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Mediale Darstellungen von terroristischen Bedrohungen

3.   Die mediale Vermittlung von Unsicherheit

3.2   Mediale Darstellungen von terroristischen Bedrohungen

Für die Analyse der Aushandlung medialer Inhalte und Kommunikationsprozesse greift die Kriminologie traditionell auf das Konzept der „Moralpanik“ von Stanley Cohen (1972/2002) zurück. Gefahrendiskurse werden hier mit Blick auf die Rolle der Medien im Wechselspiel mit Politik und anderen Interessenvertretern sowie der Frage der Initiierung, der beförderten Interessen, der Art und Weise der Darstellung usw.

untersucht. Dabei geht das Konzept der Moralpanik im Kern davon aus, dass das je-weilige Thema, wie das delinquente Verhalten von Jugendlichen, in der Öffentlichkeit nicht angemessen, sondern verzerrt verhandelt wird. Eine überzogene Berichterstat-tung entwickelt sich über eine negative Stereotypenbildung zur Feindbildkonstruktion.

Als Folge wird der Anstieg der Besorgnis über diese Themen in der Bevölkerung ge-sehen und angenommen, dass auf diese Weise eine – nicht weiter kritisierte – „Krimi-nalitätsfurcht“ erzeugt wird und damit zugleich die normativen Grenzen der Gesell-schaft bekräftigt werden. Die Analyse des Themas des Terrorismus mit dem Konzept einer Moralpanik wurde bislang nicht vorgenommen bzw. setzt gegenwärtig erst zö-gerlich ein (z.B. Welch 2006).

Genau hierin sieht der Soziologe David Garland (2008b) eine der Schwachstellen des Konzeptes, dass nämlich die Identifizierung einer Thematisierung als Moralpanik nicht unabhängig vom Standpunkt der jeweiligen Autoren erfolgt. Diese moralische Befangenheit trägt, Garland zufolge, im Umkehrschluss dazu bei, dass sich die aktuel-len Vertreter des Konzepts seit den Anschlägen von 9/11 mit der Schwierigkeit kon-frontiert sehen, eine moralisch integre Analyseform zu finden. Dabei weise der (US-amerikanische) Anti-Terror-Kampf in der Art und Weise seiner Selbstpräsentation durchaus Züge einer Moralpanik (öffentliche Sensibilisierung, Feindseligkeit, Verzer-rung bis hin zur Falschdarstellung etc.) auf, die aber in der Kriminologie nicht analy-siert und problematianaly-siert werde (vgl. ebd., S. 24). Für David Altheide (2009, S. 93) ist einer der möglichen Gründe hierfür darin zu sehen, dass die Terrorismus-Bedrohung von der Bevölkerung selbst als real erlebt und Terrorismusbekämpfung entsprechend als notwendig bzw. legitim erachtet wird:

„Terrorism and the terrorist threat are still regarded as legitimate and objectively real by many people in the United States and the UK; it is not viewed as a social construc-tion and the government acconstruc-tions are not treated in the mass media as arbitrary overre-action. Indeed, opposition parties in the USA insist that terrorism is a pressing issue, and offer slight differences in how to combat it.“

Die wenigen Studien, die sich aus dem Bereich der Kriminologie mit dem „sakrosank-ten“ Thema des Terrorismus befassen (vgl. ebd.), widmen sich vor allem der medialen Feindbildkonstruktion. So identifizieren Dawn Rothe und Stephen L. Muzatti (2004,

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S. 333) in ihrer Analyse dreier US-Tageszeitungen nach 9/11 die Kreation medialer

„Folk Devils“ von Bin Laden und Al Quaeda bis zur „Achse des Bösen“. Auch der Politikwissenschaftler Hans J. Kleinsteuber (2003) zeigt, wie sich die Feindbildkon-struktion in der US-amerikanischen Außenpolitik von Bin Laden, als „Urheber des Terrors“ auf Saddam Hussein verlagerte – und zeichnet dafür vor allem einen Mangel an verwendbarem Bildmaterial als verantwortlich.37

Die meisten – und dominierenden (Ross 2007, S. 218ff.) – inhaltsanalytischen Studien beziehen sich auf das Konzept der „Frames“, das heißt auf Deutungsrahmen, die den Zuschnitt eines Themas in „bedeutungsvolle Einheiten des Medieninhalts“ strukturie-ren (Scheufele 2001, S. 145). Dabei unterscheiden Norris et al. (2003) zwischen kon-ventionellen und abweichenden („dissident“) Media-Frames. Während konventionelle Frames weit verbreitete Normen und Werte reflektieren, fordern letztere diese heraus.

Media-Frames helfen, neue komplexe Probleme, Ereignisse und Handlungen in be-kannte Kategorien einzuordnen (ebd., S. 4f.). Sie produzieren einfache und überzeu-gende Narrative und konturieren zum Beispiel Freund/Feind-Gegenüberstellungen. Sie ermöglichen der Politikvermittlung auf diese Weise, auf weitere Argumentation oder Begründungen zu verzichten (vgl. ebd., S. 15). Warum sich aber ein bestimmter Frame in Konkurrenz zu anderen durchsetzt und hegemonial werden kann, ist im Kontext von Medienanalysen bislang jedoch noch unbeantwortet geblieben (ebd., S. 11).38 Auszu-gehen ist mit Albert Scherr (2010, S. 32) jedenfalls, dass „Bedrohungsszenarien und Feindbildkonstruktionen [...] potentiell umstritten und nicht beliebig durchsetzungsfä-hig“ sind.

Als exemplarisch für die Ergebnisse einer aktuellen inhaltsanalytischen Frame-Analyse zum Thema kann die von Wolfgang Frindte und Nicole Haußecker (2010) herausgegebene Studie Inszenierter Terrorismus. Mediale Konstruktionen und indivi-duelle Interpretationen gelten.39 In ihrer Untersuchung von knapp 2000 Nachrichten-beiträgen zwischen 2007 und 2009 kommen sie zu dem Schluss, dass „Beiträge über den Kampf gegen den Terrorismus sowie Berichte über geplante bzw. stattgefundene terroristische Ereignisse“ die Fernsehnachrichten dominieren (ebd., S. 317).40

37 Ähnlich untersucht Maren Kuntze (2003) die Kriegsvorbereitungsphase und die Phase kurz nach dem Angriff auf Afghanistan. Am Beispiel der FAZ und NZZ zeigt sie, dass sich das Feindbild in diesen Phasen nicht nur auf Bin Laden richtete, sondern eher diffus auch auf „die Taliban und das Terroristen‐Netzwerk“ (ebd., S. 243).

38 Hegemonietheoretische Ansätze böten hier das geeignete Instrumentarium, siehe etwa Dzudzek et al. (2012).

39 Exemplarisch für eine soziologische Fragestellung steht die Studie von Matthias Junge (2003), der die „Politisierung kultureller Differenz“ (ebd., S. 134) als Kerninterpretation der Anschläge von 9/11 in seinem Datensample von Tageszeitungen bestätigt fand.

40 Auch Hoffman et al. (2010) kommen zu diesem Ergebnis in ihrer Analyse von Washington Post und USA Today.

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Dabei gehe die „ereignisorientierte Berichterstattung“ (Haußecker 2012, S. 36), so die Kritik, auf die politischen, sozialen und historischen Hintergründe selten ein, und das gelte für die öffentlich-rechtlichen Sender gleichermaßen wie für die privaten (die in-dessen grundsätzlich weniger darüber berichten). Demgegenüber werde vor allem die

„mediale Botschaft: Staat und Bürger müssen geschützt werden“, vermittelt und „die wichtigsten Mittel dafür sind die Verschärfung von Gesetzen und militärische Gewalt“

(Frindte & Haußecker 2010, S. 318). Eine zentrale Rahmung bildet die Bedrohung durch den Terrorismus, die sich nicht nur auf die USA, sondern auch auf Deutschland beziehe und einerseits eher unspezifisch gezeichnet, andererseits aber vor allem als gegen Individuen (weniger gegen Werte, Infrastrukturen oder Gruppen) gerichtet prä-sentiert werde (vgl. ebd., S. 91f.).

Auch Jürgen Gerhards und Kollegen (2011, S. 218) haben auf der Grundlage einer Frame-Analyse im internationalen Vergleich von Fernsehnachrichtensendungen die

„Besonderheiten massenmedialer Terrorismuskonstruktionen“ zu ermitteln versucht und dabei die These einer weltweiten Standardisierung der Formate und Kriterien der Nachrichtenselektion bestätigt (vgl. ebd., S. 221ff.). Während bei CNN und Al Jazeera gleichermaßen die Deutung von Terroranschlägen als Ausdruck eines weltweiten Konfliktes dominiert, neigten sowohl die ARD als auch die BBC zu der Lesart, es han-dele sich um kriminelle, weniger um politische Akte (vgl. ebd., S. 224ff.). Und wäh-rend CNN und Al Jazeera eher diffuse „Angst vor einem allgegenwärtigen Terroris-mus, der überall und jederzeit zuschlagen kann“ (in Verstärkung des weltpolitischen Deutungsrahmens) vermittelten, würden ARD und BBC eher konkrete Bedrohungssze-narien und mithin eine ereignis- und lebensweltbezogene Darstellung entwerfen (ebd., S. 236).

Emotionalisierende Formen der Visualisierung, wie eine schnelle Schnittfrequenz, Nahaufnahmen etc., die eine Dramatik herstellen, sind Frindte und Haußecker (2010, S. 95f.) zufolge nicht spezifisch für das Thema des Terrorismus, kommen hier aber besonders zum Einsatz. So berichteten private TV-Nachrichtensender weniger über die politischen Hintergründe des Terrorismus selbst, setzten aber deutlichere Stilmittel wie etwa „bildliche Darstellungen von Opfern, Verletzten/Toten“ ein (ebd., S. 10, grund-sätzlich S. 75), die einer Emotionalisierung (im Sinne „physiologischer Erregung“) Vorschub leisteten (ebd., S. 96).

Im Kontrast zu den Studien über die deutsche Medienberichterstattung kommen Bri-gitte L. Nacos und Oscar Torres-Reyna (2003) mit der Inhaltsanalyse verschiedener (vier) US-Zeitungen und (zwei) US-Fernsehsendungen zu dem Schluss, dass nach 9/11 (medienübergreifend) eine wesentlich differenziertere Darstellung von Muslimen und Amerikanern mit arabischer Herkunft zu verzeichnen war als vor 9/11. Auffallend war z.B., dass diese Bevölkerungsgruppen häufiger selbst zu Wort kamen.

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Allerdings waren Stereotypisierungen bei ausgewählten Themen, wie etwa der häufig vorkommenden Rahmung einer Verletzung der Bürgerrechte sowie politischer Aktivi-täten von Muslimen bzw. „Arab-Americans“, zu verzeichnen (ebd., S. 151).

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die hier exemplarisch referierten Studien über mediale Botschaften und Bilder der Terrorismusbedrohung eine eigenständige mediale Realität zeichnen (vgl. Kirchhoff 2010, S. 281). Ausgesagt ist damit noch nichts über die Art und Weise der Rezeption. Medienanalysen können über einen langen Zeitraum den Wandel und die Durchsetzung von Deutungsmustern und insofern die „Karriere sozialer Probleme“ nachzeichnen (Schetsche 2008), aber sie können selbst nicht bele-gen, welchen Einfluss die verschiedenen Akteure tatsächlich auf die Formung der me-dialen Bilder und Botschaften oder gar deren Wirkungen haben. Ein gutes Beispiel dafür ist die Inszenierung des ehemaligen Präsidenten Bush, der sich im Mai 2003 demonstrativ in Pilotenuniform auf dem Flugzeugträger Abraham Lincoln ablichten ließ (zur Analyse vgl. Hentschel 2008). Obgleich die mediale Inszenierung vielfach als missglückt wahrgenommen wurde, gelang es Bush trotz aller Häme, das „kollektive Bildgedächtnis der großen Gefühle“, wie es aus Hollywood-Filmen gleichsam zeitlos präsent ist, zu evozieren und damit einen „heroisierten Rahmen“ für seine Botschaft im „Krieg gegen den Terror“ und die Operation Enduring Freedom zu schaffen (ebd., S. 191).41

Auch die Frage, die der Moralpanik-Ansatz aufwirft, welche Akteure in welcher Wei-se ihre InteresWei-sen – oder Botschaften – durchWei-setzen, lässt sich so nicht beantworten, schon weil sie homogene und eindeutig identifizierbare Interessen voraussetzt, die sich im politischen Spiel und der sozialen Praxis indes vielfach brechen.42 Möglich ist je-doch nachzuzeichnen, welche kollektiven und kulturellen Bilder in welcher Weise etwa in Prozesse der Legitimitätsherstellung von Sicherheitsmaßnahmen und -gesetzen einziehen.43 So haben Gabe Mythen und Sandra Walklate (2006) herausgearbeitet, wie die mediale Anti-Terror-Metaphorik mit der Diskussion um nationale Regelungen und Maßnahmen in gänzlich anderen politischen Feldern, wie etwa der Migration,

41 Ähnlich hat auch der Kulturwissenschaftler Tom Holert (2008, S. 176f.) herausgearbeitet, wie das US‐Militär Ende 2005 die Gelegenheit ergriff, „das Militär als Institution der Trauer‐ und Affektarbeit zu präsentieren, als Modell von praktiziertem Mitleid“.

42 Dieser Umstand lässt sich theoretisch mit einem „praxeologischen Zugriff“ (etwa Reckwitz 2003) begründen und empirisch auch nachweisen, siehe für eine entsprechende Analyse Garland (2010) am Beispiel der Kontinuität der Todesstrafe in den USA.

43 Zur Analyse entsprechender Diskurse zur Legitimitätsherstellung zur Terrorismusbekämpfung und dem „War on Terror“ im Anschluss an 9/11 eingehend Kirchhoff (2010). Ein weiteres Feld, das hier ausgespart wurde, jedoch auch zu den klassischen Feldern der Medienanalyse zählt, ist die filmische Bearbeitung im Kino oder Fernsehen. So arbeitet etwa Campbell (2010) in seiner Filmanalyse heraus, wie Deutungen zum Terrorismus auch die Legitimation einer Verweigerung von Grundrechten gegenüber muslimischen Gefangenen in Guantanamo erzeugen.

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verschmelzen und aus der Erzeugung von Furcht („fear“) gleichsam politisches Kapi-tal geschlagen wird. Solche Analysen können mit empirischen Beobachtungen aus anderen Politikfeldern verknüpft werden, in denen sich die Hochzeiten medialer Risi-kokonjunkturen als ein „policy window“ (Kingdon 1995) der Legitimation und Durch-setzung neuer Gesetze darstellen (für die Umweltpolitik etwa Ernst 2008).