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Abkürzungsverzeichnis

Teil 2 – Internet-Softwarepiraterie

VI. Kommunikationswege der Warez-Szene

7. Peer-to-Peer-Filesharing-Systeme (P2P-Systeme)

P2P-Programme werden zunehmend genutzt, um Raubkopien zu tauschen. Allerdings werden sie weder von Warez-Gruppen noch von Personen genutzt, die gewerbsmäßig mit Raubkopien handeln.

Hier stellen Tausende von Internetnutzern anderen Internetnutzern alle Arten von Dateien zur Verfügung, die sich auf ihren heimischen Festplatten befinden. In der letzten Zeit ist ein Trend zu beobachten, wonach sich in P2P-Netzen verstärkt ISO-Dateien von Computerprogrammen befin-den. Im Gegensatz zur in der Gruppenszene erhältlichen Software handelt es sich jedoch überwiegend um sogenannte Topseller, also die ganz bekannten und begehrten Programme; spezielle oder unbekanntere Software lässt sich kaum über P2P-Systeme beziehen.

Die große Popularität der P2P-Systeme resultiert aus dem Musik- und Filmtausch, weshalb sich ein Abschnitt im dritten Teil dieser Arbeit ausführlich mit ihnen auseinandersetzt.

VIII. Phänomenologische Betrachtung der Warez-Szene 1. Subkulturelle Besonderheiten

Große Teile der Internetgemeinde sind von einer anarchischen Grundtendenz geprägt184, wovon auch die Warez-Szene nicht ausgenommen bleibt. Die Mehrheit der Szenemitglieder stellt altherge-brachte Autoritäten in Frage und fühlt sich als Teil einer alternativen Gesellschaftsform. Das Leben in dieser regelrechten Computer-Subkultur185, die ihre eigenen Regeln und Gepflogenheiten hat, bewirkt überdies einen starken Zusammenhalt. Prägend sind ebenfalls die vermeintliche Sicherheit und Anonymität, die das Internet seinen Nutzern bietet. Hierdurch ist es unter anderem möglich, sich seinem virtuellen Gegenüber nach eigenen Vorstellungen zu präsentieren.

Bei den Warez-Gruppen selbst fallen Parallelen in der Organisation und Planung zu betriebs-wirtschaftlichen Unternehmungen und zur organisierten Kriminalität auf. Zu erwähnen sind vor allem Stichworte wie Personenmehrheit, hierarchische Struktur, Arbeitsteilung, Gehorsam und Dauerhaftigkeit. Allerdings fehlt in den meisten Fällen ein wichtiges Hauptmerkmal: Fast alle Gruppen arbeiten ohne Gewinnorientierung. Den typischen „Berufsverbrecher“ wird man daher in Warez-Gruppen kaum antreffen. Anders sieht es dagegen bei den Profit-Pirates aus: Hier ist davon auszugehen, dass einige Raubkopierer von dem Erlös aus CD-Verkäufen ihren Lebensunterhalt bestreiten oder sich zumindest ein nicht unwesentliches Zubrot verdienen.

184 Vgl. Hoeren, Das Internet für Juristen, NJW 1995, S. 3298; Meseke, S. 529.

185 Schultz, S. 123.

Vorherrschendes Prinzip in der Warez-Szene ist und bleibt das Tauschprinzip. Von 254 vom Verfasser untersuchten Gruppen gab es lediglich zwei Gruppen, die in ihren NFO-Dateien ein finanzielles Interesse erkennen ließen.186

Abbildung 46 – Auszug aus einer NFO-Datei

In der überwiegenden Zahl der Fälle wird das Verhalten von Profit-Pirates verurteilt und sogar zum rechtmäßigen Kauf von Software aufgefordert, sofern man diese häufig benutzen sollte.

Abbildung 47 – Auszug aus einer NFO-Datei

186 Zur Methodik siehe Teil 1, F.

Abbildung 48 – Auszug aus einer NFO-Datei

Einzelne Gruppen haben sich sogar dafür entschieden, keine Programme mehr zu veröffentlichen, die einen gewissen Verkaufspreis unterschreiten:

Abbildung 49 – Auszug aus einer NFO-Datei

Diese moralisch-ethischen Hinweise einzelner Gruppen ändern selbstverständlich nichts an der Tatsache, dass Profit-Pirates die Releases für kommerzielle Zwecke nutzen. Allerdings ist anzumerken, dass die Äußerungen der Gruppenmitglieder dazu beitragen, dass der Handel mit Raubkopien vom überwiegenden Teil der Szene nicht toleriert wird.

Zwischen den einzelnen Warez-Gruppen besteht ein fortwährender Wettstreit darüber, wer als erster eine lauffähige Version eines aktuellen Programms veröffentlicht.

Der Ruf einer Gruppe innerhalb der Szene ist für ihre Mitglieder außerordentlich wichtig. Gruppen, die schlechte Cracks veröffentlichen, laufen Gefahr, von konkurrierenden Gruppen in deren NFO-Dateien verspottet zu werden.187 Um nicht als unprofessionell zu gelten, versuchen sie stets, zu verhindern, dass jemand nach einem mehrstündigen Download eine schlecht gecrackte Software bekommt. Der Mythos des „bad crack“, der angeblich 1992 nach dem fehlerhaften Crack von Autodesks 3D Studio geboren wurde, ist seither Schrecken jeder Gruppe und wohl auch der Grund dafür, dass sämtliche Programme vor ihrer Veröffentlichung ausführlich beta-getestet werden.188 Je schwerer Programme zu cracken sind, um so spektakulärere Trophäen stellen sie dar.189 Immer wieder rühmen sich Gruppen in NFO-Dateien mit der Überwindung eines als „uncrackbar“

geltenden Kopierschutzes. Insbesondere das Cracken von donglegeschützten Programmen mehrt den Ruhm einer Gruppe außerordentlich.

Personen, die für den Erhalt der Szene arbeiten und aufgrund überlegenen Wissens ein hohes Ansehen genießen, werden als „Elite“ oder „leet“ bezeichnet. Das Gegenteil der Elite sind die sogenannten Lamer190. Ein Lamer ist eine Person, die einen naiven und ahnungslosen Eindruck vermittelt. Lamer ist ein gerne benutztes Schimpfwort in der Szene, und es wird häufig im Zusammenhang mit „unprofessionellem“ Verhalten konkurrierender Warez-Gruppen gebraucht. Als besonders „lame“ gilt es, Cracks anderer Gruppen zu stehlen und als eigene Cracks zu veröffentlichen. Das Anprangern und Verspotten anderer wird im Netz generell als „flaming“

bezeichnet.

Abbildung 50 – Auszug aus einer NFO-Datei

187 Kürten, PC-Intern 8/1999, S. 33.

188 McCandless, Wired Magazine 5.04 – April 1997; siehe oben Teil 2, A. IV. 3.

189 McCandless, Wired Magazine 5.04 – April 1997.

190 Lamer (engl.) = Lahmer, Gelähmter.

Abbildung 51 – Auszug aus einer NFO-Datei

Gruppenmitglieder werden in der Szene wie Popstars verehrt.191 Einen besonders hohen Status nehmen Leader und Cracker ein, deren Image vornehmlich durch die Inhalte von NFO-Dateien geprägt ist. Die Beliebtheit der Mitglieder ist unter anderem durch einen Umstand bedingt, den man als „Robin-Hood-Phänomen“ bezeichnen kann: Nach Ansicht vieler Szenemitglieder nehmen die Gruppen den reichen Softwarekonzernen etwas weg und geben es den „armen“ Computernutzern.

Für die meisten Anhänger der Szene ist die Mitgliedschaft in einer der Warez-Gruppen das ultimative Ziel. Zum einen würden sie ebenfalls ein hohes Maß an Anerkennung erlangen, da sie für die vermeintlich Guten arbeiten, und zum anderem würden sie direkt „an der Quelle“ sitzen.

In jedem Internet-Dienst, den die Warez-Szene für ihre Zwecke nutzt, haben sich eigene Ver-haltensregeln etabliert. Im UseNet gilt beispielsweise Crossposting als „lame“ Verhaltensweise.

Crossposting bedeutet das mehrfache (parallele) Veröffentlichen eines Newsartikels in verschiedenen Newsgroups. Auch in IRC-Channels gelten gewisse Verhaltensregeln: So wird es in vielen Channels nicht gern gesehen, wenn offen nach FTP-Servern oder Webseiten gebettelt wird. Auch das Bekanntgeben von Downloadmöglichkeiten ist verpönt, sofern der Bekanntgebende diese nicht selbst geschaffen hat.

Die grundlegende Sprache der Warez-Szene ist Englisch. Allerdings hat sich in Teilen der Szene ein eigenständiger Jargon entwickelt, der vor allem von den jüngeren Szenemitgliedern verwendet wird.

Da die überwiegende Internet-Kommunikation in Schriftform geführt wird, fällt vor allem die

191 McCandless spricht von „Warez Gods“, Wired Magazine 5.04 – April 1997.

Schreibweise dieser eigenen Sprache auf: Z wird anstelle von S benutzt, K anstelle von C, PH anstelle von F und J anstelle von G. Auch erfolgt eine willkürliche Groß- und Kleinschreibung („i’M MajiK SkuLLz, KinG oF ThE FileZ“).192 Worte wie Appz, Gamez, Serialz und Crackz sind feste Bestandteile des Szene-Wortschatzes. Hinzu kommen die bereits erwähnten Emoticons, anhand derer der Schreibende seine Gefühle mit kurzen Zeichenfolgen ausdrücken kann.

An den Logos der Gruppen, die meist als „Briefköpfe“ in den NFO-Dateien fungieren, kann man erkennen, dass die Szene auch von der Graffiti-Kultur der frühen 80er Jahre beeinflusst ist. Diese in sogenannter ASCII-Art erstellten Schriftzüge und Gebilde bestehen meist aus Tastatur-Sonder-zeichen und sollen den Wiedererkennungswert einer Gruppe erhöhen und ein gewisses Image erzeugen.

Grundsätzlich finden sich bei Warez-Gruppen auch Parallelen zu Hacker-Gruppen – vor allem, was den Status der Mitglieder, deren Kodex und typische Gruppenmechanismen anbelangt.193