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4 Analyse prioritärer sektoraler Handlungsfelder des Ressourcenkonsums im

4.3 Medizinprodukte

4.3.1 Hintergrund und Kontext

Medizintechnik umfasst die im Gesundheitssystem eingesetzte Technik in Form von Instrumenten, Ge-räten, Systemen und Anlagen, die speziell für die medizinischen Anwendungen am oder im Menschen entwickelt und produziert werden und der medizinischen Prophylaxe, Diagnostik, Therapie und Reha-bilitation dienen. Typische Beispiele im Krankenhaus sind Röntgengeräte, chirurgische Instrumente, Geräte im Operationssaal, Monitoringsysteme, Beatmungs- und Narkosegeräte, Infusionspumpen und Geräte im Klinischen Labor (VDI-Norm 5800, VDI2018). Medizintechnische Geräte und Systeme gehö-ren zu den Medizinprodukten. Diese sind nach Medizinproduktegesetzes (§ 3 MPG) definiert als „alle einzeln oder miteinander verbunden verwendeten Instrumente, Apparate, Vorrichtungen, Software, Stoffe und Zubereitungen aus Stoffen oder andere Gegenstände einschließlich der vom Hersteller spe-ziell zur Anwendung für diagnostische oder therapeutische Zwecke bestimmten und für ein einwand-freies Funktionieren des Medizinproduktes eingesetzten Software“. Beispiele sind Verbandmittel, Hilfsmittel, OP-Material, Implantate oder Geräte für Diagnostik, Chirurgie, Intensivmedizin und Kran-kenversorgung (BVMed 2019). Die quantitative Analyse des Rohstoffkonsums des Gesundheitssektors hat ergeben, dass sich ca. 6,4 Mio. Tonnen auf Medizintechnische Geräte zurückführen lassen. Das ent-spricht einem Anteil von ca. 6 % am gesamten Rohstoffkonsum des Gesundheitssektors (Kap. 2.1.3).

Die deutsche Medizintechnikbranche ist mittelständisch geprägt; nur 84 Unternehmen haben mehr als 250 Beschäftigte. Der deutsche Markt für Medizintechnik hatte im Jahr 2017 einen Anteil von 9,9 % am Weltmarkt (390 Mrd. USD) (Spectaris 2019). Mit einem Umsatz von 29,9 Mrd. Euro gehört die Branche zu den bedeutendsten Wirtschaftszweigen in Deutschland, die insbesondere durch ihre hohe Forschungsintensität (durchschnittliche FuE-Investitionen in Höhe von 9 %) und einen hohen Innova-tionsgrad (rund ein Drittel des Umsatzes wird mit Produkten erzielt, die weniger als drei Jahre am Markt sind) gekennzeichnet ist. Hierbei kommen die Anregungen für Innovationen häufig von den An-wenderinnen und Anwendern der Produkte, insbesondere von Ärztinnen und Ärzten sowie Pflegekräf-ten (BVMed 2019).

Tabelle 4: Umsätze der deutschen produzierenden Medizintechnikunternehmen Mrd. € 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 Gesamtumsatz 21,7 23,2 24,1 24,6 25,4 27,6 29,2 29,9 Inlandsumsatz 7,8 7,8 7,7 7,9 9,0 10,0 10,6 10,8 Auslandsumsatz 13,9 15,4 16,4 16,7 16,4 17,6 18,6 19,1 Quelle: Spectaris 2019

Abbildung 33 zeigt beispielhaft einen Vergleich Deutschlands mit anderen OECD-Staaten hinsichtlich der Ausstattung mit MRT-Geräten. Die Ausstattung Deutschlands liegt mit 33,6 MRT-Geräten pro

117 1 Millionen Einwohner nach Japan und den USA an dritter Stelle und damit deutlich über dem OECD-Durchschnitt (15,9 MRT-Geräte pro 1 Millionen Einwohner).

Abbildung 33: Ausstattung mit MRT-Geräten (2015)

1. Geräte außerhalb von Krankenhäusern sind nicht enthalten; 2. Nur Geräte, die für das öffentliche System der Erstat-tung zugelassen sind. Quelle: OECD Health Statistics 2017

Der technologische Fortschritt in der Medizintechnik wird durch folgende Trends geprägt (BVMed 2019):

Die Miniaturisierung von Produkten durch Mikrosystemtechnik, Nanotechnologie und optische Technologie;

Die Molekularisierung wird durch die Forschung in der Biotechnologie sowie der Zell- und Ge-webetechnik vorangetrieben;

Die Digitalisierung führt zu deutlichen Verbesserungen der Bildverarbeitung, der Modellierung und Simulation. Zum Beispiel können Implantate mit Sensoren ausgestattet werden und The-rapien hierdurch intelligenter gesteuert werden. Weiterhin versprechen Big Data-Anwendun-gen, eHealth, Telemedizin und Telemonitoring große Fortschritte und haben das Potenzial, Systemumbrüche im Gesundheitswesen auszulösen.

Die Diskussion in Wissenschaft und Praxis über den Ressourcenverbrauch von Medizinprodukten dau-ert bereits länger an, siehe z. B. Marx (2001). Sie ist jedoch in den letzten Jahren sehr stark von ande-ren Entwicklungen im Gesundheitswesen, insbesondere der Kostendiskussion, überlagert worden. Die in diesem Vorhaben durchgeführten Expertengespräche haben dementsprechend ergeben, dass der-zeit ein geringes Bewusstsein für die Implikationen der Medizintechnik für den Ressourcenverbrauch

51,7 39,0

33,6 28,2 26,3 25,9 24,3 22,0 21,2 20,7 15,9 15,9 14,6 14,5 14,1 13,3 12,6 12,6 12,5 12,3 12,2 11,7 11,0 10,2 9,5 9,4 8,9 8,7 8,3 7,6 7,2 7,2 6,8 4,7 4,1 3,6 2,4

0 10 20 30 40 50 60

Japan USA Deutschland Italien Korea Finnland Griechenland Schweiz ¹ Island Österreich OECD33 Spanien Schweden ¹ Australien ² Irland Neuseeland Litauen Frankreich Niederlande Luxembourg Estland Belgien ¹ Lithauen Türkei Kanada Chile Slovakei Slovenien Tschechien Polen Portugal ¹ Vereinigtes Königreich Brasilien Russland Israel Ungarn ² Mexiko

Pro 1 Million Einwohner

118 jenseits des Energieverbrauchs der Geräte existiert. Dabei scheint sich die Lebenszeit der Geräte in den letzten Jahren bedingt durch den technologischen Fortschritt verkürzt zu haben. Durch die Struk-tur des deutschen Gesundheitswesens, in dem die fachärztliche Versorgung primär durch niedergelas-sene Praxen erfolgt, und durch die häufig hohe technische Ausstattung dieser Praxen ist in Deutsch-land - auch im Vergleich zu anderen hochentwickelten Industrieländern - eine große Anzahl medizin-technischer Geräte im Betrieb.

Bei den kleineren Medizinprodukten dagegen, bei denen aus Hygienegründen eine Sterilisierung not-wendig ist, bestehen für Hersteller kaum Anreize, diese als Mehrwegprodukte auf den Markt zu brin-gen. Denn Hersteller von Mehrwegprodukten müssen nachweisen, dass eine Aufbereitung des Pro-dukts möglich ist und dass bei Einhaltung bestimmter Qualitätsstandards anschließend die Sterilität gegeben ist. Wird das Produkt als Einweg deklariert, entfällt dieser Nachweis, außerdem wirkt sich der Verkauf von Einwegprodukten positiv auf den Umsatz aus. Auch für die Anwenderinnen und Anwen-der ist die Verwendung von Einwegprodukten aufgrund des Personalaufwands für die Sicherstellung der Sterilität und steigender Hygieneanforderungen einfacher. Hier fehlen aktuell Anreize, wichtige Ressourcen zu schonen.

Insgesamt lässt sich anhand der Expertengespräche vermuten, dass im Bereich der Medizinprodukte viele bislang ungenutzte und auch wenig beleuchtete Möglichkeiten zur Ressourcenschonung liegen.

Es ist allerdings auch zu erwarten, dass starke Eigeninteressen verschiedener Stakeholdergruppen sich hier hinderlich auswirken könnten. Dabei erscheint aus Ressourcensicht in erster Annäherung eine Unterscheidung auf Basis der Größe und Funktion des Produkts sinnvoll. Größere, komplexere Produkte können z. B. medizintechnische Geräte mit Energieversorgung sein. Dazu gehören Scanner oder Laborgeräte, aber auch größere Hilfsmittel wie Rollstühle (mit oder ohne Energieversorgung) fallen in diese Kategorie. Dann gibt es Produkte, die tendenziell eher als Einwegprodukte auf dem Markt sind, wie bspw. Verbandsmaterialien, OP-Besteck oder Laborbedarf.

4.3.2 Ansatzpunkte zur Ressourcenschonung

Bei der Bewertung der ökologischen Nachhaltigkeit medizintechnischer Geräte sind laut VDI 5800 fol-gende Aspekte zu berücksichtigen:

Materialaufwand bei Herstellung, Installation, Betrieb und Aufbereitung,

Verwendung umweltgefährdender Stoffe (in den Geräten oder deren Umfeld, z. B. Kältemittel),

Energieverbrauch bei Herstellung, Transport, Installation, Betrieb und Entsorgung,

Wasserverbrauch und Abwassermenge,

Lärmemissionen,

Aufbereitbarkeit medizintechnischer Geräte,

Reinigungs- und Desinfektionsaufwand,

Arten und Mengen an Abfällen.

Entsprechend der Schwerpunkte des Gesamtprojekts stehen die fett gedruckten Umweltaspekte im Fokus der folgenden Betrachtungen. Basierend auf diesen Kriterien und den Ergebnissen der Stakehol-deranalyse ergeben sich folgende Ansätze zur Ressourcenschonung bei Medizinprodukten:

Refurbishment medizintechnischer Großgeräte,

Ressourceneffizientes Produktdesign,

Ressourceneffiziente Herstellungsprozesse,

Aufbereitung von Einwegprodukten.

119 Refurbishment medizintechnischer Großgeräte

Die Aufbereitung medizintechnischer Großgeräte zur Wiederverwendung ist ein etabliertes Geschäfts-modell, das z. B. von Siemens (Ecoline), General Electric (GoldSeal) oder Philips (Diamond Select) be-trieben wird. Aufbereitet werden z. B. CT-, MRT-, Ultraschall-, Mammographie- oder Röntgengeräte, die nicht mehr dem neuesten Stand der Technik entsprechen. Anstatt diese Geräte als Gebrauchtgerät zu verkaufen oder zu entsorgen, werden diese in einem detaillierten Prozess aufgearbeitet, sofern die Geräte dafür geeignet sind. Nach Angaben der Hersteller werden hierbei defekte Komponenten ausge-tauscht, und Hard- und Softwarekomponenten erfahren ein Update, so dass wieder die Leistungsfähig-keit eines Neugeräts und auch die Kompatibilität für neue Software erreicht wird. Dementsprechend werden auch dieselben Garantien und Serviceleistungen wie bei einem Neugerät angeboten, allerdings zu einem Preisnachlass von 20 - 25 % (Handelsblatt 2014; Siemens Healthineers 2018). Der Aufberei-tungsprozess selbst folgt strengen Qualitätsrichtlinien, z. B. bei General Electric den Richtlinien der COCIR (European Coordination Committee of the Radiological, Electromedical and Healthcare IT In-dustry) oder bei Siemens dem in Abbildung 34 abgebildeten Prozess.

Abbildung 34: 5-stufiger Qualitätssicherungsprozess bei der Siemens Ecoline

Quelle: Siemens Healthineers 2018

Durch das Refurbishment von Altgeräten und das Recycling von Komponenten aus Altgeräten, die ent-sorgt werden müssen, konnten bei General Electric 94 % der entent-sorgten Geräte umgebaut oder recy-celt werden (Handelsblatt 2014).

120 Ressourceneffizientes Produktdesign

Fortschritte in der Medizintechnik können mit Einsparungen bei Energie und Materialverbräuchen einhergehen. Ein Beispiel ist das CT Somatom Definition von Siemens, das bei verbesserter Bildquali-tät mit 58 % weniger Röntgenstrahlung auskommt. Hierdurch werden 30 % Energie und 80 % Blei eingespart. Statt vorher 110 Kilogramm Blei sind nur noch 19 Kilogramm nötig, um die Röntgenstrah-lung abzuschirmen (Siemens 2007).

Ressourceneffiziente Herstellungsprozesse

Von Siemens durchgeführte Ökobilanzen zeigen, dass die Umweltauswirkungen in der Nutzungsphase von Medizingeräten deutlich größer sind als die in der Herstellungsphase. Während etwa ein MRT beim Kunden im Einsatz ist, benötigt er die meiste Energie seiner gesamten Lebenszeit: 88 Prozent.

Ähnlich sieht es laut Siemens bei den meisten anderen langlebigen Elektro- und Elektronikprodukten aus (Siemens 2007). Umgekehrt stellt sich die Situation vermutlich bei weniger komplexen Medizin-produkten dar. Der Verwendung von Sekundärrohstoffen als Strategie zur Ressourcenschonung im Herstellungsprozess scheinen jedoch aufgrund der strengen Regularien im Gesundheitssektor enge Grenzen gesetzt zu sein (vgl. Nachhaltigkeitsbericht 2019 des Medizinprodukteherstellers B. Braun).

Aufbereitung von medizinischen Einwegprodukten (Single-Use Devices)

Durch die Aufbereitung medizinischer Single-Use Devices (SUD) können einerseits (kontaminierte) Abfälle vermieden und Kosten gespart werden, andererseits bestehen hinsichtlich des Infektionsrisi-kos und der Patientensicherheit Bedenken. In Deutschland ist die Aufbereitung von SUD grundsätzlich erlaubt und wird durch die Standards der Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionspräven-tion beim Robert Koch-Institut und des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte gere-gelt. Allerdings können sich durch die Umsetzung der europäischen Medizinprodukte-Verordnung hier Änderungen ergeben (Medizin&Technik 2013). Aus wissenschaftlicher Sicht zeigen Studien aus den USA, dass die Wiederaufbereitung mit deutlich geringeren Kosten und Ausfallrisiken verbunden ist als die Nutzung von Einwegprodukten (siehe Ubaldi 2019), was vor allen darauf zurückzuführen ist, dass die nicht-funktionsfähigen Einwegprodukte auch nicht aufbereitet werden. Die Aufbereitung selbst wird von zertifizierten Fachbetrieben durchgeführt, die auch die Logistik übernehmen und sich über den Vertrieb der aufbereiteten SUD finanzieren.

Allerdings haben sich Einwegprodukte trotzdem in vielen Bereichen durchgesetzt, weil wesentliche Risiken und Widerstände der Aufbereitung entgegenstehen. Zu diesen Risiken gehören Haftungsrisi-ken, die aus einer mangelhaften Wiederaufbereitung entstehen können, und Widerstände von Seiten der Ärztinnen und Ärzte und der Pflegekräfte, aber auch der Hersteller (Ubaldi 2019).

Weitere Ansätze: Ressourceneffizienz in Beschaffung und Prozessen

Weitere Potenziale zur Steigerung der Ressourceneffizienz liegen in einer stärkeren Orientierung der Beschaffungsprozesse an ökologischen Kriterien (s. Debatin et al. 2011) sowie im optimierten Einsatz von Medizinprodukten in den Prozessen der Gesundheitsversorgung (Willskytt und Tillman 2019).