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Abbildung 5.3: Organschaft (Remmert u. Reichert 2010, S. 8)

Strukturelle und Räumliche Situation

Die Einrichtung liegt im Norden des Berliner Stadtteils Neukölln. Neukölln hat 307.000 Einwohner, 154.000 leben im Bereich der „Altstadt Neukölln“, in dem sich die Fachklinik befindet (vgl. Bezirksamt Neukölln 2011). Der Bezirk ist in den letzten Jahren vor allem mit seinen sozialen Problemen wahrgenommen worden. Die Arbeitslosenquote im Januar 2011 wird mit 20,9 % angegeben (vgl. Bezirksamt Neukölln, 2011). Der Anteil der nicht arbeitslosen Empfänger von Existenzsicherungsleistungen nach SGB II und SGB XII wird im Jahr 2006 mit 21,1 % angegeben. Der Anteil bei den unter 15-jährigen Neuköllnern beträgt über 50 %. In Neukölln leben besonders viele Menschen mit Migrationshintergrund, der Anteil der Kinder mit nicht-deutscher Staatsangehörigkeit liegt in Nord-Neukölln bei knapp 40 % (vgl. Häußermann et al. 2008).

Das Gebiet zwischen Hasenheide und Rathaus Neukölln wird allgemein als Schwerpunkt der Drogenszene wahrgenommen. Dem gegenüber steht ein engmaschiges Netz von Hilfsorganisationen, die im Bereich des betreuten Wohnen und im komplementärem

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Volkshochschulen, Bildungsinitiativen, Sportvereine und vielfältige Kulturangeboten.

Fußläufig in der Nähe der Fachklinik sind eine Schule für abstinente Drogenabhängige, die Volkshochschule, das JobCenter, verschiedene niedergelassene Fachärzte, Kinos, Theater und Oper, Sportanlagen, Schwimmbad, Eisbahn, Geschäfte und Supermärkte, Parkanlagen und Verkehrsmittel (U-Bahn, Bus) zu erreichen.

Die Entwöhnungsbehandlung erfolgt in den Räumlichkeiten der Flughafenstraße 42, 12053 Berlin. Dabei stehen für die Unterbringung der Patienten 35 Einzelzimmer und zwei Doppelzimmer unterschiedlicher Größe zur Verfügung. Zusätzlich gibt es 7 Einzelappartements für Patienten in Adaptionsbehandlung. Des Weiteren verfügt die Einrichtung über eine Reihe von Therapieräumen, Gruppenräumen, Freizeiträumen und extern über eine 600 m² große Tischlerei, in der die Arbeitstherapie durchgeführt wird. Diese liegt ebenfalls im Stadtteil Neukölln, aber ca. 1,5 km von der Therapieeinrichtung entfernt.

Die Fachklinik weist einige prägende Besonderheiten auf.

• Es gibt keine zentrale Essensversorgung. Die Patienten verköstigen sich selbst (z. T.

unter Anleitung). Das Essensgeld wird ausgezahlt. Es gibt keinen Wäscheservice. In allen Wohnbereichen stehen Waschmaschinen zur Verfügung.

• Engmaschige Alkohol- und Drogenkontrollen mittels Urin- und Speichel-untersuchungen werden durchgeführt. Bei Rückfall erfolgt in der Regel die Entlassung.

• Die Patienten haben große individuelle Freiheit in der Alltagsgestaltung außerhalb des festgelegten Therapieprogramms.

Insbesondere die Selbstversorgung und die hohe individuelle Freiheit in der Alltagsgestaltung sind eng mit der Tradition des Trägers und es in ihm verankerten Menschenbild verbunden.

Danach sind abhängigkeitserkrankte Menschen „kompetent, verantwortlich und entscheidungsfähig“ (Remmert 2003, S. 12). Daraus wird ein partnerschaftliches Verständnis der therapeutischen Beziehung ohne „grenzüberschreitende Überversorgung“ (ebd., S. 12) und Bevormundung abgeleitet. Die Erfahrungen mit diesem Menschenbild sind positiv, soweit es die Akzeptanz bei den Patienten betrifft. Die große Mehrheit der in der Fachklinik behandelten Patienten hat keine Schwierigkeiten, ihre Ernährung und ihre persönliche Hygiene zu gestalten. Auch die hohe individuelle Freiheit führt nicht zu mehr Rückfällen oder Problemen im Therapieverlauf, die auf den freiheitlichen Rahmen zurückzuführen wären.

Immer wieder wird allerdings, auch von Seiten der Leistungsträger, ein größerer Eingriff in

die Lebensgestaltung der Patienten in diesen Bereichen gefordert um Freizeitverhalten und Ernährung im Sinne des Rehabilitationsziels (funktionale) Gesundheit zu verbessern.

Entwicklung eines modularen Behandlungskonzepts

Die Prinzipien des Qualitätsmanagements legen ein flexibles Konzept nahe, mit dem schnell auf Anforderungen der Leistungsträger, Notwendigkeiten der medizinischen Rehabilitation und auf gesellschaftliche Änderungen, z. B. im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben, reagiert werden kann. Die DRV-Bund forderte schon 2002 die Entwicklung von Kombinationstherapien und modularen Behandlungsangeboten (vgl. Schallenberg u. Lindow 2002). Die Rehabilitanden sollen aktiv an der Behandlung beteiligt werden (vgl. Hoffmann-Markwald u. Koch 1993). Dabei soll der Patient zur weitestgehenden Teilhabe am Leben im Sinne des SGB IX befähigt werden. Zur Verbesserung der Behandlung wird die Orientierung auf bestimmte Zielgruppen angeregt (vgl. Rumpf 2005). Die Komplexität52 der Aufgabe erfordert eine stärkere Vernetzung mit anderen Trägern der Suchthilfe (ambulanten Angeboten, Angeboten im Rahmen des Betreuten Wohnen gemaß § 53 bzw. § 67 SGB XII) und der Rehabilitation (Berufsförderungswerke, Anbieter der beruflichen Fort- und Weiterbildung, Arbeitsverwaltung etc), aber auch eine stärker differenzierte, indikative Leistungen innerhalb der Fachklinik.

Ein modulares Behandlungskonzept stellt in einem allgemeinen Teil die Behandlungsprinzipien dar, die grundsätzlich für alle Behandlungsformen gelten, z. B. in Bezug auf das zu Grunde liegende Menschen- und Persönlichkeitsbild. In den einzelnen Modulen (Langzeittherapie, Auffangbehandlung, Kurzzeittherapie, Kombinationstherapie, ambulante Nachbehandlung) werden dann besondere Behandlungsbedingungen vor Ort und die konkreten Behandlungselemente vorgestellt, die kurzfristig veränderbar sind.

52 „Die (…) ICF operationalisiert den Begriff der funktionalen Gesundheit als Ergebnis der Wechselwirkung zwischen den Gesundheitsproblemen einer Person und ihrer Umwelt. Diese Definition von Gesundheit legt nahe,

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Die Therapiedurchführung orientiert sich an eine Regelkreismodell (Remmert u. Reichert 2010, S. 25):

Ziel

Messen und Bewerten Interventionsplanung

Intervention“

Abbildung 5.4: Regelkreismodell

Substitution im Rahmen des Behandlungskonzeptes Langzeittherapie

In der Fachklinik F42 werden Patienten mit bewilligten Kurz- und Langzeittherapien gemeinsam in Bezugsgruppen, indikativen Gruppen, Arbeitstherapie, Einzel- und Gruppenpsychotherapien und somatischen Therapien behandelt. Eine Trennung von Kurz- und Langzeittherapien durch Aufteilung in getrennte Wohnbereiche, unterschiedliche Bezugsgruppen oder in bestimmte indikative Gruppen findet nicht statt. Substituierte Patienten werden nur in die Langzeittherapie aufgenommen, damit ausreichend Zeit für die Abdosierung der Substitute und zur Bewältigung der Entzugssymptomatik zur Verfügung steht. Die Behandlung ist in zeitlich variable Therapiephasen unterteilt und dauert insgesamt bis zu sechs Monate. In der ersten Phase werden Schwerpunkte im Bereich Diagnostik und Psychoedukation gesetzt. In der zweiten Therapiephase liegt der Schwerpunkt in der Arbeitstherapie, die vormittags mit ca. zwanzig Stunden pro Woche, vorwiegend handwerklich orientiert, durchgeführt wird. Durchgehend nehmen die Patienten an drei bis vier Gruppentherapien in ihrer Bezugsgruppe pro Woche teil, die unterschiedliche

Neues Ziel oder weitere Intervention

Schwerpunkte setzen. Hinzu kommen indikative Gruppen (z. B. russischsprachige Migrantengruppe, Anti-Gewalt-Gruppe, Körpertherapiegruppe, soziales Kompetenztraining, Malen und Meditation etc.).

Im Rahmen des Langzeittherapiekonzept wird die Substitutionsbehandlung folgendermaßen umgesetzt:

„Vorbereitungsphase

Wir bieten für diesen Patientenkreis eine regelmäßige Sprechstunde und eine Gruppe an, die einmal wöchentlich stattfindet. Der Gruppenbesuch ist verpflichtend. Die genaue Frequenz wird in Absprache mit der leitenden Ärztin festgelegt. Während dieser Phase soll die Rehabilitationsfähigkeit sichergestellt werden und ein mögliches Beigebrauchsmuster analysiert werden. Es erfolgt eine Beigebrauchsentgiftung und die Einstellung einer individuell zu bestimmenden Erhaltungsdosis und ein Erreichen von Dosisstabilität.

Grundlage bilden hier die neuen Richtlinien der Bundesärztekammer zur Durchführung der substitutionsgestützten Behandlung Opiatabhängiger vom 19.02.2010 (…).

Aufnahme

Der Patient wird mit der Erhaltungsdosis aufgenommen. Diese wird vorerst beibehalten, die Verringerung der Dosierung wird in einem Plan zwischen leitender Ärztin und Patient fixiert.

Dieser Plan wird wöchentlich überprüft.

Im Übrigen nimmt der Patient von Beginn an gemäß seinem individuellen Behandlungsplan an allen therapeutischen Angeboten teil. Mit Ausnahme der morgendlichen Substituteinnahme unterscheiden sich der Patient und die Kriterien der Behandlungsorganisation bei diesem Patienten sowie die Kriterien für bestimmte Behandlungsinhalte in keiner Weise von denen der nicht substituierten Patienten in der Einrichtung (…).

Vergabe und Kontrolle

Die Vergabe erfolgt unter Aufsicht der Leitenden Ärztin (Fachärztin für Psychosomatik und Psychotherapie), die über die Zusatzbezeichnung „suchtmedizinische Grundversorgung“ und langjährige Erfahrung auf dem Gebiet der Substitutionsbehandlung und Abdosierung verfügt bzw. durch speziell geschulte und ausgebildete Mitarbeiter“(Remmert 2010, S. 22 f.).

Die substituierten Patienten werden grundsätzlich nicht anders behandelt als die nicht-substituierte Patienten, d. h. es werden die gleichen diagnostischen Verfahren angewendet, die Indikationsstellung für die therapeutischen Maßnahmen unterscheidet sich nicht und sie

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Schrittweise Einführung der Substitutionstherapie

Die Einführung begann mit ersten Überlegungen im Februar 2010:

Februar 2010 Ideen zur Konzepterweiterung.

April 2010 Diskussion mit den Mitarbeitern über die geplanten konzeptuellen Veränderungen.

Umfrage bei substituierenden Ärzten nach dem erwarteten Bedarf und der Bewertung des Angebotes.

Mai 2010 Erstellung des neuen schriftlichen Konzepts und Einreichung bei der federführenden Rentenversicherung.

Juni 2010 Besuche bei substituierenden Fachkliniken beginnen.

Beginn der Vorbereitungsgruppe für substituierte Patienten.

Benachrichtigung der Drogenberatungsstellen über die Planung.

Juli 2010 Notwendige Umbauten in der F42 werden begonnen, z. B. für die Lagerung des Substituts.

Einstellung von zusätzlichem medizinischen Fachpersonal.

August 2010 Genehmigung des Konzeptes durch die DRV Berlin-Brandenburg.

September 2010

Benachrichtigung der Beratungsstellen und anderer zuweisenden Institutionen über die Genehmigung des Konzeptes.

Oktober 2010 Erster regelmäßiger Besucher der Vorbereitungsgruppe.

Vorstellung auf den 2. Berliner Suchttherapietagen und in der Folge auf weiteren Fachtagen und bei öffentlichen Veranstaltungen.

November 2010

Intensivierung der Öffentlichkeitsarbeit durch Besuche bei allen Trägern in Berlin, die mit substituierten Patienten arbeiten.

Dezember 2010

Bis zu sieben regelmäßige Besucher der Vorbereitungsgruppe.

Kostenübernahmen werden durch die DRV abgelehnt, da die Neuerung noch nicht bekannt ist und fälschlich höhere Kosten befürchtet werden.

Erster Patient geht in Widerspruch zur abgelehnten Kostenübernahme.

Januar 2010 DRV ist inzwischen gut informiert, verlangt aber mehrere Urinkontrollen, die die Beigebrauchsfreiheit nachweisen. Z. T. wird die maximale Dosierung des Substituts für die Aufnahme vorgegeben, z. B. die Substitution mit höchstens 6 ml (!) Subutex®.

Eine weitere Kostenübernahme zur Aufnahme mit Substitut wurde abgelehnt mit der Begründung, dass vorher zwei Kostenübernahmen (allerdings ohne Aufnahme mit Substitut) durch die Antragstellerin nicht wahrgenommen wurden. Die Patientin hatte jeweils die Entgiftungsbehandlungen

abgebrochen.

14.1.2010 Erteilung der ersten Kostenübernahme.

24.1.2010 Der erste noch-substituierte Patient wird aufgenommen mit der Dosierung 10 mg/Tag Subutex®.

25.1.2010 Gegen drei Ablehnungen einer substitutsgestützen Behandlung werden durch die Ltd. Ärztin mit unterschiedlichem Erfolg Stellungnahmen verfasst.

Beispielhafter Ablauf bei Patientin B., gebildet, motiviert, große Probleme, den körperlichen Entzug zu bewältigen:

1. Kostenübernahme (KÜ) für eine Entwöhnungsbehandlung wurde in 2009 genehmigt.

2. KÜ Ende 2009 abgelaufen, da sie nicht entzogen aufgenommen werden kann (zwei abgebrochene Entzugsbehandlungen).

3. KÜ für Entwöhnungsbehandlung mit ausschleichender Substitution wird

beantragt.

4. abgelehnt - ohne Begründung.

5. Widerspruch (mit Stellungnahme der Ltd. Ärztin).

6. tel. Nachfrage der Ltd. Ärztin: Ablehnung, weil sie schon sechs Therapien gehabt habe - im Prinzip sei ja eine substitutionsgestützte Therapie

indiziert….zudem sei sie ja nicht beigebrauchsfrei (THC).

7. erneuter Widerspruch der Ltd. Ärztin: alle früheren Therapien waren extern (§35 BtmG) motiviert, wurden im Rahmen von Selbsthilfe oder anderen Finanzierungen durchgeführt, keine ging bislang zu Lasten der DRV - außerdem sei Frau B. jetzt beigebrauchsfrei (incl. THC)

8. Bewilligung einer „Cleantherapie“ (auch so bezeichnet, gemeint ist Aufnahme ohne Substitution).

9. Patientin hat bis zum Ende dieser Untersuchung keine Entwöhnungsbehandlung begonnen.

28.2.11 Aufnahme des zweiten substituierten Patienten mit 30 mg Methadon/Tag.

28.3.11 Der erste der aufgenommenen Patienten hat die Substitution beendet und ist

„auf Null“.

April 2011 Die Vorbereitungsgruppe hat ca. 10 regelmäßige Teilnehmerinnen. Drei Teilnehmer mit Leistungsträger DRV Bund erhielten negative Bescheide, einer erhielt eine andere Fachklinik zur Abdosierung zugewiesen.

2.5.11 Der zweite, substituiert aufgenommene Patient bricht die Behandlung ab (noch mit 10mg/1ml Methadon).

3.5.11 Der dritte substituierte Patient (40mg Methadon) wird aufgenommen.

1.7.11 Einstellung einer Krankenschwester als zusätzliche medizinische Fachkraft.

15. und 18. 7.11

Zwei weitere Patienten (Herr T. und Herr S.) werden aufgenommen.

27.7.11 Der inzwischen abdosierte dritte Patient (Herr H.) wird nach heimlichem Methadonkonsum in ein Krankenhaus verlegt, das er jedoch nicht aufsucht.

Kurze Zeit später bewirbt er sich erneut um eine Behandlung.

12.9. 11 Herr T., aufgenommen am 18.7. ist ab 12.9. abdosiert und bleibt dauerhaft entzogen, bekommt aber noch mal vom 20. bis 24.9. 2 bzw. 1 mg Subutex®. 21.09.11 Die erste substituierte Frau und insgesamt sechste substituierte Patientin wird

aufgenommen.

4.10.11 Herr S., aufgenommen am 15.7., ist ab 4.10.11 „auf Null“ (Polamidon) wird aber ab 20.10. wegen nicht aushaltbarer Entzugserscheinungen auf seinen Wunsch hin wieder substituiert, jetzt allerdings mit Subutex® (2 mg bzw. ab 22.10.11 4 mg).

25.10.11 Der siebte substituierte Patient wird aufgenommen.

November 11 Herr H., früher substituierter Patient, der zwar abdosiert hatte aber nach Rückfall verlegt worden war und die Behandlung dann abbrach, wird ohne Substitut erneut aufgenommen.

30.11.11 Ende der Datenerhebung für diese Untersuchung.

Tabelle 5.1: Einführung der Substitutionstherapie

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