Schulentwicklung, son-dern „nach unten hin“ zugleich auch den Bereich der Notwendigkeiten, will man als Schulentwicklung nicht Ausweichbewegungen verstehen, die eher dem Zweck die-nen könnten, Schulentwicklung zu vermeiden als sie tatsächlich anzugehen. Mit an-deren Worten: Ein Wandel von Schule ist nur dann zu erwarten, wenn die Kernberei-che der pädagogisKernberei-chen Arbeit neu bestimmt werden (vgl. Gruschka et al. 2003: 22), wenn die Akteure sich für die Pflicht entscheiden und nicht auf die Kür verlagern.

Vor diesem Hintergrund ist die Frage zu stellen: Ob und falls ja, in welcher Weise zielen die Deutungsmuster der Probanden mit ihrem etwaigen Reformvermögen auf den Kernbereich der pädagogischen Arbeit?

11 Die methodologische Frage, wie die Güte der Reformaspiration zu bestimmen ist, wird in Kapitel 6.1 dargelegt.

63 - Die drei Untersuchungskategorien Erziehung, Bildung und Unterricht dienen nicht nur einer inhaltlichen Rahmung, sondern auch einer inneren Differenzierung des Kerngeschäfts, die es ermöglicht, die immanente Handlungslogik der Probanden im Kontext der Schulprogrammarbeit präziser zu ermitteln. Es ist hierbei von der An-nahme auszugehen, dass Lehrer in Abhängigkeit von ihren Selbstzuweisungen spezi-fische Verantwortungsbereiche definieren und so innerhalb eines Reformprozesses auf bestimmten Handlungsfeldern Spezialisierungen entwickeln, während andere Handlungsfelder eher unbeachtet bleiben. Lehrer an Gymnasien könnten also bei-spielsweise – um ein verbreitetes Bild aufzugreifen – einen hohen professionellen Anspruch erheben in Bezug auf ihren Bildungsauftrag, sie könnten sich aber gleich-zeitig weniger dazu berufen oder verpflichtet sehen, auch erzieherische Herausforde-rungen ihrer Profession zu meistern. Ein derartiges Selbstverständnis würde sich nicht erst im Kontext der Schulprogrammarbeit herausbilden; ein solches Selbstver-ständnis ist in der Regel als ein Ausdruck eines berufsspezifischen Sozialisationspro-zesses zu betrachten, der sich über Jahre hinweg entwickelt und im Kontext der Schulprogrammarbeit als eine stabile Größe in Erscheinung tritt. Gibt es realiter die-se Formen von Selbstzuweisungen und folgen daraus Reformspezialisierungen, dann ist zu erwarten, dass diese ihren Ausdruck in den Deutungsmustern der Probanden finden werden.

Die Differenzierung des Kerngeschäfts pädagogischer Arbeit an Schulen in die Un-tersuchungskategorien Bildung, Erziehung und Unterricht ermöglicht es also, eine etwaige reformerische Spezialisierung der Probanden insgesamt deutlich zu machen.

Auf diese Weise kann der oben erwähnte „Grad der Reformaspiration“ inhaltlich näher bestimmt werden. Deshalb ist zu fragen: Ist das Reformvermögen der Pro-banden innerhalb dieses Kernbereichs in allen originären Kompetenzbereichen des Lehrerberufs feststellbar oder sind inhaltliche Spezialisierungen erkenn-bar?

- Pädagogische Deutungsmuster sind kaum als Ausdruck ungeformter pädagogischer Phantasie zu verstehen. Vielmehr ist von der Annahme auszugehen, dass sich jedes Nachdenken über Reformen an tradierten Grundkonflikten orientiert, die sich in ent-sprechenden Diskursen zur pädagogischen Arbeit in Schulen widerspiegeln. Diese

64 tradierten Konfliktlinien sind in den Dilemma-Szenarien in verdichteter Form verar-beitet bzw. dargelegt. Dies ermöglicht bei der Auswertung der Interviews eine kate-goriale Orientierung und damit eine weitere inhaltliche Vorabstrukturierung mögli-cher Reformbewegungen der jeweiligen Probanden. Diese inhaltlichen Setzungen dienen außerdem dem Zwecke der präziseren Charakterisierung bzw. Typisierung der Deutungsmuster. Konkret geht es hierbei um eine bipolare Strukturierung der drei Kernbereiche (vorausgesetzt natürlich, es ist eine Reformaspiration erkennbar).

Konzeptualisiert man die Frage nach den Kernaufgaben der Pädagogik in einer Pola-ritätsfigur, dann lauten diese:12 Orientieren sich die Probanden mit ihren Deu-tungsmustern zur Frage der Erziehung eher an einer Fremdregulation der Schüler oder an ihrer Selbstregulation, zur Frage des Unterrichts eher an einer Instruierung oder an einer Aktivierung der Schüler und zur Frage der Bildung eher an einer Tradierung oder an einer Modernisierung der Unterrichtsinhalte?

2) Deutungsmuster und Schulform

Der Einfluss der Schulform auf die Einstellung von Lehrern gegenüber der Reform ihrer jeweiligen Schule ist im wissenschaftlichen Diskurs ungeklärt. In einzelnen Fallanalysen sind vage Hinweise zu erkennen, dass von schulformspezifischen Ver-arbeitungsmustern der Schulprogrammarbeit auszugehen ist. Systematisch untersucht wurde diese Frage bisher jedoch nicht. Wie bereits oben dargestellt wurde (siehe Kapitel 3), sind es vor allem die dem Schulsystem immanenten Spannungsfelder, die einer Kriseninduktion durch administrativ verordnete Schulprogrammarbeit zuwider-laufen. Diese sind zunächst auf das gesamte Schulsystem zu beziehen und damit un-abhängig von der jeweiligen Schulform. Zugleich gilt die administrativ verordnete Schulprogrammarbeit für alle Schulen gleichermaßen. Demnach trifft die Indukti-onshomologie auf eine Strukturhomologie. Geht man von dieser Annahme aus, so sind keine schulformspezifischen Forschungsergebnisse zu erwarten. Verweist man aber auf Studien, nach denen zwar von kaum verallgemeinerbaren, aber doch empi-risch nachgewiesenen und daher auch grundsätzlich beachtenswerten Differenzen der Verarbeitungsweisen zwischen den Schulformen auszugehen ist, so wird erkennbar, dass die Möglichkeit schulformspezifischer Deutungsmuster zumindest in Betracht

12 Die genaue inhaltliche Bestimmung dieser Fragen wird in dem Kapitel 8.3 vorgenommen.

65 zu ziehen ist und im Rahmen dieser Studie untersucht werden muss, um zu einer dif-ferenzierten Bewertung des Instrumentariums Schulprogramm zu gelangen. Denn es wäre ja durchaus denkbar, dass – holzschnittartig gesprochen – sich das Instrument der Schulprogrammarbeit an den Gymnasien als untauglich erweist, diese Untaug-lichkeit aber nicht mit einer generellen UnzulängUntaug-lichkeit des Instruments zu erklären wäre, sondern mit spezifischen Deutungsmustern gymnasialer Lehrkräfte. Die These schulformspezifischer Deutungsmuster soll anhand der folgenden Fragestellung auf ihre Gültigkeit hin überprüft werden: Sind im Vergleich zwischen Probanden ver-schiedener Schulformen spezifische Deutungsmuster feststellbar? Falls ja, in-wiefern ist erkennbar, dass diese schulformspezifischen Deutungsmuster einen Einfluss auf die Art und Güte der Reformaspiration haben?

Ein zusätzlicher Parameter, mit dem die Qualität der Verarbeitung des Reformver-mögens der Probanden, überprüft werden kann, wird in dem folgenden Abschnitt entfaltet.

3) Homogenisierter Minimalkonsens oder Vielfalt als produktive Ressource?

Das Spektrum möglicher Reformen innerhalb des Kerngeschäfts pädagogischer Ar-beit an Schulen ist breit gefächert. Dies ist den Ausführungen in Kapitel 6.3 zu ent-nehmen, wo elementare Aspekte tradierter Reformdiskussionen dargelegt wurden.

Jeder Autor einer Schulprogrammgruppe hat also die Gelegenheit als Reformer sei-nen Eigensinn zu entfalten. Vorausgesetzt die Autoren nutzen ihre Handlungsspiel-räume, so ist davon auszugehen, dass mehrere Autoren allein einer Schulprogramm-gruppe eine Vielfalt möglicher Reformen repräsentieren werden. Das wäre bereits dann der Fall, wenn jeder Proband innerhalb seiner je eigenen Grenzen pädagogi-scher Schulentwicklung nur sein eigenes „Steckenpferd reiten“ wollte, motiviert durch den Glauben, es sei erstrebenswert, das eigene Reformideal per Schulpro-gramm zum Allgemeingut der gesamten Schule zu machen. Mit dieser Motivation würde die Autorengruppe zwar den Arbeitsmodus eines think tank unterbieten und einen kreativen Austausch innerhalb der Gruppe zum Zwecke der Entwicklung völlig neuer Reformideen verspielen, doch immerhin bliebe die Ideenvielfalt dank des indi-viduellen Eigensinns der Probanden ermöglicht. Nun wäre also erst einmal diese

66 These zu überprüfen, indem themengleiche Interviews einer Schulprogrammgruppe miteinander verglichen werden, um herauszufinden, ob jeder Proband seine Spiel-räume nutzt, indem er sein je eigenes Reformvermögen entfaltet und demnach die Autorengruppe insgesamt eine Vielfalt möglicher Reformen repräsentiert. Vorausge-setzt dem wäre so, so stellt sich die Frage, ob diese Vielfalt der Deutungsmuster auch im Schulprogramm erkennbar wäre. Warum ist die Untersuchung dieser Frage für die Beurteilung des Instrumentariums Schulprogramm aufschlussreich?

Mit dem Verfassen eines Schulprogramms soll in einem gemeinsamen Papier den Reformideen und -vorschlägen eines gesamten Kollegiums eine Form gegeben wer-den. Ein solches Vorhaben kann in doppelter Hinsicht eine Spannung innerhalb eines Kollegiums hervorrufen. Erstens, das Kollegium ist zu unterscheiden zwischen den-jenigen, die am Schulprogramm – in welcher Weise auch immer – mitwirken, und denen, die – aus welchem Grund auch immer - in die Entwicklung eines Schulpro-gramms nicht involviert sind. Die für das Schulprogramm verantwortliche Gruppe könnte nun den Anspruch vertreten, ein Schulprogramm zu verfassen, in dem das Wollen und Können eines Großteils des Kollegiums zu finden ist, damit aus einem maximalen Grad an Repräsentanz ein maximales Maß an Akzeptanz resultiert. In diesem Fall wäre die Wahrscheinlichkeit recht hoch, dass die Mehrheit des Kollegi-ums dem Papier zustimmt. Dieses Vorgehen beinhaltet jedoch das Risiko, dass das Resultat bloß der kleinste gemeinsame Innovationsnenner ist, weil womöglich völlig disparate konzeptionelle Ansätze von den Schulprogrammautoren eingeebnet und glatt geschliffen werden müssen, damit sie überhaupt in einer gemeinsamen Pragma-tik eingefriedet werden können, um so überhaupt die Mehrheitsfähigkeit zu gewähr-leisten. In einem solchen Fall würde der gefällige Konsens die produktive Krise ver-hindern. Die entgegen gesetzte Variante zu diesem Vorgehen wäre, dass die Schul-programmgruppe als Expertengruppe firmiert, eine interne Entwicklungspragmatik formuliert und dabei den Anspruch vertritt, das Kollegium müsse sich von dieser Pragmatik vermittels eines produktiven Diskurses inspirieren lassen, um letztlich die in einem solchen Papier vorgeschlagenen Maßnahmen zu unterstützen. Dieses Vor-gehen wird vermutlich eher zu einem profilierten und substantiellen Schulprogramm führen, doch birgt dieser Modus das Risiko in sich, dass der Diskurs misslingt und das Schulprogramm bestenfalls in der Gesamtkonferenz „abgenickt“ wird, sich aber

67 kaum ein Kollege an die Inhalte gebunden gefühlt. Im ungünstigen Fall könnte es sogar zu offenem Widerstand gegen das Programm kommen.

Dieses Dilemma ist in seiner allgemeinen Ausprägung und im Hinblick auf seine genaueren Ursachen oben bereits skizziert worden (siehe die Ausführungen zur Problematik des Autonomie-Paritäts-Dilemmas in Kapitel 4.3 und 4.4). In Bezug auf die spezifischen Umstände der Schulprogrammarbeit und in Anlehnung an die Schröck’sche Studie möchte ich es als Repräsentanz-Substanz-Dilemma bezeichnen.

Dieses Dilemma besteht aber nicht nur zwischen den am Schulprogramm Mitwir-kenden einerseits und dem Gros des übrigen Kollegiums andererseits. Es besteht auch innerhalb der Schulprogrammgruppe, und zwar vor allem dann, wenn sie sich nicht nur als eine Gruppe von Protokollanten und „Glattschleifern“ disparater Re-formstücke, sondern als Expertengruppe versteht, in der jeder einzelne Experte eige-ne profilierte Vorstellungen zur Sache vertritt und danach strebt, diese Vorstellungen diskursiv für das Reformprogramm fruchtbar werden zu lassen. Vor dem Hinter-grund dieser Problematik des hier skizzierten doppelten Spannungsverhältnis‘ inner-halb des gesamten Kollegiums wie auch innerinner-halb einer Schulprogrammgruppe ist also zu fragen: Repräsentiert das Schulprogramm einen homogenisierten Mini-malkonsens oder ist in dem Papier das Charakteristikum inhaltlicher Heteroge-nität zu erkennen, das sich dadurch auszeichnet, dass die Schulprogrammauto-ren mit ihSchulprogrammauto-ren vielgestaltigen Reformideen als eine pluralistische und damit auch produktive Ressource verstanden werden?

Um aber mit diesen Fragen nicht bloß Alltagstheorien der Probanden zu reproduzie-ren und in den Antworten pragmatische Anleitungen zu einer „best practice“ zu er-halten, muss methodisch eine Distanz zu den Probanden gewahrt bleiben. Es gilt, das Erkenntnisinteresse der Forschung zu befriedigen und nicht die Interviewtranskripte als Rohmaterial für eine pragmatische Reformskizze zu instrumentalisieren, um auf diesem Wege letztlich nur die Verdoppelung pädagogischer Alltagstheorien zu be-wirken, für die der so genannte „pädagogisch-kurative Komplex“ kritisiert wurde (vgl. Koch 1999). Welche Konsequenzen aus diesem Anspruch resultieren ist den Ausführungen zum methodischen Instrumentarium dieser Studie zu entnehmen.

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