6 Strategische Handlungsfelder und -optionen
6.2 Strategische Handlungsoptionen im Handlungsfeld Medizinprodukte
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155 gemeinsam zugreifen können. Auch das Modell der Polikliniken könnte vor diesem Hintergrund in Deutschland wieder an Aktualität gewinnen. Deutlich wird bei einer ganzheitlichen Betrachtung dieser Ansätze, dass bestehende ökonomische Anreize und institutionellen Hemmnisse einer Umsetzung des Sharing-Gedankens im Wege stehen können. Wie kann beispielsweise die Nutzung eines Geräts durch Patientinnen und Patienten eines anderen Leistungserbringers gegenüber der Krankenkasse abge-rechnet werden? Zur Überwindung dieser Hemmnisse ist ein enges Zusammenwirken von Hersteller, Leistungserbringern, Patientinnen und Patienten, Krankenkassen und der Gesundheitspolitik erfor-derlich.
Neben solchen systemischen Ansätzen, die der Mitwirkung einer Vielzahl von Stakeholdergruppen be-dürfen, können auch pragmatischere und kurzfristig realisierbare Ansätze verfolgt werden: Häufig herrscht gerade in größeren Krankenhäusern mit einer Vielzahl an Geräten keine Transparenz über deren tatsächliche Auslastung. Vor diesem Hintergrund wurde im Rahmen des Workshops auf ein Pro-jekt zum Controlling der Auslastung medizintechnischer Geräte hingewiesen. Hierbei können Auslas-tung und Reparaturanfälligkeit der Geräte digital überwacht und somit Potenziale zur Nutzungsinten-sivierung und Nutzungsdauerverlängerung identifiziert werden.
Wiederverwendung und Recycling von Medizinprodukten
Eine weitere Handlungsoption ist die Wiederverwendung und das Recycling von Medizinprodukten, z. B. von chirurgischen Instrumenten oder Kathetern. Sowohl in der Breitenerhebung als auch im Rah-men des Workshops wurde die in den letzten Jahren deutlich spürbare Zunahme der Verwendung von Einwegprodukten als wichtiges Umweltproblem identifiziert. Ansätze zur Steigerung der Ressour-ceneffizienz können dementsprechend in der Förderung der Wiederverwendung liegen, aber auch beim Aufbau von Recyclingkreisläufen (siehe Anhang 9.1.2, Nr. 7). Bei der Wiederverwendung werden die Produkte nach Gebrauch eingesammelt, gereinigt, desinfiziert und sterilisiert, um danach wieder in Einsatz zu gelangen. Dieser Prozess kann sowohl durch die Zentrale Sterilgut-Versorgungsabteilung eines Krankenhauses als von externen Dienstleistern durchgeführt werden. Bei Recyclingkreisläufen dagegen werden die genutzten Produkte, z. B. OP-Besteck aus Edelstahl, eingesammelt und auf werk-stofflicher Ebene recycelt. Der zurückgewonnene Stahl bzw. die entsprechende Legierung kann dann für die Herstellung neuer Instrumente eingesetzt werden.
Um beide Handlungsoptionen zu realisieren, müssen Hemmnisse und Risiken überwunden werden, die in den letzten Jahren dazu geführt haben, dass sich Einwegprodukte gegenüber Mehrwegproduk-ten durchgesetzt haben, nämliche günstige Einkaufspreise für Einwegprodukte, strengere Hygienean-forderungen der Behörden, Aktivitäten der Hersteller, die eine Wiederverwendung erschweren bzw.
unmöglich machen (z. B. Verwendung thermolabiler Materialien, aktives "Sperren der Wiederverwen-dung durch eingebaute Chips oder Zulassung nur als Einwegprodukt) und letztlich das einfachere Handling von Einwegprodukten durch das medizinische Personal.
Um diese Hemmnisse zu überwinden, ist ein enges Zusammenwirken einer Vielzahl vonStakeholder-gruppen notwendig, insbesondere der Hersteller, der Leistungserbringer (Einkäufer, medizinisches Personal), Wiederaufbereitungs- bzw. Recyclingunternehmen und Behörden. Wenn die Wiederaufbe-reitung durch einen externen Dienstleister erfolgt, trägt dieser Verantwortung für wichtige Prozesse der Sterilgut-Versorgung beim Leistungserbringer.
Vor einer Umsetzung wäre zunächst zu prüfen, bei welchen Produktgruppen das Potenzial zur Steige-rung der Ressourceneffizient durch Wiederverwendung, Recycling oder die Verwendung von Einweg-produkten aus "ressourcenleichteren" Materialien am größten ist. Weiterhin könnten durch die syste-matische Durchführung entsprechender Pilotprojekte Erfahrungswerte gesammelt werden. Die Be-wertung der Handlungsoptionen sollte nach medizinischen, ökologischen und ökonomischen Kriterien erfolgen. Basierend auf den Erfahrungen aus diesen Pilotprojekten wäre dann im nächsten Schritt
156 auch von Seiten der Behörden zu prüfen, ob die Zulassung bestimmter Einwegprodukten in einigen Bereichen nicht erschwert werden sollte.
Ressourceneffizienz bei Einkauf und Prozessen
Weitere Handlungsoptionen zielen auf eine stärkere Orientierung der für die Beschaffung von Medi-zinprodukten zuständigen Einkäuferinnen und Einkäufer an ökologischen Kriterien sowie auf eine Überprüfung der Prozesse der Leistungserbringer unter dem Aspekt der Ressourceneffizienz ab. Von den Teilnehmenden an den Stakeholder-Workshops in diesem Vorhaben (siehe Kap. 9.6.2) wurde an-geregt, dass sich z. B. die Einkaufsabteilungen von Krankenhäusern bei ihren Beschaffungsvorgängen auch an ökologischen Kriterien orientieren sollten. Hierzu müssten die entsprechenden Informationen zunächst einmal von den Herstellern zur Verfügung gestellt werden. Weiterhin müssen auf Seiten der Einkäufer grundlegende Kompetenzen für die ökologische Bewertung (z. B. Interpretation von Ökobi-lanzen) aufgebaut werden. Zur Reduktion der Entscheidungskomplexität haben viele Branchen und unabhängige Institutionen den Weg eingeschlagen, entsprechende Informationen über die Vergabe von Umwelt- bzw. Nachhaltigkeitssiegel bereitzustellen. Ein Bespiel hierfür ist der Blaue Engel, der vom Umweltbundesamt vergeben wird. Die Entwicklung eines entsprechenden Umweltsiegels und von Umweltkriterien für Medizinprodukte wäre daher ein wichtiger Schritt, um den Einkaufsabteilun-gen Orientierung zu geben. Ein solches Siegel ist in vielen Branchen durch das Zusammenwirken von Herstellern, Händlern, Nutzerinnen und Nutzern, Verbraucherorganisationen und unabhängigen wis-senschaftlichen Einrichtungen entstanden. Dementsprechend wäre zunächst im Rahmen einer Road-map zu prüfen, wie der Weg hin zu einem solchen Siegel aussehen könnte.
Weiterhin wurde während der Stakeholder-Workshops auf zahlreiche Ineffizienzen medizinischer Ab-läufe hingewiesen, die zu einer medizinisch nicht begründeten Verschwendung von Ressourcen beitra-gen. Ein Beispiel hierfür ist die Zusammenstellung von Kitpacks, die in aller Regel überflüssige Instru-mente enthalten, da nur ein bestimmtes Instrument aus dem Kit benötigt wird. Daher besteht eine weitere Handlungsoption darin, die internen Abläufe in einer größeren Einrichtung des Gesundheits-wesens im Rahmen eines Pilotprojekts unter dem Aspekt der Ressourceneffizienz zu untersuchen. In diese Projekte könnten externe Prozessberater, wie z. B. Ressourceneffizienzagenturen, einbezogen werden.
Abschließend gibt Tabelle 11 eine Übersicht über die Handlungsoptionen im Handlungsfeld Medizin-produkte und die Stakeholderinnen und Stakeholder, die an der Umsetzung beteiligt sind bzw. davon betroffen sind.
Tabelle 11: Handlungsoptionen im Handlungsfeld Medizinprodukte
HE: Hersteller; LE: Leistungserbringer, DL: externe Dienstleister PAT: Patientinnen und Patienten, KK: Krankenkasse, PB: Prozessberatung, PO: Politik
xx = ist direkt an der Umsetzung der Maßnahme beteiligt;
x = ist von der Maßnahme betroffen und sollte konsultiert werden
HE LE DL PAT KK PB PO
Verlängerung Nutzungsdauer xx xx x x x
Intensivierung der Nutzung (Sharing) xx xx xx x x
Wiederverwendung xx xx (xx) x x
Recycling xx xx x x
Ressourceneffizienz bei Einkauf und Prozessen
xx xx x xx x xx
Quelle: Eigene Darstellung des Fraunhofer ISI
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