Teil I: Theoretische Grundlagen und einführende Diskussion
2. Entstehungsgeschichte der ‘Taraškevica’ und ‘Narkamaŭka’
2.2. Narkamaŭka
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(1996, 37) spielte Taraškevičs Grammatik eine wichtige Rolle bei der kulturellen Konsolidierung der Belarussen, denn sie wurde von belarussischsprachigen Kindern nicht nur im sowjetischen Belarus verwendet, sondern auch in Polen, Litauen und Lettland. Padlužny (2005, 14 f.; 2015, 211) schreibt allerdings, dass die grammatischen Regeln von Taraskevič im sowjetischen Belarus bis 1933 anhand der Grammatik von Ja. Lësik, der die Regeln der Grammatik von Taraškevič übernommen und später seine Grammatik um einige Teile erweitert hat, gelehrt worden seien, während die Grammatik von Taraškevič in dem zwischen 1919 und 1939 zu Polen gehörenden westlichen Teil von Belarus sowie unter der deutschen Besatzung im Zweiten Weltkrieg und unter Emigranten verwendet wurde.
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• Anwendung des morphologischen Prinzips bei der Schreibung des suffixalen -с- in Kombination mit einem auf -д- auslautenden Wortstamm: гарадскі ‘städtisch’, грамадскі ‘bürgerlich’; die Grammatik von Taraškevič (1929, 120) gibt in solchen Fällen die Schreibung -дз- vor: людзкі ‘menschlich’, швэдзкі ‘schwedisch’, грамадзкі
‘bürgerlich’; dabei weist Taraškevič (ebd.) darauf hin, dass an der betreffenden Stelle ц gesprochen wird.
• Die morphologische Schreibung des suffixalen -c- in Kombination mit dem Wortstamm auf -г, -ж, -з, -х, -ш: Волжскі ‘Volga-’, Каўказскі ‘Kaukasus-’, чэшскі ‘tschechisch’;
Taraškevič (1929, 120) wendet an dieser Stelle das phonetische Prinzip an und empfiehlt die Schreibung von -c-: францускі ‘französisch’, боскі ‘göttlich’.
• Nicht-Anwendung des Akanne auf Internationalismen, die zu der revolutionären Thematik gehörten: рэволюцыя ‘Revolution’, совет ‘Sowjet’, большэвік ‘Bolschewik’, комуна ‘Kommune’, соцыялізм ‘Sozialismus’, комунізм ‘Kommunismus’, пролетарый ‘Proletarier’ (vgl. Mayo 1977, 42). Mayo (ebd.) spricht in diesem Zusammenhang von der Schaffung einer speziellen Kategorie der ‘internationalen Revolutionswörter’. Einige Autoren verbinden dies damit, dass diese Lexeme in der Sowjetunion einen besonderen Wert hatten und als nomina sacra fungierten (vgl. Marci 2010, 132, 137; Zaprudskij 2007b, 78; Zaprudski 2015, 135). Taraškevič (1918, 102) richtet sich bei der Wiedergabe von Entlehnungen nach der folgenden Regel: Die entlehnten Wörter, die bereits seit langem in der belarussischen Sprache existieren, schreibt man so, wie sie zu hören sind. Entlehnungen, die unter der Bevölkerung noch nicht weit verbreitet sind, schreibt man wie in der Sprache des Originals. In der fünften Auflage seiner Grammatik weist Taraškevič (1929, 127) darauf hin, dass das Akanne bei Entlehnungen eine der größten Schwierigkeiten für die belarussische Sprache darstelle und spricht von der Notwendigkeit, das Akanne-Prinzip auch auf Entlehnungen zu erweitern (allerdings mit Einschränkungen).
• Palatalisierung der Konsonanten vor e in Fremdwörtern: методыка, педагог, эстафета (statt мэтодыка, пэдагог, эстафэта). Die Palatalisierung der Konsonanten vor e wurde von einigen Linguisten im Zuge der sprachwissenschaftlichen Diskussionen der 1920er Jahre über die Standardisierung der belarussischen Sprache vorgeschlagen, jedoch wurde diesem Aspekt im sprachwissenschaftlichen Diskurs generell kaum Aufmerksamkeit geschenkt (vgl. Zaprudskij 2007b, 76). Taraškevič beschäftigt sich in seiner Grammatik ebenfalls nicht explizit mit diesem Aspekt; er empfiehlt lediglich, sich im Allgemeinen bei der Schreibung von Fremdwörtern nach der Quellensprache zu richten (Taraškevič 1929, 126). Im Vorwort zu der Grammatik lassen sich außerdem die nicht-palatalisierten Kombinationen пэ- (пэдагогічную ‘pädagogisch’), -вэ- (унівэрсытэцкіх ‘universitär’), -фэ- (профэсара ‘Professor’) beobachten (vgl. Taraškevič 1920, 4). Es ist schwer zu sagen, ob es sich dabei in erster Linie um das phonetische Prinzip (möglicherweise war solch eine Aussprache in den mittelbelarussischen Dialekten verbreitet, deren phonetische und morphologische Merkmale als Basis für die Grammatik von Taraškevič dienten (vgl. Bieder 2000, 653; Bieder 2014a, 1420)) oder um das Bestreben des Autors,
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Entlehnungen (vor allem Internationalismen) möglichst nah an der Originalsprache wiederzugeben, handelt.46
• Das europäische ‘mittlere’ l wird in Fremdwörtern nicht palatalisiert: бланк ‘Formular’, план ‘Plan’, пракламацыя ‘Flugblatt’ (statt блянк, плян, праклямацыя). Taraškevič (1929, 126) weist hingegen darauf hin, dass l in Fremdwörtern palatal sei: Лёндан
‘London’, філёзофія ‘Philosophie’, монолёг ‘Monolog’.
• Die Konsonanten с und з werden in Fremdwörtern palatalisiert: сістэма ‘System’, фізіка ‘Physik’ (statt сыстэма, фізыка). Die Grammatik von Taraškevič (1929, 126) formuliert dazu die folgende Regel: Die Konsonanten з, с und ц werden in Fremdwörtern in der Regel nicht palatalisiert: асыстэнт ‘Assistent’, магазын ‘Geschäft’, пазыцыя
‘Position’; solche Wörter wie Азія ‘Asien’, Сібір ‘Sibirien’ u. a. gehören, so Taraškevič, zu den Ausnahmen.47
• Das fremdsprachliche th wird als ф wiedergegeben: арыфметыка ‘Arithmetik’, арфаграфія ‘Orthographie’ (statt арытмэтыка, артаграфія).
• Auslaut -тр / -др anstelle von -ар: метр ‘Meter’, літр ‘Liter’ (statt мэтар, літар).
• Die Aufhebung der adjektivischen Paradigmata solcher Wörter wie камуніст
‘Kommunist’, сацыяліст ‘Sozialist’ (Zaprudskij (2007b, 77) weist darauf hin, dass diese in der Presse von 1924 bis Mitte der 1930er Jahre eine stabile Norm darstellten):
камуністы, камуністага, камуністаму.
• Aufhebung von Akanne und Cekanne (im Wortanlaut) bei russischen Anthroponymen:
Чэрнышэўскі (statt Чарнышэўскі), Терахаў (statt Церахаў).
• Maskuline Substantive haben im Gen. Sg. ‘vorwiegend’ die Endung -a (im Gegensatz zu der Grammatik von Taraškevič (1920, 17), die sich nach einer semantischen Aufteilung richtet: die Endung -a haben im Gen. Sg. belebte Substantive (чалавека ‘Mensch’, брата
‘Bruder’, ваўка ‘Wolf’), Konkreta (besonders dann, wenn die Endung betont wird: граша
‘Groschen’, малатка ‘Hammer’, нажа ‘Messer’) sowie die Monatsnamen (сакавіка
‘März’, студня ‘Januar’); der Rest der mask. Substantive weist im Gen. Sg. die Endung -u auf).
• Aufhebung der Endung -ом im Dativ Pl. bei Maskulina und Neutra: кіраўнікам ‘Leiter, Führer’ (statt кіраўніком). Bei Taraškevič (1919, 70 f.) weisen einige Substantive im Dat.
Pl. die Endung -ом/-ём auf (die auch in diesem Fall betont wird: братóм ‘Brüder’,
46 Dies gilt ebenfalls für die unten aufgeführten orthographischen Regeln von Taraškevič (1918; 1920; 1929), die Entlehnungen betreffen. Vieles spricht dafür, dass es für Taraškevič (1929, 127) sehr wichtig war, bei der Wiedergabe von Entlehnungen möglichst nah am Original zu bleiben: So macht er in Bezug auf die Nicht-Anwendung des Akanne auf Entlehnungen die Anmerkung, dass das Akanne die Entlehnungen zu sehr von ihren Wurzeln entfernen würde, während ohne Akanne die Menschen die Möglichkeit hätten, Fremdwörter zu erlernen, die ‘Menschen aus aller Welt verwenden’.
47 Obwohl die Argumente des Autors in Bezug auf die Nicht-Anwendung des Akanne-Prinzips auf Entlehnungen vermuten lassen, dass sich Taraškevič bei der Formulierung der orthographischen Regeln für Entlehnungen vor allem nach dem etymologischen Prinzip gerichtet hat (was auch einige Autoren erwähnen; vgl. Wexler (1993, 35)), findet man in Bezug auf die Palatalisierung des l und die Nicht-Palatalisierung von z, s in Entlehnungen die Aussagen, dass die palatale Aussprache des l und die Nicht-Palatalisierung von s und z für die belarussische Aussprache jener Zeit charakteristisch waren (Mayo 1977, 34, 43).
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дажджóм ‘Regenfälle’, валóм ‘Ochsen’, ласём ‘Elche’; andere Maskulina haben hingegen die Endung -ам/-ям (народам ‘Völker’, коням ‘Pferde’).
• Aufhebung der betonten Endung -oх/-ёх im Lokativ Pl. bei Maskulina und Neutra: аб кіраўніках ‘über Leiter, Führer’, аб палях ‘über Felder’ (statt аб кіраўнікох, аб палёх).
Wie im Fall mit dem Lok. Pl. kommt bei Taraškevič (1929, 70 f., 76 f.) in einigen Fällen die Endung -oх/-ёх und in anderen die Endung -ах/-ях vor: аб сталох ‘über Tische’, аб вачох ‘über Augen’ vs. аб конях ‘über Pferde’, аб сёлах ‘über Dörfer’. Wie im oben erwähnten Fall liefert der Autor dabei keine Regel, die diese Kasusvarianz erklären würde. Laut Zaprudskij (2007b, 77) funktionierten die beiden durch die Reform aufgehobenen Formen -ом/-ём (im Dat. Pl.) und -oх/-ёх (im Lok. Pl.) in der vorreformierten belarussischen Sprache problemlos und bildeten nie einen Streitpunkt unter den belarussischen Linguisten.
• Angleichung der obliquen Kasus der Zahlwörter два ‘zwei’ / абодва ‘beide’ (Mask.) und дзве ‘zwei’ / абедзве ‘beide’ (Fem.). Bei Taraškevič (1929, 27 f.) hat dagegen sowohl die maskuline Form два / абодва als auch die feminine Form дзве / абедзве ein eigenes Deklinationsparadigma, in dem jedem Kasus zwei Varianten entsprechen.
• Die Verbformen des 1. Konjugationstypus der 2. Pers. Pl. Präs. wie iдзяцé ‘(ihr) geht’, ведзяцé ‘(ihr) führt’ wurden aufgehoben und durch die Formen ідзéце, вядзéце, нясéце ersetzt (vgl. Zaprudski 2006, 153). Bei Taraškevič (1918, 61 f.; 1920, 34 f.; 1929, 94 f.) findet man in der Gruppe der Verben der 1. Konjugation unter Betonung nur die Endungen -eцë, -яцё (берацё, несяцё); die anderen Endungen sind unbetont.
• Die Imperativformen бярыце ‘nehmt’, нясіце ‘tragt’ ersetzen Formen wie бярэце, нясеце. Bei Taraškevič (1929, 98) hingegen erscheinen nur die durch die Reform ersetzten Formen.
• Einführung der Präs. Akt. Partizipien (besonders wenn diese sich auf soziale Gruppen beziehen): пануючы клас ‘führende Klasse’ (statt kljasa, jakaja panue). Zaprudskij (2007b, 78) weist darauf hin, dass solche Bildungen nur eingeschränkt verwendet worden seien. Einen solchen Hinweis findet man ebenfalls bei Taraškevič (1920, 38; 1929, 98):
Der Autor erwähnt, dass die Präs. Partizipien nur der geschriebenen Sprache eigen seien, während in der gesprochenen Sprache die Konstruktionen mit Nebensätzen oder -н-/-т-Partizipien verwendet würden.
Obwohl einige Linguisten und Taraškevič48 selbst der Meinung waren, dass manche Aspekte seiner Grammatik (z.B. Behandlung der Entlehnungen, einige morphologische Formen) angesichts ihrer Entfernung von der Sprachpraxis bzw. Nicht-Berücksichtigung der dialektalen Verbreitung revidiert werden müssten (was teilweise im Zuge der akademischen Diskussionen Ende der 1920er Jahre, einschließlich der Akademischen Konferenz zur Reform der Rechtschreibung und des Alphabets in 1926, diskutiert wurde) (vgl. Mayo 1977, 34 f.; 1978, 25 f.; Wexler 1993, 35), wurde die Reform von 1933 von Belarussisten nicht positiv aufgenommen, weil sie Widersprüche zu dem diskutierten Reformprojekt von 1930 aufwies
48 In der Einleitung zur 5. Auflage seiner Grammatik betont Taraškevič ebenfalls die Notwendigkeit und Möglichkeit einer Reform der belarussischen Rechtschreibung und der Morphologie (Taraškevič 1929, 3 f.).
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und politisch motiviert war (vgl. Zaprudskij 2007b). Für die negative Aufnahme der Reform ist nicht zuletzt die ideologische Komponente verantwortlich, von der das ganze Projekt durchdrungen war: „Реформа белорусского языка 1933 г. являет собой пример непосредственного воздействия на языковое реформирование идеологических факторов.“ (Zaprudskij 2007b, 86) ‘Die Reform der belarussischen Sprache von 1933 stellt ein Beispiel für eine unmittelbare Einwirkung ideologischer Faktoren auf die sprachliche Reformierung dar.’. Auf die ideologische Grundlage der Reform von 1933 weisen nicht nur bestimmte sprachliche Änderungen hin, sondern auch mehrere Passagen in dem Beschluss selbst, s. z.B. die Präambel dazu, die deutlich zeigt, dass die Reform von 1933 in erster Linie gegen die belarussische Nationalbewegung gerichtet war:
Исходя из своих буржуазных, контрреволюционных целей белорусский национал-демократизм проводил подрывную, вредительскую работу как на хозяйственном, так и на культурном фронте, в том числе и в области языка, терминологии и правописания.
Национал-демократизм стремился всеми средствами и способами оторвать белорусский литературный язык от языка широких белорусских трудящихся масс, создавал искусственный барьер между белорусским и русским языками и засорял белорусский язык различными средневековыми архаизмами и буржуазными вульгаризмами. Существующее белорусское правописание существенно засорено указанными национал-демократическими течениями и поэтому подлежит изменениям. (Pastanova 1933, zit. nach Zaprudskij 2007b, 74 f.).
‘Seine bourgeoisen und konterrevolutionären Ziele verfolgend, führte der belarussische Nationaldemokratismus eine subversive, schädliche Arbeit sowohl an der wirtschaftlichen als auch an der kulturellen Front, darunter auch im Bereich der Sprache, der Terminologie und der Rechtschreibung. Der Nationaldemokratismus versuchte, die belarussische Literatursprache von der Sprache der breiten belarussischen arbeitenden Massen mit allen Mitteln und Methoden zu entfernen, er schaffte eine künstliche Barriere zwischen der belarussischen und der russischen Sprache und verunreinigte die belarussische Sprache mit unterschiedlichen mittelalterlichen Archaismen und bourgeoisen Vulgarismen. Die existierende Rechtschreibung wurde durch die genannten nationaldemokratischen Strömungen erheblich verunreinigt und muss somit geändert werden.’
Unter den Zielen, die man mit der oben genannten Reform verfolgt hat, wurde eine
„vollständige Unterwerfung der belarussischen Rechtschreibung der Aufgabe, die Arbeitenden im Geist des proletarischen Internationalismus zu erziehen“, genannt („полно[е] подчинени[е]
белорусского правописания задачам воспитания трудящихся масс в духе пролетарского интернационализма“ (ebd.)). Neben der Durchsetzung der Reform wurde eine weitere
„systematische wissenschaftliche Arbeit“ geplant, die in der „Entwicklung und Vereinfachung der belarussischen Rechtschreibung, der ganzen Grammatik und Terminologie“ bestand („систематическ[ая] научн[ая] работ[а] по дальнейшему развитию и упорядочению белорусского правописания, всей грамматики и терминологии.“ (Ebd.)). Die Belarussische Akademie der Wissenschaften wurde außerdem vor die Aufgabe gestellt, die Herausgabe neuer Wörterbücher zu organisieren, um die „bourgeoisen-nationalistischen Strömungen und Verzerrungen aus der belarussischen Sprache auszurotten“ („организовать новое издание белорусско-русских словарей, вытравляя из белорусского языка всякие буржуазно-националистические течения и искажения“ (ebd.)). Wie solche ‘Verzerrungen’ aus der belarussischen Sprache verdrängt wurden, demonstriert Cychun (2000, 109), indem er schreibt, dass man im russisch-belarussischen Wörterbuch von 1928 für das russische Wort город ‘Stadt’
zwei belarussische Entsprechungen findet: места und горад, im Wörterbuch von 1937 gibt
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man nur das dem Russischen ähnliche горад an; das russische Lexem дефект ‘Defekt’ weist im Wörterbuch von 1928 die drei belarussischen Entsprechungen дэфект, брак, загана auf, im Wörterbuch von 1937 ist nur das dem Russischen analoge дэфект geblieben. Bieder (1991, 411) macht in diesem Zusammenhang die folgende Beobachtung: „Das von A. I. Aleksandrovič 1937 herausgegebene Ruska-belaruski sloŭnik (Russisch-weißrussische Wörterbuch) enthält weißruss. Wörter, die nur eine Transkription der entsprechenden russ. lexikalischen Einheiten sind.“ (Bieder 1991, 411).
Bieder (2010a, 41) erwähnt zudem, dass seit den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts in der belarussischen Sprache zunehmend Merkmale der nordöstlichen Dialekte kultiviert worden seien. Sie hätten viele Gemeinsamkeiten mit dem Russischen, während die belarussische Sprache der vorreformierten Periode, die auf den zentralen Übergangsdialekten beruhte, Züge der südwestlichen wie der nordöstlichen Dialekte in sich vereinigt habe. Skapenka (2010, 188) weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass trotz der Verschiebung der Akzente die Grenze des mittelweißrussischen dialektalen Areals durch die Reform von 1933 nicht überschritten worden sei. Die Neuerungen der Reform wurden von der belarussischen Diaspora nicht anerkannt, so dass sie bis heute eine der Taraškevica ähnliche Variante verwendet (vgl. Bieder 2010a, 43; Marci 2010, 133).
Ende der 1950er Jahre, nach Stalins Tod 1953, in der Periode des ‘Tauwetters’ machte unter der Führung Chruščevs (als die Zensur im kulturellen Bereich gelockert wurde) der Ministersowjet der belarussischen SSR in seinem Beschluss Ab udakladnenni i častkovych zmenach isnujučaha belaruskaha pravapisu (1957) ‘Über Präzisierung und einzelne Änderungen der gültigen belarussischen Rechtschreibung’49 einige Punkte der Reform von 1933 rückgängig, indem er bspw. die Anwendung des Akanne, des Dzekanne und Cekanne auf alle Wörter (unabhängig von ihrer Herkunft) vorschrieb; ferner führte er die betonten Endungen -ацé/-яцé für die Verben des 1. Konjugationstypus und die im Jahre 1933 aufgehobenen Paradigmata für die Zahlwörter два, дзве und абодва, абедзва wieder ein (vgl. Krapiva 1959, 9 ff.).