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Reflexionen zum China-Modell

Im Dokument China in den Medien (Seite 150-158)

2. Das System erstarkt: China bedroht die ganze Welt

2.4 Reflexionen zum China-Modell

“Unterhalb der kommunistischen Kaderdecke verändern Manager und Unternehmer, Ingenieure und Architekten, Künstler und Modedesigner das Land. Sie sorgen dafür, dass China längst nicht mehr das ist, was viele im Westen von weitem noch immer wahrnehmen: eine Werkbank für die Welt, betrieben von einer ausbeuterischen Allianz westlicher Kapitalisten und östlicher Kommunisten. In Wirklichkeit erlebt China eine Erneuerung auf vielen Ebenen. Bei genauem Hinsehen kommen nicht nur Billiglöhne zutage, sondern auch neue Effizienzbegriffe jenseits des kurzfristigen Shareholder−Value. Nicht nur ein turboschneller Markt, sondern auch ein altes Wertesystem mit seinen eigenen Begriffen von Mitmenschlichkeit und Erziehung.

Kapitalismus und Konfuzianismus erweisen sich als kompatibel. Zum ersten Mal in der Geschichte entwickelt sich eine riesige Industriegesellschaft, die mit dem Westen insbesondere mit den USA auch kulturell konkurrieren kann (...) Der Westen läuft Gefahr, am alten Bild des kommunistischen und leicht berechenbaren China festzuhalten, statt sich auf die Sinisierung einzustellen.”411

Die Auffassung, dass China im Zuge der Globalisierung womöglich einen eigenen Weg in die Moderne findet, der sich nicht deckungsgleich in alle westlichen Entwicklungsmuster fügen muss, findet sich nur in einer sehr kleinen Minderheit der in den Jahren 2002-07 erschienenen China-Kommentare der deutschen Presse.

Dazu gehört die Einschätzung, dass China bei seiner marktwirtschaftlichen Transformation und Verflechtung mit den globalen Märkten zwar westliche Einflüsse absorbiert, zugleich jedoch eine eigentümliche Form des Kapitalismus entwickelt.

Diese Einsicht steht im Kontrast zu der üblichen Erwartungshaltung unter den

                                                                                                               

410  “Keine Angst vor China”, WELT, 27.07.2007.  

411  “Wird die Welt chinesisch?”, ZEIT, 16.06.2005.  

westlichen China-Beobachtern, dass je mehr der moderne Kapitalismus in China Einzug hält, umso ähnlicher auch das Land dem Westen werden dürfte. Vor allem in den China-Beiträgen aus der ZEIT findet man des Öfteren Hinweise darauf, dass sich die Entwicklung Chinas immer weniger an der des Westens messen ließe.

Schließlich glaube und arbeite nicht nur Chinas politische Führung, sondern auch die Generation der Aufsteiger des neuen chinesischen Kapitalismus daran, dass im eigenen Land ein eigenständiges Gesellschaftssystem jenseits von westlichen Blaupausen und Rezepten entsteht - wie mancher Kommentator der ZEIT bemerkt.412

In insgesamt neun Beiträgen der ZEIT zu China, die zwischen Ende 2001 und 2007 erschienen sind, finden sich Bemerkungen darüber, dass China einen eigenständigen Weg in die Modernisierung einschlägt und ein eigenes Entwicklungsmodell dabei entwickelt. 413 Ähnliche Bemerkungen finden sich während dieses Zeitraums auch in fünf Beiträgen, die in der SZ, der FAZ, der WELT und dem SPIEGEL erschienen sind.414 Diese Bemerkungen, die auf eine kritische Reflexion über das übliche Chinabild des Westens hinauslaufen, knüpfen vorwiegend an drei Schlüsselkategorien an: Pragmatismus, Optimismus und kulturelle Stärke. Während in den Jahren unmittelbar nach dem Beitritt Chinas in die Welthandelsorganisation der Begriff des Pragmatismus im Mittelpunkt der Überlegungen zum “China-Modell”

steht und dabei als Schlüssel zum Erfolg Chinas bei der Bewältigung der neuen Herausforderungen durch die Globalisierung erscheint, rückt in den folgenden Jahren der Hinweis auf den Zukunftsoptimismus der chinesischen Bevölkerung wie auf Chinas eigene Kulturdynamik in den Vordergrund. Vor allem im Hinblick auf das eigenständige Kultursystem Chinas wird darauf aufmerksam gemacht: Nicht nur sei China in der Lage, ein von den westlichen Mustern weitgehend unabhängiges Gesellschaftsmodell zu errichten - vielmehr sei es sogar dabei, den Westen dadurch                                                                                                                

412  “China hebt an”, ZEIT, 22.12.2004, “Wird die Welt chinesisch?”, ZEIT, 16.06.2005.  

413  Vgl. “Marktwirtschaftler aus Not”, ZEIT, 13.09.2001, “Zweite Chance für Chinas Kommunisten”, ZEIT, 14.11.2002, “China hebt an”, ZEIT, 22.12.2004, “Speisung der Wanderarbeiter”, ZEIT 11.03.2004, “Es werde Zwielicht”, ZEIT, 02.09.2004, “Ein anderer Begriff von Freiheit”, ZEIT 21.04.2005 , “Wird die Welt chinesisch?”, ZEIT 16.06.2005, “Alle unter einem Himmel”, ZEIT 23.03.2006, “Zwei Länder, eine Mission”, ZEIT, 20.04.2006.  

414  Vgl. “In Bewegung”, SZ, 10.04.2002, “Die westliche Maske”, FAZ, 03.12.2003, “Buddha statt Marx”, WELT, 24.07.2007, “China sucht nach neuen Wegen: Linker Konfuzianismus?”, WELT, 08.08.2008, “Das Herz des Drachen”, SPIEGEL, 18.10.2004.  

herauszufordern.

Vor dem Hintergrund der Aufnahme Chinas in die Welthandelsorganisation meldet sich etwa die SZ zum Thema “Modell China” mit der Empfehlung eines Buches, das den gleichnamigen Titel trägt - und dessen Autoren Georg Blume und Chikako Yamamoto zu dieser Zeit für die ZEIT aus Peking berichten. Seit der Einführung der Reformen durch Deng Xiaoping in den 80er Jahren haben sich die Chinesen mit Siebenmeilenstiefeln auf den Weg der Modernisierung und dabei China zur dynamischsten Nationalökonomie der Welt gemacht - “Der Weg ist lang und steinig, aber er wird mit Verve beschritten”, schreibt darin die SZ unter dem Titel “In Bewegung”.415 Die Probleme, mit denen China dabei konfrontiert sei, seien gewaltig - aber die Energien, die das Volk gegenwärtig freisetze auch. Mit der Fortsetzung der Reformen werde in China vielfach Neuland betreten, wobei man sehr pragmatisch vorgehe und nach machbaren Lösungen suche - bemerkt dazu die SZ in Anlehnung an die Verfasser des Buches. Die größte Chance für die Lösung der wachsenden Probleme im Zuge des tiefgreifenden Wandels in der chinesischen Gesellschaft sieht die SZ in der Entwicklung des öffentlichen Diskurses in China. Hierzu kommentiert das Blatt: “Der Umgang mit der Freiheit will geübt werden, von Regierenden und Regierten. Moralverlust, Zerrüttung des sozialen Zusammenhalts, Jugendkriminalität, Drogen; sind das unvermeidbare Folgen größerer Zugeständnisse an die Freiheitsbedürfnisse der jungen Generation? Muss China auf dem Weg in die Moderne doch die gleichen Stationen aufsuchen, die im Westen so sattsam bekannt sind? Oder kann das „Modell China“ hier Alternativen bieten, womöglich durch Rückgriff auf verschüttet geglaubte Traditionen? Das ist eine der Fragen, die viele Chinesen beschäftigt. Blume und Yamamoto sprechen mit ihnen und machen ihren Lesern begreiflich, dass der öffentliche Diskurs darüber schon ein gewaltiger Fortschritt ist, auch wenn Antworten bisher ausstehen.”416

Unter dem Titel “Martkwirtschaftler aus Not” schreibt ihrerseits die ZEIT zu der in China führenden Globalisierungsdebatte anlässlich seines Beitritts in die WTO im Herbst 2001: “Im Kern geht es um die Frage: Kann das westliche Kapitalismusmodell dem Gros der Chinesen zu materiellem Auskommen und menschenwürdigen Lebensumständen verhelfen? Wird gelingen, was zuvor in Japan, Taiwan und                                                                                                                

415  “In Bewegung”, SZ, 10.04.2002.  

416  Ebd.  

Südkorea gelang? Die dort viel bewunderten asiatischen Tugenden versprechen China mehr Erfolg als etwa Indien oder Brasilien. Doch nun sollen über eine Milliarde Menschen, die bisher zum allergrößten Teil in einer stark regulierten Landwirtschaft und einer planwirtschaftlich organisierten Industrie ein bescheidenes Auskommen fanden, innerhalb weniger Jahre als Arbeitskräfte auf dem Weltmarkt mitbieten − ein historisch beispielloses Experiment. Sein Erfolg oder Misserfolg wird über die Zukunft der Globalisierung insgesamt entscheiden (...) Hier aber liegt die Chance der Kommunisten: Sie sind Marktwirtschaftler aus Not, nicht aus Überzeugung. Gelingt es ihnen, die Argumente von Globalisierungsbefürwortern und −gegnern abzuwägen und die aufkeimende Debatte nicht aus politischen Gründen abzuwürgen, könnte in einigen Jahren alle Welt vom Pragmatismus in Fernost schwärmen. Bei der Vorliebe der Welt für Vorbilder ist es keineswegs unwahrscheinlich, dass wir dann vom

"chinesischen Modell" reden.”417 Dazu kommentiert die ZEIT ein Jahr später: “Endlich macht Kommunist sein in China einen Sinn (...) Ausgleich zu schaffen zwischen Nord und Süd, Land und Stadt, Erster Welt in Shanghai und Dritter Welt am Gelben Fluss

− das ist die Herausforderung (...) Gelingt es der KP bis dahin, das Motto des Parteitages umzusetzen und "eine Gesellschaft mit bescheidenem Wohlstand aufzubauen", wäre China zwar noch immer keine Demokratie, würden Menschenrechte womöglich noch immer missachtet werden. Doch die KP hätte den Beweis erbracht, dass der Nord−Süd−Konflikt lösbar ist und Globalisierung keine Falle für die Armen sein muss.”418

Angesichts der anhaltenden Erfolge der boomenden chinesischen Wirtschaft auf globaler Ebene weisen in den folgenden Jahren einige China-Beiträge aus der ZEIT nunmehr vornehmlich auf die Dynamik hin, die sich in Chinas Gesellschaft mit immer größerer Wucht entfaltet. Strotzender Optimismus, kreativer Entwicklungswille, wachsendes Selbstbewusstsein und das Gefühl von kultureller Stärke scheinen dabei die Kraft zu bilden, die das Milliardenvolk in die Zukunft treibt. Dass China bald zu einer führenden Wirtschaftsnation aufsteigen wird, sei fast sicher - “Derzeit entscheidet sich, welche Spielart des Kapitalismus sich durchsetzt”, bemerkt die ZEIT in einem Beitrag aus dem Jahr 2003.419 “Im Zeitraffer, so wie Blumen in Naturfilmen erblühen”, hole das Land seinen industriellen Rückstand nach. Dabei müsste China soziale Probleme lösen, “die es noch nie gab”: “Der chinesische                                                                                                                

417  “Marktwirtschaftler aus Not”, ZEIT, 13.09.2001.  

418   “Zweite Chance für Chinas Kommunisten”, ZEIT, 14.11.2002. Vgl. dazu Speisung der Wanderarbeiter”, ZEIT, 11.03.2004.  

419  “China hebt an”, ZEIT, 22.12.2004. Dazu vgl. “Es werde Zwielicht”, ZEIT, 02.09.2004.  

Frühkapitalismus entwickelt sich rasend schnell, und die Zentralregierung muss sehen, wie sie die entstehenden Probleme quasi im Vorbeifahren löst.” Neben der drohenden Implosion des chinesischen Wachstums und einem maroden Finanzsystem stellen vor allem die wachsenden sozialen Spannungen im Lande durch die immer weiter klaffende Schere zwischen Arm und Reich, zwischen florierenden Küstenstädten und rückständigem Hinterland, eine enorme Herausforderung dar - bemerkt dazu die ZEIT, und fügt an: “Man kann sich leicht in die gigantischen Probleme des Landes hineinsteigern, doch den Chinesen selbst liegt nichts ferner - Wachstum wirkt Wunder.”420 Trotz aller Probleme - so die ZEIT weiter - lasse sich die überwältigende Mehrheit der Chinesen nicht entmutigen und scheine fest daran zu glauben, dass es für sie und ihre Kinder eine bessere Zukunft geben kann. Vor allem Chinas ambitionierte Jugend und seine jungen Unternehmer scheinen mit ihrer “Lernbegierigkeit und Tüchtigkeit” Erfolg zu versprechen. Dabei seien sie gewillt, nicht nur das eigene Land, sondern auch die ganze Welt zu verändern: “Selbstvertrauen ist keine Mangelware mehr. Junge einheimische Manager schimpfen auf deutsche Unternehmen, weil sie fast ausschließlich Männer aus der Heimat an die Spitze ihrer chinesischen Tochterfirmen setzten. Für sie ist die Zeit vorbei, in der China bloß als billige Werkbank herhielt. Sie wollen Einfluss nehmen mit ihren Produkten, ihren Entscheidungen, ihrer Kultur. China, sagt Rolf Cremer, das bedeutet große Zahlen. Heute sei die Weltwirtschaft amerikanisiert. Und morgen? In Europa denke kaum jemand über Chinas künftigen Einfluss auf die Welt nach - und wenn, dann nur als Bedrohung.”421

Hierzu schreibt das gleiche Blatt im Jahr 2004: “Annähernd 600000 Chinesen haben seit 1980, dem Beginn der »neuen historischen Etappe«, im Ausland studiert, mehr als neunzig Prozent schlossen ihr Studium mit einem Magister− oder Doktortitel ab, gut die Hälfte in den USA, dahinter rangieren Großbritannien und Deutschland, noch vor Japan (...) Was hat ihr Verstand gelernt und was ihre Seele? Sind westliche Gesellschaftsideale - einschließlich ihrer bisweilen paradoxen Folgen im Alltagsleben - so überzeugend, wie es zu wünschen wäre? Niemand weiß es, zumindest noch nicht (...) Wer will der Illusion zum Opfer fallen, in China und Ostasien werde man sich, da jetzt alle Akteure Mitgliedsländer der Welthandelsorganisation seien, an die westliche (genauer: angloamerikanische) Interpretation des internationalen wirtschaftlichen Regelwerkes halten? (...) Die Zeiten, in denen sich Europa als »Hirn                                                                                                                

420  Ebd.  

421  Ebd.  

der Welt« (Paul Valéry) gerieren durfte, sind endgültig vorbei. Aber es bleibt ein Stachel: einer derjenigen, die ihn spätestens 1994 (»The Pacific Way«) eingepflanzt haben, ist Kishore Mahbubani, prominenter Diplomat und Denker aus Singapur, Südostasiens global city: »Für Europäer oder Nordamerikaner ist es schwierig, die große Tragweite der seelischen Revolution in Ostasien zu begreifen, weil sie nicht in die Köpfe der Ostasiaten eindringen können. Ihre Köpfe sind niemals in den Kolonialismus eingetaucht worden. Sie mussten niemals mit der tief bewussten Annahme kämpfen, dass sie vielleicht nur zweitklassige menschliche Wesen seien, niemals gut genug, um nach oben zu kommen. Das wachsende Bewusstsein der Ostasiaten, dass sie alles ebenso gut, wenn nicht besser, können als andere Kulturen, hat zu einer Explosion des Selbstvertrauens geführt.«”422

Zu den kulturellen Aspekten des chinesischen Aufstiegs äußert sich auch die FAZ mit einem Feuilletonkommentar im Jahr 2003: “Sollte Chinas Wirtschaft und damit sein geopolitischer Einfluss in nur halbwegs ähnlichem Tempo wie heute weiter wachsen, wird der Westen in ihm nicht nur eine Erweiterung seines eigenen Marktes vorfinden, sondern ein Gegenüber (...) Wird China also bloß ein mächtig hallender Verstärker dessen sein, was sich ohnehin schon im Westen vollzieht? Oder wird es seine eigene Kultur zur Geltung bringen, die der Westen bislang übersehen hat, auf die er sich aber über kurz oder lang wird einstellen müssen? (...) Auch wenn die einzelnen Elemente der chinesischen Globalisierung, wozu auch Kunst, Literatur und Kino gehören, als ohne weiteres kompatibel mit der westlichen Massenkultur erscheinen mögen, entspringen sie doch einem durchaus verschiedenen kulturellen System.

Dieses System werden wir in den kommenden Jahren, unbeeindruckt von den folkloristischen und eklektizistischen Oberflächen, genauer verstehen müssen. Wenn Chinas Aufstieg kommt, wird er nicht bloß wirtschaftliche Folgen haben.”423

In einem Beitrag aus dem Jahr 2006 zieht die ZEIT schließlich in Betracht, wie beide große Kulturnationen China und Indien durch ihren Aufstieg die Welt bereits verändern - und kommentiert dabei unter dem Titel “Zwei Länder, eine Mission”:

“Chindia? Das klingt nach fernöstlicher Mystik, doch eine wachsende Zahl von Studenten und Forschern, Managern und politischen Strategen denkt die beiden größten Nationen zusammen. Für sie prägen China und Indien das 21. Jahrhundert, und sie erleben im Kleinen ein kraftvolles Phänomen: In einer Mischung aus Wettbewerb und Kooperation können sich die beiden größten und dynamischsten Nationen des Planeten gegenseitig stärken und den Westen ökonomisch                                                                                                                

422  Ebd.  

423  “Die westliche Maske”, FAZ, 03.12.2003.  

herausfordern. Chindia, das sind 35 Prozent der Weltbevölkerung und heute schon zwischen 10 und 20 Prozent des weltwirtschaftlichen Wachstums. Das ist die gegenseitige Neuentdeckung zweier alter Weltzivilisationen. Das ist die Adaption des Kapitalismus in zwei selbstbewussten Kulturen und der Versuch, ihn auf eigene Weise zu zähmen im Namen von Buddha und Konfuzius (...) So kommt der Traum von Chindia im Westen an. Er gründet auf dem Optimismus der allermeisten Chinesen und Inder. Mehr als 75 Prozent der Menschen in beiden Ländern sind überzeugt, dass sich ihre persönliche Situation verbessern wird (...) Mehr Bildung und mehr Forschung ist doch das Rezept, mit dem die Industriestaaten ihren Wohlstand sichern sollen. Die Bildungs− und Forschungseuphorie in China und Indien aber zeugt davon, dass die »neuen Wettbewerber« (George W. Bush) alte Kulturen sind, denen neben einem gehörigen Schuss Nationalbewusstsein auch ein Denken über die eigene Generation hinaus innewohnt. Die Inder sparen fast 30 Prozent des Volkseinkommens, die Chinesen noch mehr nicht zuletzt für die kommenden Bildungskosten (...) Chinesische Bauernfamilien nehmen enorme Reisestrapazen auf sich und verkaufen mitunter Hab und Gut, um ihren Kindern Englischunterricht zu verschaffen. Die Welt wird reicher durch Chindia. Wer im Westen dazugehört, muss sich noch erweisen.”424

Erwägungen über die Entstehung eines alternativen Entwicklungsmodells in China finden sich in den Jahren 2002-07 auch in zwei Beiträgen des SPIEGEL sowie in einem Beitrag der WELT. Zwei davon befassen sich mit der wachsenden Bedeutung der alten östlichen Religionslehren - allen voran des Konfuzianismus - für die moderne Entwicklung der chinesischen Gesellschaft. Während sich der SPIEGEL in einem Spezialthema aus dem Jahr 2004 fragt, ob die alten Lehren des Konfuzius,

“Rezepte für Chinas Triumph in der Globalisierung”425 liefern könnten - schreibt die WELT im Jahr 2007 unter dem Titel “Buddha statt Marx”, Konfuzius, Laotse und Buddha seien die Stichwortgeber für die Herausbildung einer neuen "Soft-Power-Ideologie" geworden, mit der Peking "den Überbau für den materiellen Aufstieg Chinas zur globalen Großmacht” liefere.426 Letztlich wird aber aus Sicht beider Medien die Renaissance des Konfuzianismus und der anderen Religionslehren vor allem im Hinblick auf die Bemühungen des chinesischen Einparteiensystems betrachtet, sein ideologisches Vakuum durch Ersatzreligionen zu füllen und eine                                                                                                                

424  “Zwei Länder, eine Mission”, ZEIT, 20.04.2006.  

425  “Das Herz des Drachen”, SPIEGEL, 18.10.2004.  

426  “Buddha statt Marx”, WELT, 24.07.2007. Vgl. dazu “China sucht nach neuen Wegen: Linker Konfuzianismus?”, WELT, 08.08.2008.  

neue Legitimationsbasis für seine Alleinherrschaft zu bilden.

Diese “Kunstfertigkeit” des KP-Systems, seine “Propagandaformeln mit neuen Inhalten zu füllen”, verrate “enorme ideologische Flexibilität” - bemerkt schließlich der SPIEGEL in seinem Titelthema “Funktioniert doch der Kommunismus?” zu Anfang des Jahres 2007.427 Hierbei wird das “China-Modell” aber nicht zuletzt als ein Paradoxon gedeutet, das eine dynamische Marktwirtschaft mit einem autoritären System verbindet und mit seinen Erfolgen zunehmend auch das politische System des demokratischen Westens herausfordert. Damit wird auf eine neue Systemkonkurrenz aus dem Osten hingedeutet, die die China-Debatte in der deutschen Presse die folgenden Jahre immer mehr beschäftigen wird.

                                                         

                                                                                                               

427  “Die Rotchina AG”, SPIEGEL, 15.01.2007.  

Im Dokument China in den Medien (Seite 150-158)