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Kulturbetrieb Spaniens in der Krise – Annahmen und Fragestellungen 51

1. Spanien und sein Kulturbetrieb

1.6 Kulturbetrieb Spaniens in der Krise – Annahmen und Fragestellungen 51

Vorhaben in erster Linie auf eine Verbesserung der Situation von Mäzenen hinaus, darunter Steuervergünstigungen, Vernetzung mit Künstlern und Steigerung ihrer ge-sellschaftlichen Anerkennung.249 Jedoch steht das vor der Wahl 2011 versprochene und kontrovers diskutierte ley de mecenazgo noch immer aus.250

1.6 Kulturbetrieb Spaniens in der Krise – Annahmen und Fragestellungen

gung der letztveröffentlichten Statistiken von 2013 zeigt sich, dass bereits zwischen 2006 und 2011 die staatlichen Ausgaben für Kultur zurückgegangen sind.255 Zwar beträgt der nominale Rückgang der Gesamtausgaben – von 5,93 Milliarden Euro 2006 auf 5,8 Milliarden Euro 2011 – nur 1,6 Prozent, vergleicht man aber die öffent-lichen Pro-Kopf-Ausgaben, offenbart sich ein Rückgang von 6,7 Prozent.256 Verant-wortlich dafür sind Kürzungen der Regionalregierungen (-18 %), während die Aus-gaben der anderen Verwaltungsebenen 2011 zumindest nominal leicht über dem Ni-veau von 2006 liegen. Engt man allerdings den Zeitraum ein und betrachtet die Ent-wicklung ausgehend von 2008, als die globale Finanzkrise die spanischen Märkte er-fasst, zeigt sich eine kritischere Situation: Der Rückgang der öffentlichen Kulturaus-gaben liegt in dieser Zeitspanne bei nominal 17,7 Prozent, unter Einbezug der Ver-teuerungsrate sogar bei 21,4 Prozent. Gleichsam weisen alle drei Verwaltungsebenen eine Reduzierung der Ausgaben aus, wohingegen diese bis einschließlich 2008 noch jährlich angestiegen waren. Damit wird auch die bemerkenswerte Verzögerung deut-lich, mit der die Krise den Kultursektor erreicht: Während sowohl das Wirtschafts-wachstum als auch die Zahl der Erwerbstätigen bereits 2008 einbrechen, erfahren die Kulturausgaben im selben Jahr noch einmal einen Zuwachs. Für die Entwicklung des spanischen Kultursektors muss also eher das Jahr 2009 als Zäsur in der Entwicklung betrachtet werden.

Auch wenn offizielle Angaben noch ausstehen, darf das weitere Sinken der öf-fentlichen Kulturausgaben innerhalb des Untersuchungszeitraums von Ende 2011 bis Mitte 2014 als sicher gelten. So führen allein die beschlossenen Haushaltskürzungen 2012 zu geschätzten Kürzungen des Kulturetats zwischen 15 und 33 Prozent.257 Die Einsparungen folgen dabei zwei Vorgaben: Zum einen soll der Betrieb von ‚Kernin-stitutionen‘ sowie kulturellen Dienstleistungen gesichert werden und zum anderen gelte es, „die Entwicklung ergänzender Finanzierungsmodelle mit einer höheren Be-teiligung des privaten Sektors voranzutreiben“.258 Generell folgen die kulturpoliti-schen Maßnahmen jedoch dem Prinzip ‚Mittel kürzen und Abgaben erhöhen‘, wes-halb ab September 2012 eine Erhöhung der Umsatzsteuer in Kraft tritt. Dabei wird der Normalsatz von 18 auf 21 Prozent angehoben – bei gleichzeitiger Anhebung des ermäßigten Steuersatzes von 8 auf 10 Prozent. Außerdem wird für vereinzelte

255 Anuario de Estadísticas Culturales 2013.

256 Das inflationsbereinigte Wachstum geben Villarroya und Ateco-Amestoy sogar mit minus 17 Prozent an. (Vgl. Villarroya/Ateca-Amestoy, Cultural Policy Spain, 62)

257 Vgl. Kahl, Kultur unter der Guillotine; P. Ingendaay, Madrid kürzt Kulturetat. Spanier, seid tapfer!

in: FAZ.NET vom 04.10.2012, Feuilleton.

258 Villarroya, Schmerzliche Auswirkungen, 28.

turprodukte die ermäßigte Besteuerung aufgehoben, sodass etwa für Theater-, Kino- oder Konzerteintrittskarten der Steuersatz direkt von 8 auf 21 Prozent steigt. Die ohnehin geschwächte Kaufkraft der spanischen Bevölkerung macht es in der Folge laut vieler Betreiber betroffener Einrichtungen unmöglich, die Steuererhöhung an die Kulturkonsumenten weiterzugeben. So wird in verschiedenen Publikationen von Umsatzeinbußen und vermehrten Schließungen von Kinobetrieben berichtet.259 Al-lerdings gibt es keine gesicherten Zahlen darüber, wie viele Kultureinrichtungen ins-gesamt schließen mussten oder um wie viel Prozent das kulturelle Angebot reduziert wurde oder der Konsum kultureller Güter nachgelassen hat. Von 2011 bis einschließ-lich 2012, dem Jahr der Verabschiedung der Sparmaßnahmen der Regierung, blieb der Anteil von Kulturunternehmen in der spanischen Wirtschaft konstant bei 3,3 Prozent, was nichtsdestotrotz bei einem Schrumpfen der Wirtschaft insgesamt ebenfalls einem Rückgang gleichkommt. Die Zahl der Kultureinrichtungen zeigt sich 2012 gegenüber dem Vorjahr zumindest weitgehend konstant: Nach offiziellen Anga-ben gibt es in Spanien 1 529 Museen und museale Sammlungen, 6 608 Bibliothe-ken, 841 Archive, 1 605 Theater, 166 Sinfonieorchester, 1 600 Musikschulen, 703 Tanzschulen, 3 261 Theaterensembles und 889 Tanzensembles. Allein die Zahl der Kinos weist mit 841 einen deutlichen Rückgang (-4 %) gegenüber dem Vorjahr auf.260

Trotz fehlender Daten sind anhand der oben genannten aktuellen Entwick-lungen für den Untersuchungszeitraum verschiedene Tendenzen anzunehmen. Zum einen eine Verminderung kultureller Ressourcen: Es gibt einen Rückgang kultureller Infrastruktur und Aktivität besonders im ländlichen Raum; die Kreativwirtschaft schrumpft und insgesamt ist zu beobachten, „dass sich der wirtschaftliche und soziale Einfluss des Kulturbereichs bzw. seiner Akteure über die letzten Jahre verringerte.“261 Folgen die bereits sichtbar werden, sind ein Beschäftigungsrückgang im Kultursek-tor,262 Lohnkürzungen, Schließungen von Aufführungsorten und Reduzierung von Angeboten.263 Dem erwähnten Plan Estratégico General 2012-2015, der die Negativ-folgen der öffentlichen Kürzungen durch Geld aus der Privatwirtschaft zumindest in

259 Vgl. Kahl, Kultur unter der Guillotine; P. Ingendaay, Kultureinsparungen in Spanien. Tragödie mit halbem Chor, in: FAZ.NET vom 08.08.2012, Feuilleton.

260 Vgl. Anuario de Estadísticas Culturales 2013, 43ff.

261 Villarroya, Schmerzliche Auswirkungen, 28.

262 Statistisch belegt ist ein kontinuierlicher Rückgang des Kulturbereichs innerhalb des Arbeitsmarktes, der 2009 seinen Anfang nahm. im Jahr 2012 arbeiten dort noch 2,6 Prozent aller Arbeitnehmer. (Vgl.

Anuario de Estadísticas Culturales 2013, 55)

263 Vgl. Migge, Kultur in der spanischen Finanzkrise; Ingendaay, Madrid kürzt Kulturetat. Spanier, seid tapfer!

Teilen auffangen soll, mangelt es unterdessen an den gesetzlichen Rahmenbedingun-gen, wie das Beispiel des ley de mecenazgo zeigt. Ein möglicher Erfolg dieser kulturpo-litischen Strategien ist derzeit jedenfalls nicht absehbar, was nach Villarroya die Kri-sensymptome noch verschärft.264 Zum anderen ist anzunehmen, dass sich parallel zum Rückgang öffentlich geförderter Kultur neue Organisationsformen künstlerischen Schaffens entwickeln, die nicht von staatlichen Subventionen abhängen und aufgrund des allgemeinen Kulturbedürfnisses maßgeblich aus zivilgesellschaftlichem Engage-ment erwachsen. Anhaltspunkte dafür liefert etwa Ingendaay mit der Beschreibung innovativer Theaterformen in Madrid, wie dem Casa de la Portera oder dem Microteat-ro por dineMicroteat-ro.265

Ein weiterer Einflussfaktor auf den Konsum von Kulturgütern stellt der digita-le Wandel dar, der sich zwar im europäischen Vergdigita-leich mit Blick auf Spanien ge-samtgesellschaftlich schleppend vollzieht,266 aber dennoch dazu führte, dass das Land dank einer jungen, internetaffinen Generation – im spanischen Sprachgebrauch inter-nautas – die EU-weite Spitzenposition der illegalen Downloads eingenommen hat.

Der Hauptgrund dafür liegt vor allem in der mangelhaften Gesetzgebung des Urhe-berrechts, das Internetpiraterie lange Zeit überhaupt nicht unter Strafe stellte. Auch die letzte Initiative der PSOE-Regierung zur Aktualisierung der Gesetzeslage gilt vielen Beobachtern als halbherzig.267 Der Schutz des geistigen Eigentums stellt damit eine wesentliche Herausforderung für die Kulturpolitik der neuen Regierung dar und dürfte zumindest für einige Kulturbereiche eine Schlüsselrolle innerhalb der Krise bedeuten. Gravierende Auswirkungen sind für jene Kultur-Großprojekte zu erwar-ten, die ihre Existenz der Verschränkung von Guggenheim-Effekt und Bauboom verdanken. Ihre hohen stehenden Kosten belasten die gekürzten Etats zusätzlich. Hin-zu kommen die Auswirkungen der Bau- und Immobilienkrise: Die Objekte verlieren an Wert und damit an Attraktivität für Investoren. Andere Projekte wiederum wur-den bislang nicht in Betrieb genommen oder gar fertiggestellt.268

Hinsichtlich der Presseberichterstattung ist anzunehmen, dass der Diskurs be-züglich der kulturpolitischen Maßnahmen stark von parteipolitischen Konflikten ge-prägt ist. Zwar unterscheiden sich die kulturpolitischen Prioritäten der PP-Regierung

264 Vgl. Villarroya, Schmerzliche Auswirkungen, 28.

265 Vgl. P. Ingendaay, Madrider Bühnen in der Eurokrise. Bringen Sie Ihr Stück gleich mit! in:

FAZ.NET vom 30.06.2012, Feuilleton.

266 Vgl. Nohlen/Hildenbrand, Spanien, 241f.

267 Vgl. P. Ingendaay, Partnerland der Cebit 2010. Im Land der Internauten, in: FAZ.NET vom 28.02.2010, Technik & Motor; P. Ingendaay, Spanien gegen Internet-Piraterie: Der Kampf ist halbher-zig, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 29.01.2011.

268 Vgl. Villarroya, Schmerzliche Auswirkungen, 28.

nicht wesentlich von denen der Vorgängerregierung – auch unter den Sozialisten wuchs in den letzten Jahren die Zahl der Befürworter für die Stärkung des privaten Sektors –, aber sowohl die Sparmaßnahmen als auch die zögerliche Umsetzung des Förderplans sorgen für Kritik und bieten eine erhebliche Angriffsfläche. Aufgrund der starken politischen und gesellschaftlichen Polarisierung ist es wahrscheinlich, dass sich die allgemeine Diskussionen zu Wesen und Rolle öffentlicher Kultur, wie die „zu-nehmende gesellschaftliche Debatte über den dringenden Bedarf an stärkerem pri-vatem Engagement“,269 in parteipolitischen Kontroversen kanalisieren.

Die folgende Analyse der Presseberichterstattung im Zeitraum von November 2011 bis Mai 2014 betrifft demnach zwei Bereiche: einen inhaltlichen und einen formalen.

Inhaltlich stellt sich die Frage, welche allgemeine Entwicklung zu beobachten ist.

Lassen sich die punktuellen Annahmen bestätigen und in ein umfassenderes Bild der aktuellen Verhältnisse integrieren? Dazu gehören insbesondere Informationen über die speziellen Auswirkungen der Regierungsmaßnahmen auf die einzelnen Felder des Kultursektors, aber auch Darstellungen sich entwickelnder, alternativer künstlerischer Formen. Des Weiteren wird die Frage nach inhaltlichen Unterschieden zwischen den herangezogenen Publikationen aufgeworfen: Haben El País und El Mundo jeweils bestimmte Schwerpunkte in der Berichterstattung über den Kultursektor und wenn ja, um welche handelt es sich?

Der formale Bereich fragt nach der Berichterstattung als solcher: Gibt es all-gemein Besonderheiten im Schreiben über die Krise im Kulturbereich? Darunter zäh-len auch ungewöhnliche Dynamiken innerhalb des Untersuchungszeitraums, etwa Informationen darüber, wann von wem und wie viel veröffentlicht wird. Auch hier gilt es Unterschiede zwischen den beiden Publikationen aufzuzeigen. Nicht zuletzt:

gibt es Verschiedene Formen der journalistischen Darstellung und wenn ja, welche werden in Verbindung mit welchen Inhalten bevorzugt? Schließlich dienen all jene Merkmale der Berichterstattung der Beantwortung der Frage: Befördert die Bericht-erstattung eine gesellschaftliche Debatte um die Zukunft öffentlicher Kultur oder ist sie ein Teil ihrer Krise?

269 Ebd.

2. Untersuchung