• Keine Ergebnisse gefunden

1. THEORETISCHER HINTERGRUND

1.8. Bezugsperson-Kind-Beziehung und kindliche Entwicklung

1.8.2. Bezugsperson-Kind-Beziehung und kindliche Emotionsregulation: Befunde zu

1.8.2.2. Mütterliche Depressivität

Risikofaktoren untersuchten, zum Beispiel adoleszente oder allein erziehende Mütter oder solche mit einem niedrigen Sozialstatus. Tatsächlich finden sich in weniger belasteten Stich-proben die Auswirkungen meist nicht in der von FIELD gefundenen Stärke (z.B. CAMP-BELL, COHN & MEYERS, 1995). KOCHANSKA (1991b) untersuchte 88 Mutter-Kind-Paare, bei denen die Mütter aktuell oder früher unter einer uni- oder bipolarer Symptomatik litten oder die niemals in ihrer Biografie depressive Episoden aufwiesen miteinander. Ihre Kinder wurden in einer sozialen und einer nicht-sozialen Episode beobachtet. Interessanter-weise zeigten sich bezüglich des Gesamtwerts der Verhaltenshemmung nur signifikante Un-terschiede zwischen den beiden depressiven Gruppen. Die Kinder der Mütter mit unipolarer Depression verhielten sich zurückhaltender als die, deren Mütter die Diagnose einer bipolaren Depression erhalten hatten. Die Kinder der affektiv unbeeinträchtigten Mütter zeigten keine signifikanten Unterschiede zu den beiden anderen Gruppen. In weiteren Analysen erwiesen sich auch die Stärke der Störung und das momentane Vorhandensein der Symptome als be-deutsame Moderatoren. Depressive Mütter hielten ihre Kinder seltener dazu an, die neue Um-gebung zu explorieren, und zwar umso weniger, je stärker die Depression ausgeprägt war.

Mittels einer Faktorenanalyse (vgl. Kap. 1.7.3.3) konnte sie drei Stile des kindlichen Um-gangs mit den unbekannten Situationen unterscheiden. Auch diese wiesen spezifische Zu-sammenhänge zu der mütterlichen Affektivität auf. Kinder schwer unipolar depressiver Müt-ter suchten stärker die Nähe der MutMüt-ter und zeigten weniger Verhalten, das die Kategorie

"Rückzug, Passivität und Freezing" bildete. KOCHANSKA und RADKE-YARROW (1992) berichten von einem weiteren Negativbefund. Sie beobachteten 100 eineinhalb bis dreieinhalb jährige Kinder in einer sozialen und einer non-sozialen Situation. Ihre Mütter waren vorher mittels eines Screeningverfahrens als monopolar, bipolar oder nicht affektiv erkrankt diagnos-tiziert worden. Als die Kinder fünf Jahre alt waren wurden sie erneut eingeladen und in einer Spielsituation mit Gleichaltrigen beobachtet. Erstaunlicherweise erwies sich die non-soziale Situation im Kleinkindalter als besserer Prädiktor als die soziale, und die mütterliche Diagno-se in keiner WeiDiagno-se mit dem kindlichen Verhalten verbunden.

DOWNEY und COYNE (1990), ebenso WOLKE und KURSTJENS (2002) reflektieren über potentielle Zusammenhänge von mütterlicher Depression und kindlichen psychischen Prob-lemen. Nach dem einfachsten Denkmodell resultiert das Problem des Kindes direkt aus der Tatsache, dass es der Interaktion mit einem depressiven Elternteil ausgesetzt ist. Möglicher-weise sind jedoch beide, mütterliche Depression wie auch kindliche Störungen, von anderen Faktoren bedingt, etwa von Partnerschaftsproblemen der Eltern. Auch eine genetische

Ursa-che könnte vermutet werden, wie Zwillingsstudien aber zeigten, kann die Vererbung im bes-ten Falle nur für einen Teil der Varianzaufklärung beitragen.

PAULI-POTT et al. (2004) fanden in der in dieser Arbeit beschriebenen Stichprobe einen Interaktionseffekt von mütterlichen Variablen. Einjährige Kinder, deren Mütter im Fragebo-gen hohe Depressivitätswerte erhielten und gleichzeitig angaben, viel soziale Unterstützung zu erhalten, verhielten sich bei Kontaktaufnahme einer fremden Versuchsleiterin signifikant furchtsamer als die restlichen Kinder. Dies ist zunächst verwunderlich, da soziale Unterstüt-zung als Puffer für erschwerende Bedingungen angesehen wird, der die Wirkung andere Risi-kofaktoren abschwächen kann. Möglicherweise war die soziale Unterstützung in der hier be-schriebenen Untersuchung eher ein Indikator für ein hohes Ausmaß an Hilfsbedürftigkeit und Abhängigkeitstendenzen der Mütter, als ein die Wirkung der Depression abmildernder Puffer.

In einer Stichprobe aus einem anderen Kontext fanden auch PAL, DAS, CHAUDHURY und SENGUPTA (2005) von Eltern berichtete soziale Unterstützung positiv korreliert mit kindli-chen Verhaltensproblemen. Die Autoren bieten die Interpretation an, dass der Kontakt zu un-terstützenden Personen auch Konfliktpotential beinhaltet, etwa über Erziehungsfragen. Und weiter, dass ein unterschiedlicher Umgang der Beziehungspersonen mit dem Kind zu inkon-sistentem und das Kind verunsicherndem Erziehungsverhalten beitragen könnte.

Beim "Still-Face" (ursprünglich entwickelt von TRONICK, ADAMSON, WISE & BRA-ZELTON, 1978, zit. nach BRAUNGART-RIEKER, GARWOOD, POWERS & NATARO, 1998) werden die Mütter angewiesen, Depressivität zu „imitieren“, indem sie ihren emotiona-len Ausdruck auf ein Minimum reduzieren und sich nicht in die Interaktion mit ihrem Kind involvieren zu lassen. Für Kinder nicht-depressiver Mütter stellt diese Situation offensichtlich einen Stressor dar. Sie versuchen deutlich beobachtbar, die Aufmerksamkeit ihrer Bezugsper-son wieder zu erlangen, meist erst durch Interaktionsangebote wie Lächeln und Blickkontakt, bleiben diese Versuche erfolglos durch Unmutsäußerungen bis hin zu heftigem Weinen. Kin-der depressiver Mütter reagieren wenig auf ein solches Verhalten ihrer Bezugsperson. Mögli-cherweise haben sie sich an ein wenig emotionales Ausdrucksverhalten und an eine geringe Verhaltensrate im allgemeinen gewöhnt und geeignete Copingstrategien entwickelt, um nicht in unregulierbaren Distress zu verfallen. BRIDGES, GROLNICK und CONNELL (1997) bedienten sich einer abgeschwächten Variante des "Still-Face-Paradigmas" um die elterliche Verfügbarkeit zu variieren. Durch die Passivität der Bezugsperson werden dem Kind externe Quellen der Regulation, auf die es normalerweise zurückgreifen kann, entzogen. In der Unter-suchung der eben genannten Autoren wurden 64 12½ und 14 Monate alte Kinder zwei Situa-tionen ausgesetzt, die Affektregulation erforderte: die Kinder mussten sich gedulden, bis sie

ein Geschenk auspacken und sich etwas zu essen nehmen durften. Dabei wurden die Eltern in jeweils einer Situation instruiert von interaktivem Verhalten mit dem Kind Abstand zu neh-men. Die kindliche Emotionalität und die Affektregulationsstrategien unterschieden sich deut-lich je nach dem Verhalten der Eltern. Die Kinder zeigten mehr negative Emotionen, wenn sich die Eltern passiv verhielten. Unter dieser Bedingung zeigten sie auch längere Aufmerk-samkeitszuwendung auf das Stressobjekt und häufigeres Selbstberuhigungsverhalten. Aktiv exploratives Verhalten wurde häufiger in den Situationen gezeigt, in denen sich die Eltern aktiv beteiligten. Die Autoren schlussfolgern aus den Ergebnissen, dass durch eine aktuelle Nichtverfügbarkeit oder ein Desinteresse der Eltern, die kindlichen Fähigkeiten aktive Regu-lationsstrategien anzuwenden, reduziert werden. Die Nichtverfügbarkeit des Elternteils kann dabei als zusätzlicher eigener Stressor wirken. Auch in der ähnlich konzipierten Querschnitts-studie von DIENER und MANGELSDORF (1999) zeigte sich das Emotionsregulationsver-halten von 18- (n = 50) und 24-monatigen (n = 44) Kindern als Funktion der mütterlichen Involviertheit. Wenn die Mütter instruiert wurden, kein Interaktionsverhalten zu zeigen, zeig-ten die Kinder weniger Social Referencing, beschäftigzeig-ten sich selzeig-tener aktiv mit dem Stimulus und zeigten mehr Fluchtverhalten. Die Verfügbarkeit der Bezugsperson scheint also unmittel-baren Einfluss auf das kindliche Verhalten zu haben, wobei eine Nichtverfügbarkeit nicht per se in geringerer Regulationsfähigkeit zu resultieren scheint, sondern sich Kinder in diesem Fall andere Strategien zu Nutze machen, und das in häufig sehr effektiver Weise. Möglicher-weise lernen Kinder depressiver Mütter mit der Zeit, sich für andere Strategien zu entschei-den, als Kinder nicht-depressiver Mütter.