• Keine Ergebnisse gefunden

Der rote Drache mausert sich zum Global Player: Gerät bald die Welt aus den Fugen?

Im Dokument China in den Medien (Seite 102-127)

2. Das System erstarkt: China bedroht die ganze Welt

2.2 Der rote Drache mausert sich zum Global Player: Gerät bald die Welt aus den Fugen?

“Europäer sollten sich die Namen der chinesischen Kommunikationsriesen Huawei und Hutchison schon einmal merken. Beide Firmen statten den größten Mobilfunkmarkt der Welt aus: die Volksrepublik. Deren Techno−Diktatur will das Billigproduktionsland möglichst schnell zur Weltspitze führen. Wie ernst es ihr damit ist, demonstrierte der jüngste und erfolgreiche Flug des Raumschiffs Shenzhou IV aller Welt. Noch in diesem Jahr soll der erste Astronaut abheben. Es fügt sich ins Bild, dass zur Jahreswende der Transrapid als schnellster Passagierzug der Welt durch Schanghai schwebte. Mehr Schein als Sein? Auf diesen Eindruck sollte man sich nicht verlassen. Wesentlich realistischer ist es, China als "ganz scharfen Konkurrenten" zu betrachten, wie es Siemens-Chef Heinrich von Pierer formulierte (...) China bald auf statt hinter dem Mond? Das könnte für die westlichen Industriestaaten eine echte Herausforderung werden.”271

Spätestens ab dem Jahr 2003 kommt zu den stetigen Warnungen vor einer Implosion des Chinabooms noch eine eindringliche Warnung in der deutschen Presse hinzu: China bläst zur Aufholjagd. Der Rote Drache - so wird gewarnt - scheint gewillt, unter allen Umständen den Sprung zur globalen Wirtschaftsmacht zu schaffen. Mit der ungeheuren Kraft und Vitalität seiner Milliardenbevölkerung und einem Kapitalismus mit flexibler Lenkung durch einen autoritären Staatsapparat will China seinen Rückstand gegenüber dem Westen nun im Eiltempo nachholen.

Angetrieben auch durch einen historisch untermauerten Anspruch auf kulturelle Überlegenheit - so die allgemeine Einschätzung - enthält das Reich der Mitte eine Dynamik, die für die westlichen Industrieländer in nicht allzu ferner Zukunft zu einer bei weitem größeren Herausforderung als etwa das einstige Wirtschaftswunderland

                                                                                                               

271  “China im Technikrausch”, ZEIT, 09.01.2003.  

Japan werden könnte. Würde schließlich das Riesenreich seine inneren Probleme in den Griff bekommen, so könnte dem Westen bald zum ersten Mal ein recht ernsthafter Wirtschaftskonkurrent entgegentreten - warnen unterdessen immer häufiger in ihren Kommentaren zu China vor allem der SPIEGEL, die WELT, die FAZ und die ZEIT.

“Es ist schon erstaunlich”, stellt die WELT am Ende des Jahres 2004 fest: “Ein immer noch vom Funktionärskommunismus beherrschtes China entwickelt mit frühkapitalistischer Energie, spottbilligen Arbeitskosten und trotz sich ausbreitender Revolten in den fernen Provinzen eine Wachstumsleistung, die alle historischen Entwicklungsbooms in den Schatten stellt.”272 Trotz aller Anpassungsprobleme im Zuge des tiefgreifenden Wandels in seiner Wirtschaftsstruktur entpuppe sich letztendlich China immer mehr als der große Gewinner der Globalisierung - erfährt man zur gleichen Zeit auch von den anderen o.g. Medien. Nicht zuletzt dank den rapide zunehmenden Investitionen westlicher Konzerne, die durch ein schier unermessliches Reservoir an billigen Arbeitskräften und die Aussichten auf einen nahezu unerschöpflichen Absatzmarkt nach Fernost gelockt werden, sei China zur Weltwerkstatt geworden. Unter erbärmlichen Bedingungen, die an frühe Formen des Manchester-Kapitalismus erinnern - berichtet indessen der SPIEGEL -, fertigen “die Kinder eines formal immer noch kommunistischen Systems” mehr Waren als irgendein anderes Volk.273 Zwar erfreut noch die Flut der Billigwaren “made in China”

die Verbraucher im Westen - so der SPIEGEL weiter -, doch am Ende könnten Letztere für den “Billigsegen aus China mit dem Verlust von Wohlstand und immer öfter ihrer Arbeitsplätze” bezahlen. Denn “vollbracht wird das chinesische Wirtschaftswunder eben mit Hilfe von Investoren”, denen Europa und Amerika zu teuer werden – schreibt noch an anderer Stelle das Wochenmagazin.274 Wenn sich die westlichen Regierungen nicht wirksam in Exportverhandlungen mit China einsetzen, könnten sie bald seinen Aufstieg “nur noch aus der Zuschauerperspektive verfolgen können” - bemerkt hierzu die WELT.275

                                                                                                               

272  “Asiatische Champions”, WELT, 07.12.2004.  

273  “Der Sprung des Drachen”, SPIEGEL, 11.10.2004.  

274  “Billig, willig, ausgebeutet”, SPIEGEL, 30.05.2005.  

275  “Herausforderung China”, FAZ, 03.02.2004. Vgl. dazu “Airbus aus China”, FAZ, 10.12.2005.  

Als böse Täuschung dürfte sich dennoch erweisen, China nur als billige Werkbank der Welt zu betrachten - warnt wiederholt ihrerseits die FAZ nach der medial vielbeachteten Übernahme der Sparte “Personalcomputer” der amerikanischen Firma IBM durch den chinesischen Computerhersteller Lenovo zu Ende des Jahres 2004.276 Es könnte - so die FAZ - nur noch wenige Jahre dauern, bis China dem Westen auch im Bereich Entwicklung gefährlich wird. Die steigende Nachfragemacht im Reich der Mitte “verführt immer mehr westliche Konzerne dazu, Forschungs- und Entwicklungszentren im fernen Osten aufzubauen”. Zudem werden in den chinesischen Hochschulen jährlich Millionen gut ausgebildeter Wissenschaftler und Forscher produziert. Aber auch Hunderttausende junge Chinesen, die an renommierten Universitäten des Westens studieren, sowie hochqualifizierte Auslandschinesen - so die FAZ weiter -, ziehen “die wachsenden Chancen in der boomenden Wirtschaft, eine gute Portion Pioniergeist und ein nie zerrissenes Bindungsgeflecht in die Heimat” zurück. Diese Entwicklung fußt nicht zuletzt “auf dem im Westen oft unterschätzten chinesischen Stolz und dem unbedingten Willen, zum Westen aufzuschließen” - schreibt indes das gleiche Blatt an die Adresse deutscher Technologiefirmen.277 “Die lernbegierige Jugend ist heute Chinas größte Stärke” - bemerkt ihrerseits auch die ZEIT.278 Gefördert wird die neue Generation chinesischer Akademiker auch noch durch massive staatliche Investitionsprogramme in Forschung und Entwicklung, die einen Kernbestandteil der schnellen Aufholstrategie Chinas bilden - berichten hierzu neben der FAZ und der ZEIT auch die WELT und der SPIEGEL. Getreu dieser Strategie der politischen Führung in Peking, die letztlich das westliche Engagement zu eigenen Gunsten zu nutzen versteht, entwickelt sich somit die Volksrepublik China vom Billiglohnland zum weltweit wichtigen Forschungs- und Technologiestandort – konstatieren viele Kommentatoren. Da werden Erinnerungen wach an eine große, historische Zeit, als das Reich der Mitte “sich zu Recht als technologischer und politischer Nabel der Welt fühlte” - bemerkt schließlich der SPIEGEL unter dem Titel “Der Sprung des Drachen”

im Herbst 2004.279

                                                                                                               

276  “Warnschuß aus China”, FAZ, 11.12.2004, “China kauft ein”, FAZ, 22.06.2005.  

277  “China Ingenieure”, FAZ, 01.11.2004.  

278  “China im Technikrausch”, ZEIT, 09.01.2003.  

279  “Der Sprung des Drachen”, SPIEGEL, 11.10.2004.  

In den folgenden Jahren 2005-07 macht allen voran die FAZ noch auf einen neuen Trend in der Aufholstrategie Chinas aufmerksam: Zum Aufruf der chinesischen Führung, dem Westen nachzueifern, gehöre nun auch die Aufforderung an die eigenen Staatskonzerne sowie an alle führenden Unternehmen des Landes, ins Ausland zu expandieren. Immer mehr Unternehmen aus China versuchen sich an Übernahmen im Westen, berichtet indes die FAZ im Sommer 2005 unter dem Titel

“Chinas Griff nach der Industrie des Westens” - und prognostiziert dabei: “Die Übernahme hat ihren Höhepunkt noch lange nicht erreicht.”280 Hierzu schreibt dasselbe Blatt ein Jahr später: “Noch sind es Käufe von Sparten oder Unternehmen der zweiten Reihe. Viel Weitblick aber gehört nicht dazu, um vorherzusagen, dass auf mittlere Sicht etwa ein chinesischer Automobilkonzern den Mut und die - staatlich geförderte - Kapitalkraft haben wird, die Übernahme eines Filetstücks der europäischen Wirtschaft zu versuchen. Daimler-Chrysler in chinesischer Hand mag heute noch versponnen klingen. Doch hätten die Mitarbeiter von IBM vor fünf Jahren erwartet, dass ihr Arbeitgeber in Peking sitzt?”281 Dabei - so die FAZ weiter - wächst die neue Generation der “lernfähigen und ehrgeizigen” chinesischen Manager, die zum großen Teil ohnehin über Auslandserfahrung verfügt, in globale Führungspositionen. “Noch ist also der Drache zu jung, um Feuer zu spucken, aber in ein paar Jahren könnte er es gelernt haben”, schließt daraus das gleiche Blatt.

Nicht zuletzt im globalen Energiemarkt ließe China zunehmend “die Muskeln spielen”: immer stärker seien Chinas staatlich subventionierte Energiekonzerne bemüht, Schlüsselfirmen der westlichen Ölindustrie zu übernehmen und Rohstoffmärkte weltweit zu erschließen.282 Unter der Lenkung einer strategisch planenden und an langfristigen Zielen orientierten politischen Führung eile China mithin die Treppen der Globalisierung hinauf - bemerkt dazu der SPIEGEL.283 Das Aufrücken des ambitionierten Giganten in die Weltspitze - stellen schließlich neben dem SPIEGEL und der FAZ auch die WELT und die ZEIT fest - habe für China selbst hohe Symbolkraft: “Aus Sicht der Chinesen”, so etwa die FAZ, “erobert ihr Land damit nur den ihm zustehenden Platz in der Geschichte zurück.”284

                                                                                                               

280  “China kauft ein”, FAZ, 22.06.2005.  

281  “Drache ohne Feuer”, FAZ, 13.07.2006.  

282  “China läßt die Muskeln spielen”, FAZ, 02.07.2005.  

283  “Der Sprung des Drachen”, SPIEGEL, 11.10.2004.  

284  “China läßt die Muskeln spielen”, FAZ, 02.07.2005.  

Der Wiederaufstieg Chinas zur wirtschaftlichen und technologischen Großmacht sollte zu globalen Umwälzungen führen, deren Folgen sich noch gar nicht abschätzen lassen - auch darin sind sich die Kommentatoren der o.g. Medien einig.

Im Zusammenspiel mit den anderen aufstrebenden Ländern Asiens - allen voran der zweitgrößten Milliardennation Indien - könnte China bald sowohl die wirtschaftlichen als auch die politischen Gravitationsverhältnisse auf dem Planeten entscheidend verändern.285 Im Gegensatz jedoch zur “größten Demokratie der Welt” Indien bietet das autoritär regierte China nach allgemeiner Ansicht der Kommentatoren besonderen Grund zur Besorgnis. Denn ob es um die weltweite Expansion seiner staatssubventionierten Unternehmen oder um die Sicherung von Rohstoffquellen durch seine staatsgelenkten Energiekonzerne geht - eine Trennung von Politik und Wirtschaft, wie sie im Westen proklamiert wird, kennt China doch nicht, bemerkt dazu die FAZ.286 Vielmehr nutze seine autoritäre Führung die neue weltpolitische Rolle, die ihr durch die wachsende Bedeutung ihrer Wirtschaft zugeteilt wird, um den zunehmenden Energiebedarf des boomenden Riesenreiches abzudecken - und zwar ohne Rücksicht auf Mensch und Umwelt, stellt neben der FAZ auch die WELT fest.287 Aber auch für die chinesischen Manager und Investoren, die in einem zentralistisch organisierten Planungssystem groß geworden sind, “hat es nichts Anrüchiges, alle gesellschaftlichen Mittel einzusetzen, die das Land seinen Zielen näher bringen” – konstatiert die FAZ noch dazu.288 Gefördert werde diese Haltung nicht zuletzt durch eine “patriotische Erziehung”, in deren Mittelpunkt das Ziel stehe, gegenüber dem Westen aufzuholen und “die Demütigung der Niederlagen aus der Kolonialzeit - und Jahrzehnte der Unterdrückung - wettzumachen”, bemerkt seinerseits der SPIEGEL.289 Es gilt daher - so der SPIEGEL weiter - für Chinas Außen- wie Innenpolitik: “bei seinem patriotischen Sprung in die Zukunft” habe alles andere - sei es das Wohl der eigenen Bevölkerung oder der anderen Nationen und der Welt – hinten anzustehen.290

                                                                                                               

285  Vgl. “Die Gewichte verschieben sich”, FAZ, 09.04.2005, “China und Indien”, FAZ, 13.04.2005.  

286  “Warnschuß aus China”, FAZ, 11.12.2004. Vgl. dazu “China läßt die Muskeln spielen”, FAZ, 02.07.2005.  

287  “Alles für die Grösse des chinesischen Vaterlandes”, FAZ, 15.07.2005, “Chinas Mega-Hunger auf Rohstoffe”, WELT, 31.01.2004, “Teurer Wettlauf”, WELT, 23.08.2005.  

288  “China läßt die Muskeln spielen”, FAZ, 02.07.2005.  

289  “Duell der Giganten”, SPIEGEL, 08.08.2005, “Die Hightech-Offensive”, SPIEGEL, 02.01.2006.  

290  “Billig, willig, ausgebeutet”, SPIEGEL , 30.05.2005.  

Kann aber Chinas Wirtschaftsaufstieg so unaufhaltsam weiter vor sich gehen? Sollte nicht auch die “asiatische Wachstumsstory” wie alle Wachstumsentwicklungen irgendwann ein Ende erreichen - bzw. zumindest ein langsameres Tempo einschlagen? Oder hat das Jahrhundert Asiens mit China im Mittelpunkt bereits begonnen? Wäre nicht damit auch der Abstieg der führenden Wirtschaftsmacht Amerika sowie des ganzen Westens unvermeidbar? Und was könnten die weltpolitischen Folgen dieser Kräfteverschiebung in der Weltwirtschaft sein? Würden Amerika und China in ihrer Rivalität um weltweiten ökonomischen Einfluss und die Sicherung von Energieressourcen auf eine Konfrontation steuern? Oder würde sich doch auf beiden Seiten aufgrund der gemeinsamen wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Interessen am Ende der Pragmatismus durchsetzen? Last but not least: Besteht noch Hoffnung, dass die aufstrebende Großmacht China eines Tages zu einem verlässlichen und verantwortungsvollen Partner in der Weltpolitik wird?

Diese Fragen durchziehen nahezu alle in diese Arbeit einbezogenen Kommentare aus der deutschen Presse, die sich in den Jahren 2002 bis 2007 mit den außenwirtschaftlichen und weltpolitischen Folgen des Aufstiegs Chinas befassen. Es handelt sich dabei um ein gutes Viertel der in dieser Arbeit erfassten Beiträge aus jener Zeit.291

2.2.1 Egoistischer Aufsteiger ohne Rücksicht auf die Welt

Mit zunehmendem Selbstbewusstsein ausgestattet und beflügelt vom Erfolg entwickelt sich der neue Global Player China - zumindest nach Darstellung der heimischen Presse - immer mehr zu einem problematischen Akteur der Weltwirtschaft und Weltpolitik. China erhebt Anspruch auf Großmachtstatus, sei jedoch - so die Ansicht der meisten Pressekommentatoren - weder willens noch in der Lage, auch die Verantwortung zu übernehmen, die auf eine Großmacht zufällt.

So wolle China zur globalen Handels- und Wirtschaftsmacht aufsteigen, ohne sich aber an die internationalen Regeln zu halten, die es beim Beitritt in die                                                                                                                

291  Genauer genommen sind das 93 von insgesamt 350 Titeln.  

Welthandelsorganisation akzeptiert hat. Aber auch in der Energie- und Umweltpolitik lässt das Land aus Sicht der deutschen Presse jegliches Verantwortungsbewusstsein vermissen. Zwar zeigen sich die politischen Führer Chinas zusehends bemüht, das Imageprofil eines verlässlichen und verantwortungsvollen Partners der Weltgemeinschaft aufzubauen - in Wahrheit verfolgen sie jedoch stets nur ihre eigene Interessenpolitik, ohne Rücksicht auf die übrige Welt zu nehmen. Das mag immer so gewesen sein - klagt die Presse in Deutschland an -, neu sei allerdings, dass sich China angesichts seiner wachsenden Bedeutung im Weltgeschehen eine solche Politik nicht mehr leisten kann.

Diese Kritik setzt bereits kurz nach der Aufnahme Chinas in die Welthandelsorganisation Ende 2001 ein. Zu dieser Zeit wird besonders darauf hingewiesen, dass China aufgrund seines rückständigen politischen Systems noch nicht einmal in der Lage ist, aus seiner Isolationshaltung zu den Problemen der übrigen Welt herauszukommen und internationale Verantwortung zu tragen. Allen voran die FAZ sieht Behäbigkeit und Überforderung in Chinas neuer Rolle in der internationalen Politik, die nicht zuletzt von seiner innenpolitischen Lage bedingt wird.

Noch zu Beginn 2002 bilanzierte das gleiche Blatt ein “wunderbares Jahr der Erfolge”, und zwar in Anbetracht sowohl des WTO-Beitritts als auch der außenpolitischen Wende Chinas gegenüber den USA nach den Terror-Anschlägen vom 11. September 2001 - dabei wird die chinesische Teilnahme an der internationalen Anti-Terror-Koalition als ein ganz neues Auftreten Chinas auf der internationalen Bühne bewertet, das von einer “aktiveren sowie sachlicheren”

Haltung zur internationalen Kooperation für den Abbau von Konflikten zeugen sollte.292 Nur einige Monate später stellt die FAZ vor dem Hintergrund eines neuen Führungswechsels in Peking ernüchternd fest: “Chinas Außenpolitik hinkt der internationalen Entwicklung nach.”293 Während etwa Indien und Pakistan am Rande einer kriegerischen Konfrontation stehen, zeige sich China “überrollt von den Ereignissen und abgelenkt von Führungsquerelen” und gebe “weder klare Stellungnahmen noch eigene Initiativen”. Ähnlich kommentiert die WELT anlässlich des offiziellen Amtsantritts der vierten Führungsgeneration der chinesischen                                                                                                                

292  “Chinas wunderbare Jahr der Erfolge”, FAZ, 20.01.2002.  

293  “Im Schatten des Führungswechsels”, FAZ, 06.06.2002.  

Kommunisten im Frühjahr 2003: “Seit dem 16. Parteitag inszeniert Chinas Führung den Generationswechsel (...) Man darf Peking zum gelungenen Machtwechsel gratulieren (...) Und doch fehlt China noch eine Menge, um ein verantwortlicher Partner der Weltgemeinschaft zu sein, der es so gerne sein möchte (...) Für das zwei Wochen tagende Parlament waren die Krisen der Welt kein Thema (...) Genauso, wie China seit 25 Jahren Wirtschaftsreformen betreibt, ohne sich an politische Reformen zu wagen, möchte das Land heute Teil der Weltwirtschaft werden, ohne die Risiken globaler Verantwortung zu übernehmen (...) Auch daran wird künftig gemessen, ob wir es mit einer modernen, weltoffenen Regierung zu tun haben.

Diese Wahl muss China erst noch treffen.”294

Die deutsche Pressekritik an der chinesischen Außenpolitik wird in den folgenden Jahren angesichts des stetig wachsenden Selbstbewusstseins Chinas auf dem internationalen Parkett allmählich schärfer. Die Pekinger Führung nutzt die steigende Bedeutung ihres Landes für die Weltwirtschaft, um die eigenen außenpolitischen Ziele durchzusetzen - kritisieren nun immer häufiger die Pressekommentatoren.

Damit werde eine Stärke nach außen getragen, die das aufstrebende Land immer unheimlicher erscheinen lasse, bemerkt mancher Kommentator. Gleich ob es um sicherheitspolitische Fragen geht, wie etwa die Taiwan-Frage; um Fragen der internationalen Handelspolitik, wie die - vor allem durch die westlichen Länder - als unlauter kritisierte Währungspolitik und der ebenso als unfair gebrandmarkte Umgang Chinas mit Patent- und Urheberrechten; oder um energie- und umweltpolitische Fragen, die den ganzen Globus beschäftigen - immer öfter demonstriert indes China nach Darstellung der deutschen Presse ein Machtbewusstsein, das jegliche Kritik und Forderungen von außen wirkungslos abprallen lässt. Dabei scheint Chinas politische Führung eine kalkulierte diplomatische Strategie zu verfolgen, die nur auf die eigenen wirtschaftlichen und geopolitischen Interessen abzielt, und zeigt sich nur dann bereit, nachzugeben, wenn dies doch den eigenen Interessen dient.

Allen voran der SPIEGEL zeigt mit seinem Titelthema “Der Sprung des Drachen” im Jahr 2004, wie unheimlich das neue Selbstbewusstsein der aufstrebenden Wirtschaftsmacht China etwa in Hinsicht auf die Taiwan-Frage allmählich wird: “Aber                                                                                                                

294  “Chinas neue Verantwortung: China wählt”, WELT, 17.03.2003.  

vorschreiben lässt sich die Volksrepublik ihre Agenda von keinem, schon gar nicht von Washington (...) Wie selbstbewusst, aber auch aggressiv und entschlossen Chinas Staatsführung an die Taiwan-Frage herangeht, erfuhr erst Anfang Juli Präsident Bushs Sicherheitsberaterin Condoleezza Rice in Peking. Man verurteile die neuesten Waffenverkäufe der USA an die “abtrünnige Provinz” aufs Schärfste, wurde sie belehrt. Schon ein Referendum der Politiker in Taipeh zur staatlichen Unabhängigkeit werde als “Kriegserklärung” aufgefasst und mit einem Angriff beantwortet (...) Japan und Südkorea halten bei solchen martialischen Gästen gegenüber der demokratisch legitimierten Regierung Taiwans still. Die wirtschaftliche Abhängigkeit beider Staaten, deren größter Handelspartner Peking inzwischen ist, erlaubt keinen offenen Zwist mit ihrem Riesennachbarn. Noch deutlicher gilt das für die kleineren Anrainerstaaten wie Burma, wo der Renminbi in manchen Grenzregionen inzwischen die zweite Landeswährung ist. Die Volksrepublik ist ohne Zweifel dabei, die zur bestimmenden Kraft Asiens zu werden. Eine gar nicht mehr heimliche Großmacht - und manchmal sogar eine unheimliche.”295

Auch bei seiner Währungspolitik zeige sich China zunehmend selbstbewusst und immer mehr resistent gegen jeglichen Druck von außen - bemerkt ihrerseits die FAZ anlässlich der leichten Aufwertung der chinesischen Währung “Renminbi” durch Chinas Zentralbank im Jahr 2005: “China hat einen Schritt auf die Industrienationen zu getan. Seit Jahren hatten in erster Linie Amerikaner und Japaner die Chinesen aufgefordert, den Yuan aufzuwerten, um so den Kostenvorteilen der chinesischen Produktion nicht auch noch einen unfairen Währungsvorteil auf dem Weltmarkt hinzuzufügen (...) Der Zeitpunkt der Aufwertung kam überraschend. Er musste es sein, da die Finanzmärkte anderes nicht zulassen. Der Schritt selbst war keineswegs eine Überraschung. Denn wie durch ein Brennglas zeigen die Aufwertung und ihre Umsetzung das Vorgehen Chinas bei allen wichtigen Themen: Peking handelt dann, wenn es für das eigene Land angemessen erscheint, und nur dann. Das Selbstbewusstsein Chinas verbietet es, auf Forderungen des Westens zu hören.”296

In dieser Hinsicht habe es auch keinen Sinn mehr, China als Entwicklungsland zu betrachten und über die weitere Leistung von Entwicklungshilfe zu versuchen, auf seine politische Führung einzuwirken - schreibt die FAZ im gleichen Jahr an die Adresse der deutschen Bundesregierung: “Über die Hilfsangebote glaubte man von außen Einfluss auf Peking auszuüben, ja es steuern zu können. Ein großer Irrtum,                                                                                                                

295  “Der Sprung des Drachen”, SPIEGEL, 11.10.2004.  

296  “Chinas Kalkül”, FAZ, 23.07.2005.  

wie sich inzwischen herausgestellt hat. Das beiderseitige Interesse an einem zwar stetig wachsenden, aber nicht zu starken China lässt sich nicht länger aufrechterhalten. Die viertgrößte Wirtschaftsnation muss in die Pflicht genommen werden. Peking kann nicht umhin, die Verantwortung zu übernehmen, die ihm gebührt. Der Rest der Welt aber muss akzeptieren, dass Peking ein ebenbürtiger Partner ist. Wenn auch ein Partner, der wohl auf Jahre instabil bleibt und dessen politisches System unwillkommen ist. Für beide Seiten brechen damit neue Zeiten an. Sie werden schwieriger als die vergangenen Jahre, denn einer Täuschung kann sich niemand mehr hingeben. China ist nicht länger Gast am Tisch der Mächtigen, es bleibt für immer.”297 Wie schwierig wiederum die aufstrebende Großmacht China als Partner sein kann, zeigt das gleiche Blatt in einem anderen Kommentar aus demselben Jahr: “Während sich China auf der Suche nach neuen Freunden, die auch Rohstofflieferanten sein können, nach alter Tradition höflich und bescheiden zeigt, demonstriert die neue chinesische Außenpolitik an anderer Stelle eine Stärke, die nicht davor zurückschreckt, auch ihre besten Freunde vor den Kopf zu stoßen, wenn seine Interessen es erfordern. Chinas entschiedene Ablehnung des G-4-Vorschlages zur UN-Reform war ein Affront gegen die deutsche Regierung, der Peking lange Zeit größte Sympathie für eine "größere Rolle Deutschlands in den UN"

versichert hatte.”298

Die Klagen der deutschen Presse über Chinas Eigeninteressenpolitik werden in den Jahren 2006-07 immer lauter. Im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stehen nun die Themen “Produktpiraterie und Technologietransfer” sowie “Energie und Umwelt”. So kommentiert die FAZ im Herbst 2006 unter dem Titel “Chinas einziger Maßstab ist sein eigenes Wohl”: “Vier Jahre nach dem Beitritt zur Welthandelsorganisation beherrscht China die Klaviatur von Annäherung und Abschottung, von Zugeständnis und Drohung nahezu perfekt (...) Es übernimmt gerade so viel Verantwortung, wie die Weltgemeinschaft von ihm erwartet, und arbeitet so lange wie möglich ungestört von der internationalen Gemeinschaft daran, die eigenen Vorteile zu heben (...) Zwar zelebriert sie das Ende der Produktpiraterie wie jüngst beim Schließen des Fälschermarktes in Schanghai. Doch lassen sich die billigen, unechten Louis-Vuitton-Taschen nun ein paar Straßen weiter erstehen. Aus europäischer Sicht unlautere Mittel setzt China in der Absicherung mit Rohstoffen ein. Peking ist gut Freund mit den Diktatoren dieser Welt, sei es in Burma oder Afrika, wenn es Öl, Holz, Gas oder Kohle bekommt. Nebenbei konterkariert das Land die westliche Entwicklungspolitik,                                                                                                                

297  “Zwei Gesichter Chinas”, FAZ, 29.10.2005.  

298  “Alles für die Grösse des chinesischen Vaterlandes”, FAZ, 15.07.2005.  

Im Dokument China in den Medien (Seite 102-127)