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März – 24. Dezember 1719

Frühjahr 1716 – 11. Januar 1718

1. März – 24. Dezember 1719

Am 1. März 1719 war es endlich soweit. Mit dem Eintrag zu diesem Tag beginnt Messer-schmidt in seinem enzyklopädischen Rechenschaftsbericht „SIBIRIA PERLUSTRATA“

die Aufzeichnungen, die unter der Gesamtüberschrift „Hodogeticum Sive Consignationes Susceptorum per Sibiriam quàlate patet Itinerū Anniversariæ“ über 80 Seiten hinweg bis zum 27. März 1727 reichen, d. h. bis zu dem Tag von Messerschmidts Rückkehr an den Ausgangspunkt seiner Expedition. Der Eintrag für die erste von insgesamt 129 auf neun Perioden verteilten Reisen lautet wie folgt:

d 1 Martÿ. Von St. Petersburg, der kaÿserlichen Residentz an des Newa Stroh-mes Mündungen, mit Schlitten à 6. podwod, unter Convoÿ zweÿer Tobolskischer Gvarnison Soldaten, über Jamskoi-Slobod; Kuptschina- und Slawenka-derewnÿ, Yshora-reka, und jam; Tosna-Selo; Bolotta-Babÿl-Wirgischa- und Wyssocka-de-rewni; Wolchowa reka; nach Novogrod, oder Novogorod-welikÿ am Ilmenæ-Oze-ro und Wolchowa flußen. d 3 Martÿ.199

Nicht lange zuvor, im Jahr 1718, waren die Arbeiten zur Anlage einer direkten, befestig-ten Landstraße zwischen den beiden Hauptstädbefestig-ten abgeschlossen worden.

Ein Englischer Mathematicus in der Stadt Moscau hatte Sr. Czar. Maj. vorgeschla-gen, von dorten einen geraden Weg nach der Gesichts=Linie bis Petersb. durchzu-brechen, und gangbar zu machen, und solchen Beyfall und Hülffe darinn gefun-den, daß diese kostbare Arbeit Anno 1718. zu stande kommen, und die Reisenden über dreyßig Meilen dabey gewonnen haben,

so der Hannoversche Resident Friedrich Christian Weber (?-1739) in § 299 des ersten Teils seines zum ersten Мal im Jahr 1721 erschienenen Werkes „Das Veränderte

Ruß-199 Hodogeticum, S. 16r.

Daniel Gottlieb Messerschmidt (1685–1735) 84

land“.200 Diese Straße verlief durch zahllose Sümpfe und Moorgründe. Ihr Fundament bil-deten Holzbalken, die mit einer Schicht aus Lehm bedeckt waren. Bei den häufig vorkom-menden Regenfällen verwandelte sich diese Schicht in einen undurchdringlichen Morast.

Es hält dieser Weg über hundert und zwantzig gute deutsche Meilen, welche man bey der Schlittenbahn mit der grösten Geschwindigkeit ablegt, da man hergegen im Sommer zwo biß drey Wochen dazu nöthig hat, und es in solcher Zeit wegen der vielen Bolbrücken eine der beschwerlichsten Reisen ist.201

Betrachten wir die Umstände, unter denen sich Messerschmidts Abreise von St. Peters-burg vollzog und die erste Teilstrecke zurückgelegt wurde, noch etwas näher. – Auf Anord-nung des St. Petersburger Kommissars Misjarëv202 waren zwei „Dragoner der Tobol’sker Garnison“, Jakov Nevotčikov und Aleksej Veršinin, als Begleiter Messerschmidts durch Sibirien abkommandiert worden. Gleichzeitig waren die Behörden angewiesen worden, diese Soldaten „от Санкт Питєрбурха до городов Сибирской губєрнии пропущать и задєржания нигдє им нє чинить“, sie also „von St. Petersburg bis zu den Städten des sibirischen Gouvernements passieren zu lassen und sie nirgendwo aufzuhalten“.203 Messerschmidt sollte seine militärischen Begleiter noch mehrmals erwähnen. So etwa ist von ihnen in dem am 30. November 1725 in Samarov-Jam abgefassten xvii. Rapport die Rede, wo es gleich am Anfang heißt, der Forschungsreisende sei „auß St. Petersburg d. 1.

Mart. 1719. ohne alle Beÿhülffe zum Wurtzel„graben, Saamen samlen, kraüter einlegen, u. a. m. auch ohne Amansuenses in Riß„und Schrifft„Copiirung, Abfaßung der aller Or-ten fürfallenden Memorialen und anderer Russischen SchriffOr-ten mehr gantz einsam und allein, unter Convoy zweer Denschicken“ abgefertigt worden.204

Was die erste Teilstrecke betrifft, so begnügt sich der Forschungsreisende im „Ho-dogeticum“ mit einer kurzen und kommentarlosen Aufzählung einiger weniger Fakten sowie der Orte, die er bis zur Ankunft in Novgorod passiert hatte. Im „Indiculus generalis Itinerum“, in dem Messerschmidt sämtliche Orte verzeichnete, durch die er auf seinen Fahrten gekommen war, wird die Stationsangabe „Jamskoi“ um eine Angabe ergänzt:

Hier lesen wir unter dem Datum des 2. März: „Hie muste noch 2. pferde à 4. Rub. heüren“

– eine nicht unbeträchtliche Summe, besonders wenn man bedenkt, dass Messerschmidt diese Ausgabe – wie gleich zu zeigen sein wird – aus seinem Jahresgehalt bestreiten musste, von dem, wie wir bereits wissen, für das Jahr 1718 100 Rubel für die Kosten der Reise von Danzig nach St. Petersburg abgezogen worden waren.

200 Weber 1729, S. 127.

201 Weber 1729, S. 125.

202 № 29.

203 Vgl. auch Тункина, Савинов 2017, S. 30.

204 СПбФ АРАН. Ф. 98. Оп. 1. Д. 21, S. 114r.

5 Reise von St. Petersburg über Moskau nach Tobol’sk 85 Weshalb aber „muste“ Messerschmidt überhaupt „noch 2. pferde à 4. Rub. heüren“, gleich beim ersten Halt nach dem Aufbruch aus St. Petersburg? Auf diese naheliegende Frage gibt der „Indiculus“ keine Auskunft. Glücklicherweise gibt es aber andere Quellen, die diese Unklarheit beseitigen und uns erkennen lassen, dass Messerschmidt gleich zu Beginn der Reise, die ihn nach Sibirien führen sollte, bereits wieder mit Schwierigkeiten zu kämpfen hatte. Bei der ersten Quelle handelt es sich um einen – nicht von Messer-schmidts Hand stammenden – „Extract auß denen Raporten und denen darauff Empfan-genen Instructionen“. Dieser „Extract“ ist offenbar nach Messerschmidts Rückkehr an die Neva zusammengestellt worden. Wie die Angabe „Ad vocat. G. Klingners“ in der ersten Zeile der Überschrift erkennen lässt, ist der Grund für die Erstellung des „Extracts“

allem Anschein nach in den juristischen Auseinandersetzungen Messerschmidts mit der ihm vorgesetzten Behörde und der Akademie der Wissenschaften zu suchen, von denen im 17. Kapitel des Näheren die Rede sein wird.

In dem uns an dieser Stelle interessierenden Eintrag auf der ersten Seite des „Extracts“

werden die Umstände, unter denen Messerschmidt in St. Petersburg abgereist war und er die erste Teilstrecke zurückgelegt hatte, ausführlicher beschrieben als im „Hodogeticum“

oder im „Indiculus“. Hier heißt es nach der Datumsangabe „d. 1 Martÿ“:

a.) Abgereist von St: Petersb: mit 6. Padwoden zu Schlitten; welche bloß allein b.) zu fortbringung Meiner Eigenthümlichen Gühter, Biblioteck und. s. w. zuge-geben worden: wozu

c.) Noch zweÿ pferde zugneichtet, auff Eignen unkosten, in der Jæmsckoÿ;

(: Summa Also Acht Padwoden zu Eigenthüml. Gühtern und Beÿ sich mir ha-benden Leuten (: Summa 1 Podw. auff gühter und Person 144 Pud :] gemeldet in Ersten Raport d. 13. Apr:

d.) Beÿ habende Leute. 2. Eigene Knechte; Noch

e.) Beÿ gegebene Leute zu Convoÿ. 2. Dragouner: Und Also ist Directe zu Gra-viren den Doctor M. gantz allein ohne Beÿhülffe Geschickt etc. etc. abgefärtieget zu haben.205

Neu – im Vergleich zum „Hodogeticum“ und zum „Indiculus“ – ist die Information, dass die Reisegruppe außer Messerschmidt selbst und den uns bereits bekannten „zweÿ To-bolskischen Gvarnison Soldaten“ noch „2. Eigene Knechte“ umfasste, insgesamt also aus fünf Personen bestand. Offenbar war Messerschmidts „Mannschaft“ zu Beginn der Reise in St. Petersburg auf die „6. Padwoden“ verteilt worden. Bald aber hatte sich die Unhalt-barkeit dieser Regelung erwiesen; denn die „6. Padwoden“ waren Messerschmidt ja „bloß allein zu fortbringung Meiner Eigenthümlichen Gühter, Biblioteck und. s. w. zugegeben worden“, konnten also nicht für längere Zeit auch noch fünf Menschen einigermaßen erträgliche Reisebedingungen bieten. Eben deshalb hatte sich Messerschmidt genötigt

205 Extract, S. 74r.

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gesehen, „noch 2. pferde à 4. Rub. [zu] heüren“, und zwar „auff Eignen unkosten“. Auf diese Notwendigkeit geht er auch in seinem i., am 2. April 1719 von Moskau aus an J. D.

Blumentrost gerichteten Rapport ein, wenn er schreibt, er habe „für die zweÿ Dragouner, so mir allererst nach außgeliefferter Oukass ohne weitere Podwodden zugestattet worden, noch zweÿ andere pferde auß eigenen mitteln in nechster Jamskoy nehmen müßen“.206

Ab „Jamskoi-Slobod“ waren Messerschmidt und seine Begleiter nunmehr „mit Schlitten à 8. podwod“ unterwegs. Ihre Reise sollte drei Wochen lang dauern, bis sie am 21. März „nach Moscua-Stolnitza am Neglina-Jausa-und Moscua flüßen“207 gelangten, am Ende einer Reise, die Messerschmidt als „penibel“ bezeichnete.208 „Die vornehms-ten Oerter auf diesem Wege sind Novogorod, Twehr und Waldei“.209 In Tver’ hatte sich Messerschmidt neun Tage lang aufgehalten, vom 10. bis zum 19. März: „Hieselbst muste meiner Podwoden wegen einige tage stille liegen“ – so der knappe Eintrag im „Indicu-lus“,210 die nichts darüber verrät, was für Umstände genau diesen recht langen Aufenthalt veranlasst hatten. In Tver’ war er mit dem wie er selbst aus Danzig stammenden Arzt Georg Remus zusammengetroffen, der 1720 auf „Einratung“ J. Ph. Breynes als Leibarzt in die Dienste des Fürsten A. D. Menšikov getreten war. In einem Brief Remus’ an Brey-ne vom 28. November 1719 heißt es: „Unser guter Herr Doktor Messerschmidt errieret in Syberien herum, habe zwar keine Briefe von ihm, doch so viel Nachricht, daß er sich wohl befindet“.211

In Moskau gab es für Messerschmidt viel zu tun, hatte er dort doch Vorkehrungen für die Fortsetzung seiner Reise zu treffen und weitere Anweisungen aus der Residenz des Zaren an der Neva abzuwarten. Am 24 Juli empfing er die erste von zahlreichen

„Instructionen“, mit denen Blumentrost seinen Untergebenen im Verlauf von dessen ge-samter Expedition immer wieder – sagen wir ruhig: – behelligen sollte.212 Der auf diese

„Instruction“ bezogene Eintrag im „Extract“ lautet wie folgt: „(a) Beordert in Moscou chinesische Ambasade abzuwartē“.213

In der Kanzlei des Sibirischen Gouvernements erhielt Messerschmidt die zweite Hälf-te seines Gehalts für das Jahr 1719 sowie die Fahrgelder, das sogenannHälf-te Postgeld, bis Tobol’sk ausgezahlt, d. h. das Geld, das auf den Poststationen beim Pferdewechsel zu entrichten war.

Bereits am 23. März wandte sich Messerschmidt mit einer schriftlichen Eingabe214 an

„Alexander Jshuphoff“, den „Commissarium“ des „Siberischen Prikass“, d. h. der für die

206 № 33. Ganz ähnlich in Messerschmidts Brief an J. D. Schumacher vom selben Tag; vgl. № 34a.

207 Hodogeticum, S. 16v.

208 № 34a.

209 Weber 1721, S. 127.

210 Indiculus, S. 4v.

211 Zitiert nach Grau 1966, S. 200.

212 № 38.

213 Relationes-2, S. 74r.

214 № 30.

5 Reise von St. Petersburg über Moskau nach Tobol’sk 87 Verwaltung Sibiriens zuständigen Zentralbehörde, und ersuchte ihn um „einige Beÿhülffe zur Fortsetzung der Reise von hier aus“, speziell um „folgende weitere Veranstaltungen“:

1.) Wegen tiefer und sümpfichter Wege [für mich] und meine Bagage wenigstens zwölf Pferd[e].

2) Alle Hülfe und Zuschus, so wol beÿ Consumpti[on und] Ermangelung der Vic-tualien; alß auch beÿ unvermu[theter Be]schädigung der Fahrzeüge (zu Lande, oder mit einer kl[einen] Strughen zu Waßer) in der Podoroshni – d. h. der Reise-anweisung – deütlich [zu verzeich]nen.

3.) Zur Bedeckung eine Corporalschaft mit [unleserlich] fertigen Gewehren, Pro-vision, und benöthigten Pod[wodden].

4.) Einen feldscheers lehrling in besorg[lichen] Fällen mir und meinen beÿgege-benen Leüten [beÿ Ver]bindungen, Aderlaß u. d. gl. zur Hand zu gehen [und] zu-gleich, wenn so einer fürhanden, im Rußischen To[lmetschen] es seÿ Teütsch oder Latein, in etwaß behülff[lich] seÿn.

Mit diesem Gesuch fand Messerschmidt allerdings kein Gehör – eine Erfahrung, die er von nun an noch oft machen sollte. Gestattet wurde ihm schließlich allein, „einige wenige Medicamente, für mich und meine Leüte, auß hiesiger großen Apotheck zu nehmen“.215

Die Difficultéten zwar, so der siberische Commissaire (Alex. Jsshupoff) sonder-lich wegen der benöthigten Podwodden machet, grundet derselbe eintzig auf die in St. Petersburg verfaßte Rußische Außfertigung, darinnen nicht mehr alß sechs Podwodden sollen benennet seÿn; ohne zu erwegen, daß diese beÿ gutem Win-terwege gegeben, da ich dennoch für die zweÿ Dragouner, so mir allererst nach außgelieferter Oukass ohne weitere Podwodden zugestattet worden, noch zweÿ andere Pferde auß eigenen Mitteln in nechster Jamskoy nehmen müßen –

so Messerschmidt in seinem gleich noch weiter anzuführenden i. Rapport an J. D. Blu-mentrost vom 2. April.216 Und hier haben wir gleich noch eine weitere und präzisere Erklärung für den Gebrauch der Form „muste“ in dem bereits angeführten Vermerk Mes-serschmidts im „Indiculus generalis Itinerum“ für den 2. März: „Hie muste noch 2. pferde à 4. Rub. heüren“.

Im Mai wandte sich Messerschmidt mit einer Eingabе217 an den neuernannten Gou-verneur Sibiriens, den Fürsten Aleksej Michajlovič Čerkasskij, und äußerte auch hier das Gesuch, ihm für die Reise nach Sibirien „auf dem Sommerweg“ weitere sechs Gespanne zur Verfügung zu stellen und in der „Podoroschna“ festzuhalten, dass er, Messerschmidt,

215 № 34a.

216 № 33.

217 № 36.

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„von Kungur nach Tobol’sk durch diejenigen Städte und Orte zu reisen hat, wo das für die Erfüllung seiner Funktion erforderlich sein wird“.218 Ferner ersucht er darum, den ihn begleitenden Soldaten ihren Sold für das Jahr 1719 auszufolgen, „дабы они для скудости своей туне не приняли“, d. h., „damit sie ihrer Bedürftigkeit wegen nicht in Müßiggang verfallen“.

Messerschmidts Aufenthalt in Moskau zog sich bis zum 5. September hin. Diese lan-ge Dauer war nicht nur den Schwierigkeiten lan-geschuldet, auf die der Forschungsreisende beim Umgang mit den Behördenvertretern immer wieder stieß, sondern ganz wesentlich auch und gerade seinem starken Wunsch, sich einer Gesandtschaft anzuschließen, die der Zar nach Peking an den chinesischen Kaiser abgefertigt hatte.219 Einen solchen Wunsch hatte er, wie im vorangehenden Kapitel gezeigt wurde, schon spätestens während der Reise von Danzig nach St. Petersburg gehegt, und offenbar hatte er ihn dann nach seiner Ankunft in der neuen Hauptstadt Russlands seinem Vorgesetzten J. D. Blumentrost mit-geteilt. Dies geht aus dem bereits erwähnten Brief hervor, den Messerschmidt am 27.

Februar 1719 an seinen Danziger Freund und Förderer Johann Philipp Breyne gerichtet hatte220 und in dem von der Möglichkeit die Rede ist, dass „Ihr. Maÿ. noch allergned. beÿ Ihr. [Re]tour von Koniz befehlen solten, mit der Chines[ischen] Gesandtschaft zu gehen“.

Nunmehr wartete der Reisende in Moskau auf das Eintreffen dieser Gesandtschaft. Es war natürlich nicht im Entferntesten daran zu denken, sich dieser Gesandtschaft eigenmäch-tig anzuschließen und dem Ukas des Zaren zuwiderzuhandeln, mit dem Messerschmidt ja ausdrücklich aufgetragen worden war, eine Forschungsreise durch das zu Russland gehörende Sibirien zu unternehmen. In dieser Situation blieb ihm nur eine Möglichkeit offen: Er musste weiterhin versuchen, an allerhöchster Stelle eine Abänderung des ihm erteilten Auftrags zu erwirken. Selbstverständlich durfte und konnte er sich nicht unmit-telbar an den Zaren wenden, sondern bedurfte der Fürsprache und der Vermittlung seines unmittelbaren Vorgesetzten Blumentrost. Am 2. April übersandte er diesem seinen ersten Rapport,221 dem im Verlauf der sibirischen Expedition weitere 21, von mal zu mal immer umfangreichere Rapporte samt mehreren wissenschaftlichen Beilagen folgen sollten. In diesem Dokument bat Messerschmidt u. a. um die Erlaubnis, mit der nach Peking reisen-den Gesandtschaft zunächst „biß Tobolski zu gehen“, und fährt dann fort:

Solte auch über dieses Ihro Groß=Czarische Maÿst. allergnädigster Befehl auf M.

HochEdelGebohrnen Herrn Archiaters Hochgeneigte Unterlegung, dahin gerich-tet seÿn, vollends biß in China zu gehen; werde Dero Hochgeneigte Vermittelung zu dieser curiëusen Reise so mir außer dieser Occasion nicht leicht wieder zu hof-fen seÿn dörfte, alß eine besondere Fürsorge für meine Fortun zu veneriren haben.

218 Vgl. auch Тункина, Савинов 2017, S. 30.

219 Zu dieser Gesandtschaft vgl. Lange 1726; Unverzagt 1727; Bell 1788, Vol. I, S. 183 ff.; Cahen 1911b, S.

153-169: Chapitre VII: L’ambassade de Léon Vasil’évitch Izmaїlov (1719-1722).

220 № 28.

221 № 33.

5 Reise von St. Petersburg über Moskau nach Tobol’sk 89 Um seinem Ersuchen noch größeren Nachdruck zu verleihen und für es Unterstützung zu gewinnen, wandte sich Messerschmidt am selben Tag auch an J. D. Schumacher, den ihm aus St. Petersburg wohlbekannten Bibliothekar des Zaren, und bat ihn darum, „beÿ Ihr.

Excell. dem Hrn Archiater meine Sache bestermaßen zu insinuiren“.222

Bereits am 23. April antwortete Schumacher und teilte Messerschmidt mit, dass der Gesandtschaftsangehörige Lorenz Lange „stündlich seine Abfertigung“ erwarte; „wann Ihme solte ein Medicus zugestattet werden, so soll man gewiß auf Ew. HochEdl. Refle-xion machen: Es wirdt aber wie in allen Sachen etwaß schwer hergehen“.223

In seinem zweiten an Blumentrost gerichteten Rapport vom 25. Juni wiederholte Mes-serschmidt seine Bitte, ihm möge gestattet, ja ausdrücklich befohlen werden, „nachge-hens von Tobolski weiter biß in China zu gehen“,

welches alß eine sondere Gewogenheit für mich würde anzusehen haben, [da er]

alßdenn gnugsame Gelegenheit haben würde, durch mancherleÿ curieuse und noch nicht satsam explorirte Observationes (so wol circa Litteraturam, als auch praxin Medicam Sinensibus peculiarem, [...], sonderlich aber ihre [d. h. der Chinesen]

einheimische Pflantzen, ob der Saamen nicht in unsere zu nechst gelegene Länder zu transplantiren, u. d. m.) Ihro Maÿestät Hohen Befehlen, alß auch besonders Ew.

HochEdl.Gebohrn. bekandte Curieusité so viel nachdrücklicher zu vergnügen.224 Am 16. Juli antwortete Blumentrost auf Messerschmidts Rapporte mit einer ersten „In-struction“,225 die ihrem Adressaten bereits am 24. Juli zugestellt wurde. Sie war durch-aus geeignet, Messerschmidts Hoffnung zu verstärken, ihm könne die Erlaubnis erteilt werden, sich der nach China abgehenden Gesandtschaft anzuschließen. Es heißt in ihr:

Wenn die Direction Dero Reise von mir allein dependirete, so würde ich Sie schon längstens nach Ew. HochEdl. eigenem Wunsch und Verlangen eingerichtet haben.

Indennoch werde ich allen Fleiß anwenden, daß Sie zu Dero Avantage außschla-gen möge; sonderlich wenn ich, wie ich verhoffe, es dahin brinaußschla-gen kann, daß es Ihnen erlaubet würde, dieselbe biß nach China fortzusetzen; wodurch so wol die Naturæ curiosi, alß Ew. HochEdlen selbst würden etwaß Sonderbahres zu gewar-ten haben.

Ausdrücklich wird Messerschmidt gestattet, „Ihre Reise mit der Chinesischen Ambassade [bis Tobol’sk] zu continuiren, welche Ihnen mit allem an die Handt gehen wirdt. Wirdt Sr.

Maÿst. Sich in dero Faveur erklären, so kan die Ukase noch früh genug spediret werden“.

222 № 34a.

223 № 35.

224 № 37.

225 № 38.

Daniel Gottlieb Messerschmidt (1685–1735) 90

Auch ein am selben Tag an Messerschmidt gerichtetes „Avertisssement“ Schuma-chers226 war geeignet, die Hoffnungen des Empfängers zu beleben und zu verstärken:

Es hat der Herr Archiater mit der heütigen Post nach Finlandt an Seinen Herrn Bruder [d. h. an den Leibarzt des Zaren Laurentius Blumentrost] geschrieben, Er möchte doch eine Ordre von Ihr. Maÿst. procuriren, krafft welcher Ew. HochEd-len mit der Ambassade nacher Peking gehen möchten. Seine argumenta persuaso-ria wären kräftig genug, und glaube auch daß Sie werden einigen Ingress finden;

wozu schon Vorauß Ew. HochEdlen von Hertzen gratulire.

Am 1. August traf die nach China abgefertigte Gesandtschaft, die mehr als 100 Personen umfasste, in Moskau ein. Zu diesem Zeitpunkt wusste Messerschmidt noch immer nicht, ob er sich ihr endgültig anschließen durfte oder nicht. Diese Ungewissheit hielt in den folgenden Wochen an. Schließlich richtete Messerschmidt am 20. August einen weiteren, seinen dritten Rapport an Blumentrost,227 in dem er zunächst dankbar die ihm erteilte Erlaubnis erwähnt, „mit anwesender Kithayscher Ambassade meine angefangene Reise fürerst biß Tobolski zu continuiren“, sowie seinen Vorgesetzten an dessen Versprechen erinnert, „wegen vorhin angesuchter Fortsetzung derselben biß in Peking und darüber requirirten Oukasen fernere gewogenste Fürsorge zu tragen“. Er wisse allerdings auch,

„daß hierüber Ihro Maÿestäten specieller hoher Befehl nöthig seÿ, und selbiger beÿ Ab-wesenheit derselben, durch Vermittelung Ihro Excell. des Herrn LeibMedi[ci,] welchem Sie bereits davon Part gegeben, muß außgewürcket werden“. Die Schlusspassage des Rapports lässt erkennen, dass das Ausbleiben der endgültigen Entscheidung des Zaren in Messerschmidt unterdessen eine gewisse Unruhe und Ungeduld ausgelöst haben musste:

„Indeßen da die Ambassade sich möglichst zur Abreise schicket, mit Strughen biß Casan zu gehen, und daselbst den Winterweg alßden abzuwarten gesonnen, so uhrtheile meine Pflicht zu seÿn solches für dem Aufbruch zu berichten“.

Am selben Tag, dem 20. August, setzte Messerschmidt eine unmittelbar an des Zaren Leibarzt Laurentius Blumentrost gerichtete „Insinuation“ auf,228 in der er den Empfänger wissen ließ, dessen Bruder, „Ihro Excellence der Herr President“, habe ihm, Messer-schmidt,

zu verstehen gegeben, wie Er in meinen Angelegenheiten die Fortsetzung meiner Reise mit der anwesenden Gesandtschaft biß in Peking betreffende, ohne solches zuföderst Ihro Maÿestäten zu unterlegen, nichts entschließen könte; Wesfalß Er bereits Ew. HochEdelgebohrnen seine Meinung eröffnet, umb solches Ihro Ma-ÿestäten fürzutragen; da Er denn nicht zweifelte gewünschte allergnädigste

Ge-226 № 39.

227 № 41.

228 № 42.

5 Reise von St. Petersburg über Moskau nach Tobol’sk 91 nehmhaltung hieüber zu erlangen. [Da nun] alles eintzig und allein auf Ew. Hoch-Edelgebohrnen hochgeneigten Fürtrag beruhet, so habe meiner Pflicht gemäß zu seÿn erachtet, Ihnen deßfalß schriftlich aufzuwarten, und die gewogenste Für sorge meines Aufnehmens gehorsamst zu empfehlen. Wie demnach versichert lebe, daß Ew. HochEdelgebohrnen Ihro fürmahlige Wolgewogenheit mir unverändert wer-den fürbehalten haben; so zweifele nicht durch deroselben hohe Vermittelung in meinem Wunsch glücklich zu werden.

Außer den nicht enden wollenden Schwierigkeiten mit den Beamten des „Siberischen Prikass“ und seinen Bemühungen, die Erlaubnis um Anschluss an die „Kithaysche Am-bassade“ zu erwirken, beschäftigten Messerschmidt in Moskau aber auch wissenschaft-liche Probleme. Auf dem Krongut Izmajlovo sammelte, analysierte und klassifizierte er Pflanzen. Ferner schloss er Bekanntschaft mit dem Apotheker und Heilkräutersammler Christian Gottlieb Bräutigam.

Am 5. September trat die Gesandtschaft die Weiterreise in Richtung Tobol’sk an, wo-bei die Bordkanonen der fünf Barken – „Strughen“ oder auch „Strusen“ genannt –, auf denen die Reise zunächst vonstattengehen sollte, Salut schossen. Der Wasserweg – über die Moskva, die Oka und die Wolga – war vor allem deshalb gewählt worden, weil die Gesandtschaft eine bedeutende Anzahl großer und sperriger Geschenke mit sich führte, die für den chinesischen Kaiser bestimmt waren und die auf dem Landweg nur schwierig zu transportieren waren, bevor der Frost das Reisen per Schlitten ermöglichte.

Die Wasserreise bis Kazan’ dauerte mehr als sechs Wochen. Ungefähr drei Wochen brachte Messerschmidt mit einigen Gefährten auf einem und demselben Schiff – „einer Schesterick-Struÿen“ – zu, ohne an Land gehen zu können. Da er später, im Verlauf seiner Expedition, noch des Öfteren mit einem solchen Wasserfahrzeug unterwegs sein sollte, ist es angebracht, dass wir uns an dieser Stelle eine Vorstellung von eben der „Struÿe“

verschaffen, auf der Messerschmidt „in der Svite Sr Excell. Hln. Envoÿe, Lee-Wasili-Ismailow“229 zuerst auf der Moskva, dann auf der Oka und schließlich auf der Wolga unterwegs war. Diese Beschreibung verdanken wir Messerschmidts gutem Bekannten,

„einem Lieutenant Nahmens Lange / aus Stockholm gebürtig“,230 der jetzt zum zweiten Mal mit einer „Ambassade“ des Zaren nach China unterwegs war, wohin ihn Peter I.

„als rußischen Residenten in Peking, der für die dahin gehenden rußischen Carawanen zu sorgen haben sollte“,231 „abgefertigt“ hatte. In dessen 1727 in Lübeck erschienenem Reisebericht lesen wir:

Diese Fahrzeuge sind sehr commode gebauet / mit ziemlich hübschen Loge­

mentern / Fenstern / Tischen / Stühlen / Betten / etc. sind unten flach / und haben

229 Hodogeticum, S. 16v.

230 Unverzagt 1727, S. 1.

231 Lange 1781, S. 3.