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Zur Kontinuität kommunistischer Politik:

Im Dokument Politik und Film in der DDR (Seite 108-161)

Von Weimar nach Pankow

Zum Sieger der Geschichte hatte sich die Sowjetunion selbst erklärt; im Gehäuse der Geschichtsphilosophie des Marxismus-Leninismus erschien der von ihr projektierte Aufbau des Kommunismus als Realisierung der „Logik der Geschichte“ (Hegel) und damit als historisch alternativlos und notwendig siegreich. Zu den Siegern der Geschichte gehörte die Sowjetunion 1945 nach Ende des 2. Weltkrieges in der Tat; der politisch-moralische Ertrag des Sie-ges über das nationalsozialistische Deutschland stand dabei dem mili-tärischen nicht nach. Dieser in einer Allianz mit den „imperialistischen“

Erzfeinden, den USA und Großbritannien, errungene militärische und 1945 in Potsdam endgültig kodifizierte Erfolg hat in den Folgejahren das starke Fundament für den politisch – moralischen Expansionskurs und für eine vor allem bei westeuropäischen Intellektuellen verbreitete Attraktivität des Sow-jetkommunismus gelegt.

265 Ebd.

266 Ebd.

267 Zimmermann, H., DDR: Geschichte ..., a. a. O., S. 102.

Das Licht, das nach dem Sieg der Alliierten auf das Menschheitsverbrechen des totalitären Systems der Nationalsozialisten, die „Vernichtung der europä-ischen Juden“ (R. Hilberg), fiel, verdeckte bei vielen für lange Zeit den eben-falls totalitären Charakter der kommunistischen Herrschaft in der Sowjetuni-on. Zu den größten und folgenreichsten Erfolgen der Politik der KPdSU nach 1945 gehört die propagandistische Abkopplung ihrer Politik und ihrer unge-heuren Verbrechen im eigenen Land.268 Warum das schwache Echo auf die kommunistischen Verbrechen, warum ist „die kulturelle Erinnerung an den Kommunismus, mit allem, was unter diesem Titel gefaßt werden kann, eine grundlegend andere, positivere ... als die, die es an die faschistischen Regime und insbesondere an den Nationalsozialismus gibt. Wie läßt sich diese Diffe-renz erklären?“269

Zu bedenken ist bei dem Versuch einer Antwort folgendes: Der Nationalso-zialismus verkörpert ganz sichtbar das „Böse“ und er hatte schließlich die ganze Welt gegen sich, und er wurde „in epochaler Weise“ besiegt, und er ist in den Nürnberger Prozessen vor den Augen der Welt abgeurteilt worden.

„Die kommunistischen Staaten und Parteien sind niemals besiegt worden.

Und einer der Gründe dafür war, daß ihre Berufung auf die ‚höchsten’ und angeblich sogar ‚ältesten’ Ziele der Menschheit viele Beobachter, und selbst viele Gegner, auf erstaunliche Weise in den Bann zu ziehen vermochte.“270 Selbst die Opfer unter den im Westen geehrten Künstlern und Wissenschaft-lern „erscheinen mittlerweile einer einzigen gewaltigen Epopöe zugehörig und sind eingeschreint in das Fundament jener ‚Großen Utopie’, die heute immer noch oder schon wieder eher Andacht als Zorn erweckt.“271 Die west-lichen Beobachter, die nicht müde werden mit „leuchtenden Augen“ etwa den Film „Panzerkreuzer Potemkin“ anzusehen, „sind sich selten im klaren darüber, daß sie es meist mit den fragmentarischen Überlieferungen gebro-chener oder vernichteter Existenzen zu tun haben. Und soweit sie es doch

268 Vgl. dazu: Courtois, Stèphane , Nicolas Werth, Jean-Louis Pannè, A. Paczkowski, K.

Bartosek, J. L. Margolin: Das Schwarzbuch des Kommunismus. Unterdrückung, Verbre-chen und Terror. Mit dem Kapitel „Die Aufarbeitung des Sozialismus in der DDR“ von Joachim Gauck und Ehrhart Neubert, München - Zürich 1998.

269 Koenen, Gerd Utopie der Säuberung, a. a. O, S. 19.

270 Ebd.

271 Koenen, Utopie der Säuberung, a .a. O., S. 20.

sind - erhöht es nicht womöglich den posthumen Reiz dieser ‚Internationale der guten Menschen’ ...“272

Einen weiteren wichtigen Aspekt zur Erklärung der Differenz des Echos der Verbrechen hat Jesse angeführt: „Der Nationalsozialismus wurde in einem blutigen Krieg, der Millionen von Opfern kostete, in die Knie gezwungen;

der Kommunismus in all seinen Spielarten brach an den eigenen Widersprü-chen zusammen, weniger an der Unnachgiebigkeit des Westens. ... Während die Verbrechen der faschistischen Kräfte im Kriege (und damit am Ende) kulminierten, hatte sich in so gut wie in allen kommunistischen Regimen eine Art Liberalisierung im Vergleich zu den fünfziger Jahren vollzogen. Im Unterschied zur Anfangsphase war – mit der Ausnahme Rumäniens – eine deutliche ‚Auflockerung’ der Herrschaftspraxis eingetreten.“273

Das Ende der Attraktion des Kommunismus, die er mit seinem revolutionä-ren Enthusiasmus insbesondere bei westlichen Intellektuellen ausgelöst hat-te, geht schließlich einher mit seinem Ende: „Letzten Endes bedurfte es des Untergangs der Sowjetunion als Staat und Regime, damit auch die Idee starb, die Prinzipien der Oktoberrevolution könnten eine bessere Gesellschaft be-wirken als die unsere.“274

Die Abkopplung der von der KPD exekutierte Politik in der Weimarer Re-publik von der Nachkriegssituation bedeutet die propagandistische Selbster-höhung des Kommunismus, vor allem aber die gelungene Verdeckung des Anteils dieser Politik an der Zerstörung der Weimarer Republik, am Aufstieg und Sieg des Nationalsozialismus in Deutschland und die Auszeichnung einer allgemeinen „antifaschistischen“ Politik als Grundlage einer „demo-kratischen“ Neuordnung in Deutschland. Zu den gelungensten propagandis-tischen Manövern zählt auch die Umbenennung der KPD im Februar 1946.

Mit der Zerschlagung der unabhängigen Gewerkschaftsbewegung275 und mit

272 Ebd.

273 Jesse, Eckhard: Vergangenheitsbewältigung im internationalen Vergleich, in: Eisenmann, Peter, Gerhard Hirscher (Hrsg.), Bilanz der zweiten deutschen Diktatur, München 1993, S. 19 – 36, hier S. 27.

274 Furet, Francois, Die Vergangenheit einer Illusion, in: Mittelweg 36, 5. Jg. 1996, H. 3, S.

89.

275 Vgl. dazu Hermann Weber, Die Krise der SED-Diktatur und der 17. Juni 1953 in der deutschen Arbeiterbewegung, in: Finke, Klaus (Hrsg.), Erinnerung an einen Aufstand.

Der 17. Juni 1953 in der DDR, Oldenburg 2003, S. 83 – 96; sowie Siegfried Suckut, Die

der Zerschlagung der Sozialdemokratie als eigenständiger politischer Kraft auf dem Territorium der SBZ qua Fusion276 hat die KPD in der symbolischen Ordnung das Band in die eigene Vergangenheit neu gewebt:

Die symbolische Selbsteliminierung hat die bestehenden negativen Konnota-tionen der KPD – Politik ausgelöscht. Als NEUE politische Kraft konnte die SED sich nun ausschließlich auf das positive Stück der „Erbschaft dieser Zeit“ (Bloch) beziehen: den „antifaschistischen Kampf“ und den „Sieg über den Faschismus“ bzw. die „Befreiung“ Deutschlands vom „Faschismus“;

kurz: sie verkörperte symbolisch die vollzogenen „Lehren“ aus der Ge-schichte. Die „Fehler“, die der KPD und ihrer Politik in der Weimarer Repu-blik anzulasten waren, konnten von der SED kritisiert werden als Fehler sozusagen einer Vorvergangenheit, von denen sie selbst substantiell unter-schieden erscheinen sollte. Der Ausweis des siegreichen „Antifaschismus“

und der Verweis auf die „richtige“ Faschismustheorie aus dem Jahr 1935 und die damit verbundene Proklamierung des politischen Kurses der „Einheits- bzw. Volksfront“, die schließlich den Sieg mit herbeigeführt hatten, sollten die sichtbaren Zeichen der neuen Qualität der neuen Partei sein. Das Zent-ralmotiv der propagandistischen Offensive des Kommunismus lag mit dem Sieg im Zweiten Weltkrieg in der Luft.

Der „Mythos Antifaschismus“ – schon während der Weimarer Republik inauguriert,277 war vor allem „das Produkt des weltgeschichtlichen Sieges von 1945 und der Suggestion, die von ihm ausging. Sicherlich gab es ein ganzes Gebäude theoretischer Umdeutungen und nachträglicher geschichtli-cher Verfälschungen. Hunderte und Tausende professionelle Ideologie-produzenten ... haben über Jahrzehnte daran gearbeitet, aus dem ‚Antifa-schismus’ eine Allzweckwaffe im Kalten Krieg zu machen. Aber getragen wurde dieses Gebäude von der völlig vorpolitischen und ahistorischen

Betriebsrätebewegung in der Sowjetisch Besetzten Zone Deutschlands 1945 – 1948, Frankfurt/M. 1978.

276 Vgl. dazu die klare Äußerung von Wilhelm Pieck im April 1944 in Moskau: „Einheit ist die Frage der SPD – sie wird dadurch ausgeschaltet.“ zit. in: Beatrix Bouvier, Ausge-schaltet! Sozialdemokraten in der Sowjetischen Besatzungszone und in der DDR 1945 – 1953, Bonn 1996, S. 11.

277 Vgl. Grunenberg, Antonia, Antifaschismus – ein deutscher Mythos, Reinbeck 1993.

zeugung, daß der militärische Sieg auch ein Ausweis der moralischen und sozial-ökonomischen Überlegenheit sei.“278

Mit dieser Dialektik von Kontinuität und Diskontinuität konnte sich die KPD/SED in Hinsicht auf die „Fehler“ der Weimarer KPD durch die erfolgte Umbenennung propagandistisch eine substantielle Differenz verschaffen, und sie konnte zugleich die bestehende substantielle Identität in einem neuen Licht erscheinen lassen: die jüngste Geschichte galt nun als glänzende Bestä-tigung der marxistisch-leninistischen Theorie über die bürgerliche, bloß

„formale“ Demokratie, deren „sozialer“ Inhalt, die Herrschaft der Bour-geoisie, eben – wie die historische Erfahrung nun jedem gezeigt haben soll – den „Faschismus“ hervorbringt. Im Anschluss an die vermeintliche histo-rische Erfahrung konnte dieses Hauptelement der Weimarer KPD-Politik nun – sogar durch „die Geschichte“ selbst „bewiesen“ – in modifizierter Gestalt wiederum zum Hauptelement der Politik von KPD/SED werden.

Die propagandistischen Anstrengungen von KPD/SED zielten darauf, we-sentliche Aspekte der Kontinuität der kommunistischen Politik sowohl in Bezug auf die Grundlagen als auch die taktische Ausrichtung zu verdecken.

Diese Kontinuität besteht in mehreren Hinsichten; erinnert sei hier zunächst an Kernstück der KPD – Politik in der Weimarer Republik: den Kampf für ein „Sowjetdeutschland“. Der positive Bezug auf den Sowjetstaat und die Politik der dortigen kommunistischen Partei bildete die selbstverständliche politisch-ideologische Grundlage in der KPD als „Sektion“ der Kommunisti-schen Internationale. Clara Zetkin hat es 1922 exemplarisch so formuliert:

„Die Politik der Bolschewiki, der russischen Kommunisten, zeigt als Ganzes eine geradezu großartige Einheitlichkeit, Geschlossenheit und Konsequenz der Linie. Diese Politik ist der erste Versuch weltgeschichtlichen Maßes, den Marxismus aus einer Theorie zur Praxis zu machen, sie ist der erste weltge-schichtliche Versuch, das Proletariat vom Objekt der Geschichte zu ihrem Subjekt zu erheben. Sie ist der erste Versuch, Weltgeschichte in Freiheit ‚zu machen’.“279

278 Koenen, Utopie der Säuberung,, a. a. O., S. 350. „Durch die Errichtung des >Sozialisti-schen Lagers< trat zum Mythos des Siegers über den Faschismus nun der Nimbus des Vorkämpfers für die Befreiung der Völker von kolonialer Ausbeutung und imperialer Un-terdrückung.“ Ebd. S. 351.

279 Zetkin, Clara, Fünf Jahre russische Revolution und die Perspektiven der Weltrevolution.

Rede auf dem IV. Weltkongreß der Kommunistischen Internationale, 13./14. November

Die „Kampfdemonstration“ der KPD zum 1. Mai 1931 endete im Berliner Lustgarten, dort hielt der KPD-Vorsitzende Ernst Thälmann eine Rede ganz im Geiste der 1930 verkündeten „Programmerklärung zur nationalen und sozialen Befreiung Deutschlands“, in der die KPD bekanntlich mit einem

„Rechtsruck“ auf die Erfolge der NSDAP reagiert hatte. Unter dem Titel

„Volksaktion für Arbeit, Brot und Freiheit“ stellte er im Abschnitt „Die Front des kommenden Sowjetdeutschland“ folgendes fest: „Unter den Frei-heitslosungen des Leninismus marschiert unsere revolutionäre Klassenfront.

Sie wird das kapitalistische Joch und die internationalen Sklavenketten des Youngplans sprengen. Sie ist die Front des kommenden Sowjetdeutschlands, in dem das siegreiche Banner Lenins eine neue Etappe im Kampfe um die Weltkommune errichten wird.“280 Am 30. August 1932 eröffnete Clara Zet-kin als Alterspräsidentin den neu gewählten Deutschen Reichstag, in dem die NSDAP die stärkste Fraktion stellte und mehr Sitze hatte als SPD und KPD zusammen.281

In ihrer Rede würdigte sie ausdrücklich die Sowjetunion, die bewiesen habe

„wie eine Höherentwicklung der Gesellschaft ohne verwüstende Krise erfol-gen kann“ und sie erklärte, sie hoffe noch „das Glück zu erleben, als Alters-präsidentin den ersten Rätekongreß Sowjetdeutschlands zu eröffnen.“282

1922 Moskau, in: dies.: Zur Theorie und Taktik der kommunistischen Bewegung, Leipzig 1974, S. 119.

280 Thälmann, Ernst; Für ein freies sozialistisches Deutschland, Auswahl der Reden und Schriften 1930 – 1933 Bd. III, Stuttgart 1977, S. 103.

281 Bei der Reichstagswahl vom Juli 1932 hatte die NSPAP die bürgerlichen Rechts- und Mitteparteien, bis auf das katholische Zentrum, fast völlig aufgesogen und die Zahl ihrer Mandate von 107 auf 230 gesteigert, die SPD war von 143 auf 133 Mandate zurückge-gangen, die KPD hatte ihre Mandatszahl von 77 auf 89 erhöht; bei der Reichstagswahl vom 6. November 1932 hatte die NSDAP zwei Millionen Stimmen und 34 Mandate ver-loren.

282 Puschnerat, Tania, Clara Zetkin. Bürgerlichkeit und Marxismus, Essen 2003, S. 113.

Die Autorin stellt u. a. die Entwicklung der protestantischen Gouvernante Clara Eißner zur überzeugten Lassallanerin und zur Geliebten eines russischen Anarchisten Ossip Zet-kin dar sowie die Nähe ihres „weltanschaulichen Totalitarismus“ zu den Ideologen der

„Konservativen Revolution“ wie Ernst Jünger, Moeller van der Bruck und Carl Schmitt.

Insbesondere die Inszenierung ihres letzten irdischen Wegs war ein beeindruckendes Schauspiel: Am 22. Juni 1933 fand auf dem von hunderttausenden Menschen gefüllten Moskauer Roten Platz das Begräbnis von Clara Zetkin statt. Der Sarg mit dem ordenge-schmückten Leichnam wurde von Stalin und Molotow gemeinsam zur Grabstätte an der Kremlmauer getragen, ein Gedicht Johannes R. Bechers mit folgenden Strophen wurde rezitiert: „Es starb unsere Genossin Clara/ und in dem Zimmer, in dem sie starb, hing/ an

Diese Illustrationen des kommunistischen Politikverständnisses erscheinen zwar aus heutiger Sicht absonderlich, sie berühren aber seinen ideologischen Kerngehalt; dieser lässt sich zu folgender These zusammenfassen:

Kontinuität besteht in dem, was als Substanz kommunistischer Programma-tik und daraus abgeleiteter kommunistischer PoliProgramma-tik gelten kann, also in der prinzipiellen Negation der bürgerlichen Demokratie als bloß „formaler“ und dem Kampf für ihre Ersetzung durch die „Diktatur des Proletariats“ als Vor-stufe der klassenlosen Gesellschaft, in der das Glück aller Menschen reali-siert wird; in der Theorie vom „Faschismus“ als aus einer ökonomischen Krise des Kapitalismus hervorgehenden „offenen“ Herrschaft der Bourgeoi-sie bzw. des „Finanzkapitals“ selbst und der entsprechenden Theorie des

„Antifaschismus“; sowie schließlich in dem unbedingten Willen zur Macht, der sich legitimiert wähnt durch einen Auftrag des Geschichtsprozesses. Die Erinnerung an die klare Kontinuität kommunistischer Politik von Weimar bis Pankow, die Offenlegung dieses Traditionsstranges ist ein dringendes Erfor-dernis einer kritischen Aufarbeitung der SED-Herrschaft und der von ihr kalkuliert ausgelösten politischen Amnesie; dies gilt vor allem für die Kritik der von ihr verwendeten Embleme eines „antifaschistisch-demokratischen Neuanfangs“, einer „Neuen Zeit“, einer „Neuen Gesellschaft“ und derglei-chen mehr; Embleme, die vor allem auch im Bereich der Kultur mit Empha-se hochgehalten wurden und bis heute noch ihre ideologische Kraft behaup-ten.

Im folgenden Anschnitt werden daher exemplarisch Kernelemente dieser politisch-ideologischen Traditionslinien dargestellt: die kommunistische Auffassung vom „Faschismus“ und seinem begrifflichen Korrelat, dem „An-tifaschismus“, sowie die Ernennung der SPD zum „sozialfaschistischen“

Gegner und die in die „Volksfrontstrategie“ einmündende „Überwindung“

dieser Position. Eine kritische Rekapitulation der Grundpositionen der kom-munistischen Theoriebildung stellt zudem eine Einführung in diese sprach-lich und gedanksprach-lich fremde Welt dar, die zugleich eine für die Analyse der DEFA- Filme wichtige Verstehensgrundlage bildet.

Diese Darstellung folgt einer methodischen Grundunterscheidung wissen-schaftlicher Untersuchung, die sich als Differenz der diachronischen, d. h.

der Wand das Bild des Genossen Lenin/ Und Genosse Lenin sah ihr in die weithin-sehenden sterbenden Augen/ Und sah aus ihrem Zimmer über die glühenden/ Ebenen und Birkenwälder hinaus/ Und sah in ihren weithinsehenden/ sterbenden Augen/ Sowjet-deutschland.“ Tania Puschnerat: Clara Zetkin, a. a. O., S. 205.

der durch die Zeit führenden, also der geschichtlichen Betrachtung, und der synchronischen, d. h. der zeitgleichen, also die gegenwärtigen Strukturen herausarbeitenden Betrachtung kennzeichnen lässt. Das synchronische Ver-fahren kann in diesem Rahmen nicht weiter verfolgt werden.283 Hier kann nur die diachronische Methode zur Anwendung kommen, also die zeitliche Erstreckung der genannten Topoi verfolgt werden. In detaillierten Einzel-schritten soll ihre Rekonstruktion erfolgen; dies erscheint auch deshalb ange-zeigt, weil nur aus dieser historischen Perspektive die Nachkriegspolitik der KPD deutlich und verständlich werden kann.

1.3.1 Die Faschismus/Antifaschismus- und Sozialfaschismus- Theorie

„Unser Führer, unser Lehrmeister, unser erprobter Heerführer, der große Stratege der proletarischen Weltrevolution, Genosse Stalin (stürmischer Beifall), sagte der Par-tei und dem Lande der Werktätigen, daß dieses Jahr das letzte unserer Schwierig-keiten werden müsse, und die gesamte Par-tei und das ganze Land arbeiten hartnäckig mit einer unbezwinglichen Energie daran, diese Losung in die Tat umzusetzen. Wir arbeiten jetzt daran, Schweine zu züchten und legen darein alle unsere revolutionäre Leidenschaftlichkeit, all unser bolschewis-tisches Ungestüm, die glühende Energie der ehemaligen Frontkämpfer des Bürger-krieges. Im Frühjahr schon werden wir eine massenhafte Geflügelzucht entfalten, weil wir wissen, daß im Sowjet-Ei die revolutio-näre Weltkrise ausreift; in den nächsten zwei Jahren werden wir den Viehbestand

283 Dabei wäre diese Untersuchung natürlich von großer Bedeutung; es würde sich in dieser

„Querschnittanalyse“ etwa, wie sie Faye unternommen hat, die aus der Polarität und der gegenseitigen Bezogenheit der beiden totalitären Sprachen resultierende Radikalisierung des politischen Diskurses zeigen lassen, aus der dann solche Fluktuationen wie von „lin-ker“ NSDAP und „rechter“ KPD, der so genannten Nationalrevolutionäre oder National-bolschewisten, erklären lassen; vgl. dazu: Jean Pierre Faye, Totalitäre Sprachen, Frank-furt/M.- Berlin 1977.

vergrößern, und wir sind überzeugt, daß die Jaroslawer - Sowjetkuh nicht nur den Faschismus, sondern auch den gesamten Weltkapitalismus mit ihren Hörner zu Tode stoßen wird.“

Manuilski, Moskau 1933284 Antifaschismus als Kampfbegriff

In einer der berühmtesten und wirkmächtigsten Formeln der „Kritischen Theorie“: „Wer aber vom Kapitalismus nicht reden will, sollte auch vom Faschismus schweigen“285 (Max Horkheimer) ist ein Zusammenhang poin-tiert postuliert, der in der „Kultur des Antifaschismus“ (Furet) jahrzehntelang den Status einer verbindenden Grundannahme erlangen konnte. In dieser Annahme herrschte Übereinstimmung zwischen Kommunisten und Nicht – Kommunisten, ihr stimmten alle „ehrlichen und aufrechten Antifaschisten“

sowie Demokraten aller Schattierungen zu, in ihr kulminierte die aus der jüngsten Unheilsgeschichte zu ziehende „Lehre“. Am konsequentesten sollte diese „Lehre“ nach 1945 in der SBZ/DDR in politische Realität umgesetzt worden sein; die DDR war daher im proklamierten Selbstverständnis „der antifaschistische Staat schlechthin“, die SED „legitimierte damit ihren Füh-rungsanspruch und ihre Herrschaft“.286

284 Manuilski, D., Revolutionäre Krise, Faschismus und Krieg, Moskau/Leningrad 1934, S.

22; Referat vor dem 13. Plenum des EKKI im Dezember 1933; zit. nach: Eike Henning, Bürgerliche Gesellschaft und Faschismus in Deutschland. Ein Forschungsbericht, Frank-furt/M. 1977, S. 11. Der gesamte Text ist nachgedruckt in: Faschismusanalyse und antifa-schistischer Kampf der Kommunistischen Internationale und der KPD 1923 – 1945, Hrsg.

von Joscha Schmierer, Heidelberg 2 1974, S. 306 – 333. Die Rede endet mit den Worten:

„Mögen die faschistischen Bluthunde wüten – die Kommunisten schreiten vorwärts, ü-berzeugt von ihrem Recht, von ihrer Kraft und von ihrem Siege!“

285 Zit. nach: Kliem, Kurt, Jörg Kammler, Rüdiger Griepenburg, Einleitung: Zur Theorie des Faschismus, in: Otto Bauer, H. Marcuse, A. Rosenberg u. a. : Faschismus und Kapitalis-mus. Theorien über die sozialen Ursprünge und die Funktion des Faschismus, Frank-furt/M. 1967, S. 5.

286 Agethen, Manfred , Eckhard Jesse. Ehrhard Neubert: Vorwort der Herausgeber, in:

dieselben: Der mißbrauchte Antifaschismus. DDR-Staatsdoktrin und Lebenslüge der deutschen Linken, Freiburg 2002, S. 13. Der Behauptung kann in dieser Form nicht ge-folgt werden. Dass die Berufung auf den realisierten „Antifaschismus“ nur eine und nicht einmal die primäre Quelle der Legitimation für die SED darstellte, wird näher dargelegt im Abschnitt 1.5. Dabei erweist sich als Quelle der Selbst-Legitimation die Berufung auf die erkannten Gesetze der Geschichte.

Walter Ulbricht fasste am 1. August 1945, nachdem er als dringendste politi-sche Aufgaben die Brechung „der Macht der Kriegsverbrecher, Kriegsinte-ressenten und anderer Reaktionäre“ durch „Enteignung der Großgrundbesit-zer und Junker“ sowie durch „Enteignung der KonGroßgrundbesit-zern- und Bankherrn“

genannt hatte, diese „Lehre“ so zusammen: „Das ganze deutsche Volk möge aus den zwei Weltkriegen die geschichtliche Lehre ziehen: Die Lebensfragen des deutschen Volkes können nur durch das deutsche Volk selbst, durch die Schaffung einer demokratischen Volksherrschaft und durch friedliche und freundschaftliche Beziehungen zu den anderen Völkern, vor allem zum gro-ßen Sowjetvolk, gelöst werden.

Das deutsche Volk wird glücklich leben, wenn in die Selbstverwaltungsor-gane ehrliche antifaschistisch- demokratische Kräfte gewählt werden und wenn die Wirtschaft nicht mehr den Interessen der Konzern- und Bankherrn, sondern der Befriedigung der Bedürfnisse des Volkes dient. Nur die Schaf-fung einer wahrhaft kämpferischen Demokratie, die sich auf die feste Akti-onseinheit von KPD und SPD und auf die Einheitsfront der antifaschistisch–

demokratischen Parteien stützt, kann die Zukunft Deutschlands sichern. Mit der Geringschätzung des Volkes muß ein für allemal Schluß gemacht wer-den. Das Volk muß bestimmen. Herrschaft des Volkes ist Herrschaft aller fortschrittlichen, verantwortungsfreudigen Kräfte der Nation. Herrschaft des Volkes ist freie Entfaltung aller gesunden Kräfte und freiwillige Einordnung des einzelnen in den demokratischen Willen der Gemeinschaft.“287

In der ubiquitären Verwendung des Begriffs „Antifaschismus“ durch die KPD/SED artikulierte sich ganz prononciert das kommunistische Selbstver-ständnis, das sich zugleich zu einer zentralen politischen Kampfformel ope-rationalisieren ließ.288 Die kommunistische Begriffspolitik ist nun ein Mus-terfall für korrelative Begriffe, die nur in wechselseitiger Beziehung Sinn haben: „Antifaschismus“ wäre ein leerer Begriff ohne Bezug auf sein be-griffliches Korrelat, ohne Bezug zu dem, wozu er die Antithese sein soll:

„Faschismus“.

287 Ulbricht, Walter, Thesen über das Wesen des Hitlerfaschismus, in: W. U.: Zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, Bd. II, Berlin 1963, S. 403 – 416, hier: S. 415 f. Herv.

v. Vf.

288 Ein „Mißbrauch“, wie ihn manche sehen, liegt hier freilich nicht vor, ganz im Gegenteil.

vgl. dazu u. a. Manfred Agethen, Eckhard Jesse. Ehrhard Neubert: Vorwort der Heraus-geber, in: dieselben: Der mißbrauchte Antifaschismus. DDR-Staatsdoktrin und Lebenslü-ge der deutschen Linken, Freiburg 2002, S. 13.

Im Dokument Politik und Film in der DDR (Seite 108-161)