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1. Spanien und sein Kulturbetrieb

2.2 Theoriegeleitete Kategorienbildung: Dynamiken der spanischen

Ein weiteres Problem betrifft die Durchführung der Erhebung: Inhaltsanalysen wie die folgende setzen in der Regel mehrere Personen voraus, die am Codierprozess beteiligt sind. Grund dafür ist der individuelle ‚Codierstil‘, zu dem jeder Beteiligte trotz intensiver Vorbereitung neigt, mit der Folge, „dass subjektive Idiosynkrasien sich in seinen Codierresultaten unkontrolliert niederschlagen“.284 Diese ließen sich durch eine höhere Zahl an Personen ausgleichen, was insgesamt vor allem eine höhere Reli-abilität der Ergebnisse gewährleisten würde. Aufgrund des zusätzlichen Arbeitsum-fangs – Auswahl, Schulung und nicht zuletzt Vergütung der Mitarbeiter – ist dies für die folgende Untersuchung jedoch nicht realisierbar.

2.2 Theoriegeleitete Kategorienbildung: Dynamiken der spanischen

dung der Berichterstattung zu erfassen, wird daher die Variable Ort erhoben. Ent-scheidend ist hier, ob die Argumentation des Artikels losgelöst von einer spezifischen Institution, Gemeinde, Stadt oder Region geführt wird oder die Darstellung sich de-zidiert auf diese bezieht. Außerdem wird der Teil der Ausgabe der Zeitung erhoben, in der jener Artikel erschienen ist, etwa der Kultur- oder der Regionalteil.

Aber auch rein ökonomische Interessen prägen die Berichterstattung. „Die Welt der Kommunikation und Kultur in Spanien liegt heutzutage in nur wenigen Händen.“286 Das Mediensystem ist durch Unternehmenskonzentrationen verschiede-ner Formen geprägt, zum einen durch eine horizontale, in der verschiedene Unter-nehmen einer Produktebene – zum Beispiel mehrere Radiosender oder Tageszeitun-gen – einem Mutterkonzern angehören; zum anderen durch eine vertikale Konzent-ration, in der ein Unternehmen verschiedene Produktebenen umfasst, zum Beispiel Produktions- und Vertriebsnetze zugleich. Außerdem findet sich häufig eine Bünde-lung verschiedener Produktebenen und Branchen (diagonale Konzentration), die sich etwa in der Beteiligung von Großunternehmen an verschiedenen elektronischen und Printmedien niederschlägt.287 Sowohl El País als Teil der PRISA-Gruppe als auch El Mundo, die der RCS MediaGroup angehört, sind die Aushängeschilder solcher Groß-unternehmen und damit stellvertretende Opponenten im Kampf konkurrierender Medienimperien. Unter allen spanischen Tageszeitungen ist El País mit rund 360 000 täglich gedruckten Exemplaren die mit Abstand auflagenstärkste, gefolgt von El Mun-do mit rund 248 000 Exemplaren. Im Zuge der wachsenden Bedeutung der Online-Berichterstattung haben jedoch beide seit Beginn der 2000er Jahre starke Verluste hinnehmen müssen.288 So verfügen heute beide Zeitungen auch über Web-Portale, in denen ihr journalistisches Angebot vollständig einsehbar ist.289

Der Polarisationsfalle der spanischen Berichterstattung ist indes nicht zu ent-kommen, allerdings soll die Ausweitung des Materials auf zwei Publikationen – die paradigmatisch für die Grabenkämpfe der spanischen Medienlandschaft stehen und dennoch eine zuverlässige Berichterstattung garantieren – einer perspektivischen Ver-engung vorbeugen und einen umfassenderen Blick ermöglichen. Außerdem vermag

286 Schulze Schneider, Der Medienmarkt in Spanien, 397.

287 Vgl. Nohlen/Hildenbrand, Spanien, 233.

288 Nohlen und Hildenbrand beziffern noch 2003 die Auflage von El País mit 435 298 und die von El Mundo mit 300 297 Exemplaren. (Vgl. ebd. 234.)

289 Während auf elpais.com nach wie vor sowohl der Inhalt der Online-Redaktion als auch die Printaus-gabe kostenlos einsehbar sind, hat elmundo.es für die Beiträge der PrintausPrintaus-gabe mittlerweile eine Bezahl-schranke eingeführt. Wie in anderen europäischen Ländern ist jedoch auch hier die unzureichende Finanzierung der Online-Medien ein ungelöstes Problem. (Vgl. Schulze Schneider, Der Medienmarkt in Spanien, 402)

ein Vergleich beider Berichterstattungen unter Umständen konstruktive Impulse für die Frage nach der Art und Weise der Berichterstattung zu liefern. Daher wird neben anderen formalen Kriterien wie Datum, Titel und Autor der Veröffentlichung auch die Publikation selbst als Variable aufgeführt werden. Aufgrund des klar eingegrenzten Untersuchungsmaterials besteht hier nur die Auswahl zwischen den Kategorien EL PAÍS und EL MUNDO.

Dennoch stellt sich die Frage, warum überhaupt journalistische Quellen für die Un-tersuchung herangezogen werden, während die Auswertung von einschlägigen Statis-tiken oder die systematische Durchführung von Experteninterviews ebenfalls metho-disch einwandfreie Verfahren darstellen, ebenso aufschlussreiche Informationen in konzentrierterer Form bereithalten und nicht zuletzt den Decodierungsakt zur Erfas-sung der Sachebene erheblich vereinfachen würden. Ein bereits in 1.6 Kulturbetrieb Spaniens in der Krise – Annahmen und Fragestellungen erwähnter Grund ist die mangelhafte Datenlage für den Untersuchungszeitraum: Die zuletzt veröffentlichten Statistiken für den spanischen Kulturbetrieb von 2013 reichen je nach Gegenstand bis 2011, maximal 2012. Obwohl die Umbrüche seit Beginn der aktuellen Regierung gravierend sind, steht deren statistische Aufarbeitung noch aus. Die Arbeit mit Meinungen von Experten birgt eine andere Schwierigkeit: Da gerade die Entwicklungen im Verlauf der Eurokrise durch parteipolitische Maßnahmen geprägt sind, dürften die individuellen Perspektiven verschiedener Akteure im kulturpolitischen Betrieb zwar ähnlich in der Beschreibung der Situation, aber sehr unterschiedlich in ihrer Bewertung sein. Um sich einen verallgemeinernden Überblick zu verschaffen, der über individuelle Einschätzungen hinaus größere Tendenzen aufzeigt, wäre eine große Menge solcher Interviews notwendig, was im Rahmen dieser Arbeit aber nicht geleistet werden kann.

Durch die Analyse von Zeitungsartikeln können jedoch beide Ansätze aufge-nommen werden. Zwar entsprechen diese keinen wissenschaftlichen Standards, ver-mitteln aber dennoch ein Bild der aktuellen Ereignisse und reflektieren unter Um-ständen eine Entwicklung über einen längeren Zeitraum. Die redaktionelle Arbeit der Journalisten nimmt dabei eine qualitative Schlüsselrolle ein. Durch die Filterung und Aufbereitung der Informationen fließen sowohl relevante aktuelle Daten verschiede-ner Quellen in die Berichterstattung ein als auch ausgewählte – im Idealfall breit gefä-cherte – Einschätzungen von Experten und Insidern des Kulturbetriebs. Die oben genannten Nachteile, die eine Arbeit mit diesen Informationsquellen zeitigt, können

somit nivelliert oder zumindest abgefedert werden. Allerdings bleibt bei der Arbeit mit Printmedien das Auswahl- und Auswertungsproblem, dem mit der beschriebenen Methode versucht wird beizukommen. Die Verifikation der verwendeten Daten so-wie die Korrektheit ihrer Darstellung insgesamt garantiert die journalistische Qualität der Publikation. Diese darf – trotz wachsender Kritik an den journalistischen Bedin-gungen der großen spanischen Tageszeitungen290 – bei El Mundo und El País voraus-gesetzt werden. Fehler in der Berichterstattung sind demnach nie hundertprozentig ausschließbar, in ihrer Masse aber nicht entscheidend.

Um die Frage nach der Art und Weise der Berichterstattung näher beschrei-ben zu können, ist es notwendig, journalistische Grundlagen in die theoriegeleitete Kategorienbildung mit einzubeziehen. Von besonderem Interesse sind dabei die ver-schiedenen journalistischen Möglichkeiten des Mitteilens, die sowohl unterschiedliche ästhetische Formen prägen als auch verschiedene kommunikative Funktionen bedie-nen. Eine feste Klassifikation ist dabei ebenso wenig auszumachen wie ein detailliertes verbindliches Regelwerk zur Erstellung solcher Texte. Generell wird im deutschspra-chigen Raum aber zwischen informierenden und meinungsäußernden Darstellungs-formen unterschieden. Zu ersteren gehören demnach Formen wie Nachricht, Be-richt, Reportage, Interview oder Feature, während Kommentar, Kolumne, Rezensi-on oder Glosse typische Beispiele für meinungsäußernde Darstellungen sind. Darüber hinaus gibt es zahlreiche Misch- und Sonderformen, wie etwa das Porträt, das je nach Anlass und Medium verschiedene Elemente enthalten kann.291

Prinzipiell wären diese verschiedenen Darstellungsformen geeignete Katego-rien zur Beschreibung der Berichterstattung der beiden Tageszeitungen. Allein es ist anzunehmen, dass die Klassifizierung wie sie für den deutschsprachigen Raum gängig ist, nicht ohne Weiteres auf den spanischen Journalismus übertragbar ist. So sieht Ingendaay grundsätzliche Unterschiede zwischen der deutschen und der spanischen Presse, etwa in der für den spanischen Journalismus essentiellen Bedeutung von Ver-ständlichkeit und Sinn für Wirkung, die er auf die intellektuelle Tradition Spaniens zurückführt, in der die Tageszeitungen als geistige und politische Plattform eine zent-rale Rolle innehatten:

Zu den hervorstechenden Zügen des spanischen Journalismus gehörten stets die unverblümt geäußerte Meinung, der nichtelitäre Zugriff auf das Thema und der Appell an den allgemeinen Leser. Das Gefühl

290 Vgl. ebd. 404.

291 Vgl. W. von La Roche, Einführung in den praktischen Journalismus, hg. von G. Hooffacker und K.

Meier, 19, Wiesbaden 2013, 73f.

ler Herablassung, das die akademische Welt in Deutschland gegenüber der Presse und speziell gegenüber dem ‚Feuilleton‘ empfindet (nicht umsonst gilt das Attribut ‚feuilletonistisch‘ als negativ), wäre in Spanien undenk-bar.292

Schulze Schneider bemängelt dagegen den deutlich schwächeren Stand objektiver Faktenvermittlung in der spanischen Presse und hält fest, „dass die spanischen Medien mehr ‚Meinung‘ und/oder Unterhaltung als Information vermitteln“.293 Für die Ex-plorationsphase wird daher die Variable Journalistische Darstellungsform nicht durch spe-zifische Formen kategorisiert – wie etwa die für die deutsche Kulturberichterstattung üblichen Porträt, Rezension, Reportage oder Kommentar –, sondern die Differenzie-rung beschränkt sich auf die allgemeinen Kategorien informierend und meinungsäußernd.