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Methode: Hermeneutik des Heroismus

Im Dokument Politik und Film in der DDR (Seite 39-44)

zu-gleich Symbol der Souveränität der kommunistischen Herrschaft, die, weil sie im „historischen Auftrag“ handelte, sich von demokratischer Legitimati-on emanzipiert wähnte.

Der hier vertretenden grundlegenden These zufolge waren Aktivist und Ka-der als die beiden paradigmatischen Figuren dieses heroischen Selbstbildes nicht Abbilder eines Gegebenen, es waren vielmehr Nachbildungen der Kernelemente des totalitären Mythos des Marxismus-Leninismus.

Der konkret bestimmte Gegenstand der Untersuchung ist das im DEFA-Film konstruierte Bild vom Arbeiter bzw. vom Kader; eine Hermeneutik des He-roismus dieser Figuren wird in einem diachronen Durchgang durch die Pro-duktionen der DEFA die Metamorphosen dieser Figuren aufweisen und interpretieren.

Diese Arbeit rekonstruiert immanente Differenzen in der Herrschaftsge-schichte der SED, indem sie auf der Ebene des gesellschaftlichen Diskurses Indikatoren einer progressiven Erosion ihrer Deutungs-Macht am Exempel des heroischen Selbstbildes des Parteikommunismus im visuellen Repräsen-tationsmedium Film zeigt.

In methodischer Hinsicht ist daher dem Arbeitsvorhaben der hermeneutische Zugang zu seinem Objektbereich zentral; Ziel ist das Verstehen eines sym-bolisch verkörperten Sinns.

Als Bestandteil der symbolischen Ordnung einer Gesellschaft, einer „symbo-lisch vorstrukturierten Lebenswelt“ (Habermas), gehört Film zum sozialwis-senschaftlichen Objektbereich. Film ist zudem ein eigenes Symbolsystem;

Symbolsysteme unterliegen eigenen Ordnungen, sie folgen eigenen Erzeug-ungsregeln: Film ist ein unter ästhetische Regeln gebrachtes Symbolsystem, die Erschließung dieser ästhetischen Regeln ist Bestandteil des Verstehens-prozesses.

Film wird hier also verstanden als Element des umfassenden Versuchs der Integration einer Gesellschaft im Gefüge ihrer symbolischen Ordnung. Diese Auffassung gestattet es, Film als Artikulationsmittel hegemonialer Sinnge-bungsprozesse zu verstehen und eröffnet zugleich die Möglichkeit, die poli-tische Ökonomie dieser Prozesse zu untersuchen, d.h. die im Verlauf des politisierten Kunstdiskurses auftretende Verfügbarkeit, den Überfluss der

„Ressource Sinn“, ihre Vorhandenheit oder Verknappung, festzustellen.

Für den Gegenstand der Arbeit, das heroische Selbstbild von Arbeiter/Kader und sein Wandel im DEFA-Film, bedeutet dies folgendes: Da Heroismus ein

„Grundzug totalitärer Kulturen“ (H. Günther) ist, können die heroischen medialen Selbstinszenierungsformen und ihr Wandel als Indikatoren „imma-nenter Differenzen“ und damit einer Erosion des hermetischen ideologischen Gehäuses des Marxismus-Leninismus gelten. Die Hermeneutik des Herois-mus nimmt den Zugang zu den Phänomenen über die Erschließung des Sinn-gehalts, der in begegnenden Metaphern für die heroische Gestalt des Arbei-ters („Erbauer der Zukunft“, „Bahnbrecher des Neuen“ etc.) bzw. ihrem Komplement - der Figur des Kaders („Führer seiner Klasse“ etc.) - darge-stellt ist.

Nicht zuletzt geht es in dem hermeneutischen Ansatz um die Ermöglichung einer systematischen Interpretation der evidenten Metamorphosen der Figu-ren Arbeiter/Kader im Verlauf der DDR-Film-Geschichte. Die folgende Darstellung nimmt aus der historischen Phänomenologie Blumenbergs und

aus der Krisis-Schrift Husserls53 jene Überlegungen auf, die in die sozialwis-senschaftliche Arbeitsrichtung einer Analyse der „gesellschaftlichen Kon-struktion der Wirklichkeit“ (Berger/Luckmann), der Entstehung des „Sinn-gebildes Welt“ weisen; dabei geht es vor allem um eine Bestimmung des Verhältnisses von Historizität und Apriorität. Husserls geschichtsphänome-nologische Arbeit mündete in die Aufgabe, „die Welt in ihren trans-zendentalen Gründen so aufzuklären, daß sie in ihrem Seinssinn , den Hus-serl zunehmend deutlicher als wesentlich geschichtlich konstituierten Sinn erfaßte, verstehbar werden konnte. Gleichbedeutend war damit die phäno-menologische Rückfrage nach der transzendentalen Subjektivität dergestalt, daß diese selber nun in ihrer Historizität freigelegt und begriffen werden konnte.“54

Husserls Geschichtsreflexionen sind allerdings nicht als „Stück mundaner Ideengeschichte zu verstehen“55; seine „innere Historie“ soll vielmehr „der gewöhnlichen Historie ganz fremde Tiefenprobleme“56 eröffnen. Husserl nimmt also „die Sphäre der historischen Fakten nur als Symptomschicht für die Erschließung verborgener Sinnzusammenhänge.“57

Für die phänomenologische „innere Historie“ verliert „die Geschichte den Schein der Faktizität“58; es geht vielmehr um ihre „innere Sinnesstruktur“:

„Alle Tatsachenhistorie verbleibt in Unverständlichkeit, weil sie, immer nur naiv geradehin von Tatsachen schließend, den allgemeinen Sinnesboden, auf dem solche Schlüsse insgesamt beruhen, nie thematisch macht, nie das ge-waltige strukturelle Apriori, das ihm zu eigen ist, erforscht hat.“59 In phäno-menologischer Sicht erfährt daher Geschichte folgende Bestimmung: „Ge-schichte ist von vornherein nichts anderes als die lebendige Bewegung des

53 Husserl, Edmund, Die Krisis der Europäischen Wissenschaften und die transzendentale Phänomenologie. Eine Einleitung in die phänomenologische Philosophie, hrsg. und ein-geleitet von Walter Biemel, Den Haag 2. Aufl.1956 (Husserliana VI).

54 Ströker, Elisabeth, Husserls transzendentale Phänomenologie, Frankf./M. 1987, S.193.

55 Ströker, Husserls transzendentale Phänomenologie, a. a. O., S. 195.

56 Ebd.

57 Blumenberg, Hans, Lebenswelt und Technisierung unter Aspekten der Phänomenologie, in: derselbe: Wirklichkeiten in denen wir leben, Stuttgart 1981, S.7 - 54, hier: S. 17.

58 Blumenberg, Lebenswelt und Technisierung , a. a. O. S. 20.

59 Husserl, Die Krisis, a. a. O., S. 380.

Miteinander und Ineinander von ursprünglicher Sinnbildung und Sinnsedi-mentierung.“60

Im Anschluss an diese erkenntnistheoretischen Bestimmungen haben Ansät-ze, die im weiten Sinn als kulturwissenschaftlich orientiert zu klassifizieren wären, ihr Forschungsprogramm entwickelt.61 Die in Erzählungen - auch Theorien sind in diesem Verständnis Geschichten mit einer jeweiligen Er-zählstruktur und jeweils unterschiedlichen Erzählmitteln, die erzählt werden - und ihren geronnenen Erzählstrukturen, den Narrativen, aufbewahrten Vergangenheiten repräsentieren dabei nicht nur ganz unterschiedliche An-näherungen an historische Wirklichkeiten, sie präsentieren sie auch in ganz unterschiedlichen Diskursen mit einem jeweils spezifischem Arsenal an Metaphern und Narrativen.

Mit diesen Verfahren wird es möglich, das sich in einem Meer von Meta-phern und in einem variablen Bestand an Narrativen artikulierende Selbst-verständnis von kollektiven Akteuren kritisch aufzuschlüsseln; dabei ist der Aufweis divergierender Erzähl- und Metaphernbildungen für die Ent-schlüsselung der Konstitutionsbedingungen des Selbstbildes und seinen Modifikationen von Bedeutung.

Mit diesen Verfahren wird auch ein Verstehen von Übergängen zwischen einzelnen Diskurs- und Metaphernformationen möglich, die aus der Artiku-lationsperspektive der jeweiligen Akteure unproblematisch erscheinen, sich aber im Sinn der Konstitution des Selbstbildes als unauflösbare immanente Widersprüche registrieren lassen; die behauptete Kohärenz des jeweiligen Selbstbildes erweist sich damit als Selbsttäuschung, die zur Wahrnehmung der Bruchlinien nicht mehr befähigt.

Deutlich wird dies etwa beim Einbruch des nationalen Narrativs in das do-minante politisch-klassenkämpferische Narrativ der SED in der Frühphase der DDR, etwa in der Benennung der „Bonner“ Politiker als „Handlanger“

der „Anglo-Amerikaner“, die überdies mit der Bombardierung Dresdens in Verbindung gebracht werden. Hier überlagert das nationale Narrativ nicht nur das klassenkämpferische, es bedient sich sogar direkt und wörtlich des

60 Ebd.

61 Zu nennen wären etwa die historische Phänomenologie in Gestalt der Metaphorologie Hans Blumenbergs, die historische Narratologie etwa von Jean Pierre Faye oder Dan Di-ner und der tropologische Ansatz von Haydn White.

nationalsozialistischen Vokabulars zu der das eigene doch in strikter Anti-these stehen sollte. Im Rahmen des Systemgegensatzes wird hier der Rück-griff des klassenkämpferischen Diskurses auf nationale Narrative nicht nur möglich, er erscheint auch als gerechtfertigt und sogar als widerspruchsfreier Teil des eigenen Diskurses.62

Durch die Anwendung dieser Verfahren, durch den hermeneutischen Zugang zum Untersuchungsgegenstand, den Filmen der DEFA, werden naturalisti-sche Fehlschlüsse, die sie als - „falnaturalisti-sches“ - Abbild eines empirisch Gegeben auffassen, vermieden. Für die politisierte Ästhetik des Parteikommunismus und seiner Filmkunst gilt -und dies ist die zentrale These dieser Arbeit über die in der DDR herrschende Ästhetik - grundsätzlich ihre neoplatonische Fundierung: es gilt das kausal-abbildliche Verhältnis von Prinzip und Phä-nomen, d.h. die Filmbilder sind nicht Abbilder eines Gegebenen, sondern Nachbildungen einer Idee, des ideologischen Aprioi des Marxismus-Leninismus.

Mit diesem methodischen Ansatz verbunden ist auch eine Kritik der vorlie-genden rein deskriptiven Analyseansätze. Deren Resultate - exemplarisch etwa so formuliert: „Es kommt in den 60er Jahren zur Herausbildung lebens-echterer Figuren“ - hängen der Abbildtheorie an und registrieren mit einem Komparativ die vermeintlich stärker werdende Angleichung von Filmfigur und außerfilmischer Figur, d.h. dem ‚empirischen’ Menschen, ohne zu einem systematisch-begrifflichen Verständnis dieses Prozesses einer veränderten Figurengestaltung, den jeder Zuschauer ohne Mühe selbst sehen kann, vor-dringen zu können. Auch funktionalistische Ansätze, die etwa in der filmi-schen Konstruktion eines ‚Helden der Arbeit’ nur das eine „funktionalisti-sche“ Motiv der „Anstachelung“ zu höherer Arbeitsleistung sehen können, erweisen sich als unzureichend. Die heroischen Attribute dieser Figuren, etwa „Bahnbrecher des Neuen“, „Erbauer der Zukunft“, können von diesen Ansätzen nicht mehr interpretiert werden; sie erscheinen als „sinnlose“ Or-namente oder Kuriositäten einer „fremden“ Kultur. Es kommt aber darauf an, dieses auf den ersten Blick „Sinnlose“ und Unverständliche, dieses

„Fremde“ mit den Mitteln einer historischen Hermeneutik einem Verstehen zugänglich zu machen.

62 Vgl. dazu Meuschel, Legitimation und Parteiherrschaft, a. a. O., S. 101 ff, in der der Gebrauch „nationalistische(r) und chauvinistische(r) Metaphern“ ausführlich dargestellt wird.

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