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Innen und Außen im ostwestlichen Vergleich

Teil I: Philosophische Grundzüge der Leib-Seele-Diskussion

2 Historischer Abriss

2.2 Innen und Außen im ostwestlichen Vergleich

ansatzweise verstehe, ist dies: Lichtreflexe vom physischen Auto trafen partiell meine Netzhaut, wurden von meinem Nervensystem partiell strukturerhaltend, partiell strukturergänzend weiterverarbeitet, und wundersamerweise erscheint mir ein ungefähr strukturgleiches mentales Auto. Was vom physischen Original in mein Bewusstsein kam, war weder physische noch psychische Materie, sondern rein formale logisch-mathematische Informationsstruktur. Zweites Beispiel: der einseitige Informationsfluss zwischen mir, während ich diese schreibe, und Ihnen, während Sie dies lesen. Was ich Ihnen sagen möchte, ist mir flüchtig bewusst und gewinnt vorübergehend psychische Realität für mich. Ich kodiere es partiell strukturerhaltend in einem physischen Medium, das stabil genug ist, um diese Struktur zu bewahren, bis Sie dies lesen und partiell strukturerhaltend in etwas für mich Fremdpsychisches dekodieren. Was von meinem in Ihr Bewusstsein unverändert hinübergewandert ist, war wieder reine Struktur. Und notwendig für meine Vermutung, dass Sie mich ungefähr verstehen, sind einige metaphysische Unterstellungen:

ein intersubjektiv gemeinsames physisches Medium, eine gewisse Isomorphie zwischen physischen Alltagsobjekten und unseren mentalen Bildern, unser spontanes, kaum bewusstes Strukturverständnis und die unüberprüfbare Voraussetzung, dass Ihre und meine mentalen Phänomene nicht nur strukturell, sondern auch qualitativ so ähnlich sind, dass Sie ungefähr verstehen, was ich meine. Kurz, die kategoriale Trichotomie ist rätselhaft genug, philosophisch umstritten, aber gehört wohl doch zum realistisch-alltagswissenschaftlichen Weltbild. Ohne die Trichotomie verstünden wir nicht einmal ansatzweise Wahrnehmung und Kommunikation.

Soweit das westliche Bild, in dem die cartesianische innen/außen Spaltung ihren festen Platz hat;

sie trennt das private Bewusstsein vom öffentlichen Körper. Die östliche Spaltung verläuft, wie wir sahen, weiter innen durch das private Bewusstsein, und das Innerste, das sich jedem Zugriff entzieht, ist keineswegs höchstpersönliche Privatsache, sondern überpersönlich und leer. Die östlichen innen/außen-Polaritäten S. 27/28 sind unschärfer, vieldeutiger, unpersönlicher als die westlichen und haben stärker moralische und kosmische Konnotationen. Dieser Unterschied ist kulturhistorisch erklärbar, dazu drei Stichworte.

1. Der meditative Blick nach innen

Die Bedeutung der Meditation im Brahmanismus und Buddhismus war enorm, im Daoismus erheblich, im Konfuzianismus geringer und im Neokonfuzianismus wieder erheblich. Natürlich gab es auch im christlichen Europa Mystik und Meditation, vor allem in der Ostkirche, aber sie

hatten dort nicht so viel Gewicht wie in Asien.

2. Der naturwissenschaftliche Blick nach außen

Grundlage der modernen Naturwissenschaft ist die intersubjektiv kontrollierbare Beobachtung und Messung im wiederholbaren Experiment; ihr Stoff ist die intersubjektiv beobachtbare und messbare res extensa: das Physische. Und da, wie Galilei richtig bemerkte, das Buch der Natur in der Sprache der Mathematik geschrieben ist,36 wurde die empirische Beobachtung und Messung in Kombination mit mathematischer Beschreibung und Berechnung zum Instrument, mit dem Kopernikus, Galilei, Kepler und Newton der modernen Naturwissenschaft zum Durchbruch verhalfen. Die wichtigsten Philosophen dieser Zeit standen in enger Verbindung mit Naturwissenschaftlern, Spinoza hat für Huygens Linsen geschliffen, und noch Kant hatte bemerkenswerte astronomische und physikalische Kenntnisse. Dieser empirisch-mathematische Blick auf die äußere Natur durch Tele- und Mikroskope lag den östlichen Philosophen fern. Wenn sie nicht meditativ nach innen blickten, beugten sie sich über ihre uralten Klassiker, um noch einen weiteren Kommentar zu schreiben. Daher ist der Neokonfuzianismus gegen Ende des 19.

Jahrhunderts aus politisch-ökonomischen Gründen verstorben, und von seiner ganz anders ausgerichteten Bewusstseinsphilosophie weiß man heute auch im Osten meist so wenig wie im Westen. Aber besonders wichtig für das Verständnis der ostwestlichen Differenz erscheint mir:

3. Der christliche Monotheismus

Manche mögen ihre privaten Reserven gehabt haben (Spinoza hatte sie ganz sicher gegen die jüdische und christliche Orthodoxie), aber die religiösen Bekenntnisse von Kepler, Descartes, Newton, Leibniz usw. waren keine reinen Lippendienste. Sie waren in einer tiefreligiösen Gesellschaft aufgewachsen, und das hinterlässt auch bei intelligenten Skeptikern Spuren.

Tatsächlich wirkt das christlich-monotheistische Bild des Menschen weltweit bis heute nach. Das beginnt mit dem Verständnis der Zeit. Im Osten war sie ohne Anfang, ohne Ende und verlief eher zyklisch. Im christlichen Europa begann sie mit der Erschaffung der Welt und sollte mit dem Jüngsten Gericht enden. Das gab der persönlichen Existenz des Menschen vor Gott ihre einzigartige Bedeutung (Für Leibniz waren keine zwei Monaden gleich).

Wiedergeburtsvorstellungen, die es im früheren Christentum noch gab, wurden durch Konzilbeschlüsse bald aus der Welt geschafft. Jeder Mensch war eine singuläre göttliche Schöpfung ex nihilo, und seine winzige Lebensspanne gewann fast unerträgliches Gewicht. Denn

36 Das vielzitierte diktum stammt aus den Jahr 1623.

für seine Taten war er `irgendwie´ selbst verantwortlich, und seine unsterbliche Seele würde durch das Jüngste Gericht entweder ins ewige Paradies oder in die ewige Verdammnis geschickt werden (Das von Augustin ad hoc eingeführte endliche Fegefeuer änderte mathematisch gesehen im Unendlichen nichts). Solche frühkindliche Prägung erzeugt sehr skrupelhafte, aber auch sehr selbstbewusste Individualisten, und die wachsende Gewissheit, die von Gott geschaffene Natur dank seiner Gnade empirisch-mathematisch verstehen und technisch verbessern zu können, dürfen und sollen, erhöhte das Selbstbewusstsein. Ein Paradebeispiel ist Descartes: Tiefreligiös, ein exzellenter kreativer Mathematiker, wissenschaftlich auf der Höhe seiner Zeit, unzufrieden mit der Philosophie seiner Zeit, hatte er den scharfen empirisch-mathematischen Blick nach außen und zugleich, wie seine Meditationen beweisen, den ebenso scharfen skrupelhaften Blick nach innen.

Nicht zufällig verdanken wir ihm die ontologische Trennung und kausale Verbindung von Leib und Seele, die wir bis heute praktisch nicht loswerden und theoretisch nicht verstehen, wie Bieris Trilemma und seine Verschärfung durch das darwinistische Argument hoffentlich gezeigt haben.

Und ähnlich wie im Osten monistische Dualisten und dualistische Monisten endlos mit dem i / ki-Rätsel vergeblich gerungen haben, gibt es, so scheint mir, bei allem wissenschaftlichen Fortschritt zum Leib-Seele-Rätsel keinen echten philosophischen Fortschritt seit Descartes.37 Ich skizziere die Problemgeschichte und komme auf die ostwestliche Parallele am Ende der Arbeit zurück.

37 Dass ich Descartes hier heraushebe, ist etwas willkürlich. Natürlich war er wichtig zur begrifflichen philosophischen Klärung. Aber von der Lösung des Leib-Seele-Rätsels sind wir wohl heute noch so weit entfernt wie zu Buddhas Zeiten. Mehr dazu am Schluss.