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5.1 Statistische Analyse der Population mit Kreuzbandruptur

5.1.5 Rassenverteilung

Der Vergleich der Rassenhäufigkeit zwischen den stationär und den poliklinisch vorgestellten Hunden in der Chirurgischen Veterinärklinik in Gießen im Jahre 1996 ergibt keine nennenswerte Unterschiede. Ein Fünftel der Patienten sind Mischlinge (20% Poliklinik : 22%

stationär). An erster Stelle der Popularität reinrassiger Hunde steht der Deutsche Schäferhund (17% Poliklinik : 19% stationär), gefolgt vom Rottweiler (je 6% Poliklinik und stationär), Rauhhaardackel (5% Poliklinik : 7 % stationär), Golden Retriever (4% Poliklinik : 3 % stationär) und Boxer (4% Poliklinik : 2% stationär). Yorkshire Terrier, Dobermann und Berner Sennehund sind gleich häufig vertreten (je 3% Poliklinik : 4% stationär).

Der Vergleich des Gießener Patientengutes mit dem aus der Tierklinik der Universität in München (DANCKERT 1997) ergibt jedoch die größere Häufigkeit kleiner Rassen im Süddeutschen Raum und deutlich geringere Häufigkeit von Rottweilern. Der Rottweiler befindet sich an 23. Stelle. Die Rassen Deutscher Schäferhund und Rauhhaardackel sind in beiden Statistiken an erster bzw. zweiter Stelle. Der Deutsche Schäferhund erfreut sich in der Gießener Statistik einer dreifach größeren „Popularität“, in der Münchener Statistik sogar einer fünfzehnfach größeren „Popularität“ als der Rottweiler. Diese Ergebnisse lassen auf regionale Unterschiede in der Rassenhäufigkeit schließen.

Mischlingshunde kommen in unseren Untersuchungen mit Abstand in wesentlich größerer Anzahl vor als reinrassige Tiere.

Etwa die Hälfte der Hunde stammen aus dem Nordwesten der Vereinigten Staaten von Amerika. Daher handelt es sich in dieser Arbeit um eine „Mischpopulation“, die keine regionale Repräsentationseigenschaft hat. Im Nordwesten der Vereinigten Staaten sind die Rassen Labrador Retriever und Cockerspaniel häufiger vertreten als in Deutschland. Dies erklärt den hohen Anteil an Labrador Retrievern in der vorliegenden Arbeit. In den Vereinigten Staaten erscheint der Labrador Retriever als Hauptvertreter für

Kreuzbandrupturen (persönliche Mitteilung, OST 1997). Dies wird auch in den amerikanischen Vergleichsstudien von MORRIS u. LIPOWITZ (2001), WILKE et al. (2002) und REIF u. PROBST (2003) deutlich.

Von den 184 Tieren mit Kreuzbandruptur in eigener Untersuchung sind Mischlingshunde mit 54 Tieren (29 %) an erster Stelle vertreten, gefolgt von 32 Rottweilern (17 %), 24 Labrador Retrievern (13 %), 12 Boxern (6,5 %). Die restlichen Tiere verteilen sich auf 49 Rassen. Der Deutsche Schäferhund hatte nur einen Anteil von 4 %.

Von den 56 im Jahre 1996 in Gießen stationär wegen Kreuzbandruptur behandelten Tieren sind Mischlingshunde mit 15 Tieren (27 %) an erster Stelle vertreten, gefolgt von 7 Rottweilern (12,5 %), je 4 Boxern und 4 West Highland White Terriern (7 %) sowie je 3 Deutschen Schäferhunden und 3 Labrador Retrievern (5 %).

Diese zwei Gruppen von Kreuzbandrupturpatienten stimmen, mit Ausnahme des Labrador Retriever, fast überein. Obwohl der Labrador Retriever im Gießener Rassenspiegel an zehnter Stelle (stationär) bzw. an zwölfter (Poliklinik) vertreten ist, steht er in der Population mit Ruptur an vierter (3 von 56 Tieren) bzw. an zweiter (24 von 184 Tieren) Stelle.

Der Rottweiler befindet sich im Gießener Rassenspiegel an zweiter (Poliklinik) bzw. dritter (stationär) Stelle der Rassenhäufigkeit. Bei den Kreuzbandrupturpatienten erscheint er jedoch als Hauptvertreter.

Deutsche Schäferhunde sind im Rassenspiegel mit Abstand die häufigste Rasse. Bei den Kreuzbandrupturpatienten sind sie jedoch nur mit 8 Tieren an vierter bzw. fünfter Stelle (mit Golden Retriever) vertreten.

Der Dobermann weist im Rassenspiegel eine ähnliche Häufigkeit auf wie der Boxer. Unter den Kreuzbandrupturpatienten tritt der Boxer jedoch wesentlich häufiger in Erscheinung als der Dobermann.

Verschiedene Autoren (PAATSAMA 1952, RUDY 1974, ARNOCZKY u. MARSHALL 1981 und ROBINS 1990, DUVAL et al. 1999) sehen die Hyperextensionsstellung der Hintergliedmaße als prädisponierend für Kreuzbandruptur an. Rassen, die diese Hyperextensionsstellung der Gliedmaßen sehr häufig zeigen, sind Akita Inu und Chow Chow. In der vorliegenden Arbeit kommen einige Vetreter dieser Rassen mit Kreuzbandruptur vor. Von 184 Tieren mit Kreuzbandruptur sind drei reinrassige Akita Inu, zwei reinrassige Chow Chow und vier Akita-Inu- bzw. Chow-Chow-Mischlinge. Dies entspricht einem Anteil von 4,9 %. Die drei reinrassigen Akita Inu, ein Chow Chow und ein Akita-Inu-Mischling hatten sogar eine beiderseitige Kreuzbandruptur. Im Rassenspiegel kommen diese beiden Rassen (Akita Inu

(15) und Chow Chow (23) von 5432 Tieren) in weniger als ein Prozent vor. Nach BRUNNBERG (1987) sind fünf Prozent der Patienten mit Ruptur des vorderen Kreuzbandes junge Chow Chows (Durchschnittsalter 2,5 Jahre). Diese Ergebnisse zeigen deutlich die Prädisposition bei diesen zwei Rassen.

In der gesamten Rupturpopulation sind die Rassen Rottweiler, Labrador Retriever, Boxer, Akita Inu und Chow Chow überrepräsentiert. Auch innerhalb der Mischlingshunde mit Kreuzbandruptur erscheinen viele als Labrador- und Rottweiler-Mischlinge. Die Rassen Deutscher Schäferhund und Dobermann sind dagegen unterrepräsentiert.

PAATSAMA (1852), BENNETT (1988) und ROBINS (1990) stellten ebenfalls die deutliche Mehrheit von Rottweiler unter den Rupturpatienten fest. Die Meinung einiger Autoren (DENNY u. MINTER 1973, LEWIS 1974, BENNETT 1988), dass die erhöhte Häufigkeit dieser Rasse nur deren Popularität widerspiegele, widerspricht die Tatsache, dass in der vorliegenden Untersuchung der Deutsche Schäferhund eine höhere Popularität hat, als Rupturpatient jedoch deutlich unterrepräsentiert ist. Andererseits hatten VASSEUR (1984) und SLOCUM u. DEVINE

(1993) einen hohen Anteil Deutscher Schäferhunde unter ihren Rupturpatienten: VASSEUR

(1984) 18 % und SLOCUM u. DEVINE (1993 ) 12 %. Von einem hohen Anteil an Boxern wird von PAATSAMA (1952), SINGLETON (1969), LEWIS (1974) und NIEBAUER (1982) berichtet.

Labrador Retriever treten vermehrt bei LEWIS (1974) und SCAVELLI et al. (1990) unter den Rupturpatienten auf. Bei jungen Hunden mit einem Alter bis zwei Jahre finden DUVAL et al.

(1999) eine Prädisposition für Kreuzbandrupturen bei Rottweiler, Labrador Retriever, Mastino, Akita Inu, Chow Chow, Bernhardiner, Neufundländer und Stafford bzw. Pitbull Terrier. Der Deutsche Schäferhund ist auch dort deutlich unterrepräsentiert.

Im Zusammenhang mit den Beobachtungen von LOTT (1988) und den in der vorliegenden Arbeit ermittelten Ergebnissen könnte für die geringe Rupturinzidenz und das Auftreten einer Kreuzbandruptur im höheren Alter bei Deutschen Schäferhunden folgende Erklärung gemacht werden: Der Deutsche Schäferhund hat einen durchschnittlichen Tibiaplateauneigungswinkel von 26,5°, der Boxer von 25,7°. Das Tibiaplateau des Deutschen Schäferhundes ist demnach im Durchschnitt „steiler“ als beim Boxer. Die Ergebnisse von LOTT (1988) zeigen, dass der Deutsche Schäferhund, verglichen zum Boxer, eine deutlich stärkere Winkelung in der Hinterhand hat. Dadurch kompensiert der Deutsche Schäferhund die Neigung des Tibiaplateaus, indem die effektive Neigung (Neigung des Plateaus + Winkelung des Kniegelenkes) geringer wird. Dadurch wird die kraniale Schubkraft der proximalen Tibia, und die Belastung auf das vordere Kreuzband geringer. Eine ähnliche Erklärung für das

verminderte Auftreten von Kreuzbandrupturen beim Deutschen Schäferhund geben DUVAL et al. (1999). Sie sehen eine vermehrte Stressbelastung auf das vordere Kreuzband durch die

„steile“ Hintergliedmaßenkonformation bei bestimmten Rassen wie z. B. Labrador Retriever und Rottweiler im Gegensatz zur stärker abgewinkelten Hinterhand beim Deutschen Schäferhund.

Der Boxer neigt aufgrund der steileren Hinterhand zu einer Hyperextensionstellung. Dadurch sind seine vorderen Kreuzbänder einer vermehrten Belastung ausgesetzt. Die Prädisposition von Tieren mit Hyperextensionsstellungen der Hinterhand wurde mehrfach beschrieben (PAATSAMA 1952, RUDY 1974, ARNOCZKY u. MARSHALL 1981, ROBINS 1990, DUVAL et al.

1999).

Man könnte die Hypothese aufstellen, dass ein Hund mit erhöhter Prädisposition für Kreuzbandriss durch großen Neigungswinkel des Tibiaplateaus diese Prädisposition durch eine stärkere Winkelung in der Hintergliedmaßenstellung aufhebt oder neutraliseirt. Ein anderer Hund hingegen mit einem kleinen Neigungswinkel erhöht seine geringe Prädisposition durch eine steilere Hinterhand. Die horizontal gerichtete Scherkraft, welche die Hauptbelastung auf das Kreuzband ist, wird sowohl durch einen großen Neigungswinkel des Tibiaplateaus wie durch eine steile Hintergliedmaßenstellung vergrößert.

Mit Sicherheit spielen bei der Entstehung von Kreuzbandrupturen multiple Faktoren eine Rolle, wie z. B. Körpermasse, Ernährungszustand, Geschlecht, Kastration, Stellungs-abweichungen der Hintergliedmaßen, Rassezugehörigkeit und Alter, so dass man von einer Faktorenerkrankung sprechen kann. Der Neigungswinkel des Tibiaplateaus ist einer dieser Faktoren.

Es sei darauf hingewiesen, dass in dieser Arbeit bei der Auswahl der Tiere zur Messung des Neigungswinkels eine Selektion nach Körpergröße stattgefunden hat. Es wurde zunächst von der in der Literatur (BENNETT 1988, ROBINS 1990, HULSE 1994) angegebenen Aussage ausgegangen, dass die Ruptur des vorderen Kreuzbandes in erster Linie eine Erkrankung größerer Hunde ist. Die Ergebnisse zeigen jedoch, dass auch Hunde kleinerer Rassen von Kreuzbandrupturen betroffen sind. BARNES (1977) zählte 14 Fälle von Kreuzbandrupturen bei kleinen Hunden (v. a. Pudel und Beagle) und 14 Fälle bei großen Hunden (v. a. Labrador und Golden Retriever). Auch in der vorliegenden Arbeit zeigt das Ergebnis des Rassenspiegels der im Jahre 1996 stationär behandelten Hunde, dass auffallend viele West Highland White Terrier, Pittbull Terrier und Beagle diese Erkrankung hatten.