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Kindheit und Schulzeit in Danzig – Studium in Jena und Halle Studium in Jena und Halle

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2 Kindheit und Schulzeit in Danzig – Studium in Jena und Halle Studium in Jena und Halle

2 Kindheit und Schule in Danzig – Studium in Jena und Halle

2 Kindheit und Schulzeit in Danzig –

Daniel Gottlieb Messerschmidt (1685–1735) 32

didicissem“ –, war Daniel Gottlieb am 18. Juli 1688 einem aus Pommern stammenden Hauslehrer mit Namen Staude anvertraut worden, „auf dass ich frühzeitig zumindest in den Grundlagen des Schreibens und des Katechismus unterrichtet würde“, „saltem ut litterarum et Catécheseos elementa maturè addiscerem“. Nähere Angaben über seinen ersten Lehrer teilt uns Messerschmidt nicht mit. Möglicherweise handelte es sich um einen Nachfahren des zu seiner Zeit sehr bekannten Orientalisten und Stralsunder Gym-nasialdirektors Johann Hieronymus Staude (1615-1663).

Beinahe zwei Jahre lang verblieb Daniel Gottlieb in der Obhut seines Lehrers, bis er nach dessen Fortgang im September 1691 „ad Scholam urbis primariam Marianam“, d. h. auf die städtische Marienschule geschickt wurde. Ihrer Entstehung nach war die Marienschule eine Pfarrschule, eine, wie es damals hieß, Trivialschule, die, wie auch alle anderen Stadtschulen, dem Collegium Scholarchale unterstand, also der Schulaufsichts-behörde. Spätestens jetzt und hier wird Daniel Gottlieb mit dem Erlernen des Lateini-schen begonnen haben. Die Marienschule zählte zu den öffentlichen Anstalten, die „aus-gesprochene Gelehrtenschulen waren, deren Lehrziel die Beherrschung der lateinischen Sprache in Wort und Schrift war“.30 „An diesen Trivialschulen fiel dem Unterricht im Lateinischen der Hauptanteil zu. Das war nicht außergewöhnlich, sondern entsprach den Bedürfnissen der Zeit. Ein Übergang von den obersten Klassen der Trivialschulen auf das Gymnasium war daher möglich“.31 An der Marienschule wurde Daniel Gottlieb dem aus dem pommerschen Pyritz stammenden Rektor Johannes Krieg in Obhut gegeben, „einem unvergleichlichen, für die Schule geradezu geborenen Mann“ – „Viro ad Scholam nato incomparabili“.

Nachdem sich Krieg von dem Lerneifer und den Lernerfolgen seines Schützlings überzeugt hatte, übergab er diesen dem Lehrer der Quarta, Samuel Hüneburg, „unter dessen Anleitung ich sowohl in den öffentlichen wie in Privatstunden in den Grundlagen der lateinischen Sprache unterrichtet wurde“ – „cujus ductu publicis æque privatis horis in latinæ linguæ principiis instruebar“.

Nach Ablauf von dreieinhalb Jahren wurde Daniel Gottlieb in die Tertia versetzt, wo er nach dem ein Jahr später erfolgten Tod des Lehrers, von dem uns der Autobiograph nur den Vornamen „Christophorus“ mitteilt, und nach dem Fortgang Hüneburgs von dem neuen Klassenleiter Christian Schlüter in Privatunterricht weiterhin mit dem Lateinischen

„sowie vornehmlich mit den Grundlagen der Arithmetik vertraut gemacht wurde“ – „a quo privatim (relicto Samuele Huneburgio) tum in latinitate tum præcipue in arithmeticis elementis imbutus sum“.

Im September 1696 erfolgte die Versetzung in die Sekunda. Unterdessen wurde der von Schlüter erteilte Privatunterricht bis April 1698 weitergeführt. Im Herbst dieses Jah-res erkrankte Messerschmidt schwer an den Pocken. Er überstand diese Krankheit, blieb von ihr aber durch Narben gekennzeichnet.

30 Faber 1930, S. 19.

31 Schulz 1941, S. 9.

2 Kindheit und Schule in Danzig – Studium in Jena und Halle 33 An dieser Stelle bricht Messerschmidts autobiographischer Bericht über seine Schul-zeit leider ab. Dieser Bericht vermittelt uns wichtige Einsichten in die Anfänge des Bildungsweges unseres Protagonisten: Der Schulunterricht war in allererster Linie auf ein gründliches Vertrautmachen mit dem Lateinischen ausgerichtet, wobei es selbstver-ständlich auch und gerade darum ging, sich im aktiven, schriftlichen und mündlichen Gebrauch dieser Sprache zu üben. Mit welcher – so dürfen wir es wohl ausdrücken – Inbrunst der junge Messerschmidt dem Studium des Lateinischen obgelegen hat, wird da-raus ersichtlich, dass er die ganze Schulzeit über neben dem „offiziellen“ Unterricht auch Privatunterricht erteilt bekommen hat. Und wie erfolgreich dieser „Doppelunterricht“ im Lateinischen gewesen ist, davon legen etwa die Briefe Zeugnis ab, die Messerschmidt später, 1716 und 1717, an Peters I. Leibarzt Areskin richten sollte, sowie und ganz be-sonders zahlreiche umfangreiche wissenschaftliche Texte, die während der Sibirienexpe-dition oder nach der Rückkehr Messerschmidts von dieser ExpeSibirienexpe-dition entstanden sind.

Der junge Messerschmidt dürfte damals auch bereits damit begonnen haben, sich mit der klassischen lateinischen Dichtung vertraut zu machen. Wie groß, wie eng die Vertrautheit mit den Werken Ovids, Horaz’, Vergils, Juvenals, Martials und anderer römischer Dichter schließlich geworden war, davon zeugen in eindrucksvoller Weise die zahlreichen latei-nischen Epigramme, die Messerschmidt selbst in Anlehnung an die von ihm bewunderten Vorbilder gedichtet und insbesondere in seinem Reisetagebuch niedergeschrieben hat.

Wir wissen nicht, wann genau Messerschmidt die Marienschule abgeschlossen hat. Er wird damals 13 bis 14 Jahre alt gewesen sein, war jedenfalls noch ein Knabe. Wenn wir bedenken, dass sich Messerschmidt im Oktober 1706 an der Universität Jena für das Stu-dium der Medizin immatrikulieren sollte,32 stellt sich die Frage, wie sich sein Bildungs-gang bis zu diesem Zeitpunkt gestaltet hatte. Dokumentarische Zeugnisse darüber sind offenbar nicht überliefert. Daher sind wir auf Vermutungen angewiesen, wobei wir uns allerdings auf einigermaßen sicherem Boden bewegen. Es dürfte außer Zweifel stehen, dass der junge Messerschmidt beim Abschluss der „Trivialschule“ nicht glaubte, keiner weiteren Schulausbildung zu bedürfen. Er musste und wollte gewiss eine weiterführende, höhere Schule besuchen. Und hier kam für den bereits vorzüglich im Lateinischen ausge-bildeten Sohn des Danziger Hauptschiffbauinspektors nur eine Anstalt in Frage, das be-rühmte, 1558 im Zuge der Reformation gegründete, allerdings erst seit 1630 so genannte Gymnasium Academicum sive Illustre, das Danziger Akademiegymnasium. Seinen Na-men verdankte das Akademiegymnasium „seiner Mittlerstelle zwischen Universität und Gymnasium“, „indem es die Studiosos auf die Universität vorbereitete, ihnen aber auch eine im Gebiet des Ostens anerkannte wissenschaftliche Bildung vermittelte, die sie zur Übernahme von Staatsämtern befähigte“.33

32 Vgl. dazu weiter unten.

33 Schulz 1941, S. 5.

Daniel Gottlieb Messerschmidt (1685–1735) 34

Es versteht sich, dass auch im Danziger Gymnasium Academicum, das im ehemaligen Franziskanerkloster untergebracht war, der Unterricht im Lateinischen den Schwerpunkt bildete.

Latein war in jener Zeit die Weltsprache, der sich Gelehrte und Diplomaten bedien-ten, [...]. Danzig hatte schon auf Grund seiner beherrschenden politischen Stellung und der damit verbundenen Notwendigkeit, häufig Verhandlungen, besonders mit Polen, führen zu müssen, auf eingehende Pflege des lateinischen Sprach unterrichts zu achten. Das Gymnasium war in erster Linie berufen, die späteren Staatsdiener zu erziehen[,] und achtete daher auf die Erfüllung dieser Forderung. [...] Im Vor-dergrund der Schularbeit stand die eloquentia, [...].34

„Neben die Beherrschung der lateinischen Sprache trat die Kenntnis des Griechischen“.35

„Auch die Anfänge des Hebräischen wurden gelehrt“36 – eine Information, die uns in der Annahme bestärkt, Messerschmidt habe eben hier seine Bildung erweitert und vertieft;

denn wir wissen aus späterer Zeit, dass er gute Kenntnisse des Hebräischen besessen hat. So etwa steht über einem aus seiner Feder stammenden lateinischen Epigramm auf seinen Danziger Förderer und Freund Johann Philipp Breyne, von dem weiter unten noch die Rede sein wird, eine auf Hebräisch geschriebene Zeile. Und in seinem opus magnum

„SIBIRIA PERLUSTRATA“ hat er die hebräischen Namen zahlreicher Pflanzen und Tie-re verzeichnet.

Ein weiterer Gesichtspunkt verdient besondere Beachtung: Im 17. Jahrhundert hatte am Danziger Gymnasium Johann Raue (1592-1670) als Professor gewirkt und dort seine reformerischen Ideen verwirklichen können, bei denen es ihm vor allem um eine Ver-stärkung der naturwissenschaftlichen Ausbildung der Schüler, insbesondere in Anatomie und Botanik ging.37 Und so liegt die Vermutung nahe, dass Messerschmidt schon damals einen Anstoß für die spätere Wahl seines Studienfachs empfangen hat.

Wie ist es um die Herausbildung und Entwicklung von Messerschmidts religiösen Ansichten und Überzeugungen bestellt gewesen? Aus der Kindheit und Jugend sind uns darüber keine expliziten Äußerungen bekannt, es kann aber gar keinen Zweifel daran ge-ben, dass die Wurzeln von Messerschmidts tiefer Gläubigkeit damals gelegt worden sind, wie dies ja seine Bemerkungen über den ihm erteilten Katechismusunterricht erkennen lassen. Am Akademischen Gymnasium war der – streng orthodox-lutherisch ausgerich-tete – Religionsunterricht selbstverständlich ein Hauptfach. Wie wir sehen werden, ist Messerschmidt spätestens in seiner Hallenser Studienzeit mit dem Pietismus in Berüh-rung gekommen und ist von dieser Glaubensrichtung tief geprägt worden. „Der Pietismus

34 Schulz 1941, S. 9 f. – Eine gewisse, allerdings nicht in die Tiefe gehende Vorstellung von dem am Akade-miegymnasium erteilten Lateinunterricht vermittelt der Aufsatz Faber 1934.

35 Schulz 1941, S. 10.

36 Schulz 1941, S. 10.

37 Vgl. Böger et al. 2021, S. 38.

2 Kindheit und Schule in Danzig – Studium in Jena und Halle 35 suchte die blutlose Dogmatik durch den lebendigen Glauben zu ersetzen und den wieder-geborenen Christen in eine Gemeinschaft von Menschen zu führen, die ihr privates und öffentliches Leben nach den Grundsätzen der christlichen Tugenden ausrichteten“.38 Die-se Entwicklung ist um so bemerkenswerter, als der Pietismus zwar die Pädagogik stark beeinflusste und da, wo ihm das gelang, zu bedeutsamen Veränderungen des Schullebens führte, ihm aber gerade am Danziger Gymnasium kein Erfolg beschieden war. Dieses blieb während des 17. Jahrhunderts ein Hort des orthodoxen Luthertums und beteiligte sich auf dieser Grundlage lebhaft an den theologischen Auseinandersetzungen der Zeit.

Nach Abschluss des Gymnasiums – das genaue Datum ist uns nicht bekannt – verließ Messerschmidt seine Heimatstadt und reiste nach Jena. Am 4. Oktober 1706 immatriku-lierte er sich dort an der Universität als Student der Medizin.39 Wir wissen nicht genau, was für und wessen Vorlesungen er während seines Studienaufenthalts in Jena besucht hat, wir sind aber in der Lage, uns eine recht genaue Vorstellung von dem damaligen medizinischen Vorlesungsangebot zu bilden.

Gemäß dem für die Medizinische Fakultät der Universität Jena seit 1591 in erwei-terter Form gültigen Gründungsstatut oblagen den drei ordentlichen Professoren jeweils bestimmte Lehraufgaben, wobei der erste die Physiologie, der zweite die Pathologie und der dritte die Therapie zu vertreten hatte. Außerdem war in dem Statut festgeschrieben, es sei im Unterricht auch Rücksicht auf die „res herbaria“, die Kräuterkunde, zu nehmen.

Die Vertretung der Botanik war „ein alleiniges Recht der medizinischen Fakultät und ge-hörte zu den Amtspflichten des jeweiligen Anatomen“.40

Als Medizinprofessoren waren in Jena zur Zeit von Messerschmidts Studium Ru-dolph Wilhelm Krause (1642-1718), Georg Wolfgang Wedel (1645-1721) und Johann Adrian Slevogt (1653-1726) tätig. R. W. Krause wirkte seit Anfang 1671 als Professor der praktischen Medizin und der Chemie. Aus seinem Studienort Leiden hatte er eine ganz neue medizinische Krankheitsanschauung mitgebracht, die Chemiatrie. Gemäß den Anschauungen der Vertreter der Chemiatrie ist eine Krankheit nichts anderes als die Fol-ge einer Beeinträchtigung des ausFol-geglichenen Verhältnisses zwischen sauren und alkali-schen Elementen. Die Aufgabe des Arztes bestehe folglich darin, dieses ausgeglichene Verhältnis bei Störungen wiederherzustellen. Die Chemie war noch keine selbständige wissenschaftliche Disziplin, sondern stand ganz und gar im Dienst der Medizin. „Sie war durchaus Nebenfach und wurde von Professoren der Medizin gelesen“.41 Es ist frag-lich, ob Messerschmidt Gelegenheit gehabt hat, bei Krause Chemievorlesungen zu hören;

denn solche Vorlesungen lassen sich für diesen nur bis 1704 nachweisen.42

38 Schulz 1941, S. 14.

39 Vgl. Jauerning 1977, S. 517.

40 Jahn 2011, S. 219.

41 Giese, von Hagen 1958, S. 173.

42 Vgl. Giese, von Hagen 1958, S. 173.

Daniel Gottlieb Messerschmidt (1685–1735) 36

Ein bedeutender Vertreter der Chemiatrie war in Jena auch Georg Wolfgang Wedel, so dass die Medizinische Fakultät in Jena eine Pflanzstätte der Prinzipien der Chemiatrie war. Ungeachtet der Tatsache, dass G. W. Wedel ein begeisterter Chemiater war, vertrat er die chemiatrischen Lehren in Jena maßvoll, betonte stets die Praxis und die eigene Er-fahrung des Arztes. Er war ein erklärter Anhänger der Anwendung chemiatrischer Arznei-mittel, hat „die Chemie erfolgreich in den Dienst der Heilkunde gestellt“.43

Im Hinblick auf die Aufgabe, eine Biographie D. G. Messerschmidts zu erarbeiten, ist besonders darauf hinzuweisen, dass G. W. Wedel akademischer Lehrer des später so be-rühmten Friedrich Hoffmann (1660-1742) und des nicht minder bebe-rühmten Georg Ernst Stahl (1659-1734) gewesen ist, bei denen Messerschmidt später in Halle studieren soll-te.44

Johann Adrian Slevogt wirkte von 1695 bis 1717 als Professor für Anatomie, Chir-urgie und Botanik in Jena. Er gilt „als Erneuerer des botanischen Gartens und scheint gerade der Botanik viel Zeit und Eifer gewidmet zu haben“.45 Wenn wir bedenken, dass Messerschmidt ein begeisterter, unermüdlich tätiger Botaniker geworden ist, dann liegt die Vermutung nahe, dass der Studienaufenthalt in Jena eine nicht unbedeutende Rolle beim Aufkommen und bei der Verstärkung dieser Ausrichtung seiner wissenschaftlichen Interessen gespielt hat, zumal Slevogt und dessen Kollege Teichmeyer im Unterricht gerade auch die Pflanzenanatomie berücksichtigten,46 die später für Messerschmidt bei der Pflanzenuntersuchung und -bestimmung eine große Rolle spielen sollte. Seit 1698 las Slevogt auch über Chemie und wandte die damals neuen chemiatrischen Heilmittel zum Wohle der Kranken an. Ferner setzte er „den Unterricht in medizinischer Botanik auch insofern fort, als er „elaborationes medicamentorum chimico-pharmaceuticorum“

(1698/1699) durchführte und „wichtigere Eigenschaften und Zubereitungen ebenso wie Vereinigungen der pflanzlichen Heilmittel behandelt wurden“.47

Nach weniger als zwei Jahren verließ Messerschmidt Jena und wechselte an die Uni-versität Halle, um dort sein Studium fortzusetzen. Am 22. Juni 1708 trug sich „Daniel Gottlieb Meßerschmid, Gedan. Prussus Med. Stud.“ in die Matrikel der Friedrichs-Uni-versität ein.48 Er war dort einer von 26 Studenten, die in diesem Jahr in Halle das Medi-zinstudium aufnahmen – eine recht geringe Zahl im Vergleich mit den 240 Studienanfän-gern im Fach Jura und den 245 neuimmatrikulierten Theologiestudenten.

Zu Messerschmidts Kommilitonen könnte u. a. der aus Moskau gebürtige Laurentius Blumentrost (immatrikuliert seit November 1706)49 gehört haben, der in seiner Funktion

43 Giese, von Hagen 1958, S. 179.

44 Vgl. unten.

45 Giese, von Hagen 1958, S. 189. Vgl. auch Jahn 2011, S. 63.

46 Jahn 2011, S. 219.

47 Jahn 2011, S. 63.

48 Vgl. Juntke, Zimmermann 1960, S. 293; vgl. auch Posselt 1976b, S. 214.

49 Vgl. Juntke, Zimmermann 1960, S. 38.

2 Kindheit und Schule in Danzig – Studium in Jena und Halle 37 als Leibarzt Zar Peters I. im späteren Leben unseres Protagonisten eine nicht unbedeuten-de Rolle spielen sollte. In seinem Tagebuch erwähnt Messerschmidt unter unbedeuten-dem Datum unbedeuten-des 24. Oktober 1725 einen weiteren Hallenser Kommilitonen, den wie er selbst aus Danzig gebürtigen Georg Remus (1687/88-1756). Remus sollte 1719 als Feldarzt bei der russi-schen Armee angestellt werden, kehrte aber bereits 1723 in seine Heimat zurück.50 Wir werden ihm noch mehrmals begegnen.51

Was mochte Messerschmidt zum Wechsel der Universität bewogen haben? Explizite Äußerungen dazu sind von ihm nicht überliefert, weshalb wir versuchen müssen, selbst herauszufinden, was ein Medizinstudium in Halle an der dort erst 1694 gegründeten Uni-versität in Messerschmidts Augen als anziehend hat erscheinen lassen. Die äußere Aus-stattung der Medizinischen Fakultät kann es kaum gewesen sein; denn diese war damals äußerst dürftig. Zu einer Fachbibliothek war zwar eine Grundlage gelegt worden, sie wur-de aber kaum ausgebaut, da es an wur-dem dazu erforwur-derlichen Geld mangelte. Die Hallenser Bibliothek konnte es nicht mit der Jenenser Universitätsbibliothek aufnehmen, die dank den Bemühungen des Mediziners G. W. Wedel umfangreiche moderne Buchbestände be-saß und über „wesentliche Neuausgaben antiker Autoren verfügte“.52

Und auch der Hallenser botanische Garten schnitt bei einem Vergleich mit demjeni-gen in Jena schlecht ab. Als in Jena Günther Christoph Schellhammer „im Wintersemes-ter 1690 die Professur für Anatomie, Chirurgie und Botanik und die Leitung des Hortus medicus übernahm, waren die ersten äußeren Voraussetzungen für eine gedeihliche bo-tanische Unterrichtsarbeit bereits geschaffen“.53 Über die in Halle herrschende Situation erfahren wir hingegen:

Der botanische Garten, hortus medicus genannt, bestand aus einem kleinen Theil des ehemaligen erzbischöflichen Küchengartens, immer noch groß genug, wenn es ihm nicht an den nöthigsten Gewächsen gefehlt hätte. [...] Einen physikali-schen Apparat und ein chemisches Laboratorium suchte man vergebens; [...]. In der schlimmsten Verfassung jedoch befand sich das Studium der Anatomie, wel-ches selbst zu Zeiten ganz ausfiel. Es fehlte nämlich nicht nur an Leichen, sondern auch an einem schicklichen Local zu Zergliederungen.54 So hatte das Studium der Medicin schon in seiner Wurzel einen unheilbaren Schaden empfangen, der aller Bemühungen der Lehrer spottete, weßhalb denn auch die Frequenz der Studiren-den sehr abnahm, die auf ausländischen Universitäten suchen mußten, was ihnen Halle nicht gewährte.55

50 Vgl. von Richter 1817, S. 160.

51 Vgl. das 5., das 10. und das 21. Kapitel.

52 Posselt 1976b, S. 214.

53 Jahn 2011, S. 58.

54 Friedländer 1842, S. 11 f.

55 Friedländer 1842, S. 12; vgl. hierzu auch Kümmel 1973.

Daniel Gottlieb Messerschmidt (1685–1735) 38

Wenn wir die hier beschriebene deplorable Situation der Hallenser Medizinischen Fa-kultät in puncto Ausstattung bedenken, so gelangen wir zu der Vermutung, dass die An-ziehungskraft dieser Fakultät vor allem auf der Tätigkeit zweier Zelebritäten beruhte, derjenigen Friedrich Hoffmanns und derjenigen Georg Ernst Stahls, die beide „von hier aus die Welt mit ihrem Ruhm erfüllten“.56

Während Hoffmann als „Primarius practicus“ für die Lehre in Anatomie, Chirurgie und Chemie verantwortlich war, hatte Stahl als „Primarius theoreticus“ die Vorlesungen in Physiologie, Pathologie, Hygiene, Arzneikunde und Botanik übernommen. Außerdem war Stahl die Aufsicht über den 1698 gegründeten „hortus medicus“ übertragen worden, der aber zur Zeit von Messerschmidts Studium noch sehr unzureichend ausgestattet war.

Sein Aufseher Stahl hegte wahrscheinlich kein besonderes Interesse an der Botanik und vernachlässigte nachweislich seine Lehrverpflichtungen in diesem Fach.

Friedrich Hoffmann war einer der berühmtesten Ärzte seiner Zeit. Bei der Gründung der Universität Halle im Jahre 1694 wurde er deren erster Professor. Er lehrte vor allem praktische Medizin, ferner Anatomie, Chirurgie, Physik und Chemie. Er überprüfte viele wichtige Heilmittel und erklärte deren Anwendung. Mit der Anwendung einfacher Mittel und der Diät erzielte er große Erfolge. Durch seine Untersuchungen trug er auch dazu bei, dass zahlreiche Mineralwässer Anerkennung fanden. In seinem 1703 erschienenen Buch

„De methodo examinandi aquas salubres“ behandelt er Analysen von Mineralwässern.

Unter anderem erkannte er auch „die Magnesiumsalze im Wasser und unterschied diese von den Kalziumverbindungen“.57 Das Wasser hielt er „für einen zusammengesetzten Stoff, der aus einem ätherischen und einem salzigen Bestandteil besteht“.58

Auf dem Gebiet der theoretischen Chemie war Hoffmann ein Anhänger der sogenann-ten solidarpathologischen Richtung und der Schule der Iatromechaniker. Gemäß den An-schauungen der Vertreter dieser Schule muss man die Körperfunktionen in Übereinstim-mung mit den Gesetzen der Mechanik verstehen und erklären. Danach ist der Organismus eine Maschine, deren Tätigkeit durch einen „Nervenäther“ in Bewegung gesetzt und in Bewegung gehalten wird. Der Nervenäther wird im Gehirn gebildet, verbreitet sich über Nervenbahnen im Körper und bewirkt die jeweils spezifischen Aktionen der einzelnen Organe. Wenn diese zu groß ausfallen, dann kommt es zu Krämpfen, wenn sie zu klein sind, sind Atonie, Schwäche die Folge und liegt Krankheit vor.

Als Arzt vertrat Hoffmann die Ansicht, dass nur durch die Beobachtung des Körpers und durch Leitung, Mäßigung oder Besänftigung der im Körper auftretenden Bewegun-gen dem Kranken Hilfe geleistet werden könne. Er wandte sich auch den Speisen, den Getränken und sogar den meteorologischen Faktoren zu, die durch ihre besonderen Kräf-te den Körper gesund erhalKräf-ten könnKräf-ten. Hoffmann trat alchemistischen Quacksalbereien entgegen und pries die Wirkung der heimischen Wiesen-, Wald- und Gartengewächse.

56 Friedländer 1842, S. 4.

57 Szabadváry 1966, S. 45.

58 Szabadváry 1966, S. 46.

2 Kindheit und Schule in Danzig – Studium in Jena und Halle 39 Sein wesentliches Prinzip war das Eintreten für schonende Vorsicht bei der Behandlung der Kranken, die Ablehnung eingreifender Mittel und die Neigung zu abwartendem Ver-halten, zu milden Abführmitteln und Aderlässen. Für ihn war zugleich die Vernunft, die Urteilskraft in der Kunst des Arztes deren vornehmste Eigenschaft. Wir werden sehen, dass und wie sich Messerschmidt diese Ansicht angeeignet hat. Hoffmann trat für die Anwendung nur einer begrenzten Zahl von Arzneimitteln ein und wandte sich mit Ent-schiedenheit etwa gegen die Anwendung der von Stahl propagierten Chinarinde.

Hoffmann unterschied folgende Arten von Heilmitteln: 1. Evacuantia, die die Qualität fehlerhaft zusammengesetzter Körpersäfte verändern (z. B. durch Abführmittel, Brech-mittel, schweißtreibende Mittel, Aderlass, wobei überflüssige und pathogene Substanzen abgeführt werden, oder durch Salivantia); 2. Alterantia, die die Größe und Gestalt der korpuskularen Bestandteile in den Körpersäften verändern. Die Alterantien verändern aufgrund ihrer stofflichen Struktur (Alkalien, Säuren, Salze) die Fließeigenschaften der Körpersäfte; 3. Roborantia, die eine zu schwache Bewegung der Körpersäfte verstärken und hierdurch den normalen Tonus der Fasern und der Gewebe wiederherstellen (z. B.

ätherische Öle); 4. Sedantia oder Sedativa, die eine zu starke Bewegung der Körpersäfte abschwächen und den erhöhten Tonus der Fasern hinabsetzen (z. B. Opium, Moschus, Kampfer).59

1708 wurde Hoffmann von König Friedrich I. in Preußen zum Hofrat ernannt und zum Leibmedicus des Herrschers berufen, unter Beibehaltung seines Lehrstuhls. Wegen dieser Tätigkeit hielt er sich sehr oft, vermutlich meistens in Berlin auf. Es erscheint daher zweifelhaft, dass Messerschmidt bei Hoffmann regelmäßig Vorlesungen besuchen konnte. Wahrscheinlicher ist es, dass er bei Gottlieb Ephraim Berner (1671-1741) und Andreas Ottomar Goelicke (1671-1744) gehört hat, zwei außerordentlichen Professoren, die 1709 ernannt worden waren, „beide vorzüglich um Hoffmann während seines Aufent-halts in Berlin zu ersetzen“.60

1712 kehrte Hoffmann nach Halle zurück, und so erklärt es sich, dass Messerschmidt im Jahre 1713 unter Hoffmann als „Doktorvater“ seine Dissertation verteidigen konnte.

Georg Ernst Stahl wurde 1694 in Halle zum Medizinprofessor ernannt. Sein Ruhm beruhte vor allem darauf, dass er als Erster einen Versuch unternahm, alle zu seiner Zeit bekannten chemischen Erscheinungen unter einem einheitlichen theoretischen Gesichts-punkt zu erklären. Die von ihm in den ersten Jahren des 18. Jahrhunderts in mehreren Werken zur Vollendung geführte Theorie besagt, „daß die Körper aus verbrennlichen und nichtverbrennlichen Teilen bestehen. Das verbrennliche Wesen ist allen Substanzen ge-meinsam, es heißt Phlogiston und entweicht beim Glühen. Je mehr Phlogiston in einem Stoff enthalten ist, desto leichter brennbar ist er“.61 Diese Theorie „war eine leicht zu

59 Vgl. hierzu Lanz 1995.

60 Friedländer 1842, S. 6.

61 Szabadváry 1966, S. 59.