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inter-41 pretieren, auf die sie mit Widerstand oder dem minimalistischen Abarbeiten einer lästigen Dienstpflicht reagierten.

Bei allen inhaltlichen Unterschieden dieser drei Studien zeigen sich zwischen ihnen bemerkenswerte Gemeinsamkeiten: Offenbar stabilisiert die administrative Auffor-derung zur Reform den Status quo statt ihn zu überwinden. Zwar wird der Reform-aufgabe – formal (Heinrich), intentional (Dammer) oder partiell (Schröck) – zunächst entsprochen, doch ist nach einer vorübergehenden Irritation eine Rückbesinnung auf die bestehende und altbewährte Praxis festzustellen. Wenn die Idee (zuweilen bloß schon ihre Ankündigung) Irritationen und Unsicherheiten auslöst, dann führt dies nicht zu einer Transformation bzw. zu einer Emergenz von Neuem, sondern zu einer Rückkehr zum Zustand früherer Stabilität. Mit diesem Rückgriff auf das Altbewährte wird die Reformidee geopfert. Die anfängliche Krise wird sogleich unterbunden, um die alte "Sicherheit und Ordnung“ wieder herzustellen. Die Lehrer tun dies, obwohl sie sich mit der Rückkehr zum Altbewährten zugleich für die weniger gute pädagogi-sche Praxis entpädagogi-scheiden und damit bewusst den Schülern die bessere Pädagogik vor-enthalten.

Dieser „Reflex“ kann als eine Krisenabwehr verstanden werden. Damit geht einher, dass die Lehrer sich in ihren Entscheidungen nicht primär von pädagogischen Motiven leiten lassen, sondern davon, eigene Interessen zu wahren. Ihnen die morali-sche Integrität abzusprechen ist aber nicht zulässig. Frieds Befunde zeigen nämlich, dass hinter dem reformerischen Wollen ein Nicht-Können im Sinne einer selbstrefle-xiven Blindheit steht. So verweist die Art und Weise der Auseinandersetzung der Lehrer mit der Reformaufgabe auf ihre Vorstellung, man könne die Institution ver-ändern, ohne dass sich das Personal selbst auch als Teil der Veränderung begreift.

Vor diesem Hintergrund liegt die Vermutung nahe, dass Lehrer ein reduziertes Ver-ständnis von Reformprozessen haben. Es ist also weniger von einem moralischen Defizit der Lehrer, sondern vor allem von einem Problem beruflicher Identifikation auszugehen. Vor diesem Hintergrund ist nochmals auf den gesellschaftlichen Para-digmenwechsel hinzuweisen (vgl. Seite 2 dieser Studie): Die unzureichende Leistung der Schüler wird nicht mehr allein ihnen selbst, sondern inzwischen auch der Schule und ihrem lehrenden Personal zugeschrieben. Setzt sich aber – wie hier gezeigt wur-de – ein reduziertes Reformverständnis durch, bei wur-dem eine Neubestimmung wur-des

42 eigenen Selbstverständnisses der Lehrer nicht inbegriffen ist, dann folgt daraus ein Konflikt zwischen Reformer und Reformgegenstand, der zu einem Scheitern der Re-form und zu einer Festigung der Krise führt.

Daher ist die Krise der Institution zugleich eine der Lehrer – und zwar unabhängig davon, ob die Lehrer sich ihres eigenen „blinden Flecks“ bewusst sind oder nicht.

Das deutet sich anhand der referierten Studien auch dadurch an, dass Lehrern die konstruktive Wendung der Krise – sowohl reflexiv, intentional wie auch pragmatisch – nicht gelingt. Die Distanz zur Sache der Pädagogik deutet außerdem darauf hin, dass sich die Krise der Lehrer nicht allein auf ihre Rolle als Reformer ihrer Schule, sondern generell auf ihre professionelle Identifikation bezieht. Denn die Reformde-batte ist durch einen hohen Grad der Selbstreferenzialität gekennzeichnet. Damit geht einher, dass sie keine diskursive Anbindung an originär pädagogische Fragen auf-weist. Primär geht es um die verunsicherte Identität der Lehrer in Bezug auf deren Individualität, Autonomie und Parität und damit um Fragen ihrer formalen Bezie-hungen zu Vorgesetzten und Kollegen. Diejenigen Studien, die sich implizit oder explizit auf die Frage der Autonomie und die Parität der Lehrer beziehen, lassen sich lesen wie ein Beziehungsstreit, in dem Lehrer ihr Verhältnis zu Kollegen, Vorgesetz-ten und übergeordneVorgesetz-ten Dienststellen reflektieren, dabei aber die Relevanz ihrer Einwände oder Problematisierungen nicht auf den Gegenstand der Pädagogik bezie-hen. Die Reaktion von Lehrern, die administrativ verordnete Schulprogrammarbeit als eine Abwertung des bisherigen reformerischen Ertrags zu verstehen, verweist auf eine Kränkung der Akteure, weil man ihnen von übergeordneter Stelle die Anerken-nung für die bisher erbrachten Leistungen vorenthält, von der sie meinen, sie stehe ihnen zu. Das deutet darauf hin, dass die Krise der Lehrer nicht allein eine rational-sachliche Dimension, sondern auch eine psychologische umfasst. Das erklärt mög-licherweise das zuweilen diffuse Verhalten der Akteure, die ihre Positionierung in dem Reformprozess suchen, aber nicht so recht finden und denen deshalb die kon-struktive Wendung der Krise nicht gelingt.

Es ist festzustellen, dass über einzelne Fallstudien hinaus wir kaum etwas über die Reformpraxis des einzelnen Lehrers im Kontext struktureller Paradoxien, Verstrickungen oder Spannungsfelder wissen. Allein die Beliebigkeit dieser Begriffe verweist darauf, dass die Forschung den Komplex reformierender Lehrer noch nicht

43 hinreichend beleuchtet hat. So bleibt in der Debatte beispielsweise unaufgeklärt, wa-rum Lehrer nicht eine höhere Vernunft walten lassen, indem sie sich im Interesse der Pädagogik souverän von dem Ressourcenproblem emanzipieren. Es wird ebenfalls nicht verständlich, warum der Autonomiekonflikt die Reformarbeit verhindert, ob-wohl Reformen auch im Rahmen der bestehenden Verfügungsrechte realisiert wer-den können. Und man versteht auch nicht, warum Lehrer dazu geneigt sind, die Probleme ihrer pädagogischen Praxis zu externalisieren, statt sie zu reflektieren oder gar zu lösen. Und mit dem Verweis auf das Interesse der Aufrechterhaltung berufli-cher Identifikation oder auf die Wahrung professioneller Autonomie ist eher auf das Motiv der Krisenabwehr verwiesen, nicht aber über den Grund der Krise aufgeklärt.

Der Grund für die bisher unzureichende Aufklärung über Lehrer als Reformer ihrer Schule und ihr krisenhaftes Handeln im Kontext von Reformen könnte vor al-lem darin zu sehen sein, dass jene Phänomene, die diffus als Spannungsfelder, Ver-knotungen, Widersprüche oder Dilemmata bezeichnet werden, keine theoretische Fundierung haben. So schrieb Terhart bereits im Jahre 1986: „Die Arbeit am Bau theoretischer Modelle kommt den empirischen Erscheinungen nicht nach bzw. kann sie nur als „Widersprüche“ oder als „Rollenkonflikte“ notdürftig mit Etiketten verse-hen, da sie durch die dichotome Aufbereitung der Problematik einer Selbstfixierung unterliegt“ (Terhart 1986: 210). Terhart kritisierte die damalige Diskussion als sterile Modellkontrastierung, die erst noch empirisch zu untermauern sei (vgl. Wenzel 2008: 28). Die Forderung nach empirischer Untermauerung strukturfunktionaler Pa-radoxien ist also bald 25 Jahre alt. Und noch immer – das wurde oben bereits darge-legt – ist im Hinblick auf die empirischen Befunde eine recht nüchterne Bilanz zu ziehen. Die Beliebigkeit der Begriffe, die in der Reformdebatte festzustellen ist, ver-weist auf eben jene Kritik Terharts, die Sachverhalte würden notdürftig mit Etiketten versehen. Und so sind auch die individuellen Verarbeitungsmuster einer durch Re-formen induzierten Krise bisher nur ansatzweise systematisch erschlossen worden.

Über den einzelnen Lehrer in der Rolle als Reformer – über seine individuellen Ein-stellungen, Motivationen und Deutungsmuster – wissen wir noch immer außeror-dentlich wenig. Seitdem Söll dieses Defizit bereits im Jahre 2002 konstatierte (s.o.), hat sich daran nichts Grundlegendes geändert.

44 Mit Dammers Studie erhalten wir zwar aufschlussreiche mikrologische Ein-blicke über Einstellungen, Präferenzen und Motive von Lehrern im Kontext reforme-rischen Bemühens. Doch räumt Dammer selbst ein, dass es fraglich sei, ob man die Ergebnisse der Fallstudie verallgemeinern könne, da sie spezifisch auf das konkrete Projekt bezogen seien.

Gleichwohl wird mit dieser Studie ein grundlegendes methodologisches Problem erkennbar, das bisher in der Literatur kaum beachtet wurde. In Anlehnung an von Engelhardt meint er:

„Die Ansätze zur Analyse des Lehrerberufs lassen sich, stark vereinfacht, in zwei Gruppen einteilen. Die eine analysiert die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, also den Zusam-menhang zwischen Sozial- und Schulsystem und seine Folgen für den Beruf, sowie das organisatorische Gefüge, in das Schule und Lehrer eingebettet sind, als ausschlaggebende Faktoren für das Lehrerhandeln. Die andere Gruppe betont demgegenüber die konkreten schulischen Arbeitsbedingungen, das pädagogische und administrative Handeln der Lehrer oder die Person des Lehrers. Beide Richtungen stehen in der Gefahr, die Professionalitäts-frage einseitig zu akzentuieren (v. Engelhardt, S. 355 ff). Die erstgenannte Tendenz leistet der Vorstellung Vorschub, die Lehrer seien den äußeren, gesellschaftlichen und administra-tiven Überformungen ihrer Arbeit mehr oder minder machtlos ausgeliefert und könnten bestenfalls darauf reagieren, ohne eigene Gestaltungsmöglichkeiten zu haben; die zweite Tendenz betont demgegenüber zu stark die Persönlichkeit und das individuelle Handlungs-umfeld des Lehrers und ist so geneigt, das Problem individualistisch zu verkürzen, also den einzelnen Pädagogen einseitig die Verantwortung für die Gestaltung und den Erfolg oder Mißerfolg ihrer Arbeit zuzuschreiben. Da jeder dieser Ansätze zu im einzelnen richtigen Erkenntnissen geführt habe, schlägt v. Engelhardt vor, sie durch eine handlungstheoretische Perspektive zu vermitteln, die nicht von den vorgegebenen Bedingungen abstrahiert, son-dern sie als Problemkonstellationen auffasst, die von den einzelnen Lehrern aus ihrer jewei-ligen schulischen und persönlichen Situation heraus zu interpretieren sind, wobei es keine im vorhinein eindeutig definierten Muster bzw. Lösungswege gebe: ‚Erst aus den von den Pädagogen durchzuführenden Deutungsleistungen und Handlungsprozessen ergibt sich eine sozial relevante Strukturierung der Arbeitssituation des Lehrers’ (v. Engelhardt, S. 358).“

(Dammer 1997: 109 f)

Beispielhaft sei in diesem Zusammenhang auf eine Studie von Altrichter/Eder ver-wiesen, die zeigten, welche Differenzen zwischen dem Autonomie-Paritäts-Muster einerseits und seiner empirischen Überprüfung am konkreten Einzelfall andererseits bestehen. Diese Differenz zwischen Theorie und Empirie wird auch dann besonders deutlich, wenn man einzelne Schulen und ihre jeweiligen Akteure miteinander ver-gleicht und zu dem Ergebnis kommt, dass trotz gemeinsamer struktureller Rahmen-bedingungen erhebliche Qualitätsunterschiede in der (Reform-) Praxis einer einzel-nen Schule festzustellen sind. Erinnert sei zudem an Studien, die deutlich machten, dass innerhalb eines strukturfunktionalen Bildungssystems schulformspezifische Identitäten erkennbar werden, hinter denen sich offenbar kaum erforschte Spezifika des lehrenden Personals verbergen. Die Tatsache, dass die Schulprogrammarbeit in

45 den von Arnold et al. untersuchten Schulen in so unterschiedlicher Weise aufgefasst wurde, verweist in Abhängigkeit von den jeweiligen Lehrkräften auf einen spezifi-schen Modus der Kriseninduktion durch Schulprogrammarbeit. Zugleich wird das in dem Zitat dargelegte Problem deutlich, dass die Spezifika einer Schule und ihres Personals nur bedingt nachvollzogen werden können, wenn sie nicht auch struktur- bzw. handlungstheoretisch reflektiert werden.