Teil 2: Die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen
4 Die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen
4.1 Entstehung und Entwicklung der Gemeinschaftsaufgabe
Die Gemeinschaftsaufgabe wurde 1969 in Art. 91a GG „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ institutionalisiert und trat am 1. Januar 1970 in Kraft.94 Sie ist aus dem Interministeriellen Ausschuß für regionale Wirt-schaftspolitik (IMNOS)95 und den sogenannten Regionalen Aktionsprogram-men hervorgegangen und wurde in Art. 91a GG institutionalisiert. Um die Situation in den Notstandsgebieten, ab 1953 auch im Zonenrandgebiet, nach dem Zweiten Weltkrieg in der Bundesrepublik zu verbessern, wurden ab 1950 durch den IMNOS Maßnahmen sowohl zur passiven Sanierung (Um-siedlungsprogramme) als auch zur aktiven Sanierung (Kredite für gewerbli-che Investitionen, Infrastrukturausbau) implementiert.96 In der Zeit von 1950 bis 1967 wurden dafür ca. 2 Mrd. bereitgestellt, wovon ca. drei Viertel für In-frastrukturmaßnahmen und ca. ein Viertel für direkte Ansiedlungs- sowie Er-weiterungsförderung verausgabt wurden.97
Die vordringlichste Aufgabe der Regionalpolitik bzw. der regionalen Förde-rung war zunächst die „VerbesseFörde-rung der Situation in den kriegsbedingten Notstandsgebieten“ (van Suntum 1981: 19) sowie die Schaffung außerland-wirtschaftlicher Arbeitsplätze im ländlichen Raum, um den Zuwanderungs-druck auf die noch nicht wieder aufgebauten Städte zu lindern.98 Charakteri-stisch und gleichzeitig problematisch war das Verflechtungsmuster von Bund und Ländern bei der Gestaltung und Durchführung der regionalen Förderpro-gramme. Zwar schlugen die Länder die jeweiligen Programme vor, die Bewil-ligung der Mittel erfolgte jedoch ausschließlich über den Bund. Die Aufforde-rung des Bundes, zusätzlich zu den Bundesmitteln eigene Haushaltsmittel
94 Gesetz über die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“
(GRW) vom 6.10.1969, BGBl. I, S. 1861.
95 Ursprünglich „Interministerieller Ausschuß für Notstandsgebietsfragen“, Umbenennung 1960. Diese Umbenennung wertet Hansmeyer (1968: 56) als Hinweis darauf, „daß sich das Aufgabengebiet zu einer umfassenden Regionalpolitik hin verlagert hat.“
96 Vgl. van Suntum (1981: 19).
97 Vgl. Albert (1970: 241 und 253).
98 Vgl. auch Reissert & Schnabel (1976: 76).
einzusetzen, konnte jedoch nicht kontrolliert werden. Vielmehr bildete sich eine Vielzahl landeseigener Programme heraus, die sich von den Bundes-programmen unterschieden, so daß „Bundes- und Landesmittel ... weit-gehend unkoordiniert vergeben“ wurden (Reissert & Schnabel 1976: 77).
In Reaktion auf die Rezession 1966/67 und im Zusammenhang mit der Fi-nanzreform Mitte der 60er Jahre veränderte sich das Verflechtungsmuster grundlegend. Die Bestrebungen zur Vereinheitlichung der regionalen Wirt-schaftspolitik und das Erkennen des engen Zusammenhangs zwischen Sektoral- und Regionalpolitik99 führten 1968 zur Erarbeitung eines neuen Konzepts der Regionalförderung, den sogenannten Regionalen Aktionspro-grammen. Mit Hilfe dieser Programme wurden einheitliche Maßstäbe für das Fördersystem gesetzt und ein Katalog der zu fördernden Maßnahmen ent-wickelt. Dadurch sollte „eine einheitliche Förderung durch Bund und Länder erfolgen“ (Reissert & Schnabel 1976: 79). In bilateralen Verhandlungen wur-den bis 1971 insgesamt 21 Förderprogramme erarbeitet und damit alle För-dergebiete in der Bundesrepublik erfaßt.100 Die Abgrenzung der Fördergebie-te „erfolgFördergebie-te allerdings weniger aufgrund genauer AbgrenzungskriFördergebie-terien, son-dern ‚mehr auf pragmatischem Wege ... , ohne daß eine große Abgren-zungsdiskussion stattfand‘“ – so Reissert & Schnabel (1976: 79).
Weitere Veränderungen betrafen sowohl die Ziele, die mit Hilfe der Förder-programme erreicht werden sollten, als auch die Art der Förderung. Es muß-ten nun quantifizierte Zielvorstellungen der Förderpolitik angegeben werden, d.h. Angaben über die Zahl der durch die Maßnahme zu schaffenden und zu sichernden Arbeitsplätze. Die Kreditförderung wurde in eine Zuschußförde-rung umgewandelt, die gemeinsam von Bund und Land vergeben wurde und das Fördervolumen deutlich erhöht. Neu eingeführt wurde das Prinzip der Förderung von Schwerpunktorten, wonach die Förderung auf Einzugsgebiete
99 Dies wurde vor allem durch die Probleme in den Montangebieten deutlich, die zunächst
„primär (als) sektorale Probleme ohne nähere Beziehung zur regionalen Strukturpolitik ver-standen und verarbeitet“ wurden (Reissert & Schnabel 1976: 77).
100 Das erste Regionale Aktionsprogramm wurde am 10.2.1969 für das Eifel-Hunsrück-Gebiet verabschiedet, das 21. und letzte im Mai 1971 für das nördliche Ruhrgebiet (vgl. Mül-ler 1973: 11; Reissert & Schnabel 1976: 79).
mit maximal 20 000 Einwohnern beschränkt wurde. Die Fördersätze lagen bei Errichtungs- und Erweiterungsinvestitionen zwischen 10% und 25% der Investitionssumme. Im Gegensatz zum Steinkohlegesetz von 1968 bestand für gewerbliche Produktionsbetriebe jedoch kein Rechtsanspruch auf Förde-rung durch die Regionalen Aktionsprogramme. Die vereinheitlichten Förder-konditionen wurden 1969 im Investitionszulagengesetz (InvZulG) geregelt.
Die Regionalen Aktionsprogramme bildeten die Grundlage der noch heute gültigen Form der regionalen Wirtschaftsförderung, auch wenn durch die Gemeinschaftsaufgabe das Handlungssystem von Bund und Ländern bei der Regionalförderung erheblich verändert wurde: Anstelle des bilateralen Ent-scheidungssystems trat in Form des sogenannten Planungsausschusses ein multilaterales, dessen Hauptaufgabe die Erstellung und Verabschiedung des Rahmenplans ist (vgl. Reissert & Schnabel 1976: 82).
Die institutionelle und instrumentelle Ausgestaltung der Gemeinschaftsauf-gabe war seit dem ersten Rahmenplan101 bis zur Vereinigung weitgehend unverändert geblieben, obwohl sich die regionale Wirtschaftspolitik vor allem in den 80er Jahren deutlich gewandelt hat. Ursächlich hierfür – so Nägele (1996: 136ff) – sind zum einen die Entstehungsbedingungen der Gemein-schaftsaufgabe, zum anderen ihre spezifischen Funktionsbedingungen sowie die ungesicherten Wirkungsmuster der regionalen Wirtschaftsförderung. Ne-ben geringfügigen Änderungen hat sich allerdings der Kreis der Akteure um einen externen Akteur in Gestalt der Generaldirektion IV der EG-Kommission, zuständig für die Wettbewerbskontrolle, erweitert. Besonders einflußreich ist die EU durch die Vorgabe eines Fördergebietplafonds und durch die von ihr ausgeübte Beihilfenkontrolle (vgl. Nägele 1996: 138).
Sowohl die vereinigungsbedingten Veränderungen als auch der zunehmende Einfluß der EU auf die regionale Wirtschaftspolitik und damit die Gemein-schaftsaufgabe haben zu einer Reform der GemeinGemein-schaftsaufgabe geführt.
Die Reform ist darauf gerichtet, einen wesentlichen Beitrag zur
101 Zur Erläuterung des Rahmenplans vgl. Kapitel 4.3.
führung der – durch die bevorzugte Behandlung der neuen Länder – zwei-gleisigen Förderpolitik in den alten und neuen Ländern zu leisten.
Die Reform der Gemeinschaftsaufgabe verfolgte drei Ziele: Veränderung der Fördertatbestände (Vereinfachung und Erweiterung der Fördertatbestän-de),102 Neuordnung des Präferenzsystems (Streichung der Schwerpunktorte, höhere Fördersätze für klein- und mittelständische Unternehmen, Neurege-lung der Infrastrukturförderung) und Schaffung einer bundeseinheitlichen Förderkulisse (Festsetzung einer gesamtdeutschen Neuabgrenzung der För-dergebiete, Veränderung des Modus zur Mittelverteilung).
Im 24. Rahmenplan der Gemeinschaftsaufgabe wurden die beiden erstge-nannten Schwerpunkte verwirklicht, im 25. Rahmenplan die Fördergebiete nach einem neuen Konzept abgegrenzt.103 Die Kritik, die bei der Reformdis-kussion von den benachbarten Ressorts wie z.B. Mittelstands-, Raumord-nungs- oder Forschungs- und Technologiepolitik vorgebracht wurde – so die Einschätzung von Tetsch (1994: 332), der als Beauftragter der Bundesregie-rung involviert war –, schien weitgehend durch Ressortegoismen geleitet und weniger an dem Instrument selbst orientiert zu sein. Allerdings sei an dieser Stelle in Erinnerung gerufen, daß sich weder die Befürworter noch die Geg-ner der Gemeinschaftsaufgabe auf gesicherte Wirkungsmuster der regiona-len Wirtschaftsförderung stützen können, so daß letztlich auch die Befürwor-tung der Gemeinschaftsaufgabe „nur“ durch Ressortegoismen getragen wird.
Folgt man Nägele (1996: 313ff), dann ist die Entwicklung der Gemein-schaftsaufgabe zum einen davon abhängig, wie sich die Bewertung räumli-cher Disparitäten und der künftige Umgang mit dem Gleichwertigkeitsleitbild als wichtigster Legitimation des regionalpolitischen Engagement des Bundes entwickeln werden. Zum anderen kommt der institutionellen Entwicklung der Gemeinschaftsaufgabe, d.h. der Neuorganisation der Fördergebietsabgren-zung und der Mittelverteilung, eine wichtige Rolle zu. Weiter betont er, es sei
102 Ersatzlose Streichung der besonderen Investitionsförderung bei der Schaffung hochwerti-ger Arbeitsplätze, Verzicht auf die Unterscheidung zwischen Errichtungs-, Erweiterungs-, Rationalisierungs-, Umstellungs- und Verlagerungsinvestition und Aufnahme nicht-investiver Maßnahmen in das Regelwerk der Gemeinschaftsaufgabe (vgl. 24. Rahmenplan 1995).
103 In Kapitel 4.4 werde ich mich dem Abgrenzungsverfahren ausführlich widmen.
von elementarer Bedeutung, daß wie bisher möglichst alle Länder an der Gemeinschaftsaufgabe partizipieren. Und last but not least sei die weitere Entwicklung der Gemeinschaftsaufgabe von anderen Politiken wie z.B. der sektoralen Strukturpolitik, der Wettbewerbspolitik oder der Regionalpolitik der Europäischen Gemeinschaft abhängig, da diese und andere seit den 70er Jahren zu Lasten der Gemeinschaftsaufgabe zunehmend an Bedeutung ge-winnen. Trotz aller Kritik, Schwächen und Bedenken weist Nägele (1996:
315) darauf hin, daß bislang „keine praktikablen Alternativen zur GRW er-kennbar (sind und darüber hinaus [K.C.]) die GRW eine gewisse ‚Bollwerk-funktion‘ gegenüber der Europäischen Gemeinschaft“ hat.104