• Keine Ergebnisse gefunden

Kritik an der Angemessenheit von Fördermaßnahmen

4. Digital Divide

4.5. Kritik an Fördermaßnahmen

4.5.2. Kritik an der Angemessenheit von Fördermaßnahmen

61

ist.239 Im Hinblick auf die vielfach zitierte S-Kurve weist Rogers mit Nachdruck da-rauf hin, dass diese „only describes cases of successful innovation, in which an innovation spreads to almost all of the potential adopters in a social system―240. Er ergänzt, dass es sich dabei eher um die Ausnahme als um die Regel handelt:

„Many, many innovations are not successful―241. Aus deutscher Sicht sind auch die Grundannahmen von Compaine nicht vergleichbar. Einen kostenlosen Internetzu-gang gibt es in Deutschland nicht. Entweder man trägt die Kosten speziell für den Zugang oder er ist ein Teil der Kosten zum Beispiel eines Telefon- oder Kabel-fernsehanschlusses. Außerhalb von Gebieten mit DSL-Versorgung, wie in vielen Bereichen der ländlichen Räume, sind sie sogar durch die Tarifstruktur der Tele-kom sehr hoch.242 Daher sind die Kosten neben den Gründen kein Bedarf oder ungenügende Fähigkeiten sehr wohl noch einer der Hauptgründe, das Internet nicht zu nutzen.243

Fasst man die Diskussion um Notwendigkeit von Fördermaßnahmen zusammen, lässt sich feststellen, dass diese Kritik sich meistens nur gegen die Zugangsförde-rung richtet, also auf den "physischen" Zugang zum Internet, weil aus Sicht der Kritiker sich dieses Problem im Zeitlauf von selbst erledigt. Hintergrund ist meist ungenügende Unterscheidung von modellhafter und tatsächlicher Diffusion, weil sie dazu tendieren, den Idealfall als Realfall zu betrachten und damit die bevölke-rungsweite Verbreitung des Internets als zwingend und unumgänglich betrachten.

62

wird, dass Unterpriviligierung bei der Verwendung existieren wird.245 Ein typischer Vertreter ist Mark Warschauer, der aufgrund seiner Kritik auch eine Definition von digitaler Spaltung entwickelt hat, die sowohl Zugangs- als auch Nutzungsaspekte umfasste. Seine ursprüngliche Kritik entwickelte er, als er feststellte, dass die meisten Projekte zum Abbau der digitalen Spaltung "too often focus on providing hardware and software― 246 hatten. Aus seiner Sicht kann die alleinige Förderung von physikalischen Ressourcen (―Physical resources encompass access to com-puters and telecommunication connections‖247) nicht erfolgreich sein, weil die Be-rücksichtigung des Menschen als Anwender von Kommunikationstechnologien ungenügend ist und weil die Einbettung moderner Technologien in soziale Syste-me nicht berücksichtigt wird:

„(...) it is not enough to wire all communities and declare that everyone now has equal access to the Internet. People may have technical access, but they may not know how to extract information for their needs from the web.―248

Notwendig sind dagegen aus seiner Sicht Maßnahmen, die die Fähigkeiten der Menschen, moderne Informations- und Kommunikationstechnologien effektiv zu nutzen, verbessern.249 Diese werden von Warschauer als "digital resources", "hu-man resources" und "social resources" bezeichnet und wie folgt definiert:

„Digital resources refer to digital material that is made available online. Human re-sources revolve around issues such as literacy and education (including the par-ticular types of literacy practices that are required for computer use and online communication). Social resources refer to the community, institutional, and societal structure that support access to ICT"250

245 Vgl. Van Dijk, Jan, 1999: The Network Society: Social Aspects of New Media, London, Sage

246 Warschauer, Mark, Reconceptualizing the Digital Divide, First Monday, Volume 7, Number 7 - 1 July 2002, http://firstmonday.org/htbin/cgiwrap/bin/ojs/index.php/fm/article/viewArticle/967/888 [20.9.2009]

247 Warschauer 2002, a.a.O. (Anm. 246)

248 Hargittai 2002, a.a.O. (Anm. 143)

249 Vgl. Langer 2007, a.a.O. (Anm. 19), S. 27f.

250 Warschauer 2002, a.a.O. (Anm. 246)

63 Deutlich wird die Bedeutung in dieser Grafik:

Abbildung 3 - Bedingungen für effektive Nutzung251

Aus der Grafik und den Aussagen von Warschauer wird deutlich, dass der Zugang zu Computern (physical resources) nur eine wichtige Bedingung unter mehreren verschiedenen zur effektiven Nutzung des Internets ist. Notwendig sind auch wei-tere Kompetenzen, die wie oben erwähnt von Warschauer als die „human resour-ces― bezeichnet werden. In der deutschen Diskussion wird dieser Bereich häufig als Medienkompetenz bezeichnet. Darüber hinaus weist Warschauer auch auf zwei weitere Ressourcen hin, die eher als Rahmenbedingungen zu bezeichnen sind: Zum einen wird das Internet nur von den Bürgerinnen und Bürgern genutzt, wenn es wichtige oder zumindest interessante Inhalte vermittelt,252 zum anderen müssen die modernen Informations- und Kommunikationstechnologien auch von der Gesellschaft unterstützt werden. Diese beiden Punkte werden von Warschau-er wie oben Warschau-erwähnt als „digital resources― und „social resources― bezeichnet.

251 Warschauer 2002, a.a.O. (Anm. 246)

252 Vgl. Langer 2007, a.a.O. (Anm. 19), S. 20.

64

Aufbauend auf den Arbeiten von Warschauer und der Diskussion in den USA be-fasst sich der deutsche Medienwissenschaftler Kubicek mit den „human resour-ces―, die für eine erfolgreiche Nutzung des Internets notwendig sind. Wobei er die-se Kompetenzen unter einem erweiterten Gesichtspunkt betrachtet. Für ihn ist, anders als in der öffentlichen Diskussion, das Internet kein Muss, aber aus dem Gesichtspunkt von sozialer Gerechtigkeit oder Chancengleichheit soll zumindest die Bevölkerung die Möglichkeit haben, zu entscheiden, ob sie das Internet nutzen will oder nicht. In den Worten von Kubicek heißt das dann: „Nicht alle müssen oder sollen das Internet nutzen, aber alle sollen wollen können."253 Welcher Bedarf an Fähigkeiten dabei besteht und dass auch die Beherrschung der technischen Ele-mente eines Internetdienstes noch nicht unbedingt ausreicht, macht er an einem einfachen Beispiel, nämlich der Suche nach Informationen im Internet deutlich:

„Um eine Suchmaschine erfolgreich einzusetzen, muss man nicht nur wissen, wo man hinklickt, sondern neben Rechtschreibkenntnissen in der Lage sein, das Ge-suchte angemessen in solche Suchbegriffe zu formulieren, die das erreichbare Po-tenzial ausschöpfen und gleichzeitig eingrenzen. Dann muss man die so genann-ten Treffer auf ihre Eignung überprüfen, die Qualität der Beiträge und die Zuver-lässigkeit der Quellen einschätzen können und anderes mehr."254

Notwendig ist also mehr als die bloße Beherrschung von traditionellen Kulturtech-niken wie Lesen und Schreiben, nämlich auch die Fähigkeit, die gefundene Infor-mation einzuordnen und zu bewerten.255 Dass dabei auch ein gehobenes Maß an Frustrationstoleranz dazu gehört, versteht sich von selbst, da keine Garantie be-steht, dass es gelingt, das Gesuchte zu finden.256 Als Ergänzung zu seinen Bei-spielen hat Kubicek systematisch die verschiedenen Voraussetzungen, die für die Nutzung eines Mediums - hier das Internet- notwendig sind, in Anlehnung an Cle-ment und Shade257 als multidimensionalen Bezugsrahmen in Form eines

253 Vgl. Kubicek, Herbert, 2003: Ein Internet für alle? Über die Notwendigkeit vielfältiger Bildungs-initiativen, Baden-Baden, S. 41.

254 Vgl. Kubicek 2003, a.a.O. (Anm. 253), S. 42.

255 Kubicek 2003, a.a.O. (Anm. 253), S. 42.

256 Vgl. Rötzer, Florian, Anmerkungen zur digitalen Spaltung. In: Roters, Gunnar; Turecek, Oliver;

Klingler, Walter (Hrsg.) 2003: Digitale Spaltung. Informationsgesellschaft im neuen Jahrtausend - Trends und Entwicklungen, Berlin, Vistas-Verlag , S. 12.

257 Vgl. Clement, Andrew; Shade, Leslie Regan: The Access Rainbow: Conceptualizing Universal Access to the Information! Communication Infrastructure. In: Gurstein, Michael (Ed.) Community

65

gangsregenbogens dargestellt. Ursprünglich hatten die beiden Autoren ein soge-nanntes "Access Sandwich" erarbeitet. Auf dem Hintergrund ihrer Tätigkeit in der Politikberatung entwarfen sie ein Modell mit dem Ziel

„to more fully define what access to the information infrastructure encompasses, and to account for the intricate relationship between the social/technical architec-ture of the information infrastrucarchitec-ture."258

Dieses Modell beinhaltete bereits die sieben Ebenen des Zugangsregenbogens:

Dimension Beschreibung

1 Art der Verbindung Verfügbarkeit von Modem- bzw. Breitbandanschluss

2 Technologische Lösung Verfügbarkeit eines netzfähigen Computers, Handhelds usw.

3 Softwarelösung Verfügbarkeit von Browser, Verschlüsselungstechnologien etc.

4 Inhalte Freie Verfügbarkeit relevanter Inhalte und Dienstleistungen 5 Service Provider Verfügbarkeit (öffentlicher) Zugangsorte

6 (Computer- ) Literalität Medienkompetenz, Verfügbarkeit technologischen Supports 7 Strukturentscheidungen Breite Mitgestaltung der technologischen Infrastruktur Tabelle 4- Modell des Zugangsregenbogens nach Clement/Shade259

Kubicek griff die Idee auf, um damit aufzuzeigen, dass für die Nutzung eines Me-diums immer mehrere Voraussetzungen gegeben sein müssen und auch jede ein-zelne dieser Voraussetzungen auch einen Grund für die Nichtnutzung liefern kann.260

Informatics: Enabling Communities with Information and Communications Technologies, Idea Group Publishing, Hershey PA, 2000, S. 32-51.

258 Clement, Andrew and Shade, Leslie Regan (1997). "What Do We Mean By 'Universal Access'?:

Social Perspectives in a Canadian Context." Information Policy Research Program, Faculty of In-formation Studies, University of Toronto. Working Paper #5. Toronto, ON

259 Vgl. Zillien 2009, a.a.O. (Anm. 1), S. 101.

260 Kubicek/Welling 2000, a.a.O. (Anm. 124), S. 508.

66

Abbildung 4 - Zugangsregenbogen261

Aufgrund dieser Tatsache spricht Kubicek auch nicht von digitaler Spaltung, son-dern von digitaler Bildungskluft. Notwendig sind daher keine Zugänge, sonson-dern die Förderung von Bildungsinitiativen, die aber „an den jeweiligen Voraussetzungen und Interessen der einzelnen Zielgruppen ansetzen"262 müssen. Eine weitere Übereinstimmung zwischen Warschauer und Kubicek gibt es im Punkt „digital re-sources‖. Warschauer meint damit ―Relevant Content in Diverse Languages".

Auch Kubicek ist der Meinung, dass sich eine Ausweitung der Internetnutzung nur dann erzielen lässt, wenn „sich auch tatsächlich Angebote finden lassen, die ge-genüber den bisher verwendeten Medien einen zusätzlichen Nutzen stiften und den Aufwand daher gerechtfertigt erscheinen lassen.―263 Dies ist bisher keines-wegs für alle unterrepräsentierten Gruppen gleichermaßen der Fall. Der theoreti-sche Hintergrund dieser Annahme von Kubicek und seinem Mitautor Welling ist der Uses-and-Gratification-Approach. Dieser Ansatz geht von der Grundthese aus, dass die Rezeption massenmedialer Inhalte vor allem deshalb erfolgt, weil man

261 Kubicek, Herbert, Was versteht man unter allgemeinem Zugang? In: Kubicek, Herbert; Braczyk, Hans-Joachim; Klumpp, Dieter u. a. (Hrsg.) 1999: Multimedia@Verwaltung. Jahrbuch Telekommu-nikation und Gesellschaft 1999. Heidelberg, Hüthig, S. 335.

262 Kubicek 2003, a.a.O. (Anm. 253), S. 42.

263 Kubicek/Welling 2004, a.a.O. (Anm. 124), S. 513.

67

sich davon eine Art Belohnung bzw. einen speziellen Nutzen (Gratifikation) erwar-tet.264

Fasst man die umfangreichen Aussagen in der Literatur zusammen, lässt sich feststellen, dass die Kritik an der Zugangsförderung einen breiten Raum einnimmt.

Hintergrund ist die Tatsache, dass eine Technik, besonders so eine systemkom-plexe wie das Internet, nur sinnvoll zu bewerten ist, wenn man sie im Zusammen-hang mit dem jeweiligen sozialen System betrachtet. Wird dieser ZusammenZusammen-hang beachtet, kommen auch andere wichtige Punkte ins Blickfeld, die für eine effektive Nutzung des Internets notwendig sind und die über die Verbreitung der techni-schen Infrastruktur hinausgehen. Daher müssen zur Förderung der Internetnut-zung Kompetenzen zum Umgang mit der neuen Technik vermittelt werden, die über eine rein technische Bedienungsfertigkeit hinausgehen. Auch der Hinweis auf die notwendigen „relevanten Inhalte― hilft zu verstehen, warum die digitale Spal-tung existiert und das sie nicht durch reine Zugangsförderung behoben werden kann. Der folgende Abschnitt befasst sich mit einer anderen Sicht auf das Problem der „digitalen Spaltung―.