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5 Diskussion

5.1 Onkologische Daten

Im Zeitraum von April 1991 bis Ende März 2001 wurden in unserer Klinik 572 Patienten an einem Kehlkopfkarzinom primär behandelt. Es handelte sich bei 453 Patienten (79 %) um Stimmlippenkarzinome, und bei 119 Patienten (21 %) um supraglottische Kehlkopfkarzinome. Ein primärer Organerhalt konnte bei insgesamt 447 Patienten (79 %) erzielt werden, bei 125 Patienten erfolgte die primäre, totale Laryngektomie. Von den 453 Patienten mit primärem Stimmlippenkarzinom konnte bei 380 Patienten (84 %) eine funktionserhaltende Therapie durchgeführt werden. Eine funktionserhaltende Therapie supraglottischer Karzinome war wegen des fortgeschrittenen Stadiums, in welchem die Tumoren zum Zeitpunkt des Behandlungsbeginns waren, nur in 67 von 119 Fällen (56 %) möglich.

Die Kehlkopf erhaltende Therapie insbesondere der frühen Stimmlippenkarzinome kann entweder durch eine chirurgische Therapie oder eine Strahlentherapie erfolgen47;61;76-78

. Während die Ergebnisse nach erfolgreicher Strahlentherapie funktionell sehr gut sind, muß jedoch immer die volle Tumordosis appliziert werden, eine an die Lage und Größe des Tumors adaptierte Therapie ist im Gegensatz zur chirurgischen Therapie nicht möglich. Oft sind die Nebenwirkungen und Spätfolgen der Bestrahlung erheblich, wenngleich auch in den letzten Jahrzehnten minimiert. Darüber hinaus ist die Dauer der Strahlentherapie im Vergleich zur chirurgischen Therapie sehr langwierig, ca. 6 - 8 Wochen.

Bereits im 19. Jahrhundert wurde über die ersten transoralen Stimmlippentumorresektionen berichtet. Die Schwebelaryngoskopie bzw. die Stützautoskopie wurde bereits zu Anfang des 20. Jahrhunderts durchgeführt. 1968 beschreibt Kleinsasser erstmals die transorale endoskopische Mikrolaryngoskopie75;76. Er führte die Resektion der Tumoren mit sogenannten „kalten“, d. h. konventionellen mikrochirurgischen Instrumenten unter Benutzung eines Operationsmikroskopes durch, wodurch die Tumorresektion unter onkologischen Gesichtspunkten wesentlich sicherer wurde. Der Vorteil der Benutzung des Operationsmikroskopes lag in der exakteren Beurteilung des Tumors, seiner Ausdehnung und Infiltration des umliegenden Gewebes.

Diese Methode wurde zunächst kritisch betrachtet, setzte sich jedoch im Laufe der Jahre zunehmend durch. Jako et al.67 führen erstmals eine transorale, experimentelle Stimmlippentumorresektion mittels eines Carbondioxidlasers an einem Hund durch, die danach auch klinische Anwendung erfuhr. Über die mikrolaryngoskopisch laserchirurgische Therapie von Stimmlippenkarzinomen an größeren Patientenkollektiven wurde von Steiner und Rudert berichtet117-119;127

. Durch den Einsatz des CO2 Lasers werden intraoperative Blutungen aus kleinen Gefäßen aufgrund von thermokoagulatorischen Effekten des Laserstrahls im Endolarynx minimiert71. Für die chirurgische Therapie mit Organerhalt bei frühen Kehlkopfkarzinomen kommen seither sowohl rein transoral endoskopische Kehlkopfteilresektionen (mit dem CO2

Laser oder mit konventionellen Kaltinstrumenten) ohne Defektrekonstruktion als auch transzervikale Kehlkopfteilresektionen zum Einsatz.

Brauers et al.26 beschreiben schon im Jahre 1834 die Stimmlippentumorexstirpation über eine Thyreofissur und Chordektomie der gesamten Stimmlippe ohne Rekonstruktion des Defektes an einem Menschen. Bis heute wurden eine Vielzahl von Kehlkopfteilresektionen beschrieben. Sie unterscheiden sich im wesentlichen in Bezug auf das Ausmaß der Resektion bzw. der Rekonstruktion der entstandenen Defekte4;89;102;122;134

.

Sofern keine Kontraindikationen für eine chirurgische Therapie des Kehlkopfkarzinoms vorlag (z. B. erhöhtes Narkoserisiko, Ablehnen der Operation durch den Patienten), wurde in der Gießener Universitäts-HNO-Klinik ein primär chirurgisches Vorgehen mit kurativem Ansatz favorisiert. Nur bei Patienten mit flächenhaften bilateralen Kanzerisierungen der Stimmlippen oder bei Feldkanzerisierungen und bei zu erwartenden schlechten funktionellen postoperativen Ergebnissen nach primär chirurgischer Therapie wurde zur primären Radiotherapie geraten. Glanz et al.54 konnten in ihrer retrospektiven Analyse von 584 Patienten mit Kehlkopfkarzinomen zeigen, daß die chirurgische Therapie von Kehlkopfkarzinomen der primären Strahlentherapie aus onkologischer Sicht überlegen ist. Die chirurgische Therapie führte zu weitaus weniger lokalen Tumorrezidiven als die primäre Strahlentherapie (Stimmlippenkarzinome des Stadiums pTis: primäre Radiotherapie (n=27) - 7 Patienten entwickelten ein Lokalrezidiv; transoral mikrolaryngoskopische Resektion (n=42) und Chordektomie nach Thyreofissur (n=36) – 2 Patienten entwickelten ein Lokalrezidiv (jeweils nach transoral mikrolaryngoskopischer Resektion und Chordektomie);

Stimmlippenkarzinome des Stadiums pT1aN0: primäre Radiotherapie (n=14) - 9 Patienten entwickelten ein Lokalrezidiv.; primär chirurgische Therapie durch transoral mikrolaryngoskopische Resektion (n=25) und Chordektomie nach Thyreofissur (n=102) – 1 Patient entwickelte ein Lokalrezidiv nach Chordektomie).

Karzinome der Stimmlippenregion werden in unserer Klinik in der Regel mit konventionellen mikrochirurgischen „Kaltinstrumenten“ reseziert, um die durch den Einsatz des Carbondioxidlasers entstehenden thermischen Schäden am Stimmlippengewebe zu umgehen. Je kleiner ein Tumor ist und je oberflächlicher der Tumor wächst, desto zurückhaltender wird der Laser als Schneideinstrument eingesetzt.

Bei größeren Resektionsdefekten kann die dickere Narbenplatte nach Laserresektion funktionell von Vorteil sein. Molgat und Middleton et al. 96;97 konnten zeigen, daß die Wundheilung nach laserchirurgischen Hautexzisionen im Gegensatz zur Kaltinstrumentenexzision aufgrund thermischer Gewebsschäden verlängert ist. Garret et al.50 zeigten im Tierversuch, daß die phonatorische Schwingungsfähigkeit der Stimmlippen nach laserchirurgischer Therapie im Gegensatz zur Chirurgie mit konventionellen Instrumenten vermindert ist.

Supraglottische Karzinome hingegen werden häufig mit dem Carbondioxidlaser reseziert, da die thermokoagulatorischen Effekte des Lasers stärkere endolaryngeale Blutungen verhindern und somit ein guter Überblick über den Operationssitus gegeben ist. Funktionelle Nachteile durch den Einsatz des Carbondioxidlasers sind in dieser Region des Kehlkopfes, im Gegensatz zur Stimmlippenregion, nicht zu erwarten.

In der funktionserhaltenden mikrochirurgischen Therapie der Stimmlippenkarzinome mit konventionellen Instrumenten kamen in unserer Klinik zwei verschiedene Techniken zum Einsatz, die sich in der Art des Zuganges zum Endolarynx unterscheiden.

Die Resektion von Carcinomata in situ oder früher Karzinome einer Stimmlippe (pTisa-pT1a) wurde in den meisten Fällen rein transoral mikrolaryngoskopisch vorgenommen.

Stimmlippenkarzinome wurden immer dann mittels eines transzervikalen Zuganges und einer sogenannten vertikalen Kehlkopfteilresektion mit Glottisrekonstruktion (vkkt) reseziert, wenn:

ƒ Die Resektion des Karzinoms ohne Rekonstruktion des Defektes zu schlechten

funktionellen Ergebnissen führen würde.

ƒ ihre Größe und Ausdehnung endoskopisch nicht ausreichend beurteilbar bzw.

der Tumor nicht ausreichend einstellbar ist und somit auch eine endoskopisch endolaryngeale Resektion onkologisch unsicher erscheint.

ƒ eine Infiltration des Kehlkopfknorpelskelettes eine Knorpelresektion in Form der erweiterten transzervikalen vertikalen Kehlkopfteilresektion erforderlich macht (siehe Kapitel „Die transzervikale vertikale Kehlkopfteilresektion“).

Die pathohistologische Aufarbeitung der Resektionspräparate und die Kontrolle der Schnittränder ist von großer Bedeutung für die Prognose des Patienten25;80;137;141

. Wenn die schnittrandbildenden Bereiche des Resektates infiltrierende Tumorausläufer zeigen, muß eine Nachresektion erfolgen, um ein Höchstmaß an onkologischer Sicherheit zu gewähren. In Einzelfällen kann auch eine postoperative Radiotherapie erfolgen, wenn andere Gründe gegen ein erneutes operatives Vorgehen sprechen. Die pathohistologische Kontrolle der Operationspräparate nimmt eine Schlüsselstellung in der primär chirurgischen Therapie der Kehlkopfkarzinome ein. Aus diesem Grund werden in unserer Klinik regelmäßig interdisziplinäre pathohistologische Konferenzen abgehalten, und die histologischen Befunde in Zusammenarbeit mit Pathologen eingehend diskutiert.

Die nach Kaplan und Meier70 geschätzten 5-Jahres-Lokalrezidivraten primär chirurgisch funktionserhaltend therapierter kleiner Stimmlippenkarzinome und Carcinomata in situ der Stadien pTisa, pTisb, pT1a und pT1b liegen bei 98,4 %, 47 %, 99,2 % bzw. 92,6 %.

Keiner dieser Patienten (pTisa: n=64; pTisb: n=15; pT1a: n=139; pT1b: n=25) verlor seinen Kehlkopf oder starb an den Folgen des Karzinoms (tumorbezogene-5-Jahres Überlebensquote für die Stadien pTisa, pTisb, pT1a, pT1b: 100 %). Diese Ergebnisse sind vergleichbar mit den Ergebnissen von Gallo et al.49 (geschätzte 3-Jahres- Lokalrezidivfreiheit: pTis: 100 %, pT1a: 94 %; pT1b: 91 %) nach Stimmlippenkarzinomresektion mit dem Carbondioxidlaser. Eckel et al.33 berichten retrospektiv über 285 Patienten nach transoraler laserchirurgischer Resektion kleiner Stimmlippenkarzinome (geschätzte 5-Jahres-Lokalrezidivfreiheit: pTis: 93,5 %;

pT1: 86,6 %; pT2: 82 %). Andere Autoren geben eine lokale Kontrolle nach ausschließlich endoskopischer, funktionserhaltender Resektion von Stimmlippenkarzinomen des Stadiums pT1 zwischen 87 % und 100 % an101;104;120;126

.

Vor allem im anglo-amerikanischen Raum werden kleine präkanzeröse oder kanzeröse Läsionen der Stimmlippen weniger häufig primär chirurgisch therapiert, sondern ein radiotherapeutisches Vorgehen favorisiert. Die Radiotherapie kleiner Stimmlippenkarzinome soll bessere funktionelle Ergebnisse zeigen als die primär mikrochirurgische Therapie. Dies konnte in einer Studie von Wedman et al.136 nicht bestätigt werden. Dafür wird das Auftreten radiogener Zweitkarzinome55 sowie die Langzeitfolgen der Radiotherapie in Kauf genommen. Die lokale Kontrolle für die primäre Radiotherapie von Stimmlippenkarzinomen des Stadiums pT1 liegen zwischen 92 % und 97 %46;81;94;95;128

.

In der Gießener Universitäts-HNO-Klinik erfolgte die Resektion von Stimmlippenkarzinomen des Stadiums pT2 (n=56) sowohl durch eine transzervikale vertikale Kehlkopfteilresektion (n=42) als auch durch eine transorale mikrolaryngoskopische Tumorresektion (n=14). Die Morbidität der transzervikalen Kehlkopfteilresektion ist, bedingt durch eine notwendige passagere Tracheotomie des Patienten für durchschnittlich 7 Tage, im Vergleich zu rein endoskopisch transoralen Operationen erhöht. Unter Berücksichtigung des hohen Alters und der Morbidität der Patienten wurde in 14 Fällen von pT2 Stimmlippenkarzinomen ein rein transoral mikrochirurgisches Vorgehen ohne Rekonstruktion des Resektionsdefektes gewählt.

Die geschätzte 5-Jahres-Lokalrezidivfreiheit für das Stadium pT2 liegt bei 92,8 %, die tumorbezogene 5-Jahres-Überlebensquote bei 98 %. Bei 3 von insgesamt 14 Patienten nach transoral mikrochirurgischer Resektion eines Stimmlippenkarzinoms des Stadiums pT2 traten Lokalrezidive auf und bei nur einem von 42 Patienten nach vorausgegangener transzervikaler Kehlkopfteilresektion und Rekonstruktion des Defektes. Bei 2 Patienten wurde zur kurativen Therapie eine Rettungslaryngektomie mit bzw. ohne Neck dissection durchgeführt – diese Patienten verstarben tumorfrei interkurrent. Hervorzuheben ist das vorwiegend extralaryngeale Wachstum des Rezidivkarzinoms nach transzervikaler vertikaler Kehlkopfteilresektion bei einem der 2 Rezidivpatienten. Das Rezidiv infiltrierte die paralaryngealen Weichteile und den Schildknorpel, der endolaryngeale Befund war vollkommen unauffällig. Dieses große Tumorrezidiv (rpT4 N1 M0) konnte jedoch durch Rettungslaryngektomie, bilaterale konservative Neck dissection und postoperative Bestrahlung der collaren Lymphabflusswege beherrscht werden, der Patient vertarb tumorfrei intercurrent. Eine Patientin lehnte die Rettungslaryngektomie ab, unterzog sich einer Strahlentherapie und verstarb an den Folgen einer mediastinalen und pulmonalen Filialisierung bei

tumorfreihem Kehlkopf (undifferenziertes Karzinom, G3). Ein anderer Patient konnte chirurgisch Kehlkopf erhaltend therapiert werden und lebt zur Zeit tumorfrei.

Die 5-Jahres-Lokalrezidivfreiheit bei funktionserhaltender, primär chirurgischer Therapie glottischer Karzinome des Stadiums pT2 liegt in der Literatur zwischen 85 % (Operationstechnik: Endoskopische CO2-Laserresektion, keine Rekonstruktion, n=91 Eckel et al.44;) und 92 % (Giovanni et al51; Operationstechnik: frontoanteriore Kehlkopfteilresektion und Rekonstruktion mit Epiglottislappen; 85 % - Puxeddu et al.109; Operationstechniken: Konventionelle horizontale Glottektomie, Laryngofissur und konventionelle Chordektomie bzw. erweiterte Chordektomie, endoskopische CO2- Laserresektionen; 85 % - Davis et al.35; Operationstechnik: Endoskopische vertikale Kehlkopfteilresektion mit oder ohne postoperativer Strahlentherapie; 91 % - Peretti et al.105; Operationstechnik: Endoskopische CO2 Laserresektion). Die lokale Kontrollrate für die primäre Radiotherapie glottischer Karzinome des Stadiums pT2 liegt zwischen 57 %42 und 75 %10 (T2a: 94 %, T2b 23 %; Burke et al.29). Die tumorbezogenen Überlebensraten für die chirurgische Therapie von Stimmlippenkarzinomen des Stadiums pT2 liegen zwischen 85 und 98 %45;100.

In unserem Patientenkollektiv traten bei 6 von 17 Patienten (transzervikale vertikale Kehlkopfteilresektion: n=15; transorale erweiterte Chordektomie: n=2) nach kehlkopferhaltender primär chirurgischer Therapie von Stimmlippenkarzinomen des Stadiums pT3 lokale Tumorrezidive auf. Fünf dieser Patienten (alle nach transzervikaler vertikaler Kehlkopfteilresektion) verstarben an den Folgen des Rezidivs. Bei einem Patienten trat eine späte collare Lymphknotenmetastase auf. Diese konnte durch eine konservative unilaterale Neck dissection und postoperative Radiotherapie kurativ behandelt werden. Die geschätzte 5-Jahres-Lokalrezidivfreiheit für das Stadium pT3 und pT4 zusammen (n=19) und funktionserhaltender primär chirurgischer Therapie liegt somit bei 68,4 %, die tumorbezogene 5-Jahres-Überlebensquote nur bei 73,6 %. Mit Ausnahme von 2 Patienten (ausschließlich transorale Tumorresektion durch erweiterte Chordektomie ohne Rekonstruktion wegen hoher Morbidität und hohen Alters der Patienten) wurde bei allen Patienten eine transzervikale vertikale Kehlkopfteilresektion mit bzw. ohne Schildknorpelteilresektion und sofortiger Rekonstruktion des Defektes durchgeführt. Beide Patienten nach transoraler Tumorresektion blieben bis zum Stichtag tumorfrei, bei 6 von 15 Patienten nach transzervikaler vertikaler Kehlkopfteilresektion traten Lokalrezidive auf.

Extralaryngeales Wachstum des Rezidivtumors trat bei 3 von 6 Patienten auf, bei 2 dieser Patienten war der Endolarynx makroskopisch vollkommen unauffällig und tumorfrei. Tumorrezidive mit vorwiegend oder ausschließlich extralaryngealem Wachstum waren zum Diagnosezeitpunkt in ihrem Wachstum und ihrer Ausdehnung weit fortgeschritten und in 2 von 3 Fällen kurativ nicht mehr beherrschbar. Der Grund für das lange Zeit unbemerkte submuköse und extralaryngeale Tumorwachstum der Rezidive liegt darin, daß der transponierte Lappen das Tumorwachstum verdeckt und deshalb nicht frühzeitig bei der diagnostischen Laryngoskopie in der Tumornachsorge erkannt werden kann.

Bei 4 der 6 Patienten mit lokalem Tumorrezidiv nach transzervikaler vertikaler Kehlkopfteilresektion eines Stimmlippenkarzinoms des Stadiums pT3 wuchs der Primärtumor vorwiegend dorsal betont, d. h. die Arytaenoidknorpel und/oder die Interarytaenoidregion waren tumorinfiltriert. Eine Kehlkopf erhaltende Therapie von Stimmlippenkarzinomen, welche vorwiegend im Bereich der Aryregion und der Larynxhinterwand wachsen, muß daher unter Einbeziehung der Lage des zur Rekonstruktion verwendeten Lappens und des histologischen Gradings, d. h. des Malignitätsgrades des Tumors, noch kritischer hinterfragt werden. Tumorrezidive waren bei diesen Patienten in nur einem von vier Fällen kurativ beherrschbar. In solchen Fällen sollte in Zukunft besser eine primäre totale Laryngektomie erfolgen.

Sessions et al.123 vergleichen in ihrer retrospektiven Studie chirurgische und nicht chirurgische Behandlungsmethoden von Stimmlippenkarzinomen des Stadiums pT3 N0 (vertikale Kehlkopfteilresektion, horizontale Cricoidohyoidoepiglottopexie, Strahlentherapie). Die 5-Jahres-tumorbezogene Überlebensquote für funktionserhaltende primär chirurgische Therapie liegt hier bei 71,4 %.

Die tumorbezogene 5-Jahres-Überlebensrate für pT2 und pT3 Stimmlippenkarzinome zusammen, die primär chirurgisch mittels Cricohyoidopexy (CHP) oder Cricohyoidoepiglottopexy (CHEP) therapiert wurden, liegt zwischen 84 und 95 %100. Lassaletta et al.87 geben für die radikalchirurgische Therapie (Laryngektomie mit oder ohne Neck dissection) von 73 Patienten mit pT3 Stimmlippenkarzinomen mit oder ohne postoperativer Strahlentherapie eine tumorbezogene Überlebensrate von 66,8 % an sowie eine Lokalrezidivfreiheit von 63,7 % (jeweils nach 5 Jahren). Die 5-Jahres-

Lokalrezidivfreiheit nach primärer Radiotherapie von Stimmlippenkarzinomen des Stadiums pT3 liegt hier zwischen 49 % und 67 %27;59, die tumorbezogene 5 Jahres Überlebensquote nach primärer Radiotherapie zwischen 56,5 %123 und 72 %13. Auch Rucci et al.116 beobachteten in ihrem Patientenkollektiv das schlechtere onkologische Langzeitergebnis von dorsal betonten Stimmlippenkarzinomen mit Ausdehnung auf die Larynxhinterwand/Interarytaenoidregion im Vergleich zu ventral betonten Stimmlippenkarzinomen mit Befall der vorderen Kommissur. Die primäre Strahlentherapie zeigte auch in dieser Studie schlechtere onkologische Ergebnisse (Rezidivraten/tumorfreies Überleben) als die primär chirurgische Therapie. Für die relativ schlechten onkologischen Ergebnisse bezüglich der lokalen Rezidivfreiheit und der tumorbezogenen Überlebensrate von Patienten mit Stimmlippenkarzinomen vorwiegend dorsolateraler, dorsocranialer und dorsocaudaler Tumorausbreitung sind mehrere Gründe anzuführen. Im Bereich seitlich der Aryknorpel und bis unter die Schleimhaut der medialen Wand des Sinus piriformis befindet sich lockeres Binde- und Muskelgewebe, jedoch keine straffen, das Tumorwachstum begrenzenden Ligamente.

In dieses lockere Gewebe können dann vor allem niedrig differenzierte Karzinome mit feinsten und sehr dünnen Tumorausläufern infiltrieren, ohne daß sie selbst unter Zuhilfenahme des Operationsmikroskopes sichtbar sind56. So verbleiben intraoperativ möglicherweise feinste Tumoranteile, welche danach noch zusätzlich durch einen zum Teil sehr straffen Lappen (Taschenfaltenlappen oder sogar Epiglottislappen) gedeckt werden. Diese Lappen verhindern dann zunächst ein nach medial gerichtetes Tumorwachstum, so daß das Rezidiv dann vorwiegend nach lateral und somit extralaryngeal wächst.

Letztendlich sind 2 Patienten mit primären Stimmlippenkarzinom des Stadiums pT4 N0 zu erwähnen. Trotz der erheblichen Größe des Tumors und extralaryngealer Infiltration konnte durch eine erweiterte und modifizierte Kehlkopfteilresektion eine funktionserhaltende primär chirurgische Therapie erfolgen. Beide Patienten leben zur Zeit tumorfrei, ein Patient mit guter, der andere mit einer akzeptablen Stimmfunktion.

Beide Patienten haben nach kurzzeitiger passagerer postoperativer Tracheotomie wieder eine gute Schluckfunktion.

Zusammenfassung

Onkologisch unbefriedigend erscheinen die Therapieergebnisse von Patienten mit

bilateralen Carcinomata in situ der Stimmlippen. Lokale Rezidive bilateraler Carcinomata in situ der Stimmlippen nach primär chirurgischer Therapie traten in 7 Fällen auf. Die geschätzte 5-Jahres-Lokalrezidivfreiheit lag bei 47 %, aber kein Patient verlor seinen Kehlkopf oder verstarb bisher an den Folgen dieser rezidivierenden Carcinomata in situ. Kleinsasser79 weist in seiner Arbeit auf die multizentrische Feldkanzerisierung und die Schwierigkeiten der Therapie hin. Die adäquate Therapie bilateraler Carcinomata in situ der Stimmlippen, wie auch der multizentrischen Kanzerisierung der endolaryngealen Schleimhaut, ist zum heutigen Zeitpunkt Gegenstand der Diskussion. Eine ausschließlich chirurgische Therapie dieser teilweise wohl auch multifokalen präkanzerös dysplastischen Schleimhautläsionen führt offensichtlich bisher zu onkologisch unbefriedigenden Ergebnissen. Alternativ kommt in diesen Fällen vor allem die fraktionierte Radiotherapie in Betracht. Ein wesentlicher Nachteil der primären Radiotherapie von multifokalen Carcinomata in situ ist die im Vergleich zur geringen Tumormasse notwendige hohe Strahlendosis von mindestens 50 Gy, die zu irreversibler Fibrosierung der endolaryngealen Schleimhaut und der im Bestrahlungsfeld liegenden Weichteile führt. Eine sekundäre chirurgische Therapie etwaiger Rezidivläsionen nach primärer Strahlentherapie ist somit erheblich erschwert.

Als Alternative zur primär chirurgischen, bzw. primär strahlentherapeutischen Vorgehensweise ist die bisher wenig etablierte Photodynamische Therapie (PDT). Im Gegensatz zu gesunden Schleimhautzellen weisen Tumorzellen und höhergradig dysplastische Zellen veränderte Stoffwechseleigenschaften auf. In diesen Zellen reichern sich parenteral applizierte oder inhalierte photosensibilisierende Stoffe wie z.B.

die 5-Alpha-Aminolävulinsäure (ALA) an. Bestrahlt man die endolaryngeale Schleimhaut dieser Patienten anschließend mit Licht einer bestimmten Wellenlänge, so werden ausschließlich diese photosensibilisierten Zellen durch phototoxische Reaktionen irreversibel geschädigt und sterben ab.

Verschiedene Autoren weisen auf den potentiellen Stellenwert dieser Behandlungsmethode im Rahmen von rezidivierenden präkanzerösen und kanzerösen Läsionen der endolaryngealen Schleimhaut hin15-17;40;86;124

. Vorteile dieser Vorgehensweise sind die minimale Invasivität, die wiederholbare Anwendbarkeit und die Selektivität für dysplastisches oder kanzeröses Gewebe. Eine breitere Anwendung hat diese Therapiemethode bis heute vielleicht wegen der moderaten onkologischen Ergebnisse nicht gefunden. Zukünftige Studien müßten zeigen, ob die Photodynamische

Therapie als adjuvante Therapie bei Patienten mit rezidivierenden dysplastischen endolaryngealen Schleimhautläsionen zu besseren onkologischen Ergebnissen führt.

Auch eine Infektion der Kehlkopfschleimhaut mit Viren, vor allem Humanen Papillomviren, gilt als ein Cofaktor in der Pathogenese der Kanzerisierungen der Stimmlippen65;138.

Abgesehen von der Gruppe der Patienten mit bilateralen Carcinomata in situ der Stimmlippen ist die mikrochirurgische transorale Resektion von kleinen Stimmlippenkarzinomen (pT1 a) bzw. unilateralen Carcinomata in situ (pTis a) ein onkologisch sicheres und ebenso wenig belastendes Vorgehen mit sehr guten funktionellen Ergebnissen, wie die Ergebnisse offensichtlich zeigen (5-Jahres- Lokalrezidivfreiheit pTisa 98,5 %, pT1a 99,3 %; 5-Jahres-tumorbezogene Überlebensrate pTisa und pT1a: 100 %).

Die Resektion von Stimmlippenkarzinomen mit Ausdehnung auf die vordere Stimmlippenkommissur ist nach Literaturangaben mit einer hohen Rezidivrate verbunden und stellt im allgemeinen den Operateur vor eine schwierige Aufgabe41;43. In einigen Fällen kann präoperativ nicht mit Sicherheit geklärt werden, ob eine Infiltration des Schildknorpelbugs in diesem Bereich vorliegt oder nicht. Die These, ob das sogenannte Broylsche Ligament eine Infiltration des Schildknorpelbugs als Leitstruktur begünstigt, da in diesem Bereich kein Perichondrium existiert, ist umstritten64;73;74;133

. Zeitels sieht den Grund für die schlechteren onkologischen Ergebnisse in der transoral mikrochirurgischen Therapie von Stimmlippenkarzinomen mit Infiltration im Bereich der vorderen Stimmlippenkommissur vorwiegend in der Operationstechnik ansich41. Eine ungenügende endolaryngeale Übersicht über die Strukturen der vorderen Kommissur während der Mikrolaryngoskopie und mangelnde Erfahrung des Operateurs seien wichtige Gründe für die vergleichbar schlechteren onkologischen Ergebnisse. Ein weiterer Faktor seien ausserdem nicht en bloc resezierte Operationspräparate, die pathohistologisch nur unsicher auf Tumorausläufer in den Schnittrandbereichen beurteilt werden können. Darüber hinaus spielt nach unserer Erfahrung die Form des Schildknorpels für die Einstellbarkeit der vorderen Kommissur während der Mikrolaryngoskopie eine große Rolle. Ist der Winkel des Schildknorpels eher spitz, so ist die vordere Kommissur schwierig einstellbar, ist er eher stumpf, so ist die vordere Kommissur besser einstellbar.

Kleine bilaterale Stimmlippenkarzinome mit Infiltration der vorderen Kommissur (pT1b) konnten, nach exakter präoperativer Diagnostik, durch die transzervikale vertikale Kehlkopfteilresektion mit oder ohne Schildknorpelteilresektion oder ein rein transorales Vorgehen gut beherrscht werden (5-Jahres-Lokalrezidivfreiheit pT1b:

92,6 %, tumorbezogene Überlebensrate 100 %). Diese Ergebnisse sind vergleichbar oder sogar besser als die Angaben in der internationalen Literatur 44;105;109;126

. Liegt eine Infiltration des Schildknorpels im Bereich der vorderen Kommissur definitiv vor, so kann nach unseren Erfahrungen eine onkologisch sichere Resektion des Karzinoms durch eine in Form und Ausmaß dem Tumor individuell angepaßte Knorpelteilresektion in diesem Bereich erfolgen. Außerdem ist gleichzeitig die Rekonstruktion einer, unter funktionellen Aspekten sehr wichtigen, spitz zulaufenden vorderen Kommissur

möglich. Besonders hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang, daß 24 der 25 Patienten mit einem Stimmlippenkarzinom des Stadiums pT1b ausschließlich

chirurgisch behandelt wurden. Bei nur einem Patienten war aufgrund des unsicheren pathohistologischen Befundes und dem Ablehnen einer Nachoperation eine postoperative Radiotherapie erforderlich.

Die primär chirurgische Resektion von Stimmlippenkarzinomen des Stadiums pT2 führt, wie die Ergebnisse aus der Gießener Universitäts-HNO-Klinik offenkundig zeigen, zu onkologisch guten Resultaten mit einem hohen Grad an lokaler Kontrolle und nur einem tumorbezogenen Todesfall. 3 von 4 lokalen Tumorrezidiven traten nach vorangegangener transoraler Tumorresektion auf, nur eines nach transzervikaler vertikaler Kehlkopfteilresektion. Sofern keine Kontraindikationen gegen eine transzervikale vertikale Kehlkopfteilresektion und der mit ihr einhergehenden erhöhten Morbidität sprechen, sollte diese aus onkologischen und funktionellen Gründen einer transoralen Tumorresektion vorgezogen werden.

Stimmlippenkarzinome des Stadiums pT3 wurden funktionserhaltend primär chirurgisch bis auf 2 Fälle ausschließlich durch die transzervikale vertikale Kehlkopfteilresektion therapiert. Eine Infiltration des Karzinoms in der Aryregion und/oder Expansion auf die Larynxhinterwand stellt sich als prognostisch ungünstig dar.

In diesen Fällen traten wesentlich häufiger lokale Tumorrezidive auf. Lokalrezidive von Stimmlippenkarzinomen des Stadiums pT3 waren in 5 von 6 Fällen nicht mehr kontrollierbar und führten zum Tod des Patienten. Extralaryngeales Tumorwachstum

eines Rezidivtumors nach primärer transzervikaler vertikaler Kehlkopfteilresektion und Glottisrekonstruktion ist schwer diagnostizierbar und von schlechter Prognose für den Patienten. Daher sollten in Zukunft nur äußerst selektionierte Fälle von pT3 Stimmlippenkarzinomen teilreseziert werden. Diese pT3 Karzinome sollten histologisch hochdifferenziert sein und unter dem Operationsmikroskop gut abgrenzbar sein. Die dorsale Ausdehnung des Tumors sollte nicht weiter als auf die vordere Hälfte des Aryknorpels gehen, dorsocranial sollte nur eine oberflächliche Ausbreitung vorliegen.

Ebenso sollte im Bereich des paraglottischen Raumes und der Taschenfalten nur eine oberflächliche Ausdehnung vorliegen. Eine vollständige Fixation des Aryknorpels stellt ein weiteres Ausschlußkriterium für die Teilresektion dar.

Bei der Tumornachsorge dieser Patienten muß in Zukunft das Augenmerk noch stärker auf die Kontrolle der para- und prälaryngealen Strukturen gerichtet werden, um einen extralaryngeal oder submukös wachsenden Rezidivtumor bei makroskopisch unauffälligem Endolarynx frühzeitig zu erkennen. Dabei kann in manchen Fällen auch eine Computertomographie oder eine Magnetresonanztomographie des Kopf-Hals-Bereiches notwendig sein, um extralaryngeale Rezidivtumore sicher auszuschließen oder frühzeitig zu diagnostizieren.

Im Vergleich zu den onkologischen Ergebnissen anderer Autoren und anderen Therapieregimen (chirurgisch Kehlkopf erhaltend mit oder ohne postoperativer Strahlentherapie, ausschließliche Strahlentherapie) konnten wir für die Stimmlippenkarzinome des Stadiums pT3 und einer primär chirurgischen funktionserhaltenden Therapie vergleichbar gute onkologische Ergebnisse erzielen.

Dabei ist jedoch die Rezidivrate und die Sterberate gegenüber dem radikalchirurgischen Vorgehen (Laryngektomie und Neck dissection mit postoperativer Strahlentherapie) erhöht. Anzumerken bleibt noch, daß insbesondere die onkologisch sichere, kehlkopferhaltende Resektion von Stimmlippenkarzinomen des Stadiums pT3 zu großen Teilen von der besonderen Erfahrung des Operateurs abhängt, und intraoperative Schnellschnittkontrollen und Nachresektionen sowie eine eingehende postoperative pathohistologische Kontrolle der Operationspräparate von größter Wichtigkeit sind.

Desweiteren hervorzuheben ist die Tatsache, daß in der Gießener Universitäts-HNO-Klinik nur in wenigen Fällen eine Kontrollmikrolaryngoskopie in Vollnarkose durchgeführt wird. Nur in Fällen bei denen die pathohistologische Beurteilung der

Resektionspräparate eine Kontrollmikrolaryngoskopie notwendig erscheinen lassen – z. B. bei nur sehr knapper in sano Resektion – und in Fällen, bei denen der Verdacht auf ein Rezidiv durch eine indirekte Laryngoskopie nicht ausgeschlossen werden kann, erfolgt eine Kontrollmikrolaryngoskopie in Intubationsvollnarkose. Auf diese Weise können für den Patienten belastende und teure Kontrollmikrolaryngoskopien weitestgehend vermieden werden, im Gegensatz zu diversen anderen Kliniken, in denen eine „second look“ Mikrolaryngoskopie zum Standard gehört.

Wie unsere Ergebnisse zeigen, ist die Diagnose des Stimmlippenkarzinoms in einem frühen Stadium sowohl unter onkologischen als auch funktionellen Aspekten von entscheidender Bedeutung für die Prognose des Patienten und bestimmt maßgeblich das therapeutische Vorgehen.

Ausblick

In den letzten Jahren (1999 - 2003) wurden unter anderem in der Gießener Universitäts-HNO-Klinik verschiedene neue oder weiterentwickelte diagnostische Verfahren und Techniken im klinischen Alltag getestet. Dazu zählen die indirekte Autofluoreszensendoskopie des Kehlkopfes, die Kontakt- und Kompaktendoskopie des Kehlkopfes sowie auch die endolaryngeale Sonographie5-8. Mit Hilfe der indirekten Autofluoreszensendoskopie als auch der Kompakt- und Kontaktendoskopie sollen schon frühzeitig dysplastisch veränderte endolaryngeale Schleimhautareale erkannt und ihre Ausdehnung bestimmt werden können. Mit Hilfe der endolaryngealen Sonographie kann während einer Mikrolaryngoskopie die Ausdehnung und Infiltrationstiefe fortgeschrittener Kehlkopfkarzinome diagnostiziert werden. Diese diagnostischen Techniken sind als ein weiteres Hilfsmittel im Rahmen einer umfassenden (wie zuvor beschriebenen) Diagnostik zu sehen. Ob unter Zuhilfenahme dieser diagnostischen Hilfsmittel eine weitere Verbesserung der onkologischen Langzeitergebnisse zu erzielen ist, muß sich in weiteren Studien zeigen.