Einführung
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2000; Riedinger, 1998; Stephan, 1999). Die beiden Bereiche spielen dabei Grossmann und Grossmann (2000) zufolge eine unterschiedliche Rolle für die Entwicklung.
1.6.3. Anwesenheit der Bindungsperson
Aus Bindungstheorie und Handlungstheorie geht hervor, dass sich Unterschiede im Ver-halten zwischen den Kindern vor allem in schwierigen Situationen zeigen sollten. Unklar bleibt aber, was sich jeweils am Verhalten der Kinder ändert, je nachdem ob ihre Bindungsperson anwesend ist oder nicht.
Cassidy (1994) geht davon aus, dass die beschriebenen Verhaltens- und Regulationsmus-ter die Funktion der Beziehungserhaltung zur Bindungsperson erfüllen. Dies geschieht durch die allgemeine Emotionsregulation als Reaktion auf das Verhalten mit der Fürsorgeperson. Gleic h-zeitig bestehen verschiedene „display rules“, also Regeln, welcher Emotionsausdruck in einer Situation gezeigt werden darf. Das Kind signalisiert dem Elternteil durch die Einhaltung dieser Regeln, dass es kooperiert, sein Verhalten gefährdet und verändert so auch das Innere Arbeitsmodell des Erwachsenen nicht.
In Interaktion mit anderen, bei denen die Bindungsperson nicht anwesend ist, muss diese Funktion der Beziehungserhaltung nicht erfüllt werden. Nach Calkins (1994) kommt der Inter-aktion mit Gleichaltrigen eine besondere Bedeutung zu, da die Kinder hier ihre Regulationsstile ausprobieren können und direktes Feedback erhalten. Die Kinder haben Gelegenheit, ihre Emo-tionsregulationsstrategie zu testen und andere Erfahrungen zu machen.
Da Kinder mit sechs Jahren eine innere Repräsentation ihrer Beziehung, ein Internal Wor-king Model (vgl. Kapitel 1.2.1, Bretherton & Munholland, 1999) entwickelt haben, das ihr Ver-halten steuert, sollte ihre emotionale Regulation im Wesentlichen gleich bleiben, egal ob sie mit ihrer Bindungsperson selbst, einem anderen Erwachsenen oder Gleichaltrigen interagieren. Da die Erfahrungen mit diesen Personen aber sehr unterschiedlich sind, könnte es trotzdem sein, dass sich Unterschiede im Verhalten der Kinder gegenüber diesen verschiedenen Personen zei-gen.
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nen und Analysemethoden gefunden oder geschaffen werden, die es ermöglichen, sowohl kog-nitive als auch motivationale und sozial-emotionale Aspekte des kindlichen Verhaltens ein-schließlich ihrer wechselseitigen Abhängigkeiten zu erfassen. Um die Validität der Erhebung zu gewährleisten, muss als Erfassungsmethode die Beobachtung in natürlichen oder zumindest quasinatürlichen Situationen erfolgen, welche „alltägliches“ und vor allem auch operantes Ver-halten des Kindes ermöglichen“ (S. 23-24).
Besonders sinnvoll ist es außerdem, Situationen zu finden, in denen die Kinder hinsicht-lich des aktuellen Entwicklungsthemas gefordert werden (vgl. Sroufe, 1989). So kann man ver-suchen den Weg zu erfassen, den ein Individuum einschlägt. Mit sechs Jahren sind Situationen, in denen sowohl kognitive, als auch sozial-emotionale Kompetenzen der Kinder gefordert sind, angemessen. Außerdem schlagen Brenner und Salovey (1997) einen Rahmen für die Analyse von Emotionsregulation vor, der verschiedene Schlüsseldimensionen umfasst:
(a) Kontrollierbarkeit des Stressors,
(b) Ausmaß, in dem das Individuum eigene Strategien im Vergleich mit sozial interaktiven einsetzt,
(c) Einsetzen von intrapsychischen Strategien im Vergleich mit situationsspezifischen.
Das heißt, man sollte Situationen finden, in denen die Kontrollierbarkeit des Stressors be-stimmt werden kann, um Aussagen darüber treffen zu können, welche Art der Bewältigung überhaupt zielführend ist. Hierbei ist zu unterscheiden, ob die Person eher alleine oder im Rückgriff auf soziale Ressourcen handelt und ob sie versucht, ihren eigenen emotionalen Zu-stand zu verändern oder die Situation.
Außerdem ist die aktuelle Umwelt und Unterstützung, die eine Person daraus erhält ent-scheidend. Wie Bowlby es ausdrückt: “Der einmal gewählte Weg hängt auf jeder Stufe ab von den Interaktionen zwischen dem Organismus, wie er sich zu diesem Augenblick entwickelt hat, und der Umwelt in der er sich befindet“ (1976, S.415). Nach Cicchetti et al. (1990) sollten mul-tiple Methoden und verschiedene Stresssituationen, die jeweils ein unterschiedliches Stressni-veau induzieren, verwendet werden. Da das Bindungsverhaltenssystem nicht nur bei Trennun-gen aktiviert wird, sondern in vielen verschiedenen Stresssituationen (Bowlby, 1969), können verschiedene Situationen gewählt werden. Auch bei Kuhl (1994) findet sich die Auffassung, dass Unterschiede zwischen Handlungs- und Lageorientierten nur in Situationen, in denen es zu Handlungsschwierigkeiten kommt, zu finden sind.
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1.7.2. Ebenen der Verhaltensorganisation
Bezogen auf das Verhalten der Kinder gibt es verschiedene Ebenen, die man unterschei-den kann. Sind z.B. Mutter und Kind anwesend, so kann man beobachten, wie die Mutter-Kind-Dyade in Abhängigkeit von ihren eigenen Ressourcen mit der Situation umgeht. Dann kann Mutter und Kind jeweils einzeln, im Hinblick auf die Bewältigung der Situation beobachtet werden. Hier gibt es dann wieder unterschiedliche Ebenen: die physiologische, die subjektive und die Verhaltensebene.
Schließlich lässt sich das Verhalten selbst auf unterschiedlichen Ebenen beobachten. Zum einen kann ausschließlich das problemorientierte Verhalten, oder aber das gesamte Ausdrucks-verhalten auf verbaler oder nonverbaler Ebene beobachtet werden. Dabei kann man noch versu-chen, die Hauptfunktion des Verhaltens, die subjektive, soziale oder instrumentelle Funktion zu unterscheiden. Da es eine Vielzahl von unterschiedlichen Verfahren, mit eigenen Vor- und Nachteilen gibt, wird im folgenden nur ausführlich auf die verwendeten Verfahren eingegangen und bei den weiteren auf die Fachliteratur verwiesen.
1.7.3. Verhaltensbeobachtung
In der Verhaltensbeobachtung haben sich unterschiedliche methodische Richtungen ent-wickelt. Auf der einen Seite ist das die exakte quantitative Erfassung von Verhaltensweisen, auf der anderen Seite steht die qualitative Erfassung durch Globalurteile trainierter Beobachter.
Die quantitative Erfassung von diskreten Verhaltensweisen hat den Vorteil, spezif i-sche und exakte Beschreibungen von Verhaltensweisen liefern zu können die leicht nachvoll-ziehbar sind. Ein Nachteil ist jedoch, dass hierbei der aktuelle Kontext kaum in Betracht gezo-gen werden kann. Dieselben Verhaltensweisen werden somit in unterschiedlichen Situationen gleich bewertet, obwohl sie eine andere Funktion haben können (Grossmann, 1984). Ein Bei-spiel für eine quantitative Methode ist das Kodiersystem für mimischen Ausdruck, das „Facial Action Coding System“ (FACS, Ekman & Friesen, 1978). Ein Überblick über häufig verwende-te Methoden findet sich bei Titz (1997). In den qualitativen Methoden wird das aktuelle Ver-halten des Probanden in Bezug zu dem Kontext berücksichtigt. So ist eine adäquate Erfas-sung komplexer Konstrukte möglich und damit eine Einbindung einer großen Menge an Infor-matio nen in einen Beobachtungsvorgang. Dadurch sind solche Verfahren ökonomischer als hoch differenzierte Verfahren, da nicht jeder Verhaltensaspekt explizit erfasst wird. In der Regel benötigen solche Methoden aber sehr langes und differenziertes Training um Reliabilität zu gewährleisten. Da das Verhalten anhand von Kategorien oder Dimensionen erfasst wird, ist eine Aussage über bestimmte diskrete Verhaltensweisen nicht möglich. So kann man wichtige As-pekte und Unterschiede aufgrund von Voreingenommenheiten übersehen. Beispiele für
qualita-Einführung
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tive Methoden sind die Fremde Situation von Ainsworth und Wittig (1969) und die Feinfühlig-keitsskala (Grossmann, 1977; siehe Kapitel 1.2.3).
Möchte man Aussagen über komplexe Vorgänge, wie die angemessene Bewältigung von Anforderungen treffen, scheint es am besten, Sroufes (1983) Vorschlag zu folgen und sowohl diskrete als auch komplexe Variablen zu verwenden. Somit macht man sich die Vorteile beider Verfahren zunutze.
Fragestellung
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