3. Der Lebensraumkatalog (Institut für Landespflege) ���������������������� 13
5.4 Ökologische Untersuchungen (Institut für Landespflege) ������������������������� 48
5.4.3 Neubesiedlung der Bachabschnitte durch aquatische Wirbellose
Das „Verschwinden“ mehrerer Arten an den Probestellen P2 und P3 im April dürfte auf die Auswirkungen eines Hochwassers Anfang März zurückzuführen sein. Vermutlich wurde durch die Baumaßnahmen am Hochwasserrückhaltebecken verstärkt Feinmaterial im und am Gewäs-ser mobilisiert, was sich negativ auf die Biozönosen auswirkte.
Abbildung 5.31: Besiedlungsdichte am Hochwasserrückhaltebecken (Sukzessionsabschnitt) und an der Refe-renzstelle P1.
Tabelle 5.17: Zahl der Taxa an den beiden Probestellen im Vergleich.
Probedatum Probestelle am
HRB Referenzstelle P1
15. März 26 29
4. April 21 30
3. Mai 30 29
13. Juni 25 25
Abbildung 5.32: Vergleich der relativen Abundanz verschiedener Gruppen des Makrozoobenthos an den beiden Probestellen.
Probestelle HRB (Sukzession) Referenzstelle P1
Tabelle 5.18: Dominanzstruktur der fünf häufigsten Taxa beider Probestellen an den vier Beprobungsterminen;
D = Dominanz des Taxons.
Probestelle Sukzessionsabschnitt am HRB
D Referenzstelle oberhalb HRB (P1)
D
Dominierende Taxa am 15. März
Baetis spp.
Rhithrogena semicolorata-Gr.
Chironomidae Brachyptera spp.
Ecdyonurus venosus-Gr.
36%
36%
16%
3%
1%
Simuliidae Baetis spp.
Chironomidae
Rhithrogena semicolorata-Gr.
Brachyptera spp.
44%
19%
9%
9%
6%
Dominierende Taxa am 4. April
Chironomidae Baetis spp.
Bezzia spp.
Gammarus fossarum/pulex-Gr.
Paraleptophlebia submarginata
44%
19%
10%
7%
5%
Baetis spp.
Simuliidae Brachyptera spp.
Chironomidae
Rhitrogena semicolorata-Gr.
24%
20%
18%
16%
7%
Dominierende Taxa am 3. Mai
Bezzia spp.
Chironomidae Baetis spp.
Chaetopteryx spp.
Rhithrogena semicolorata-Gr.
26%
25%
13%
12%
10%
Baetis spp.
Rhithrogena semicolorata-Gr.
Chironomidae Bezzia spp.
Chaetopteryx spp.
37%
27%
5%
5%
4%
Dominierende Taxa am 13. Juni
Baetis spp.
Ephemerella ignita Bezzia spp.
Simuliidae Chironomidae
46%
21%
8%
8%
5%
Baetis spp.
Ephemerella ignita Simuliidae
Rhithrogena semicolorata-Gr.
Limnius spp.
33%
27%
25%
4%
2%
Änderung der Zusammensetzung im Zeitraum 15. März bis 4. April 2006
Wie Tabelle 5.18 zeigt, ändert sich die Dominanzstruktur der fünf häufigsten Taxa der Refe -renzstelle P1 zwischen dem ersten und zweiten Beprobungstermin kaum: Zwar gibt es Ver-schiebungen bei den Abundanzen, alle bei der ersten Beprobung dominierenden Taxa gehören jedoch auch bei der zweiten Beprobung zu den häufigsten Artengruppen.
Am Hochwasserrückhaltebecken erscheinen am 4. April lediglich die Chironomidae und die Eintagsfliege Baetis spp. nochmals unter den fünf dominierenden Taxa. Die Steinfliegenlarve Brachyptera spp., am 15. März noch mit 3 % Dominanz, verschwindet hingegen fast gänzlich, die Eintagsfliegenlarven der Ecdyonurus venosus-Gruppe kommen ebenfalls nur noch verein-zelt vor. Nicht mehr gefunden wurde die Köcherfliegenlarve Hydropsyche spp., die Individuen-zahl von Baetis spp. halbiert sich. Eine mögliche Ursache für den Rückgang dieser Arten ist die Emergenz der Tiere (braukmann 1984, scHÖnborn 1992). In Anbetracht des vergleichsweise kalten Märzes ist dies jedoch fraglich. Auch könnte die Verschlechterung der Sauerstoffverhält-nisse durch die Erwärmung des Wassers eine Abwanderung bewirkt haben. Dagegen spricht jedoch, dass die Steinfliegenlarve Isoperla spp., welche höchste Ansprüche an die Gewässergüte stellt (xenosaprob, eickHoff 2005), am Hochwasserrückhaltebecken stets vorgefunden wurde.
Die Art erreichte am 3. Mai mit 7 Individuen/m² sogar eine höhere Besiedlungsdichte als an der Referenzstelle. Möglicherweise ist die zunehmende Entwicklung von Algen und Quellmoosen ein Grund für die Abwanderung von Arten.
Die Chironomidae können ihre absolute Anzahl am Hochwasserrückhaltebecken mehr als verdoppeln, auch die Anzahl der Vertreter der Gammarus fossarum/pulex-Gruppe erhöht sich.
Zudem tauchen erstmals die Diptere Bezzia spp., die Eintagsfliege Paraleptophlebia submar-ginata und die Köcherfliege Chaetopteryx spp. auf. All diese Taxa profitieren vermutlich von dem sich gut entwickelnden Algen- und Quellmoosbewuchs (Abbildung 5.30) und dem hohen Anteil an Feinsediment am Hochwasserrückhaltebecken.
An der Referenzstelle deckt sich diese Entwicklung nur bezüglich der Vermehrung der Gam-mariden und der Chironomiden. Die Zahl von Baetis spp. und Brachyptera spp. bleibt auf einem hohen Niveau. Auch Vertreter der Gattung Hydropsyche spp. werden noch in den Proben gefun-den. Ursache hierfür dürfte die starke Beschattung der Probestelle sein. Diese könnte zu einer verzögerten Flugzeit der Tiere führen bzw. das Wachstum von Fadenalgen und Quellmoosen hemmen. Auch sind die Sauerstoffverhältnisse vermutlich besser, so dass sensible Arten wie Brachyptera nicht abwandern müssen. Eine am 4. April am Hochwasserrückhaltebecken noch nicht vorkommende Köcherfliege Hydropsyche siltalai taucht im Mai in größerer Individuen-zahl auf. Die im Hochwasserrückhaltebecken erschienenen Bezzia spp. und Chaetopteryx spp.
wurden nicht gefunden, vermutlich weil an der beschatteten Probestelle zu wenig Algen bzw.
Quellmoose wachsen.
Änderung der Zusammensetzung im Zeitraum 4. April bis 3. Mai 2006
Auf der Sukzessionsfläche am Hochwasserrückhaltebecken kommen folgende Taxa im Mai neu hinzu: Die Köcherfliegen Rhyacophila spp. und Hydropsyche siltalai, die Steinfliege Iso-perla spp. und die Eintagsfliege Habrophlebia lauta. Diese Taxa dürften vermutlich durch Drift in den Gewässerabschnitt gekommen sein. Deutlich zugenommen haben die Eintagsfliegen der Ecdyonurus venosus-Gruppe und der Rhithrogena semicolorata-Gruppe, die Köcherfliege Chaetopteryx spp. und die phytophage Diptere Bezzia spp.. Auch hier dürften Drift und das gute Algenwachstum die Hauptursachen für die Zunahme der Taxa sein.
An der Referenzstelle treten neue Taxa hinzu, so Chaetopteryx spp. und Bezzia spp., aller-dings in geringerer Zahl als am Hochwasserrückhaltebecken. Die Abundanz von Brachyptera spp. und den Simuliidae geht vermutlich bedingt durch die Emergenz zurück. Die Diptere Dic-ranota spp. sowie die Eintagsfliegen Baetis spp. und Rhithrogena semicolorata sind in höherer Anzahl zu finden als am Hochwasserrückhaltebecken, da an der beschatteten Referenzstelle noch kaum Emergenz stattfindet. Taxa, die am Hochwasserrückhaltebecken fehlen, auf der Referenzstelle aber mit mehr als 6 Individuen vorkommen, sind die Steinfliege Protonemura spp. und die Eintagsfliege Epeorus sylvicola. Möglicherweise sind für diese Arten am Hoch-wasserrückhaltebecken durch die Besonnung die Sauerstoff- und Temperaturverhältnisse nicht ausreichend.
Änderung der Zusammensetzung im Zeitraum 3. Mai bis 13. Juni 2006
Die auffälligste Änderung in der Zusammensetzung der Biozönose am Hochwasserrückhalte-becken im Zeitraum zwischen 3. Mai und 13. Juni ist der durch Emergenz bedingte Rückgang der Chironomiden. Dadurch nimmt die Dominanz von Baetis spp. und den neu dazugekom-menen Simuliidae deutlich zu, die von Bezzia spp. aber ab. Die Larven der Ecdyonurus veno-sus-Gruppe verschwinden, neu hinzu kommen die Larven der Eintagsfliege Ephemerella ignita, die sogleich hohe Abundanzen erreichen. Des Weiteren ist ein Zuwachs des Hakenkäfers Lim-nius spp. sichtbar.
Die Referenzstelle verzeichnet im Juni den Neuzugang der Eintagsfliege Ephemerella ignita, die hier gleich hohe Dominanzen wie am Hochwasserrückhaltebecken erreicht und der eine
deutlich negative Rheotaxis zugeschrieben wird (scHÖnborn 1992). In der Dominanzstruktur erscheinen die Simuliidae wieder unter den häufigsten fünf, während die Eintagsfliegen der Rhithrogena semicolorata-Gruppe und der Ecdyonurus venosus-Gruppe vermutlich durch die Emergenz der meisten Tiere an Bedeutung verlieren. Ebenso wie am Hochwasserrückhalte-becken vermehren sich die Hakenkäfer der Gattung Limnius spp. hier allerdings in größerem Maße. Individuenreiche Taxa, die am Hochwasserrückhaltebecken fehlen und an der Referenz-stelle auftreten, sind am 13. Juni nicht feststellbar.
Um die Ähnlichkeit der Biozönosen statistisch zu erfassen, wurden die Ähnlichkeits- oder Similaritätsindizes renkonensche Zahl und sørensen-Quotient für die verschiedenen Proben errechnet (Tabelle 5.19). Die beiden Indizes spiegeln die Ähnlichkeit der Biozönosen von Refe-renz- und Sukzessionsfläche wider.
Tabelle 5.19: Ähnlichkeitsindizes zwischen Hochwasserrückhaltebecken und Referenzstelle zu den Beprobungs-terminen im Frühjahr 2006.
Beprobungsdatum SørenSenQuotient (%) renkonensche Zahl (%)
15.03.2006 61,8 47,3
04.04.2006 58,8 49,9
03.05.2006 75,4 45,1
13.06.2006 76,0 72,2
Der sørensen-Quotient liegt stets über der 50 %-Marke und erreicht im Mai und Juni 2006 Werte über 70 %, was auf eine relativ große Ähnlichkeit der Biozönosen hinweist (bÖHmer et al. 1999). Bei der renkonenschen Zahl werden Werte über 60 %, welche laut bÖHmer et al.
(1999) große Korrespondenzen ausdrücken, nur bei den Biozönosen der letzten Beprobung erreicht (Abbildung 5.32).
Zusammenfassung Neubesiedlung
Die Untersuchung der Makrozoobenthosfauna zeigt, dass die Besiedelung des neu gestal-teten Gewässerabschnitts unterhalb des Hochwasserrückhaltebeckens vergleichsweise schnell vonstatten ging. Hauptmotor dürfte hier die Drift von Wirbellosen sein (scHÖnborn 1992). Dies erklärt, warum die Abundanz vieler Arten am Hochwasserrückhaltebecken im Laufe der Zeit zunimmt, sofern sie geeignete Lebensbedingungen vorfinden. Dass diese Zunahme der Abun -danz nicht bei allen Arten beobachtet werden konnte, hat vermutlich zwei Ursachen. Zum einen können sich die Habitatbedingungen im Laufe der Sukzession so ändern, dass einzelne Arten verdängt werden oder abwandern. Zum anderen kann die Emergenz der Tiere der Zunahme durch Drift entgegenwirken. Die Emergenz ist meist auch der Grund für das komplette „Ver-schwinden“ einer Art aus den Proben am Ende des Untersuchungszeitraums. Auf Grund des guten Nahrungsangebots und der erhöhten Wassertemperatur am Hochwasserrückhaltebecken dürfte die Emergenz dort früher beginnen als an dem gut beschatteten Referenzabschnitt P1.
Dies könnte erklären, warum die Abundanz einiger Arten am Hochwasserrückhaltebecken frü-her abnimmt als am Vergleichsabschnitt oberhalb des Hochwasserrückhaltebeckens.
Insgesamt zeigt sich, dass sich die Biozönosen beider Probestellen mit der Zeit annähern.
Bei der letzten Probenahme im Juni 2006 zeigten beide Lebensgemeinschaften bereits eine recht hohe Übereinstimmung bezüglich Artenausstattung und Dominanzverhältnissen. So
wur-den am Hochwasserrückhaltebecken erstmals auch Kriebelmückenlarven gefunwur-den, die durch eine eher geringe Neigung zur Verdriftung und eine eingeschränkte Mobilität charakterisiert sind. Andere rheophile Arten des Rhithrals wie beispielsweise die Eintagsfliegenlarve Epeo-rus sylvicola oder die Steinfliegenlarven Protonemura spp. und Amphinemura spp. waren am Hochwasserrückhaltebecken allerdings nicht auffindbar. Vermutlich sind für diese Arten die Sauerstoffverhältnisse am stark besonnten Gewässerabschnitt nicht ausreichend. Die Frage, ob und wann diese Arten auch direkt am Hochwasserrückhaltebecken geeignete Lebensbedin-gungen vorfinden, kann im Rahmen des Projekts nicht abschließend geklärt werden. Sicher ist, dass noch einige Jahre vergehen werden, bis Gehölze für eine stärkere Beschattung des neuen Bachabschnitts und damit für höhere Sauerstoffwerte sorgen werden. Inwieweit der Abbau von organischem Material im Tosbecken dem entgegenwirkt, bleibt zu klären.
In der Literatur findet man nur sehr vage Angaben zu Wiederbesiedlungszeiträumen von Fließgewässern. So heißt es bei Halle & poDraZa (2001), die Wiederbesiedlung nach hydrau-lischen Belastungen dauere – je nach Rahmenbedingungen – zwischen wenigen Wochen und mehreren Monaten bis Jahren. kÖnig (zit. in gebler 1991) stellte eine Wiederbesiedlungszeit nach Gewässerausbau von vier Jahren fest. Vergleiche erscheinen jedoch nur dann sinnvoll, wenn entsprechende Ausgangsbedingungen herrschen. Ein wichtiger Faktor, welcher die Wie-derbesiedlung beeinflusst, ist das WieWie-derbesiedlungspotential, d.h. die Fähigkeit einer Biozö -nose, Störungen zu kompensieren. Dieses hängt bei höheren Störungsintensitäten vor allem von der Anzahl der oberhalb des gestörten Bereiches abwandernden bzw. zudriftenden Organismen ab (Halle & poDraZa 2001). Der Aufwanderung aus unterhalb gelegenen Abschnitten kommt eine weitaus geringere Bedeutung zu. Deshalb ist das Habitatangebot der oberhalb liegenden Abschnitte ein wichtiger Faktor für die schnelle Wiederbesiedlung eines verödeten Abschnittes.
Die strukturelle Qualität oberhalb einer Probeentnahmestelle gelegener Abschnitte kann auch als „dritte Säule übergeordneter Prägungen einer Biozönose“ (rolauffs 2003: 99) bezeichnet werden. Die schnelle Wiederbesiedlung innerhalb von wenigen Monaten attestiert den oberhalb liegenden Abschnitten der Brettach ein hohes Angebot besiedlungsrelevanter Strukturen, was durch die Substratkartierung bestätigt werden konnte.