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Misstrauen, Risikoaversion und Festhalten am gewohnten Lebensstil (vgl. WORLD BANK
1994). Aber auch die umfeldbezogenen Erfolgsfaktoren (vgl. BECKER et al. 1999) sind neben den rechtlichen Rahmenbedingungen für die Motivation zur Neugründung von Wirtschaftseinheiten ausschlaggebend. Zu den Umfeldfaktoren zählen u.a. die regionale Ansiedlung des Betriebes, Anbindung an einen bestehenden Betrieb sowie die Struktur des Lieferanten- und Kundenkreises. In der Regel erhöht ein hohes Nachfragepotential die Chancen für Neugründungen. Die meisten Markttheorien sagen voraus, „dass Eintritt [Markteintritt] solange auftritt, wie der Gewinn in dem Markt die Eintrittskosten übersteigt (SCHULZ 1995, S. 52)“. Unter den Eintrittskosten versteht SCHULZ die Kosten, die ein Unternehmer aufwenden muss, um sich auf dem entsprechenden Markt etablieren zu können.
Dazu zählen z.B. Gründungskosten, Kosten zur Überwindung von Markteintrittsbarrieren sowie Personalkosten. Aufgrund des geringen Einkommensniveaus im ländlichen Raum der Ukraine sind die Gewinnerwartungen für neugegründete Unternehmen jedoch branchenunabhängig gering.
eine informelle Institution geworden. Aus diesem Grund ist für das Verstehen dieses Phänomens die Theorie des institutionellen Wandels hilfreich.
Ein Vertreter der darunter einzuordnenden Effizienztheorien ist wiederum NORTH, der zunächst davon ausging, dass die Kraft des Wettbewerbs zu einem effizienten System der Institutionen führen würde. Zunehmend gelangte er jedoch zu der Überzeugung, dass sich institutioneller Wandel nicht zwangsläufig in Richtung eines effizienteren Systems bewegt, sondern dass institutionelle Systeme häufig in ineffizienten Zuständen gefangen sind (nach SCHLÜTER 2001). Daher berücksichtigte er in seiner weiteren Forschungsarbeit neben den Transaktionskosten institutionelle Pfadabhängigkeiten und die Rolle von Ideologie, Werten und Normen, um der Frage nachzugehen, warum der Wandel so wenig effiziente Lösungen hervorbringt.
Triebkraft des institutionellen Wandels sind die Akteure, wobei nach LIBECAP (1989) der Akteur, der den höchsten Nutzen für sich erwartet, die wesentliche treibende Kraft sein wird.
Auch NORTH (1992) sieht in einer Akteurstheorie einen zwingenden Bestandteil der Theorie des institutionellen Wandels. Akteure (Unternehmer und Organisationen) sind die treibenden Kräfte des Wandels, indem sie auf das Anreizsystem, welches durch die bereits existierenden Institutionen gegeben ist, reagieren. Institutionswandel geschieht also nicht willentlich, sondern unabsichtlich aus der Motivation heraus, potentielle Gewinne zu realisieren. Wird dabei der Gewinnbegriff nicht als rein monetäre Größe verstanden, so ist es aus Sicht der Akteure auf betrieblicher Ebene mit Blick auf die Situation im ländlichen Raum durchaus rational, das soziale Netz, in welches bereits viele spezifische Investitionen geflossen sind, aufrecht zu erhalten, um so quasi einen Gewinn für die Region zu erzielen, zumal keine Alternativen verfügbar sind.
Im Zusammenhang mit dem institutionellen Wandel in Transformationsökonomien hält EGGERTSSON (1994) Erwartungsenttäuschungen für bedeutend. Nach einem exogenen Schock, verbunden mit institutionellen Anpassungen, ist die Rationalität zunächst stark begrenzt. Neue institutionelle Lösungen (wie beispielsweise die Ausgliederung der sozialen Objekte aus den landwirtschaftlichen Unternehmen) führen zu Erwartungsenttäuschungen.
Erst durch Korrekturen der Institutionen sinkt die Begrenztheit der Rationalität, und ein neues institutionelles Gleichgewicht stellt sich ein.
Es ist das Spannungsverhältnis von Gewinn und Moral, das für dieses Phänomen einen wertvollen Ansatzpunkt liefert. Mit diesem Spannungsverhältnis setzt sich die Unternehmensethik auseinander. In der Unternehmensethik wird nach SUCHANEK (2001) die Gesellschaft als ein Unternehmen der Zusammenarbeit zum gegenseitigen Vorteil verstanden.
Für eine entsprechende Anreizkompatibilität ist Voraussetzung, dass das Eigeninteresse für die Realisierung moralischer Ideale fruchtbar gemacht wird49, indem nach geeigneten Investitionen in die Zusammenarbeit zum gegenseitigen Vorteil gesucht wird (SUCHANEK
49 Es ist nicht immer im Interesse des Einzelnen, in diese Zusammenarbeit zu investieren, da er Grund zu der Befürchtung hat, dass seine moralische Vorleistung nicht zu dem gewünschten Ergebnis führt. In der ökonomischen Ethik wird eine derartige Situation als soziales Dilemma bezeichnet. Indem jeder Akteur rational seine Interessen verfolgt, stellen sich alle Beteiligten schlechter als es bei kooperativem Verhalten der Fall wäre.
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2001). Welche Rolle kommt nun Unternehmen - von SUCHANEK auch als institutionelles Arrangement bezeichnet - im Rahmen dieser Zusammenarbeit zu?
Ein Unternehmen ist ein korporativer Akteur, eine wirtschaftliche und rechtliche Einheit, die von anderen Akteuren als handlungsfähig angesehen wird. Interaktionspartner können dem Unternehmen also bestimmte Verhaltensweisen und Eigenschaften zurechnen. Für die Mitglieder des Unternehmens ergibt sich wiederum der Vorteil, dass die Koordination ihrer Aktivitäten besser gewährleistet ist und Informations- und Anreizprobleme besser gelöst sind.
Ein Unternehmen erlangt auf diese Weise Reputation, ein auf Erfahrungen und Erwartungen gestütztes Ansehen und Vertrauen der Geschäftspartner, sowie Unternehmenskultur, informelle Regeln einschließlich gemeinsamer Denk-, Wahrnehmungs- und Verhaltensmuster der Mitarbeiter eines Unternehmens. Neben den Vorteilen, die eine „gute“
Unternehmenskultur bietet (z.B. Verminderung des formalen Abstimmungs-, Regelungs- und Kontrollbedarfs), können aber auch dysfunktionale Folgen auftreten. Bei den informellen Regeln der Unternehmenskultur ist zu beobachten, dass sie für Veränderungen kaum offen sind, auch dann, wenn die veränderten Rahmenbedingungen solche Veränderungen eigentlich nahe legen.
Was heißt das für die ukrainischen Großbetriebe in der Transformationssituation? Die Gewährung sozialer Leistungen, deren Umfang für Unternehmen in der Marktwirtschaft unüblich ist, war Teil der Unternehmenskultur der Kolchosen und Sowchosen. Dieses Denkmuster ist bis in die heutige Zeit erhalten geblieben (Pfadabhängigkeit!), wenngleich die drastische Verschlechterung der ökonomischen Situation zu einer Reduzierung des Umfangs der Leistungen geführt hat. Die landwirtschaftlichen Unternehmen sehen sich deshalb noch immer als „sozialer Dienstleister“, z.T. sogar stark motiviert durch den Umstand, dass die staatlichen Subventionen und Investitionen in der sozialen Sphäre auf ein Mindestmaß reduziert worden sind. Was aus Sicht des Unternehmens als ökonomische Einheit nachteilig beurteilt werden muss, hat im Transformationsprozess das augenscheinliche Ausmaß des Wandels in der sozialen Sphäre zeitlich verzögert, so dass den landwirtschaftlichen Unternehmen in der ersten Phase der Transformation eine erhebliche Pufferfunktion zugeschrieben werden muss (BIESOLD und MICHAILOWA 2001). Hierin kommt deutlich zum Ausdruck, dass menschliches Handeln sozial eingebettet ist (vgl. GRANOVETTER 1985). Die meisten Ökonomen nehmen dies als gegeben für ihre Analyse hin.50
Die durch die Gewährung sozialer Leistungen entstehenden Kosten werden in der Literatur hinsichtlich ihrer Position in der Buchführung unterschiedlich diskutiert. Zum Teil werden diese Kosten als Bestandteil des Festkostenblocks betrachtet. TANNEBERGER (1997) bewertet sie als Gewinnkonsumtion bzw. „Privatentnahmen der Genossenschaft“ und impliziert damit, dass Gewinn eine Voraussetzung für die Gewährung sozialer Leistungen ist. Auch WÖHE
(1993) geht davon aus, dass derartige Leistungen nur erbracht werden können, wenn der Unternehmer oder die Gesellschafter auf Gewinnanteile zugunsten der Belegschaft verzichten. Die Ergebnisse der empirischen Studie zeigen jedoch, dass u.U. in den Betrieben
50 Mit der Frage nach dem Grund für den dauerhaften Einfluss der informellen Institutionen auf die langfristigen Veränderungsprozesse in der Wirtschaft beschäftigt sich explizit NORTH.
sogar ein Substanzverzehr stattfindet, um soziale Leistungen zur Verfügung stellen zu können.
Aus den Ausführungen geht hervor, dass die neoklassische Theorie bei einem derartigen Phänomen an ihre Grenzen gelangt. Die ökonomischen Erklärungsansätze siedeln sich im Bereich der Neuen Institutionenökonomik an, womit bereits eine Brücke zu soziologischen Erklärungsansätzen geschlagen wird.