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Praxis der SuV und Mindeststandard nach § 21 Abs. 3 VerpackG

2 Juristische Begriffsannäherung zu „Praxis der Sortierung und Verwertung“

2.4 Rechtliche Auslegung des Begriffs „Praxis der Sortierung und Verwertung“ als

2.4.2 Auslegung des Begriffs (grammatikalisch, teleologisch, systematisch)

2.4.2.7 Praxis der SuV und Mindeststandard nach § 21 Abs. 3 VerpackG

Für die Auslegung des Begriffs „Praxis der SuV“ nach § 21 Abs. 1 VerpackG ist auch auf das Verhältnis zum „Mindeststandard für die Bemessung der Recyclingfähigkeit von

systembeteiligungspflichtigen Verpackungen“ in § 21 Abs. 3 VerpackG einzugehen. Dieser Mindeststandard wird von der ZSVR im Einvernehmen mit dem Umweltbundesamt nach § 21 Abs. 3 VerpackG bis zum 1. September eines jeden Jahres veröffentlicht. Der Mindeststandard wurde erstmals zum 30. August 2019 veröffentlicht.185

Um das Verhältnis beider Vorschriften zu bestimmen, kann auf das Ziel von § 21 VerpackG insgesamt zurückgegriffen werden. Nach der Gesetzesbegründung soll auch die „grundsätzliche Recyclingfähigkeit“ als Faktor bei der Bemessung der ökologischen Beteiligungsentgelte

einfließen:

„Die Beteiligungsentgelte der Systeme berücksichtigen derzeit vor allem Materialart und Masse der zu beteiligenden Verpackungen. Ziel der Regelung in § 21 ist es, darüber hinaus auch die grundsätzliche Recyclingfähigkeit sowie den Anteil von Recyclaten und nachwachsenden Rohstoffen in den Verpackungen bei der Bemessung der

Beteiligungsentgelte in Ansatz zu bringen.“186

Der Begriff „grundsätzliche Recyclingfähigkeit“ könnte so verstanden werden, dass die Verpackung überhaupt recycelt werden kann (siehe die abstrakte Recyclingfähigkeit in Abschnitt 2.4.3.3), unabhängig davon, ob es in der Praxis schon entsprechende Sortier- und Verwertungsanlagen bzw. einen Markt für die Recyclingprodukte gibt. Dieses Verständnis widerspricht aber dem Wortlaut von § 21 Abs. 3 VerpackG, wonach für die Recyclingfähigkeit

„die einzelnen Verwertungswege“ berücksichtigt werden müssen; es soll also darauf ankommen, ob es für die Verpackungen tatsächlich Verwertungswege gibt. Zudem sprechen auch der Sinn und das Ziel der Regelung gegen ein solches Verständnis. So soll mit dem VerpackG die

hochwertige Verwertung von Verpackungen erreicht werden. Eine lediglich theoretische Recyclingfähigkeit von Verpackungen würde dieses Ziel nicht unterstützen. Vielmehr sind bei der Entwicklung des Mindeststandards nach § 21 Abs. 3 VerpackG die einzelnen

Verwertungswege und jeweiligen Materialarten zu berücksichtigen. Auch wenn die Praxis der SuV damit nicht explizit in Abs. 3 angesprochen wird, kommt es auf ein Kriterium

„Vorhandensein von Sortier- und Verwertungsanlagen“ für die Ermittlung der Recyclingfähigkeit an. Inzident wird damit im Mindeststandard notwendigerweise ein Bezug zur Praxis der SuV hergestellt, die ja gerade den Status quo der Sortier- und Verwertungspfade auf dem Markt darstellt. Während bei der Praxis der SuV neben dem reinen Vorhandensein auch die Mengenrelevanz der einzelnen Sortier- und Verwertungspfade umfasst ist, sieht die

Formulierung in Abs. 3 keine zwingende 1:1-Abbildung der Realität vor, sondern belässt bei der Ausgestaltung des Mindeststandards gewisse Spielräume. Die Gleichsetzung von Praxis der SuV

185 ZSVR (2019).

186 BT-Drucksache 18/11274, S. 107. Hervorhebung durch die Autoren.

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mit der Berücksichtigung der Verwertungswege im Mindeststandard für die Bemessung der Recyclingfähigkeit wäre mit dem erheblichen Risiko behaftet, dass die vom Gesetzgeber gewünschte Verbesserung der Sortierung und Verwertung von Verpackungen auf dem Status-quo der Praxis der SuV stagniert. Dies ist jedoch nicht gewollt; einerseits soll das

Verpackungsdesign in der Realität das Recycling unterstützen, andererseits soll auch die Sortier- und Verwertungsinfrastruktur weiterentwickelt und optimiert werden. Insofern soll der

Mindeststandard dazu beitragen, dass sich sowohl Verpackungsdesign als auch Sortier- und Verwertungsinfrastruktur dynamisch entwickeln.187 Auch vor diesem Hintergrund sind die unterschiedlichen Begrifflichkeiten für die gesetzliche Zielsetzung bedeutsam.

Wie zuvor dargestellt, besteht dennoch ein Bezug des Mindeststandards zur Praxis der SuV.

Denn da die Kriterien des Mindeststandards von den Systemen zwingend zu beachten sind, haben sie mittelbar Auswirkungen über die Ausgestaltung der finanziellen Anreizsetzung der Systeme auf - so das gesetzgeberische Ziel des § 21 – das Verpackungsdesign. Die Kriterien müssen wissenschaftlich fundiert und damit objektiv gerechtfertigt sein, da sie über mehrere Zwischenschritte indirekt Auswirkungen auf die Marktchancen von Verpackungen und damit die Marktsituation der Unternehmen haben können. Soweit beim Mindeststandard die einzelnen Verwertungswege und Materialarten zu berücksichtigen sind, müssen diese ZSVR und UBA als den für den Mindeststandard zuständigen Behörden bekannt sein. Um eine fachlich fundierte Entscheidung über die inhaltliche Ausgestaltung des Mindeststandards treffen zu können, sind daher die relevanten Verwertungswege zunächst zu ermitteln. Dies kann nur auf Basis des derzeitigen Status quo, sprich einer Kenntnis der Praxis der Sortierung und Verwertung, erfolgen. ZSVR und UBA sind an die Praxis der SuV aber nicht gebunden, sondern können weitere sachlich begründete Aspekte (z. B. absehbare Entwicklungen bei Sortier- und Verwertungstechnik) dafür einfließen lassen, wie sie die einzelnen Verwertungswege im Mindeststandard berücksichtigen. Dies ermöglichst, dass der Mindeststandard sowohl für das Verpackungsdesign eine sinnvolle Entwicklungsrichtung aufzeigt, als auch das Risiko eines

„Einfrierens“ der Sortier- und Verwertungsinfrastruktur im Status quo minimiert.

Das zuvor erläuterte Verständnis liegt auch dem zum 30. August 2019 veröffentlichten

Mindeststandard zu Grunde, der als ein Mindestkriterium „das Vorhandensein von Sortier- und Verwertungsinfrastruktur für ein hochwertiges werkstoffliches Recycling für diese Verpackung“

nennt.188 Um die Recyclingfähigkeit einer Verpackung zu ermitteln, ist nach dem Mindeststandard der für ein Recycling verfügbare Wertstoffgehalt einer Verpackung zu berücksichtigen.189 Der Mindeststandard sowie auch schon die zuvor veröffentlichte

„Orientierungshilfe zur Bemessung der Recyclingfähigkeit von systembeteiligungspflichtigen Verpackungen“190 schreiben vor, dass der Wertstoffgehalt mindestens nach den folgenden Kriterien zu ermitteln ist191:

187 Zudem kann es für die Ermittlung der Recyclingfähigkeit keine Rolle spielen, ob die Haushalte ihre Verpackungsabfälle ordnungsgemäß entsorgen oder beispielsweise in den Restmüll geben. Insofern verbleibt auch bei Betrachtung der tatsächlichen Verwertungswege eine gewisse Abstraktion vom tatsächlichen Geschehen und der jeweiligen Mengenrelevanz, die der Tatsache Rechnung trägt, dass Hersteller und duale Systeme zwar die Verpackungsgestaltung und die Sortierungs- und

Verwertungsinfrastruktur unmittelbar beeinflussen können, das Verbraucherverhalten aber nur mittelbar.

188 ZSVR (2019), S. 3 und in der schematischen Vorgehensweise in Anhang 4 auf S. 18.

189 Ebenda, S. 2 ff.

190 ZSVR (2018).

191 ZSVR (2019), S. 3.

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► Vorhandensein von Sortier- und Verwertungsinfrastruktur für ein hochwertiges werkstoffliches Recycling für diese Verpackung

► Sortierbarkeit der Verpackung sowie ggf. die Trennbarkeit ihrer Komponenten,

► Unverträglichkeiten von Verpackungskomponenten oder enthaltenen Stoffen, die nach der Verwertungspraxis einen Verwertungserfolg verhindern können.“

Im ersten Kriterium wird auf das Vorhandensein einer Sortier- und Verwertungsinfrastruktur Bezug genommen, die den zuvor dargestellten Bezug zur Praxis der SuV aufweist. Für die in Anhang 1 des Mindeststandards aufgeführten Verpackungen kann vom Vorhandensein einer Sortier- und Verwertungsinfrastruktur für ein hochwertiges werkstoffliches Recycling in der Regel ausgegangen werden. Die Praxis der SuV wird insofern soweit abstrahiert, dass einerseits nicht jeder Einzelfall (z. B. Sortier- und Verwertungswege mit geringer Mengenrelevanz) abgebildet sein muss; andererseits wird ein Vorhandensein der entsprechenden Infrastruktur als gegeben angesehen, auch wenn in der Praxis der SuV nicht alle von den Systemen

gesammelten Verpackungsabfälle auch vollständig auf diese Infrastruktur treffen. Lässt sich eine Verpackung nicht erfolgreich in Anhang 1 einordnen, besteht dennoch die Möglichkeit, im Einzelfall das tatsächliche Vorhandensein einer entsprechenden Infrastruktur nachzuweisen;

auch hier besteht ein Bezug zur Praxis der SuV. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass es sich bei der Praxis der SuV um keinen festen Referenzpunkt handelt. Vielmehr kann sich die Praxis der SuV ändern. Die Berücksichtigung solcher Änderungen ermöglicht der Einzelfallnachweis, den der Mindeststandard zulässt. Die Möglichkeit/Wahrscheinlichkeit von Veränderungen kommt auch dadurch gesetzlich zum Ausdruck, dass die Mindestkriterien für die Bemessung der Recyclingfähigkeit jährlich bis zum 1. September neu zu bestimmen beziehungsweise

fortzuschreiben sind (vgl. § 21 Abs. 3 VerpackG).192

Im zweiten Kriterium des Mindeststandards wird verallgemeinernd festgestellt, welche

Faktoren die erfolgreiche Sortierung einer Verpackung in die „richtige“, zu einem hochwertigen werkstofflichen Recycling führende Sortierfraktion in der Regel verhindern. Auch hier gibt es die Möglichkeit, von dieser von der Praxis der SuV abstrahierten Grundaussage im Einzelfall

abzuweichen (durch praktischen Gegenbeweis).

Das dritte Kriterium nimmt Bezug auf Recyclingunverträglichkeiten, die in der Praxis der Verwertung bestehen. Auch hier findet eine gewisse Abstraktion statt, da nicht jeder Stoff, jede Materialeigenschaft oder jeder Verpackungsbestandteil, der in der Praxis der Verwertung zu Problemen führen kann, in Anhang 3 des Mindeststandards aufgeführt ist. Vielmehr haben die zuständigen Behörden eine Auswahlentscheidung getroffen und auf die in der Regel relevanten Recyclingunverträglichkeiten abgestellt. Dies schließt nicht aus, dass bei einzelnen

Verwertungsanlagen und -techniken in der Praxis weitere Unverträglichkeiten bzw.

Herausforderungen bestehen können. Diese haben jedoch ZSVR und UBA wohl – soweit bekannt – als weniger (mengen)relevant eingestuft und nicht in den Anhang aufgenommen. Auch darin zeigt sich ein enger Bezug zur Praxis der SuV, ohne diese jedoch 1:1 im Mindeststandard zu Grunde zu legen.

Bei allen drei Mindestkriterien können ZSVR und UBA von der Praxis der SuV abstrahieren und für die Berücksichtigung von Sortier- und Verwertungswegen, Einflussfaktoren für die

Sortierbarkeit sowie Recyclingunverträglichkeiten im Mindeststandard nicht näher beschriebene Wertungen vornehmen. Dabei wird sicherlich auch die Mengenrelevanz

entsprechender Aspekte in der derzeitigen Praxis der SuV eine Rolle spielen. So können Aspekte

192 Keine Rolle spielt in der Orientierungshilfe/dem Mindeststandard hingegen, welcher Anteil der in Verkehr gebrachten Verpackungen von den Haushalten tatsächlich ordnungsgemäß entsorgt wird.

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mit erheblicher und weitgehend flächendeckender Relevanz in der derzeitigen Sortier- und Verwertungspraxis im Mindeststandard abgebildet werden, während kaum relevante Dinge keinen Eingang finden.193

Im Ergebnis spricht die innere Logik des § 21 VerpackG für folgendes Verhältnis der Abs. 1 und 3 und das damit zusammenhängende Verständnis der unterschiedlichen Begrifflichkeiten:

1. Für Verpackungen, die zu einem möglichst hohen Anteil recycelt werden können, setzt jedes System finanzielle Anreize (§ 21 Abs. 1 Nr. 1); dies erfolgt im Wettbewerb der Systeme miteinander, behördlicherseits können dafür keine Vorgaben gemacht werden. Die Recyclingfähigkeit einer Verpackung ist dafür unter Beachtung der Kriterien des

Mindeststandards gemäß § 21 Abs. 3 zu ermitteln, wobei aufgrund des Wortlauts des § 21 Abs. 1 Nr. 1 auch die Praxis der SuV zu berücksichtigen ist. Ein System kann insofern unter Bezugnahme auf die Praxis der SuV zusätzliche Kriterien in die Ermittlung der

Recyclingfähigkeit einfließen lassen, die über jene des Mindeststandards hinausgehen.

Dadurch kann es sicherstellen, dass es nur für solche Verpackungen finanzielle Anreize gewährt, die derzeit de facto auch sortiert und hochwertig verwertet werden können und damit zur Quotenerfüllung beitragen können.

2. Der Mindeststandard zur Bemessung der Recyclingfähigkeit systembeteiligungspflichtiger Verpackungen muss unter Berücksichtigung der einzelnen Verwertungswege und

Materialarten festgelegt werden (vgl. § 21 Abs. 3 VerpackG). Da die Kriterien des Mindeststandards von den Systemen zwingend zu beachten sind, haben sie mittelbar Auswirkungen auf die Ausgestaltung der finanziellen Anreizsetzung der Systeme und beeinflussen damit - so das gesetzgeberische Ziel des § 21 – das Verpackungsdesign. Die Kriterien müssen wissenschaftlich fundiert und damit objektiv gerechtfertigt sein, da sie über mehrere Zwischenschritte indirekt Auswirkungen auf die Marktchancen von

Verpackungen und damit die Marktsituation der Unternehmen haben können. Soweit beim Mindeststandard die einzelnen Verwertungswege und Materialarten zu berücksichtigen sind, müssen diese ZSVR und UBA bekannt sein. Um eine fachlich fundierte Entscheidung über die inhaltliche Ausgestaltung des Mindeststandards im Sinne des zuvor Dargelegten treffen zu können, sind daher die relevanten Verwertungswege zunächst zu ermitteln. Dies kann nur auf Basis des derzeitigen Status quo, sprich einer Kenntnis der Praxis der

Sortierung und Verwertung, erfolgen. ZSVR und UBA sind an die Praxis der SuV aber nicht gebunden, sondern können abstrahieren sowie weitere sachlich begründete Aspekte (z. B.

absehbare Entwicklungen bei Sortier- und Verwertungstechnik) dafür einfließen lassen, wie sie die einzelnen Verwertungswege im Mindeststandard berücksichtigen. Dies ermöglichst, dass der Mindeststandard sowohl für das Verpackungsdesign eine sinnvolle

Entwicklungsrichtung aufzeigt, als auch das Risiko eines „Einfrierens“ der Sortier- und Verwertungsinfrastruktur im Status quo minimiert.

Die Praxis der SuV ist kein statischer Zustand, sondern kann sich ändern und ebenso regelmäßig in Erfahrung gebracht werden. Denn nur wenn die Praxis der SuV bekannt ist, haben ZSVR und UBA eine fundierte Grundlage für die Ausgestaltung und ggf. Anpassung des Mindeststandards.

Und nur wenn die dualen Systeme die Praxis der SuV kennen, können sie in den

Beteiligungsentgelten beim Kriterium der Recyclingfähigkeit die sich ändernde Praxis der SuV berücksichtigen. Die Beteiligungsentgelte können damit dauerhaft eine ökologische

193 Ein Beispiel dafür ist z.B. die Handsortierung von Verpackungsabfällen, die in Einzelfällen ggf. noch vorkommen mag, aber auf die Kriterien des Mindeststandards kaum einen Einfluss gehabt haben dürfte.

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Anreizwirkung entfalten und das gesetzgeberische Ziel, „hohe Recyclingquoten zu erreichen“, mittelbar fördern.194