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Regierungswechsel und Sparmaßnahmen – der Untersuchungszeitraum

1. Spanien und sein Kulturbetrieb

1.4 Krisenjahre. Chronologie der jüngsten Ereignisse

1.4.2 Regierungswechsel und Sparmaßnahmen – der Untersuchungszeitraum

„größte Sozialabbau seit Bestehen der spanischen Demokratie“.181 Dieser umfasst un-ter anderem Gehaltskürzungen im öffentlichen Dienst, das Einfrieren der Renten, Wegfall der Sonderhilfe für Langzeitarbeitslose und die Streichung des Kindergelds.182 Nachdem sie bereits bei den Regional- und Kommunalwahlen im Mai 2011 emp-findliche Verluste erleidet, sieht die Regierung die einzige Möglichkeit für eine Be-ruhigung der Märkte in vorgezogenen Neuwahlen, die für den 20. November 2011 angesetzt werden. Das Aus der sozialistischen Regierung gilt zu diesem Zeitpunkt bereits als sicher.183

spanische Staatsanleihen kaum Käufer und wenn, dann nur für horrende Zinsen von bis zu 7,5 Prozent.188 Weil die Wirtschaft ebenfalls schrumpft, steigen die Verbind-lichkeiten relational zum BIP im Vergleich zu den Vorjahren sogar an. Lag die Neu-verschuldung im Vorjahr noch bei 69,1 Prozent des BIP steigt sie 2012 auf 84,1 Pro-zent. Die Wirtschaftskrise weitet sich zur Staatsschuldenkrise aus und erfasst auch die Banken. Im Juni 2012 gibt die Regierung bekannt, Milliarden-Hilfen der EU zur Rettung der angeschlagen Finanzinstitute in Anspruch nehmen zu müssen und bean-tragt diese ein halbes Jahr später aus dem Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM).

Die Bewilligung von 100 Milliarden Euro – von denen die Regierung schließlich 40 Milliarden in Anspruch nimmt – erfolgt allerdings unter der Bedingung weiterer Sparmaßnahmen.189 Noch vor Ablauf des Jahres wird jedoch deutlich, dass man das von der EU geforderte Defizitziel von 6,3 Prozent Neuverschuldung verfehlen wird.190

Die Konflikte für die Regierung spitzen sich in dieser Zeit zu: Einerseits wer-fen die europäischen Partner Rajoy ein zu zögerliches Verhalten bei der Beantragung der EU-Hilfen vor, was die Märkte nur weiter verunsichere;191 andererseits führen die immer neuen Sparprogramme – die geplanten Einsparungen belaufen sich Ende 2012 bereits auf 40 Milliarden Euro – verstärkt zu Unruhen in der Bevölkerung: Die Ge-werkschaften kündigen einen „heißen Herbst“192 an, den ganzen Sommer über kommt es zu Massendemonstrationen gegen die Politik der Regierung. Zudem flammen separatistische Forderungen vor allem im hoch verschuldeten, aber konjunk-turell starken Katalonien auf.193

Zwar stabilisiert sich der Finanzsektor in den folgenden Monaten und Spanien kündigt Ende 2013 an, den europäischen Rettungsschirm wieder zu verlassen, aber die Sparmaßnahmen können nicht verhindern, dass die Staatsverschuldung weiter bis

188 Vgl. S. Schultz/DPA/Reuters, Auktion von Staatsanleihen: Spanien muss für Schulden Rekordzinsen zahlen, in: Spiegel Online vom 21.06.2012.

189 Vgl. S. Kaiser/Reuters, Rettungsfonds ESM: Spanien will Banken mit 40 Milliarden Euro retten, in:

Spiegel Online vom 12.03.2012. Darüber hinaus wird das Institut Bankia, das erst 2010 durch einen Zusammenschluss von sieben Sparkassen entstanden war, verstaatlicht. Mit Verlusten von 19,2 Milliar-den Euro war diese maßgeblich dafür verantwortlich, „dass die viertgrößte Euro-Volkswirtschaft […]

Hilfsgelder aus dem europäischen Rettungsfonds beantragen musste“ (A.-L. Roth/Reuters, Spanische Krisenbank: Bankia bekommt wieder Geld am Kapitalmarkt, in: Spiegel Online vom 09.01.2014)

190 Vgl. C. Briseño/Reuters, Spanien: Regierungschef räumt Probleme bei Defizitziel ein, in: Spiegel Online vom 12.02.2012.

191 C. Volkery, Spanien unterm Rettungsschirm: Die 100-Milliarden-Beruhigungsspritze, in: Spiegel Online vom 06.09.2012.

192 V. Gutiérrez Calvo, La gran marcha sobre Madrid abre un otoño sindical caliente, in: EL PAÍS vom 15.09.2012.

193 Vgl. S. Kaiser, Sparpaket: Spaniens Regierung riskiert den Volksaufstand, in: Spiegel Online vom 27.09.2012.

auf 91,4 Prozent des BIP steigt – bei einem von der EU festgelegten Grenzwert von 60 Prozent.194 Grund für zurückhaltenden Optimismus in der ersten Jahreshälfte 2014 liefert allein der sanierte Bankensektor, dessen einstige Sorgenkinder, wie Bankia und Banco Santander, erstmals wieder Gewinne erzielen und so spanischen Unternehmen günstigere Investitionen ermöglichen. Auch die Binnennachfrage verbesserte sich leicht, sodass die spanische Konjunktur im ersten Quartal ein minimales Wachstum von 0,2 Prozent vorweisen konnte.195 Diese Entwicklung soll durch ein erst kürzlich vorgestelltes Konjunkturprogramm weiter forciert werden, denn nach wie vor hat sich die Situation für weite Teile der Bevölkerung nicht entspannt. Die Zahl der Er-werbslosen ist nach dem Rekordniveau von 2013 (27 %) kaum zurückgegangen.

Auch 2014 ist mehr als jeder vierte erwerbsfähige Spanier ohne Arbeit. Besonderes gravierend ist das Problem bei der Bevölkerung unter 30 Jahren. Mittlerweile ist die Jugendarbeitslosigkeit bis auf 54 Prozent angestiegen.196 Immer häufiger ist die Rede von einer Generación Cero.197

Der Zeitraum von der Wahl am 20. November 2011 bis zum 31. Mai 2014 bildet den Rahmen für die folgende Untersuchung. In dieser Phase sind bedingt durch die Eurokrise wesentliche Umbrüche für den spanischen Kulturbetrieb zu er-warten. Anzunehmen sind Entwicklungen angesichts einer Verknappung der finanzi-ellen Mittel – zum einen durch Einsparungen und zum anderen durch etwaige Steu-ererhöhungen, die den Kultursektor betreffen –, die sich sowohl in kulturpolitischen Umstrukturierungen niederschlagen als auch in Qualität und Quantität des kulturellen Angebots. Schließlich betreffen die bereits zu Beginn der Regierungszeit beschlosse-nen Etatkürzungen der einzelbeschlosse-nen Ministerien auch das Budget für das neu geschaffene Ministerium für Bildung, Kultur und Sport.

Die Verringerung der Ministerien von 15 auf 13 ist indes eine der ersten durchgeführten Sparmaßnahmen und hat eine erneute – und die bislang letzte – Um-strukturierung des Kulturministeriums zur Folge. Der Zusammenschluss mit den Res-sorts Bildung und Sport in Zeiten der wirtschaftlichen Krise folgt dabei zwar offiziell dem Argument der Verschlankung des Verwaltungsapparats und damit der

194 Vgl. DPA/Reuters, Euro-Krise: Spaniens Schulden erreichen Rekordwert, in: Zeit Online vom 14.06.2013.

195 F. Diekmann u. a., Aufschwung: Spaniens Wachstum erreicht Vorkrisenniveau, in: Spiegel Online vom 24.04.2014.

196 Stand: Mai 2014, Statista 2014, EU - Jugendarbeitslosenquoten in den Mitgliedsstaaten 2014 | Sta-tistik, online unter: Statista,

http://de.statista.com/statistik/daten/studie/74795/umfrage/jugendarbeitslosigkeit-in-europa/

(Stand: 17.07.2014; Abruf: 17.07.2014).

197 Vgl. Y. El-Sharif, Fotoreportage: Spaniens Generation Cero, in: Spiegel Online vom 06.07.2013.

duzierung, unterstützt aber auch die strategische Zentralisierungstendenzen der kon-servativen Regierungspolitik.198 Um die krisenbedingten Entwicklungen und Maß-nahmen verdeutlichen und bewerten zu können, soll in der Folge das aktuelle kultur-politische System skizziert werden. Die Schilderungen folgen dabei in weiten Teilen der aktuellen und umfassenden Darstellung von Villarroya und Ateca-Amestoy.

1.5 Das aktuelle kulturpolitische System