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Perspektiven der Medienanalyse

3.   Die mediale Vermittlung von Unsicherheit

3.4   Perspektiven der Medienanalyse

Die Rolle der Medien in der Konstruktion von Sicherheit bzw. einer Bedrohung durch den Terrorismus erschließt sich, so lässt sich nunmehr schlussfolgern, wenn man einen erweiterten Medienbegriff in Anschlag bringt und Medien nicht nur im traditionellen Sinne als Informationsübertragungs- und Kommunikationsmedien begreift. Massen-medien berichten nicht nur über Ereignisse in der Welt, vielmehr bringen sie Phäno-mene wie Terrorismus in Erscheinung, machen sie sichtbar. Auch Sicherheitstechno-logien wirken als Medien. Sie produzieren Wirklichkeiten, Objekte, Klassen von Indi-viduen. Richard Ericson und Kevin Haggerty (1997) haben bereits vor Jahren für die

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Polizeiarbeit den Slogan geprägt, „community policing“ sei „communications policing“, d.h. die Hauptaufgabe der Sicherheitsbehörden ist aus ihrer Sicht in erster Linie Risikokommunikation. Die Art, wie sie das tun, mit Hilfe welcher Methoden und Mittel, bestimmt nicht nur das Bild der Kriminalität, sondern erzeugt eine be-stimmte Art von nicht mehr hintergehbarer Realität.

Diesen Sachverhalt gilt es bei der Analyse von Wahrnehmung, Medien und gesell-schaftlicher Konstruktion von Sicherheit zu berücksichtigen. Die Suche nach einer wahren, objektiven, nicht verzerrten oder von Störeinflüssen freien Wirklichkeit des Verbrechens im Allgemeinen und des Terrorismus im Besonderen endet spätestens an der Grenze der körperlichen Verletzung und jenseits der – tödlichen – Schmerzen der Opfer gibt es nur mehr medial Vermitteltes.44 Natürlich lässt sich unterscheiden zwi-schen dominanten, akzeptierten, abgesicherten, hegemonialen Wirklichkeiten und Wahrheiten auf der einen Seite und nicht akzeptierten, marginalen, und wenig abgesi-cherten auf der anderen. Allerdings gilt es dabei zu berücksichtigen, dass sich die Dif-ferenz zwischen diesen unterschiedlichen Konstrukten nicht durch ihre mehr oder we-niger große Übereinstimmung mit einer vorgängigen Wirklichkeit bestimmen lässt.

Die Verhältnisse zwischen Wahrheiten sind Machtverhältnisse und die Differenz zwi-schen heterodoxen und orthodoxen Deutungen verweist auf Machtdifferenzen und differentielle Chancen der Durchsetzung.

Betrachtet man die Rolle der Medien im Prozess der Wahrnehmung und der Konstruk-tion von Wirklichkeiten, so zeigt sich eine interessante Paradoxie. Medien machen Phänomene wie Terrorismus im visuellen und sozialen Sinne sichtbar – man denke an die emblematischen Bilder der Flugzeuge, die in die Twin Towers in New York stür-zen, oder auch an Fahndungsfotos im Fernsehen und auf Plakaten. Medien können Objekte aber auch gleichsam verschwinden lassen. Im Kontext des Einsatzes von Sicherheitstechnologien sprechen Bellanova und Fuster (2013) hier von den „politics of disappearence“.

Die gesellschaftliche Konstruktion von Sicherheit entfaltet sich in diesem Wechsel-spiel von Sichtbarmachung und Unsichtbarmachung. Dies gilt in dem trivialen Sinne, dass ein terroristischer Anschlag, über den nicht berichtet wird, außer für die unmittel-bar Betroffenen, gleichsam nicht stattfindet. Es entspricht der Dramaturgie terroristi-scher Anschläge, Wirksamkeit über die mediale Vermittlung zu entfalten. Die lokale

44 Jenseits der Evidenz der eigenen Körperlichkeit (bei den sogenannten „Qualia“) endet die unhintergehbare Evidenz der Wahrnehmung. Die hier wichtigen Unterscheidungen zwischen der Evidenz der körperlichen Empfindung und der sozialen Deutung spielen nicht nur für die Kriminologie, sondern auch für die (Neuro‐)Biologie und die Philosophie eine zentrale Rolle (Grahek 2001; Scarry 1992).

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Aktion soll politische Botschaften an ein globales Publikum senden. Vereinzelte, un-berechenbare Operationen sollen ein allgemeines Klima der Angst erzeugen.

Das Wechselspiel von Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit vollzieht sich aber auch in ei-nem weniger trivialen Sinne. Die Durchdringung des Alltags und des öffentlichen Raums mit mehr oder weniger bewusst wahrnehmbaren Sicherheitstechnologien und -praktiken (von den Videokameras im öffentlichen Raum über routinemäßige Kontrol-len an Flughäfen bis hin zur kontinuierlich wiederholten Aufforderung über Lautspre-cher, sein Gepäck an Bahnhöfen nicht unbeaufsichtigt stehen zu lassen), erinnert auf banale Weise an die niedrigschwellige, allgegenwärtige Gefährdung. Dieser Mecha-nismus ist von Michael Billig (1995) für das politisch-kulturelle Objekt des National-staats beschrieben worden: Ohne explizit auf die Nation Bezug zu nehmen, verweisen eine Vielzahl von kulturellen Praktiken und linguistischen Varianten unterschwellig und kontinuierlich auf dieses Objekt. Billig bezeichnet dies als „Flagging the Home-land Daily“. Sicherheitstechnologien und dazu gehörige Praktiken erfüllen eine ähnli-che Funktion. Ihre Wirkung ließe sich als „Flagging security threats daily“ bezeich-nen. Ganz offensichtlich ist im Hinblick auf die vermeintlichen Gefahren des Terro-rismus die Überschneidung zwischen Sicherheit und Nationalstaat, da es die derzeit als besonders bedrohlich eingestuften terroristischen Akteure gemäß der herrschenden Deutung auf „unseren“ Staat, „unsere“ Kultur abgesehen haben. Ihre Angriffe zielen auf „uns im Westen“. Die verzweigten und teils kruden, teils differenzierten Diskurse, die diese Deutung umgeben, bilden das Grundrauschen einer hegemonialen Selbstver-gewisserung im Angesicht brüchig werdender kollektiver Identitäten (Barber 1995;

Said 1978).

Betrachtet man die Dynamik der medial vermittelten Kommunikation über Sicherheit, so zeigt sich, dass einfache Ursache-Wirkungsschemata nicht hinreichend sind, um die Zusammenhänge zwischen Medien in diesem erweiterten Verständnis und den ver-schiedenen Dimensionen oder Facetten von Sicherheit zu erfassen. Vorherrschend sind hier Rückkopplungen und Kreisläufe der Verstärkung oder Dämpfung von Vorstellun-gen, Politiken und Praktiken, die verschiedene öffentliche Sicherheitsdiskurse prägen.

Einer der bekanntesten dieser Kreisläufe ist in der News Making Criminology (Barak 1994) beschrieben worden. Vereinfacht besagt dieser Kreislauf, dass ein Großteil der Kriminalität, die der Polizei zur Kenntnis kommt, auf Anzeigen aus der Bevölkerung basiert. Das Wissen der Bevölkerung über verschiedene Formen der Kriminalität und ihre Bedrohlichkeit und Verbreitung wiederum basiert auf der Rezeption von Medien (im traditionellen Sinne von Zeitungen und TV). Der Großteil der medialen Kriminali-tätsberichterstattung speist sich seinerseits aus Informationen, die aus Polizeiquellen kommen. Selten recherchieren Redakteure oder Journalisten eigenständig in diesem Bereich. Sie verlassen sich auf die Informationen aus den polizeilichen Pressestellen.

Hier schließt sich dann der Kreis zwischen Medien, Strafverfolgung und Bevölkerung.

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In ähnlicher Richtung argumentiert Katherine Beckett (1997) in ihren Untersuchun-gen. Sie konzentriert sich auf das Zusammenspiel von Politik und Medien. Entgegen der These, dass punitive und repressive politische Maßnahmen als Folge einer steigen-den Kriminalität oder sonstigen Problemdrucks interpretiert wersteigen-den können, sind es vielmehr die öffentlichen und veröffentlichten Aussagen einschlägig motivierter Kri-minalpolitiker, die einhergehen mit einer entsprechenden Medienberichterstattung über die Bedrohlichkeit der jeweiligen Probleme, die diese Entwicklung vorantreiben.

Beckett nennt die gängige Interpretation die „democracy at work“ These, die besagt, Politik reagiere auf reale Probleme und den Druck der Bevölkerung. Beckett kann anhand ihrer Daten aus den Vereinigten Staaten nachweisen, dass politisch-mediale Initiativen die über Meinungsumfragen erhobene Besorgnis in der Bevölkerung erst auslösen. Zudem zeigt sie am Beispiel von Drogenmissbrauch, dass die öffentliche Erregung über dieses soziale Problem mit seiner realen Verbreitung nicht korreliert. In Zeiten steigender Zahlen registrierter Drogenprobleme hält sich die öffentliche Erre-gung über dieses soziale Übel in Grenzen. Sie steigt jedoch an, nachdem sich politi-sche Akteure zu Wort gemeldet haben und offiziell ein „Drogenproblem“ ausgerufen haben.

Im Hinblick auf politische Initiativen im Politikfeld Terrorismusbekämpfung wirkt ein weiterer Verstärkerkreislauf. Die Bedrohungsanalysen, die der Politik zur Verfügung stehen, stammen von nationalen oder transnationalen Lagezentren.45 Diese Experten-gremien sind mit Fachleuten aus dem Bereich der Sicherheitsbehörden besetzt. Die dort entwickelten Bedrohungsszenarien basieren i.d.R. auf nicht öffentlich zugängli-chen Daten („Intelligence“). In ihrer Bewertung dieser Daten neigen diese Gremien eher zu worst-case-Annahmen als zur Verharmlosung. Die politisch Verantwortlichen sind dann in der Situation, auf der Grundlage solcher Gefährdungsdiagnosen Ent-scheidungen zu treffen – etwa Gesetzesinitiativen einzubringen, die zu einem Ausbau von Überwachungsmaßnahmen führen. Die Politik ist in diesem Bereich auf die Diag-nosen der Sicherheitsbehörden angewiesen. Es gibt keine unabhängige Evidenz, die im Sinne eines „Gegengutachtens“ oder „Sondervotums“ wie es in anderen experten-abhängigen Politikbereichen existiert, alternative Standpunkte in die Diskussion ein-bringen könnte.

Im rationalen Kalkül der politisch Verantwortlichen ist im Angesicht von vermeintli-chen Bedrohungen eine prä-emptive Reaktion die bessere Lösung, da im Fall eines

45 In Deutschland ist hierfür das GLMZ, das gemeinsame Lage‐ und Meldezentrum des BMI zuständig. Ferner wird eine Anti‐Terror Datei unterhalten (ATD), in der wichtige Informationen gespeichert werden (vgl. 4.1.3.4). Auf europäischer Ebene existiert ein EU Counterterrorism Coordinator, der ebenfalls für die Koordination und Aufbereitung entsprechender Informationen zuständig ist.

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Nicht-Reagierens der Eintritt des Schadens ihrem Nicht-Handeln zugeschrieben wer-den kann (Kreissl 2008).

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