• Keine Ergebnisse gefunden

Kontextualisierung und Nominationskonkurrenz

Teil I: Theoretische Grundlagen und einführende Diskussion

1. Diskurs, Sprache, Ideologie

1.7. Diskursive Strategien

1.7.1. Kontextualisierung und Nominationskonkurrenz

44

Moreover, linguistic unification is part of a program subtended by interests that lead to privileging difference-unity over difference-multiplicity.” (Petrilli 2006, 87).

Dies gilt auch für andere Faktoren, die zur Charakterisierung der nationalen Gemeinschaft dienen, wie z.B. ‘gemeinsames Territorium’, ‘gemeinsame Mentalität’, die sich ihrerseits in der

‘gemeinsamen Kultur’, ‘in den gemeinsamen sozial-ökonomischen Interessen’ wiederfinden (vgl. ebd.). Da eine sprachliche, kulturelle usw. Uniformität und Homogenität in der Realität nicht möglich ist, betrachtet Petrilli (2006, 88) eine Nation, die als ‘difference-unity’ verstanden wird, als ideologische Mystifizierung angesichts der tatsächlichen ‘difference-plurality’ (vgl.

Petrilli 2006, 88). Die beiden oben dargestellten Konzeptualisierungstendenzen der Nation lassen sich auch im Diskurs über die Taraškevica und Narkamaŭka beobachten (s. Kapitel 6).

45

In der Regel steht das Symbolwort20 nicht alleine, sondern erscheint in einem bestimmten Kontext, der seine aktuelle Bedeutung determiniert. Die Kontextualisierung eines Symbolwortes kann als strategisches Mittel dienen, um spezifische Gruppeninteressen durchzusetzen. Unter Kontextualisierung ist der Gebrauch des Symbolwortes in spezifischen Kontexten, die seine Bedeutung prägen sollen, zu verstehen […]. (Girnth 2002, 66)

Die in der betreffenden Gesellschaft bzw. in der ‘Fremdengruppe’ geltende regelbasierte Bedeutung des interpretierten Zeichens wird dabei oft in Frage gestellt bzw. bestritten mit dem Ziel, eine neue Bedeutung bzw. Konnotation zu erzeugen. Dieser Prozess stellt einen gewissen Neubeginn für ein Zeichen dar. Es wird in dieser konkreten Situation zu einem neuen Zeichen, das durch eine solche Kontextualisierung in eine ikonische Relation zwischen ihm und der dominierenden Ideologie bzw. dem ihm vorausgehenden ideologischen Zeichen tritt (s.

Unterkapitel 1.3 und 1.4). Da die Verbindung „zwischen ikonischem Zeichen und Assoziationsziel“ nicht den Gegenstand gemeinsamen Wissens bildet, tritt hier ähnlich wie bei primären ikonischen Zeichen das Interpretationsverfahren ‘Assoziieren’ in den Vordergrund (Keller 1995, 168). Die vom Sprecher intendierten Assoziationen können am besten durch einen Kontext, d.h. in einem Kontextualisierungsakt vermittelt werden. Der Kontext, in den ein Zeichen eingebunden wird, soll dabei als ‘Assoziationsauslöser’ oder ‘Assoziationsimpuls’

fungieren (vgl. Keller 1995, 169). So entsteht die ‘semantische Transparenz’ eines motivierten ikonischen Zeichens. Da es sich dabei um die Etablierung bzw. (Neu-)Prägung einer Bedeutung – in der Terminologie von Keller (1995) um die Aufstellung neuer Gebrauchsregeln eines Zeichens – handelt, die das Beeinflussen der zukünftigen Interpretanten dieser Zeichen (inklusiv Handlungen) zum Ziel hat, verlagert sich oft der ‘ideologische’ Kampf auf die metasprachliche Ebene, indem es explizit um die Bedeutung bzw. (Nicht-)Angemessenheit des Gebrauchs konkreter Wörter in bestimmten Situationen diskutiert wird.

In Bezug auf die drei Komponenten ideologiegebundener Wörter kann man entsprechende Strategien unterscheiden: Durch die denotative Kontextualisierung versucht man z.B., zwischen einem ‘Symbolwort’ wie Freiheit, Gerechtigkeit, Solidarität und einem anderen Begriff, der im Interessenbereich einer Partei liegt, „relationale Bedeutungen aufzubauen, um eventuell ein neues, parteispezifisches denotatives Merkmal zu etablieren“ und somit die Bedeutung des betreffenden Symbolwortes eigengruppenspezifisch zu prägen (Girnth 2002, 66). Bei der evaluativen Kontextualisierung wird versucht, einem Zeichen eine positive bzw.

negative Komponente im Sinne der Eigengruppe zu verleihen, indem man z.B. das betreffende Zeichen im Kontext mit positiv bzw. negativ konnotierten Wörtern verwendet. Diese Strategie kann somit eine Auf- bzw. Abwertung des betreffenden Begriffs bewirken (vgl. Girnth 2002, 63, 67). Als Beispiel werden dabei die Lexeme Pazifismus und Sozialismus angeführt, die je nach Parteizugehörigkeit entweder als Sigma- oder als Fahnenwörter eingesetzt werden können (ebd.). Eine deontische Kontextualisierung soll den Adressaten zur Ausführung bzw.

Unterlassung einer Handlung im gruppenspezifischen Sinne bewegen (vgl. Girnth 2002, 66 f.).

Dies kann sowohl explizit (z.B. durch die Verwendung imperativischer Formen) als auch implizit erfolgen. Da ideologische Zeichen einen programmatischen Charakter haben (s.

Abschnitt 1.3.2), haben sie eine deontische Komponente inne, wie das Girnth (2002, 51) auch

20 Ein Symbolwort ist Girnth (2002, 53) zufolge „fest in das ideologische Wertsystem einer Gemeinschaft eingebunden“ und stelle somit „einen historisch gewachsenen Orientierungspunkt“ dar. In diesem Zusammenhang werden Beispiele wie Demokratie, Freiheit, Gerechtigkeit genannt.

46

in seiner schematischen Darstellung anführt (s. Abb. 1). Die deontische Komponente scheint dabei an die evaluative Komponente gebunden zu sein, so dass eine Änderung der wertenden Komponente eine Änderung der deontischen herbeiführen kann.

Die ‘Nominationsstrategie’, die als Prozess der Begriffsbildung aufgefasst werden kann (vgl.

Girnth 2002, 55), stellt ein weiteres Verfahren dar, das im ideologischen Diskurs eingesetzt wird. Bei einer ‘Nominationskonkurrenz’ sind im Gegensatz zu der denotativen und evaluativen Kontextualisierung nicht nur die inhaltlichen Aspekte der Zeichen, sondern die Ausdrucksseite betroffen. Nominationen betreffen also die Relation zwischen unserem Wissen über Objekte und den sprachlichen Ausdrücken, die dieses Wissen fixieren und vermitteln (sollen). In der Fachliteratur findet man mehrere Auffassungen der ‘Nomination’, deren Verschiedenheit oft vor allem durch verschiedene Betrachtungsperspektiven bedingt ist. So werden Nominationen in Knobloch/Schaeder (1996, 7 f.) als sprachliche „Teilhandlungen“

verstanden, mit deren Hilfe „ein Sprecher gemeinte Gegenstände, Sachverhalte oder Begriffe durch ausgewählte oder neu gebildete Benennungen dem Hörer verfügbar macht.“ Weiterhin kann ‘Nomination’ entweder als eine Sprechhandlung (Nominationsakt) oder als Resultat der entsprechenden Sprechhandlung (Nominationsausdruck) aufgefasst werden (vgl.

Serebrennikov/Ufimceva 1977, 232). Aus diskursiv-semiotischer Sicht stellt ein Nominationsakt einen Akt der Semiose dar, während der Nominationsausdruck als ein sprachlicher Ausdruck, der zur Hervorhebung, Identifizierung und Charakterisierung eines Objekts oder zur Aktivierung des Wissens über ein Objekt im Diskurs dient, verstanden werden kann (vgl. Kubrjakova 2004, 421, 430). Nominationsausdrücke können als verkürzte Urteile des Sprechers über das Objekt angesehen werden (Arutjunova 1977, 307 f.; Kubrjakova 1999, 26; 2004, 317; Serebrennikov/Ufimceva 1977, 144). Die Situation der

‘Nominationskonkurrenz’ kann man als Resultat mehrerer Aussagen ansehen, die über ein Objekt gemacht wurden (vgl. Arutjunova 1977, 307 f.).

Formal gesehen werden zu Nominationen traditionell Substantive oder Wortverbindungen mit einem nominalen Kern gezählt (vgl. Serebrennikov/Ufimceva 1977, 232 ff.;

Knobloch/Schaeder 1996, 7 f.). Die besondere Rolle der Substantive kann dabei dadurch erklärt werden, dass sie es ermöglichen, Wirklichkeitsausschnitte als Gegenstände mit festen Grenzen darzustellen (vgl. Fleischer 1996, 149; Köller 2004, 348). Substantive ermöglichen es außerdem, Ideen als Dinge zu behandeln, was „hilfreich für eine ikonische Darstellung der gesamten Tatsache“ ist (Peirce 1986, 273; s. Unterkapitel 1.4). Sie machen ihre Objekte für das Bewusstsein zugänglicher und ermöglichen somit im Folgenden eine ‘Theoretisierung’ über diese Objekte (vgl. Kroskrity 2002, 20 f.):

Die Wortart Substantiv repräsentiert zweifellos einen sprachlichen Objektivierungstyp, der sich sehr leicht mit der ontologischen Kategorie der Substanz korrelieren lässt, wobei durchaus offen bleiben kann, ob es auch eine entsprechende ontische Seinsgattung gibt.

Substantivisch objektivierte Phänomene nehmen wir so wahr, als seien sie etwas, was eigenständig existiert und was sich im physischen oder geistigen Raum als eigenständige Größe auch isolieren lässt. Es bedeutet weiter, dass substantivisch objektivierte Phänomene recht problemlos zum Substrat präzisierender Zusatzinformationen auf der prädikativen oder attributiven Ebene gemacht werden können […]. (Köller 2004, 39)

In der Fachliteratur wird außerdem zwischen primärer und sekundärer Nomination (im Sinne von ‘Nominationsausdruck’) unterschieden. Jedoch ist die primäre Nomination – Relation eines

47

sich im Bewusstsein widerspiegelnden außersprachlichen Wirklichkeitsausschnittes und einer lautlichen Form, die zum ersten Mal als Benennung fungiert – sehr selten (vgl.

Serebrennikov/Ufimceva 1977, 73 f.). Der dadurch eingeleitete kognitive Prozess wird in der Wortbildung unter dem Begriff ‘Hypostasierung’ beschrieben (vgl. Schmid 2005, 78 f.; s. auch Bauer 2000, 835). Viel verbreiteter ist die sekundäre Nomination, infolge deren Nominationsausdrücke aus bereits vorhandenen sprachlichen Mitteln entstehen (vgl.

Serebrennikov/Ufimceva 1977, 73 f.). In diesem Zusammenhang weist Girnth (2002, 57) darauf hin, dass bei der Nomination besonders die motivierten Ausdrücke strategisch erfolgreich eingesetzt werden können (wie z.B. Komposita im Deutschen). Analog lassen sich auch andere abgeleitete (sowohl kompositionell als auch affixal) Wörter behandeln (vgl. Kubrjakova 1977;

1999; 2004). Kubrjakova (2004, 22) sieht die Ableitungen als Ergebnis verschiedener Operationen mit und an den Konzepten an und betont ihre Rolle bei der Fixierung und Konzeptualisierung neuen Wissens. Ungerer (2002, 534) verwendet in diesem Zusammenhang den Ausdruck ‘konzeptuelle Reorganisation’. Im Einklang damit sieht Schmid (2005, 105) die wichtigsten Funktionen der Wortbildung in der Konzeptbildung und Wahrnehmungslenkung.

Bei der Wahl der sprachlichen Mittel für Nominationen richtet sich der Sprecher unter anderem nach der Bedeutung der betreffenden Mittel, weil die Bedeutung der verwendeten Elemente im großen Maße die der aktuellen Nominationseinheit bestimmt (vgl. Serebrennikov/Ufimceva 1977, 74). Die abgeleiteten Lexeme verweisen ihrerseits auf die ihnen zugrunde liegenden Zeichen durch das Herstellen assoziativer Verbindungen mit dem Objekt des Basiszeichens (vgl. Kubrjakova 1977, 242 f). Abgeleitete Wörter stellen somit (in unterschiedlichem Grad) motivierte Einheiten dar. Neben expliziten Informationen, die anhand der Bedeutung der Basiszeichen ermittelt werden können, enthalten sie auch implizite Informationen, die durch inferenzielle Prozesse erschlossen werden (vgl. Kubrjakova 1999, 28 f.). Unter Inferenzen versteht Kubrjakova (1999, 29; 2004, 411) Operationen des Bewusstseins, bei denen man Schlussfolgerungen auf der Grundlage des Welt-, Sprach- und Situationswissens zieht.

Angesichts der Darstellungen im Unterkapitel 1.4 könnte dieser Prozess wie folgt beschrieben werden: Die kontextuell bedingten Interferenzen prägen die Images, die im Zusammenhang mit den betreffenden Zeichen evoziert werden und bewirken neue Imagekombinationen im Sinne von Peirce, die in dieser Phase noch stark an den Kontext gebunden sind. Man kann also die abgeleiteten Wörter als das Ergebnis inferenzieller Prozesse sehen, die eine Idee darstellen, die infolge der Interpretation einer anderen Idee entstanden ist. Die beiden Ideen befinden sich in einer Ähnlichkeitsrelation. Dabei soll das abgeleitete Wort zur Fixierung und Vermittlung der neuen Idee, d.h. der in einem abduktiven Prozess gewonnenen neuen Erkenntnisse dienen.

Neben Komposita und Ableitungen werden auch Metaphern als wichtige Nominationsmittel angesehen (vgl. Girnth 2002, 57 f.). Serebrennikov/Ufimceva (1977, 92 f.) beschreiben Metaphern als Aussagen über die Qualitäten eines Objekts, die durch den Sprecher in der Bedeutung eines Ausdrucks anhand einer Analogie-Relation des betreffenden Objekts zu einem anderen Objekt hervorgehoben werden. Keller (1995) zählt Metaphern zu Ikonen der höheren Ebene: „Wer mittels einer Metapher benennt, benennt, indem er ikonisch charakterisiert.“

(Keller 1995, 226).

Girnth (2002, 56) hebt eine weitere Funktion der Nominationen hervor, indem er diese als

„stellungsbeziehende, wertende Form der Referenz“ auffasst. Den Nominationsausdrücken

48

werden somit zwei wichtige Funktionen zugeschrieben: Neben der Bezugnahme auf ein Objekt bekunden sie Einstellungen der Sprecher gegenüber dem Objekt. Mit der Hervorhebung der wertenden Komponente der Nomination versucht man außerdem, bestimmte Einstellungen gegenüber dem Objekt auf Seiten des Adressaten zu bewirken (vgl. Girnth 2002, 64). Als Beispiel für die konkurrierende Nomination dienen z.B. die Wörter Kriegsdienst und Friedensdients in Bezug auf den Dienst in der Bundeswehr (vgl. Girnth 2002, 63).

Nominationen, die mit der Einstellung des Adressaten kontrastieren, fordern seine Reaktion heraus (Girnth 2002, 57). Angesichts der Darstellung der ideologischen Zeichen in Ponzio (2004; s. Abschnitt 1.3.2.) kann man in diesem Zusammenhang von einem hohen Grad der Dialogizität der betreffenden Nominationen sprechen. Gleichzeitig erfüllen Nominationen eine gruppenbildende Funktion, indem sie die Grenze zwischen verschiedenen Gruppen markieren und somit gruppenbezogene Ein- und Ausschließung bewirken (vgl. Kosakowski 2013, 161).

Die für ideologische Zusammenhänge typische Dichotomie ‘Eigen- vs. Fremdengruppe’

kommt anhand der konkurrierenden Nominationen sowohl in Bezug auf Eigen- bzw.

Fremdengruppe als auch in Bezug auf gruppenspezifische Aktivitäten, Einstellungen, Intentionen und Interessen, ideologisch relevante Systeme und Institutionen sowie Ereignisse und Sachverhalte zum Ausdruck (vgl. Girnth 2002, 59 f.). Eine der typischen Nominationsstrategien besteht dabei in der Verwendung der so genannten ‘Fahnenwörter’ in Bezug auf die Eigengruppe und der so genannten ‘Stigmawörter’ in Bezug auf die Fremdengruppe: mit den positiv konnotierten Fahnenwörtern wird die Eigengruppe aufgewertet, mit den negativ konnotierten Stigmawörter wird hingegen die Fremdengruppe abgewertet (vgl. Girnth 2002, 54). Dabei werden Stigmawörter von der Fremdengruppe gemieden oder explizit zurückgewiesen (vgl. Girnth 2002, 54).

Wie bei allen Zeichen gilt auch hier: Es hängt von mehreren ‘objektiven’ Faktoren ab, ob diese motivierten Zeichen, in denen die durch den Kontext bedingten ikonischen Aspekte im Vordergrund stehen, mit der Zeit zu regelbasiert interpretierbaren Symbolen und somit zum Bestandteil des ‘mentalen Lexikons’ der Sprecher werden (vgl. Schmid 2005, 83).21 Man kann somit sagen, dass die ‘subjektiven’ Faktoren, die die Wahl der sprachlichen Mittel der Nomination bestimmen, durch ‘objektive’ Faktoren wie lexikalische Bedeutung der zugrunde liegenden Mittel, Gebrauchsregeln, Kombinationsregeln, Akzeptanz auf Seiten anderer Sprecher usw. ausgeglichen werden (vgl. Serebrennikov/Ufimceva 1977, 92).