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Kritik an der Notwendigkeit von Fördermaßnahmen

4. Digital Divide

4.5. Kritik an Fördermaßnahmen

4.5.1 Kritik an der Notwendigkeit von Fördermaßnahmen

Trotz der breiten Diskussion in der Presse und Öffentlichkeit bestehen grundsätz-liche Zweifel an der Notwendigkeit von Maßnahmen zur Zugangsförderung.214 Zweifel werden vor allem in der amerikanischen Literatur zur digitalen Spaltung vertreten, wo auch auf der Basis von amerikanischen Zahlen und Fakten argu-mentiert wird. Die bekanntesten Vertreter sind Adam Clayton Powell, Adam D.

Thierer und Benjamin M. Compaine. In Deutschland wird diese Position von Mi-chael Hutter vertreten, denn die von drei Autoren (Powell, Thierer und Compaine) geäußerten Bedenken sind auch in Deutschland rezipiert worden und natürlich auch von Belang, obwohl die Situation in Deutschland nicht eins zu eins mit der Situation in den USA vergleichbar ist und die Annahmen daher auch nicht kom-plett übertragbar sind.

211 Eimeren, Birgit van; Frees, Beate 2005: ARD/ZDF-Online-Studie 2005: Nach dem Boom: Größ-ter Zuwachs in inGröß-ternetfernen Gruppen. In: Media Perspektiven Nr. 8 (2005), S. 362.

212 Vgl. Marr 2005, a.a.O. (Anm. 99), S. 8.

213 Kubicek/Welling 2000, a.a.O. (Anm. 98), S. 500.

214 Vgl. Marr 2005, a.a.O. (Anm. 99), S. 9.

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Adam D. Thierer, ein ehemaliger Mitarbeiter der konservativen Heritage Foundation, vertritt die These, dass keinerlei staatliche Maßnahmen zur Verbesse-rung des Internetzugangs und zur Nutzung des Internets notwendig sind. Die un-terschiedliche Nutzung des Internets ist nur ein kurzfristiges Problem und der Markt als überlegenes Steuerungsinstrument löst das Problem nach einer be-stimmten Zeit selbst. Als Ausgangspunkt seiner Überlegungen stellt er die rhetori-sche Frage:

„Is there a ,digital divide' in America, or at least a pressing public policy concern that demands a national solution and an expensive federal entitlement pro-gram?"215

Aus seiner Sicht existiert kein Problem ―digitale Spaltung‖, weil jeder amerikani-sche Bürger einen Computer mit Internetzugang zu sehr geringen Kosten haben kann, wenn er oder sie es wirklich will.216 Er argumentiert, dass normale Personal Computer bereits heute billiger sind als Fernseher und dass der Internetzugang häufig komplett kostenlos sei (weil er zum Teil in anderen Angeboten enthalten ist) und auch neue Zugangstechniken (über Mobiltelefone oder Spielplattformen zum Beispiel) für die Nutzung des Internets verfügbar seien. Geld spielt daher aus sei-ner Sicht als Zugangsbarriere zum Internet keine Rolle und ist damit auch kein Grund für eine Zugangsförderung. Er hält Maßnahmen zur Förderung sogar für verfassungswidrig.217 Ein weiterer einflussreicher Werber für diese Position ist Adam Clayton Powell, Vize-Präsident des konservativen amerikanischen Think-Tanks „The Freedom Forum―. Politische Steuerungsmaßnahmen218 sind nach sei-ner Meinung demnach überflüssig und das Problem existiert auch nur, weil es von interessierten Medien erfunden wurde:

„Misled by stereotypes, misinformed about survey techniques, and misdirected by interest groups, the media have treated the digital divide as a crisis requiring

215 Thierer, Adam D., „How Free Computers Are Filling the Digital Divide―, Heritage Foundation Backgrounder No. 1361, April 20, 2000

216 Thierer, Adam, „How Free Computers Are Filling the Digital Divide―, Heritage Foundation Ex-ecutive Summary Backgrounder No. 1361, April 20, 2000

217 Thierer, Adam, ―A ‗Digital Divide‘ or a Digital Deluge of Opportunity?‖, Heritage Foundation Ex-ecutive Memorandum No. 646, February 1, 2000.

218 Die Diskussion über die Steuerungsfähigkeit einer Gesellschaft findet sich als Hintergrunddis-kussion auch in der DisHintergrunddis-kussion zu Maßnahmen zur digitalen Spaltung.

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ernment interaction. As a result, billions of dollars might be spent to address needs that no longer exist"219

Diese Position wird auch von Benjamin M. Compaine geteilt, der aber in seiner Begründung zusätzlich auf die Diffusion von moderner Technologie in einer Ge-sellschaft abhebt. Jede Innovation beginnt nach dieser Theorie mit einer kleinen Gruppe von Pionieren, die als Innovatoren bezeichnet werden. Diesen folgen im Adoptionsprozess die frühen Übernehmer (early adopters). Dabei handelt es sich zumeist um eine gut ausgebildete und finanziell überdurchschnittlich ausgestattete Bevölkerungsgruppe.220 Diese liegen daher auch im besonderen Fokus der Wirt-schaft, da sich mit diesen „leadern― gutes Geld verdienen lässt. Sie fungieren häu-fig als Meinungsführer innerhalb ihrer Bezugsgruppe und haben deshalb eine Vor-bildfunktion für die folgende Adoptergruppen übernommen. Nach der Theorie wird durch diese Vorreiter ein neuer Markt gebildet, der einen Prozess in Gang setzt:

„which leads to greater interest, higher volume, thus lower cost, reduced skill le-vels needed, and ultimately mass utilization".221 Dies führt letztlich dazu, dass ein Großteil der Bevölkerung die jeweilige Innovation übernimmt.

Abbildung 1 – Adopter-Kategorien nach Rogers222

219 Powell, Adam C., Falling for the Gap. Whatever Happened to the Digital Divide, in: Compaine 2001, a.a.O. (Anm. 127), S. 309.

220 Vgl. Marr 2005, a.a.O. (Anm. 99), S. 59f.

221 Compaine 2001, a.a.O. (Anm. 127), S. 110.

222 Rogers, Everett M. 2003: Diffusion of innovations (5th ed.). New York: Free Press., S. 262.

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Im Ergebnis wird daher von Compaine und dem deutschen Michael Hutter die These vertreten, dass zwar die Entwicklung der Nutzung des Internets mit unter-schiedlicher Intensität begonnen hat, diejenigen Gruppen oder Regionen, die spä-ter begonnen haben, aber die größeren Wachstumsraten aufweisen.223 Compaine lehnt grundsätzlich alle Maßnahmen des Staates zur Unterstützung von Computer und Internetnutzung ab, denn diese Programme seien ausschließlich auf „ele-ments of fear, speculation, and armwaving"224 gegründet. Für Compaine gilt:

„First, there is no need to act precipitously. Technology casts a long shadow. Thus, there is time for society to see how some technology or combinations of technolo-gies move towards their natural markets and costs.―225

Compaine geht sogar so weit, aufgrund der Zahlen der NTIA-Untersuchungen, zu fordern, alle Fördermaßnahmen für das Internet einzustellen. In martialischer Aus-drucksweise fordert er, dass es nun an der Zeit sei: ,,[to] declare the war won".226 Dies scheint auch die Meinung zu sein, die sich in der amerikanischen Politik nach dem Ende der Clinton-Administration durchgesetzt hat227. Während der vierte NTIA-Bericht im Jahr 2000 noch „Falling through the Net. Toward Digital Inclusion―

überschrieben wurde, änderte sich die Zielrichtung unter der Administration Geor-ge W. Bush. Die neuen Berichte aus den Jahren 2002 und 2004 erhielten dann den Haupttitel „A Nation Online.―228 Damit sollte verdeutlich werden, dass das Problem sich erledigt hatte.229 Daher wurde das Phänomen der Digitalen Spaltung auch als wenig überraschend und nicht problematisch bewertet:

―(...) However, it is often the case that individuals with greater education and income are the first to adopt new technologies, and individuals in rural areas are the last to be reached by the deployment of new telecommunica-tions infrastructure. Since the Internet is still in a relatively early stage of

223 Hutter 2001, a.a.O. (Anm. 173), S. 370.

224 Compaine, a.a.O. (Anm. 127), S. 109.

225 Compaine, a.a.O. (Anm. 127), S. 114.

226 Compaine, a.a.O. (Anm. 127), S. 315.

227 Vgl. Mossberger 2003, a.a.O. (Anm. 150.), S. 4.

228 A Nation Online: How Americans are expanding their Use of the Internet (NTIA 2002); A Nation Online: Entering the Broadband Age (NTIA 2004)

229 Vgl. Krings, Bettina-Johanna; Riehm Ulrich, Internet für alle? Die Diskussion des »digital divide«

revisited, in: Rehberg, Karl-Siegbert (Hg.) 2006: Soziale Ungleichheit, kulturelle Unterschiede. Ver-handlungen des 32. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Soziologie in München 2004. 2 Teilbde. Campus, Frankfurt a.M./New York, S. 3054

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commercial deployment, these socio-economic and geographic differences in Internet usage are not surprising and may not be long lasting."230

Die beiden NTIA-Berichte von 2002 und 2004 sind aber mit Vorsicht zu betrach-ten. Steven Martin untersuchte die Erhebungsverfahren der Untersuchungen. Da-bei stellte er fest, dass die Behauptung des NTIA-Berichtes von Jahr 2002, das Internet breite sich am schnellsten in den ärmeren und benachteiligten Gruppen aus, falsch ist, denn er gründet sich auf verzerrende statistische Maßzahlen.231 Der grundlegende Fehler in der Argumentation von Thierer, Powell und auch bei Compaine ist aber der Bezug auf den reinen Zugangsaspekt.232 Wie oben bereits mehrfach festgestellt wurde, ist aber zur sinnvollen Bearbeitung des Problems di-gitale Spaltung auch der Nutzungsaspekt zu berücksichtigen. Ob die zur Nutzung des Internets notwendigen Kompetenzen keine Rolle spielen oder die Aneignung gemäß der von beiden vertretenen Ideologie vom Markt geregelt wird, bleibt man-gels Aussagen dazu ungeklärt.233 Bei Compaine kommt noch ein weiteres Prob-lem hinzu. Compaine bezieht sich zur Untermauerung seiner These auf den Ver-breitungsverlauf des Telefons, der Elektrizität, des Videotextes oder des Fernse-hens und Radios. Von Pippa Norris wird er daher als cyper-optimists234 bezeich-net. Der folgenden Abbildung kann man verschiedene Diffusionsverläufe im Ver-gleich entnehmen.

230 United States General Accounting Office 2001: Report to the Ranking Minority Member, Sub-committee on Telecommunications, Committee on Energy and Commerce, House of Representa-tives.TELECOMMUNICATIONS Characteristics and Choices of Internet Users, February 2001 (=GAO-01-345), S. 7.

231 Martin, Steven P. 2003: Is the Digital Divide Really Closing? A Critique of Inequality Measure-ment in A Nation Online, IT&SOCIETY, Vol. 1, Issue 4, Spring 2003, S. 9.

232 Vgl. Zillien 2009, a.a.O. (Anm. 1), S. 85.

233 Vgl. Langer 2007, a.a.O. (Anm. 19), S. 25f.

234 Norris 2001, a.a.O. (Anm. 154), S 11.

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Abbildung 2 - Diffusionsverläufe im Vergleich235

Diese Beispiele sind aber streng genommen nicht zum Vergleich geeignet, da die jeweilige „Systemkomplexität" bei diesen Technologien um ein Vielfaches unkom-plizierter ist als beim Internet.236 Auch sind die Annahmen zu bezweifeln, dass die Diffusion des Internets überhaupt alle Bevölkerungsschichten erfasst. Zumindest Untersuchungen von ARD und ZDF im Jahr 2004 zur Internetnutzung lassen Zweifel an der These aufkommen, dass die sogenannten „Offliner" tatsächlich nur ein vorübergehendes von der Diffusionsentwicklung beeinflusstes Phänomen sind, das in naher Zukunft verschwunden sein wird.237 Die Nutzung der Diffusionstheo-rie als Grundlage für die Ablehnung einer Zugangsförderung ist auch aus grund-sätzlichen Erwägungen problematisch, denn die in der Forschung verbreiteten Modelle der Diffusionsforschung beschreiben eigentlich nur die Idealentwicklung bei einer Innovation.238 Marr weist darauf hin, dass dies oft übersehen wird und es sich bei der Diffusionstheorie im Allgemeinen und bei der S-Kurve im Speziellen nicht um ein „ehernes Gesetz― handelt und die Wirklichkeit deutlich komplexer

235 Norris 2001, a.a.O. (Anm. 154), S. 33.

236 Vgl. Arnhold 2003, a.a.O. (Anm. 114), S. 19.

237 Gerhards, Maria/Mende, Anette 2004: Offliner 2004: Anpassungsdruck steigt, Zugangsbarrieren bleiben bestehen. ARD/ZDF-Offline-Studie 2004. In: Media Perspektiven, Heft 8/2004. S. 385.

238 Siehe auch Bijker, Wiebe E. 1995: Of bicycles, bakelites and bulbs: Toward a Theory of Socio-technical Change, Cambridge, Mass ; London MIT press; Winston, Brian 1998: Media Technology and Society: A History: From the Telegraph to the Internet, London, Routledge Chapman & Hall

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ist.239 Im Hinblick auf die vielfach zitierte S-Kurve weist Rogers mit Nachdruck da-rauf hin, dass diese „only describes cases of successful innovation, in which an innovation spreads to almost all of the potential adopters in a social system―240. Er ergänzt, dass es sich dabei eher um die Ausnahme als um die Regel handelt:

„Many, many innovations are not successful―241. Aus deutscher Sicht sind auch die Grundannahmen von Compaine nicht vergleichbar. Einen kostenlosen Internetzu-gang gibt es in Deutschland nicht. Entweder man trägt die Kosten speziell für den Zugang oder er ist ein Teil der Kosten zum Beispiel eines Telefon- oder Kabel-fernsehanschlusses. Außerhalb von Gebieten mit DSL-Versorgung, wie in vielen Bereichen der ländlichen Räume, sind sie sogar durch die Tarifstruktur der Tele-kom sehr hoch.242 Daher sind die Kosten neben den Gründen kein Bedarf oder ungenügende Fähigkeiten sehr wohl noch einer der Hauptgründe, das Internet nicht zu nutzen.243

Fasst man die Diskussion um Notwendigkeit von Fördermaßnahmen zusammen, lässt sich feststellen, dass diese Kritik sich meistens nur gegen die Zugangsförde-rung richtet, also auf den "physischen" Zugang zum Internet, weil aus Sicht der Kritiker sich dieses Problem im Zeitlauf von selbst erledigt. Hintergrund ist meist ungenügende Unterscheidung von modellhafter und tatsächlicher Diffusion, weil sie dazu tendieren, den Idealfall als Realfall zu betrachten und damit die bevölke-rungsweite Verbreitung des Internets als zwingend und unumgänglich betrachten.