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Jesus und die „Ehebrecherin“ im Johannesevangelium

7 Gütekraft am Beispiel der Rezeption neutestamentlicher Frauengestalten in Gibrans „Jesus Menschensohn“

7.2 Jesus und die „Ehebrecherin“ im Johannesevangelium

Joh. 7,53 – 8,11 ist eine Wanderperikope gewesen, also mündlich tradierte, selbständige Ge­

schichte. Im 3. Jahrhundert bezeugt sie die Diskalia, eine syrische Kirchenordnung. Seitdem taucht sie unter, dann auch wieder auf, bis sie ab dem 4.Jahrhundert ihren Platz als sekundärer Einschub im Johannesevangelium findet. In unserer Zeit wird sie als eine „Perle“ empfunden.

Andererseits hat sie Bultmann als ein Apophtegma, das nicht passt, nicht in seinen Kommen­

tar aufgenommen. Es wird nicht übersehen, dass die Erzählung ihren Formulierungen nach weder in Jesu noch in den jüdischen Kontext passt. Es gibt Exegeten, die ihr jesuanische Au­

thentizität attestieren. Andererseits gibt es keine Belege für die Hinrichtung von Ehebreche­

rInnen aus jener Zeit. Die rechtlichen Hürden dafür waren viel zu hoch und zwar absicht­

lich.272 Immerhin ist aufmerksam zu machen auf Apg. 8, auf die Steinigung des Stephanus.

Mindestens ist da eine Erinnerung an diese Strafe grundsätzlich vorhanden. So ist die Steini­

gung in der Vergangenheit als Todesstrafe nicht unbekannt und Ehebruch war in der Kirche der ersten Jahrhunderte ein schweres Verbrechen. Insgesamt bleibt vieles in dieser Erzählung unsicher bzw. problematisch, z. B. die Frage nach der Zukunft der so genannten Ehebrecherin nach ihrer „Rehabilitierung“ durch Jesus.

Von besonderem Interesse in Zusammenhang mit den Fragestellungen dieser Dissertation ist die sozialgeschichtliche Auslegung durch Luise Schottroff.273 Sie begründet die Tradierung des Textes als Wanderperikope damit, dass die patriarchalische Kirche damals sicherlich be­

sonders kritisch gegenüber der so milden Bestrafung einer Ehebrecherin durch Jesus war. Und Lev. 20,10 und Dt. 22,22 stehen in hartem Gegensatz dazu. Jesus verurteilt diese Frau also nicht trotz dieses schweren Vergehens.

Jesus wird in diese Szene eingeführt als der Mensch, der lehrt und den das Volk als Lehrer auch hören will: Er setzt sich, also nimmt die Haltung des Lehrers ein. So beginnt die Drama­

turgie ihren Lauf: Männer kommen und stellen die namenlose Frau in ihre Mitte (Vers 3), gleich weit entfernt oder auch nah zu Jesus und dem Volk. Jesus wird sofort akut beteiligt sein an dem Geschehen. Er wird nicht in die Falle tappen, die ihm gelegt wird. Indem Jesus sich bückt, begibt er sich zeichenhaft auf das „unehrenhafte“ Niveau der „Ehebrecherin“ der man - so mutmaßt L. Schottroff - auch eine Falle stellen will. Der Ehebrecher taucht gar nicht erst auf. Auch die Zeugen nach dem Gesetz sind nicht genannt und nicht gegenwärtig. Die Anfra­

gen an Jesus sollen ihn wohl auch zum Steine werfen auffordern. Sein Schreiben beim

272 Wengst, K., Das Johannes-Evangelium – Theologischer Kommentar, a. a. O., S., 304f.

273 Schottroff, L., Lydias ungeduldige Schwestern, a. a. O., S. 263;

Jervell, J., Meyers kritisch-exegetischer Kommentar zum NT, a. a. O., S. 256f.

Bücken - was er schreibt, kann man nicht wissen – könnte sein Unbeteiligtsein oder auch sein deutliches Desineresse ausdrücken. Dann wieder aufrecht, wieder auf gleicher Höhe mit die­

sen Männern (Vers 8,7) weist er diese zurecht. Diese sind Gesetzeslehrer - werden sie in ih­

rem Weggehen schuldig an der nicht befolgten Tora? In seiner erneut gebückten Haltung zeigt er seine Nähe zur Ehebrecherin; ebenso vielleicht seinen Gleichmut, auch nichts weniger als echte „Zivilcourage“. Diese Haltung der Tora gegenüber könnte bei Jesus und den Schriftge­

lehrten als Missbrauch, ihr Missbrauch, mindestens als Gleichgültigkeit, gedeutet werden.

Doch für Jesus ist bekannt, dass er die Schrift stets selbständig denkend versteht und aus­

legt.274 Mit Souveränität hat er den Drängenden standgehalten. Wohlgemerkt hat er nicht die Schuld der Ehebrecherin klein gehalten! Aber er hat ihr die Möglichkeit zur Einsicht gelassen und sich zu wandeln. Zuvor hat er sie zum Reden gebracht, so zieht er den Schlussstrich:

„Auch ich verurteile dich nicht, geh und sündige von jetzt an nicht mehr“.

David Daube hat darauf aufmerksam gemacht, dass das als gesetzeskonforme Korrektur patri­

archaler Praxis verstanden werden kann (Vers 8,7).275 Im tannaitischen Judentum ist festge­

legt, dass eine gesetzlich begründete Kritik an Unrecht üblich ist, das nach sonstigem Vorge­

hen von Männern gegenüber Frauen praktiziert werden könnte. Mit dieser gesetzlich begrün­

deten Kritik ist ausgeschlossen, dass eine Frau aus vorgeschobenen Gründen, z. B. Hass, getö­

tet wird.

Steinigung als Todesstrafe sühnt das schlimme Verbrechen des Ehebruchs, denn durch diesen ist die gesamte soziale Gesellschaft verletzt worden und in Unordnung geraten. Hinzu kommt die private Schädigung des betreffenden Ehemannes, denn ihm allein kommt die Sexualität der Frau als sein Verfügungsrecht zu. Und solche Tat ist ebenso ein Angriff auf Gott und sein Gebot. Vergleiche dazu den aufschlussreichen Exkurs von L. Schottroff zur Steinigung in un­

serer Gegenwart.276

Die Frau ohne Namen ist laut Text „in die Mitte gestellt.“ Gütekraft vergegenwärtigt sich un­

vorhergesehen an dieser Frau, die dem Tötungsgesetz ausgesetzt ist. Was da nun geschieht, passiert vor einem Auditorium, vor Jesu Volk, d. h. öffentlich. Gütekraft ist also auch ein öf­

fentliches Geschehen, das an Frauen und Männern geschehen will. Eigentlich wirkt es hier schamlos, die Frau wird regelrecht vorgeführt als die, die die Gesellschaft besudelt hat. So wird einer Frau die Würde geraubt. Doch hier geschieht ein Neuanfang, sie erhält eine Chan­

ce. Gütekraft heißt in diesem Text nicht Schwäche oder Feigheit, sondern Schuldanerken­

274 vgl. dazu Mk. 2; 25,26 par.

275 Daube, D., in Schottroff, L., Lydias ungeduldige Schwestern, a. a. O., S. 265

276 Schottroff, L., Lydias ungeduldige Schwestern, a. a. O., S. 267ff.

nung, die wiederum die Chance der Vergebung, vorher der Nichtverurteilung, schenkt. Men­

schenverachtung verbunden mit Würdelosigkeit wird sich umkehren in ehrenhaftes Frauenda­

sein. Jedenfalls hat Jesus hier einen gütekräftigen Beginn gezeigt, der die Situation einer

„Mitte“, die Verachtung provoziert und personalisiert, auflöst.