Quantitative Forschung folgt einem linearen Modell des Forschungsprozesses. Dabei werden aus einer Theorie Hypothesen abgeleitet, diese werden operationalisiert und an einer definierten Stichprobe getestet. Die Ergebnisse dienen dazu, die entwickelten Hypothesen zu bestätigen oder zu verwerfen. Dieses lineare Modell eignet sich besonders gut für ein
experimentelles oder quasiexperimentelles Design. Auf die Nachteile dieses Designs wurde bereits oben hingewiesen. Die Vorteile liegen jedoch in einer hohen Erfüllbarkeit der klassischen Gütekriterien, insbesondere Validität, Reliabilität und Objektivität.
Qualitative Forschung bemüht sich um andere Qualitätskriterien, die sich am ehesten an Methoden der Qualitätssicherung und an Plausibilität orientieren. Wesentliche Kennzeichen qualitativer Forschung sind „die Gegenstandsangemessenheit von Methoden und Theorien, die Berücksichtigung und Analyse unterschiedlicher Perspektiven sowie [die] Reflexion des Forschers über die Forschung als Teil der Erkenntnis“ (Flick 2006, S. 26). Qualitative Evaluationsforschung will „Praxisveränderungen wissenschaftlich begleiten und auf ihre Wirkung hin einschätzen, indem die ablaufenden Praxisprozesse offen, einzelfallintensiv und subjektorientiert beschrieben werden“ (Mayring 2002, S. 63).
Gegenstandsangemessenheit
Wenn Wechselwirkungen vorliegen oder wenn Variablen nicht eindeutig zu identifizieren und zu isolieren sind, kann ein experimentelles Design nicht formuliert werden. Insbesondere systemische Fragestellungen sind mit der herkömmlichen RCT-Studie nicht erforschbar (vgl.
von Sydow, 2011). Außerdem gibt es Fragestellungen, die sich nur an wenigen Fällen untersuchen lassen. Eine große Stichprobe, aus der heraus sich eine repräsentative Studie mit hohem Verallgemeinerungsgrad entwickeln lässt, ist dann nicht herstellbar.
Diese Kriterien treffen für die geplante Untersuchung zu. Es ist eine Vielzahl von Interaktionsprozessen denkbar, die die zu untersuchenden Auswirkungen beeinflussen.
Darüber hinaus ist die Anzahl der Patienten und Mitarbeiter relativ klein und ihre individuelle Unterschiedlichkeit so groß, dass sich keine homogenen Stichproben bilden lassen.
Die Methoden werden deshalb so gestaltet, dass sie der Komplexität des Untersuchungsgegenstandes gerecht werden. Damit wird der zu untersuchende Gegenstand Bezugspunkt für die Auswahl an Methoden und nicht umgekehrt. „Gegenstände werden dabei nicht in einzelne Variablen zerlegt, sondern in ihrer Komplexität und Ganzheit in ihrem alltäglichen Kontext untersucht, deshalb ist ihr Untersuchungsfeld auch nicht die künstliche Situation im Labor, sondern das Handeln und Interagieren der Subjekte im Alltag“ (Flick 2009, S. 27).
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Perspektiven der Beteiligten
Es ist nicht Ziel der Untersuchung zu zeigen, dass eine kombinierte Behandlung (Substitution und Abstinenztherapie) einer Behandlung „nur“ mit Substituitionstherapie oder „nur“ mit klassischer Entwöhnungsbehandlung überlegen ist. Vielmehr sollen die unterschiedlichen Eindrücke und die von verschiedenen Personen betonten Vor- und Nachteile der kombinierten Behandlung herausgestellt werden. Dies bedeutet, dass es nicht vorrangig um den Nachweis einer „objektiven“ Verbesserung der Teilhabe eines Patienten zur Begründung und Rechtfertigung der Behandlung geht, sondern um die Bewertung dieser Behandlung aus verschiedenen Perspektiven.
Reflexivität des Forschers
In diesem Fall wirkt der Forscher selbst als Teil des Forschungsgegenstands an der Entwicklung des Forschungsgegenstandes mit. Die Kommunikation zwischen Forscher und Beteiligten ist Bestandteil der Erkenntnis und ein Teil der Datengrundlage, die in die Ergebnisse und ihre Interpretation einfließt. Die Erfahrung des Forschers mit dem Untersuchungsgegenstand wird in diesem Sinne als Erweiterung der Datengrundlage betrachtet und nicht als störender oder „verfälschender“ Einfluss. Dieser Einfluss kann dadurch begrenzt werden, dass der Forscher selbst versucht, die Art seiner Einflussnahme zu benennen, zu reflektieren und zu bewerten. Der subjektive Einfluss kann im besten Fall dadurch wissenschaftlich nutzbar gemacht werden. Grundsätzlich ist die „Forscher-Gegenstands-Interaktion“ (Mayring 2002, S. 31 f) unvermeidlich.
Weitere Gründe für ein qualitatives Vorgehen
Die Beschreibung anderer Fachkliniken (vgl. Kapitel 6), die substituierte Patienten aufnehmen, zeigen Gemeinsamkeiten, aber auch erhebliche Unterschiede. Hierin bilden sich Einflussfaktoren ab, die mit den Besonderheiten der Einrichtungen, ihrer lokalen Einbettung und Tradition und der unterschiedlich langen Erfahrung in der Arbeit mit substituierten Patienten zusammenhängen. Gemäß des „Regelbegriffs“ (Mayring 2002, S. 37) lassen sich im humanwissenschaftlichen Kontext Gleichförmigkeiten besser in kontextgebundenen Regeln als in allgemeingültigen Gesetzen abbilden. In dieser Untersuchung macht es Sinn Fachkliniken zu beschreiben, um besondere Rahmenbedingungen und lokale Situationen von regelhaften Prozessen und gemeinsamen Strukturen zu unterscheiden, die mit der Behandlung von substituierten Patienten in Zusammenhang gebracht werden können.
Verbindung quantitativer und qualitativer Elemente
Triangulation bezeichnet die Verbindung von verschiedenen, sich ergänzenden Methoden.
Auch quantitative und qualitative Forschungsmethoden können miteinander verbunden werden und müssen nicht zwangsläufig miteinander konkurrieren23. Sie liefern Informationen unterschiedlicher Art, deren Verschiedenheit für das Gesamtverständnis wesentlich sein können. Im Rahmen einer Inhaltsanalyse ist es möglich, Quantitäten zu erheben und miteinander zu vergleichen. Die so einer quantitativen Auswertung zugänglich gemachten Interviews können gleichzeitig qualitativ, z. B. mit einer zusammenfassenden Inhaltsanalyse ausgewertet werden. Dadurch kann die Bedeutung der erhobenen Quantitäten relativiert und können Veränderungen in Quantitäten miteinander in Beziehung gesetzt werden. Eine bloße Korrelation, z. B. die quantitative Abnahme in der Kategorie „beziehungsbezogene Aussagen“ bei gleichzeitiger Zunahme der Zahl kritischer Äußerungen wird einer kausalen Interpretation zugänglich gemacht, wenn sich in den qualitativen Inhaltsanalysen regelmäßig Aussagen finden, die die Abnahme einer Beziehungsorientierung in der Behandlung kritisch bewerten.
Indikation der Forschungsmethode
Der Gedanken der medizinischen Behandlungsindikation, das heißt der Angemessenheit einer Behandlung in Bezug auf die vorliegende Krankheit, lässt sich in die qualitative Forschung übertragen. Beispielsweise können mit einer Checkliste die Angemessenheit eines bestimmten Vorgehens in Abhängigkeit vom Untersuchungsgegenstand geprüft werden (vgl. Flick, 2009).
Dabei sind Entscheidungen darüber zu treffen, ob die möglichen Ergebnisse eher verallgemeinerbar oder besonders auf den konkreten Forschungsgegenstand bezogen sein sollen, also ob mehr in die Breite oder in die Tiefe gegangen werden soll. Ausgehend von der übergeordneten Fragestellung sollen Teilfragen entwickelt werden, für die konkret angemessene qualitative oder auch quantitative Methoden ausgewählt werden können. Die Reflexion und Verbindung der Methoden ist Teil des Qualitätssicherungsprozesses, der wesentliches Kriterium der Güte einer qualitativen Forschung ist. Für die vorliegende Arbeit heißt das, dass je nach untersuchtem Element des Systems Fachklinik unterschiedliche Methoden zur Anwendung kommen, deren Ergebnisse in Beziehung zu einander gesetzt werden. Einzelergebnisse, z. B. Untersuchung der Umwelteinflüsse durch die
23 Qualitative und quantiative Forschung ergänzen sich. Sinnvolle Aussagen, wie z. B. die Aufstellung
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Literaturrecherche, wirken dann auch wieder auf die Gestaltung der Untersuchung anderer Elemente. In der hier vorgelegten Untersuchung regte der in der Literatur beobachtete zunehmende Einfluss der ICF auf die Rehabilitation den Einsatz eines an der ICF angelehnten Messinstrumentes an, um quantifizierbare Maße für die Einschätzung des Therapieerfolges der Patienten zu gewinnen.
Ressourcen
Neben der Fragestellung determinieren die vorhandenen Ressourcen die Möglichkeiten, bestimmte Methoden auszuwählen, da ein unterschiedliches Kosten-Nutzen-Verhältnis zu erwarten ist. Die Rahmenbedingungen von Praktikern sind allerdings ungünstig, um sich an Forschung zu beteiligen: „Die Anforderungen einer seriösen Forschung können von Praktikern an vielen Arbeitsplätzen wegen Zeitdrucks und der Verflochtenheit in unmittelbare institutionelle Zwänge, Konflikte und Zuständigkeiten nur mit großen Schwierigkeiten – wenn überhaupt – realisiert werden. Mit der Ökonomisierung haben sich die Rahmenbedingungen für Begleitforschung, wenn sie nicht unmittelbare Interessen der Kostenträger bedienen, noch weiter verschlechtert“ (Barsch 2001, S. 6). Gleichzeitig gilt aber auch, dass „eine Drogen- und Suchthilfepraxis, die sich an den Interessen und Bedürfnissen der Klienten orientiert und hilfreiche Angebote unterbreiten will nicht umhin [kommt] sich forschender Strategie zu bedienen und ihr Berufsfeld permanent weiterzuentwickeln“ (Barsch 2001, S. 8).
Für den Untersuchungsgegenstand der vorliegenden Arbeit ist die Analyse der Handlungsstrategien, Dimensionen und Zusammenhänge auch für die Fachklinik von besonderer Bedeutung, da fehlgesteuerte Abläufe negative Folgen für die Fachklinik, ihre Mitarbeiter und Patienten haben könnten.
Als günstige Ressource kann deshalb eine Motivation aller Beteiligten angenommen werden, an der Aufklärung von Fragestellungen, wie sie in dieser Arbeit aufgeworfen werden, mitzuwirken. Ein Teil des beruflichen Handelns in einer Fachklinik, die sich auf stetig ändernde Umweltfaktoren einstellen muss, besteht in einem „im Wesen forschend tätig zu werden“ (Barsch 2001, S. 8). Im Rahmen einer Forschungsarbeit kommt es darauf an, diese forschende Tätigkeit zu strukturieren und mit angemessener Methodik zu systematisieren, um so zu nachvollziehbaren und aussagekräftigen Ergebnissen zu gelangen. Die in der Behandlungsroutine anfallenden Dokumentationstätigkeit führt zu Daten, die unter Beachtung
der datenschutzrechtlichen Grundlagen einer Auswertung zugänglich gemacht werden können. Ähnliches gilt für die im Rahmen des Qualitätsmanagements der Fachklinik regelmäßig durchzuführenden Patientenbefragungen. Durch die im Rahmen der Qualitätssicherung zu erhebenden Daten steht darüber hinaus statistisches Material zur Auswertung zur Verfügung (Basisdokumentation, Jahresbericht, Belegungsstatistik etc.)24.