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Die Suche nach geeignetem Analysematerial zur Umgangssprache von Halle erstreckte sich über den Zeitraum von Juni 2001 bis Dezember 2001. Die anfängliche Überlegung, Ton- und Sprechermaterial aus Mitschnitten von Radio CORAX (Stadt- und Bürgerradio Halle) sowie MDR 1 Radio Sachsen-Anhalt zu verwenden, wurde aus verschiedenen Gründen verworfen:

(1) Anzahl und Dichte der phonetischen regionalen Marker zum Hallischen waren zu gering und bo-ten damit zu wenig Analysegrundlage.

(2) Es konnten keine soziophonetischen Schlüsse aufgrund fehlender sprachsozialer Daten gezogen werden.

(3) Eventuelle Störeinflüsse auf die Sprachaufnahmen konnten aufgrund der unbekannten Aufnah-mesituation nicht nachvollzogen werden.

Deshalb wurden im Zeitraum von September 2001 bis Dezember 2001 eigene Tonaufnahmen von insgesamt 27 Sprechern und Sprecherinnen in Altersheimen, Schulen, öffentlichen Einrichtungen und Plätzen (Universitätsbibliothek Halle, Marktplatz Halle) sowie im privaten Bekanntenkreis angefertigt.

Die Probanden wurden durch persönliche Kontakte (Freunde, Bekannte), durch Anschreiben, Anrufe, Aushänge mit unterschiedlicher Resonanz (z. B. in Senioren- und Altersheimen) und durch Vermitt-lungspersonen, die berufliche Kontakte pflegten (z. B. in Schulen) sowie durch spontanes Ansprechen (z. B. in der ULB Halle, auf dem Marktplatz in Halle) gewonnen. Frauen waren insgesamt bereitwil-liger zu den Aufnahmen zu motivieren als Männer.

6.2.2 Aufnahme des Untersuchungsmaterials

Die Aufnahmen zur Untersuchung phonetischer Merkmale der Umgangssprache von Halle wurden in einer dem Probanden vertrauten Umgebung (privates Umfeld, Schule oder Arbeitsplatz) durchgeführt.

Hierdurch sollten Effekte, die durch eine zu große Offizialität bzw. Fremdheit der äußeren Kommu-nikationssituation entstehen, vermieden werden. Die für die Aufnahmen ausgewählten Orte (Alters-heim, Markt, Bibliothek, zuhause) wiesen eine unterschiedliche Lärmbelastung auf. Für die Untersu-chung der Umgangssprache von Halle war aber ein möglichst großes Maß an Natürlichkeit angestrebt, welches durch eine Labor- oder Studiosituation nicht gewährleistet worden wäre. Für die Wahl des Aufnahmeortes und Aufnahmeverfahrens war natürlich die Frage- und Zielstellung der Untersuchung ausschlaggebend. Die Umgangssprache als solche definiert sich einerseits als Sprache des alltäglichen Gebrauchs, andererseits als Sprachform, die in eher lässigen und inoffiziellen Situationen verwendet wird. Von daher boten sich keine Aufnahmesituationen in Labor und Studio an, da diese als solche bereits Offizialität vermitteln und die Aufnahmen damit beeinflusst hätten. Deshalb wurde auf Stu-dioaufnahmen verzichtet und die Tonaufnahmen zum Korpus der Umgangssprache von Halle wurden als Feldaufnahmen durchgeführt. Für die Tonmitschnitte wurde ein tragbarer DAT-Recorder (TAS-CAM Portable-DAT-Recorder DA-P, Fa. TEAC Corporation, Japan) und ein Kondensatormikrofon (Typ C 568, Fa. AKG, Österreich) verwendet. Die Sprachdaten wurden mit einer Sample-Rate von 44 kHz, 16 bit und Mono-Format digitalisiert.

6.2.3 Beschreibung einer Aufnahmesitzung

Zur Aufnahme der Sprachdaten wurde ein Termin im beruflichen oder privaten Umfeld des Probanden vereinbart. Die Gesamtzeit für eine Sitzung betrug im Schnitt 45 Minuten. Die Aufnahmesitzungen begannen mit einer Aufwärmphase, die durch ein kurzes persönliches Gespräch (gegenseitiges Vor-stellen, Vorstellen des Forschungsvorhabens und Erklären des Untersuchungsablaufs) eingeleitet wurde. Von jedem Probanden wurde eine schriftliche Einverständniserklärung für die Verwendung der Sprachdaten zu wissenschaftlichen Zwecken erhoben. Von den Testpersonen, die unter 18 Jahren wa-ren, wurde das Einverständnis der Erziehungsberechtigten eingeholt.

Nach dem einführenden Gesprächsabschnitt wurde mit den Sprachaufnahmen begonnen. Zuerst wurde Spontansprache in Form eines narrativen Interviews aufgenommen, in denen es um Fragen zu The-menbereichen wie Lebenslauf, Hobby, Beruf ging. Die Gesamtzeit der aufgenommenen Interviews sollte 5 bis 10 Minuten betragen.

An zweiter Stelle folgte nach einer kurzen Vorbereitungszeit die Aufnahme von Lesesprache anhand von zwei Texten, zwischen denen die Probanden auswählen konnten:

z Text 1: „Tholuck“

z Text 2: „Goethe und die Studenten“

Die Texte konnten nicht bei allen Probanden aufgenommen werden, da es manchmal die situativen Umstände (z. B. am Arbeitsplatz oder in der Bibliothek) nicht erlaubten. Die Auflistung des Gesamt-korpus wird in Tabelle 3 angeführt.

Im Anschluss an die Aufnahmen wurden die Sprechereinstellungen zur Umgangssprache von Halle und der sprachsoziale Hintergrund des Probanden anhand eines offenen Fragekatalogs (vgl. Anhang 02) erfragt. Teilweise wurden hier nochmals Aufnahmen angefertigt, wenn die Erzählpassagen im ers-ten Aufnahmeteil zur Spontansprache sehr kurz waren, z. B. bei Aufnahmen am Arbeitsplatz, bei de-nen insgesamt weniger Zeit als bei den Aufnahmen im privaten Umfeld der Probanden zur Verfügung stand.

6.2.4 Beschreibung des Gesamtkorpus

Insgesamt wurden Mitschnitte von 27 Personen angefertigt, die unterschiedlichen Altersgruppen (Schüler, Studenten, Berufstätige, Rentner) und unterschiedlichen sozialen Schichtungen (Beruf, Bil-dungsstand) entstammten. Die Auswahl der aufzunehmenden Personen aus verschiedenen sozialen Schichten und Altersgruppen erfolgte mit dem Hintergrund, soziophonetische Tendenzen im Gebrauch der sprachlichen Mittel festzustellen und zu untersuchen.

Von jeder Person lag am Ende der Aufnahmephase ein spontansprachliches Interview mit einer Ge-samtzeit von mindestens 1:30 min bis höchstens etwa 9 min vor. Die Interviews unterschieden sich erheblich in Qualität und Eignung für eine Bestimmung regionalsprachlicher Markierungen von Um-gangssprache voneinander. Weiterhin liegt von 23 Probanden mindestens einer der beiden bereits oben erwähnten Lesetexte „Tholuck“ bzw. „Goethe und die Studenten“ vor, zwischen denen gewählt wer-den konnte. Von manchen Testpersonen wurwer-den auch beide Texte aufgenommen.

Die Aufnahmen 17, 18 und 24 wurden aufgrund technischer Mängel bzw. sprechsprachlicher Eigen-heiten (z. B. Poltern, starker Sigmatismus) ausgeschieden, so dass hier nun 24 Aufnahmen tabellarisch aufgeführt werden. Die Sprecherprofile der ausgewählten Sprecher sind dem Anhang 03 zu entneh-men. Die genaueren Angaben zum Gesamtkorpus sind in der nachfolgenden Tabelle 3 angegeben.

Tabelle 3: Auflistung des Gesamtkorpus

Nr. m/w Alter Beruf Aufnahmeort

Kurzge-spräch Interview zur Mundart

Mundart-texte Tholuck

Goethe und die Studenten

01 w 45 Gärtnerin Privatumfeld: zuhause ja ja ja ja

02 m 15 Schüler Privatumfeld: zuhause ja ja nein ja

03 w 89 Rentnerin Privatumfeld: Altersheim ja ja nein ja

04 w 89 Rentnerin Privatumfeld: Altersheim ja ja nein ja

05 w 50

Altenbe-treuerin Arbeitsumfeld:

Alters-heim ja ja nein ja

06 w 64 Rentnerin Privatumfeld: Altersheim ja ja nein ja

07 w 89 Rentnerin Privatumfeld: Altersheim ja ja ja ja

08 w 92 Rentnerin Privatumfeld: Altersheim ja ja nein ja

09 w 86 Rentnerin Privatumfeld: Altersheim ja ja ja nein

10 w 23 Studentin Privatumfeld: zuhause ja ja nein ja

11 m 22 Student Privatumfeld: zuhause ja ja ja nein

12 w 49 Verkäuferin Arbeitsumfeld: Markt ja ja nein nein

13 w 34

Bibliotheks-facharbeiterin

Arbeitsumfeld: Bibliothek ja ja nein ja

14 w 69 Rentnerin Privatumfeld: Altersheim ja ja nein nein

15 w 48

Bibliotheka-rin Arbeitsumfeld: Bibliothek ja ja nein nein

16 w 62 Rentnerin Privatumfeld: zuhause ja ja ja nein

19 w 14 Schülerin Schulisches Umfeld ja ja nein ja

20 w 14 Schülerin Schulisches Umfeld ja ja ja nein

21 w 13 Schülerin Schulisches Umfeld ja ja ja nein

22 m 14 Schüler Schulisches Umfeld ja ja nein ja

23 m 15 Schüler Schulisches Umfeld ja ja nein ja

25 w 15 Schülerin Schulisches Umfeld ja ja nein ja

26 w 15 Schülerin Schulisches Umfeld ja ja nein ja

27 w 14 Schülerin Schulisches Umfeld ja ja nein ja

6.2.5 Probleme bei den Sprachaufnahmen

Die Aufnahmen zur Umgangssprache von Halle wurden an unterschiedlichen Orten unter verschiede-nen Bedingungen aufgenommen und lassen sich damit in den Bereich der empirischen Feldforschung einordnen, bei dem unter natürlichen Untersuchungsbedingungen gearbeitet wird. Mit der Wahl des Aufnahmeortes verbinden sich einerseits Vorteile, andererseits aber auch Nachteile. Zugunsten der Natürlichkeit der Aufnahmen wurde in dieser Untersuchung auf feste Studioräumlichkeiten verzichtet, in denen die akustischen Bedingungen immer gleich sind. Die Tonaufnahmen sind teilweise an Orten mit großem Geräuschpegel mitgeschnitten, z. B. auf dem Markt (Hintergrundgeräusche beim Verkauf) oder in der Bibliothek (hallige Räume, Knallen bzw. Zuschlagen der Tür). Das hat wiederum Konse-quenzen auf die Wahl der Untersuchungsmethodik, da sich hier natürlich akustische Untersuchungen zur Lautstärke verbieten.

Ein weiterer Nachteil bei den Aufnahmen ohne festen Studioplatz und ohne einen zweite Person, die sich um die Technik kümmerte, bestand darin, dass häufig eine manuelle Regulierung oder Nachregu-lierung des Aufnahmepegels am tragbaren DAT-Recorder notwendig war, da die interviewte Person manchmal die Sitzposition und damit den Abstand zum Mikrofon änderte. Oft musste hier der Blick-kontakt von Seiten der Interviewerin und damit der Kontakt zum Kommunikationspartner (dem Inter-viewten) unterbrochen werden. An dieser Stelle entstanden Pausen in den Interviews und der Ge-sprächsfluss kam ins Stocken. Auf alle Fälle ist es immer günstiger, bei Aufnahmen in Form eines In-terviews eine zweite Person zur Seite zu haben, die die Technik bedient.

Weiterhin wurde erwartet, dass ältere Leute eher Probleme haben, vor dem Mikrofon zu sprechen als jüngere. Aber während der Aufnahmen entstand genau der umgekehrte subjektive Eindruck: Ältere Leute (Rentner) waren vor dem Mikrofon teilweise viel unbefangener als jüngere Personen (Schüler).

Dieser Umstand drückte sich z. B. in der Länge der Erzählpassagen und der Bereitschaft zum Berich-ten über das eigene Leben aus. Bei den jüngeren Probanden (speziell bei den Schülern) war es manchmal schwierig, den Gesprächsfluss aufrecht zu erhalten. Kennzeichnend waren hier besonders kurze und knappe Antworten auf Seiten der befragten Person und häufiges Fragen und Nachfragen auf der Seite der Interviewerin. Eine mögliche Erklärung ist hier z. B. der Ort, an dem die Aufnahme stattgefunden hat: Bei den Schülern war das meist die Schule, die auf alle Fälle auch ein Stück Offi-zialität vermittelt, unter der sich notwendigerweise auch die kommunikativen Verhaltensweisen ver-ändern. Hinzu kommt der Faktor, dass die Schüler häufig durch Vermittlerpersonen (in diesem Falle die Klassenlehrerin oder Deutschlehrerin) angesprochen wurden. Bei den älteren Leuten wurden die Aufnahmen im privaten Umfeld gemacht (entweder im eigenen Haus oder im eigenen Zimmer des Altersheimes), so dass hier das Maß an Privatheit größer war als bei den Aufnahmen im Rahmen der Institution Schule.

6.3 Arbeits- und Untersuchungsmethoden