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Die Fachklinik wird als System verstanden. Dies System wird durch seine Bestandteile, die Interaktion dieser Bestandteile und die Umgebung beeinflusst. Die Aufnahme von Substituierten Patienten stellt eine Veränderungen im System dar. Zu den bestimmenden Elementen des Systems gehören Patienten und Mitarbeiter mit gemeinsamen Annahmen über die Natur der Drogenabhängigkeit und Wege zur Bewältigung der Drogenabhängigkeit.

Die Annahmen über Drogenabhängigkeit gehen organisch aus der Tradition und Entwicklung der Suchthilfe hervor. Wissenschaftliche Ergebnisse finden Eingang in die Behandlung, wenn, die Ordnung des Systems in der Lage ist, die Ergebnisse zu integrieren. Oft waren Fachkliniken nicht in der Lage, die Ergebnisse der Rückfallforschung zu integrieren, wenn disziplinarische Ordnungsprinzipen die Behandlung bestimmte.

Bei den Auswirkungen der Einführung von Substitutionstherapie in eine Fachklinik sind daher die prägenden Traditionen und Entwicklungen der Suchthilfe zu berücksichtigen.

Einflussfaktoren „von Außen“ im Sinne von wissenschaftlichen Befunden oder veränderten Richtlinien der Leistungsträger oder Organisationsprinzipien der Rehabilitation können die Auswirkungen modifizieren. Unter Umständen gibt es Modelle und Ordnungsprinzipien für eine Fachklinik, die die Integration von substituierten Patienten erleichtern.

Bestimmende Elemente einer Fachklinik sind vor allem die Patienten und Mitarbeiter. Ihre Sicht der Behandlung wird durch die Aufnahme von Substituierten möglicherweise verändert, aber auch die Behandlung der substituierten Patienten selbst wird hierdurch beeinflusst. Der

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synergetische Ansatz erlaubt es, die beobachteten Auswirkungen zu beschreiben und Veränderungen im System in Beziehung zueinander zu setzen. Damit sind Aussagen über die Veränderungen der Fachklinik als Ganzes möglich.

3 Methoden

Das allgemeine Ziel der Sozialforschung ist das „Motiv der Aufklärung des Menschen über Prozesse, die außerhalb und innerhalb seiner jeweiligen Sozialorganisation ablaufen, und deren Unkenntnis ihn an der Befreiung von Zwängen und Entbehrungen hindert“ (Esser et al.

1977, S. 164). Die gemeinsame Aufgabe von Forschung und Praxis ist „Die kontinuierliche Weiterentwicklung des Drogen- und Suchthilfesystems im Interesse der Klienten“ (Barsch 2001, S. 3). Hier wird untersucht, wie die Einführung eines bestimmten Therapieelements (Substitutionstherapie) das System Fachklinik beeinflusst und welche Interessen und Bedürfnisse der Patienten und der Mitarbeiter und welche allgemeinen Versorgungsinteressen berührt werden.

Oben wurden die Probleme der Erforschung von Systemen erläutert: Die Abgrenzung eines Systems gegenüber anderen Systemen ist nie eindeutig, die Dynamik eines Systems ist durch Wechselwirkungen dominiert und Operationalisierungen sind nur bedingt möglich (vgl.

Kapitel 2). Um ein System annähernd beschreiben und mögliche Wechselwirkungen und Veränderungen nachvollziehen zu können, ist eine Reduktion der Wirklichkeit unabdingbar, die nachvollziehbaren Gedankengängen folgt. Beim experimentellen empirischen Ansatz ist die Reduktion durch die Art der verwandten Methode und durch die zugrundeliegende Theorie bestimmt, die die wesentlichen zu untersuchenden Faktoren postuliert. Ein Nachteil dieser Methode ist, dass nur ein Ausschnitt der Wirklichkeit erfasst wird: „Vieles können sie mit empirischem Untersuchungsmaterial nicht greifen, obwohl sie wissen, dass es existiert“

(Melzer 2004, S. 42). Wechselwirkungen und andere als die gemessenen Einflüsse werden bei der Interpretation der Ergebnisse oft ignoriert. Stabil gehaltene Einflussfaktoren wie Rahmenbedingungen und Umgebungsfaktoren gehen in die Ergebnisse ein, werden aber nicht bei der Bewertung der Effekte berücksichtigt. Nicht stabil zu haltende Einflüsse gelten regelmäßig als „Störvariablen“, wenn sie nicht im Horizont der untersuchten Theorie enthalten sind.

Bei einem weniger theoriegeleiteten Vorgehen21, das sich nicht an einem quasi-experimentellen Design orientiert, geschieht eine erste deutliche Reduktion der Vielfalt und eine Strukturierung des untersuchten Feldes durch die Entscheidung für eine konkrete

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Fragestellung. Bestimmte Aspekte werden in den Vordergrund gestellt, andere werden als weniger wesentlich (zumindest vorerst) in den Hintergrund gerückt bzw. ausgeschlossen (vgl.

Flick 2009). Hier führt dies zur Konzentration auf das System Fachklinik und den bestimmenden Elementen dieses Systems.

Elemente des Systems Fachklinik, Einflussfaktoren

• Konzept: Jede Fachklinik hat ein mit den Leistungsträgern abgestimmtes, wissenschaftlich begründetes Konzept. Im Konzept werden die grundlegenden Behandlungsansätze und die räumliche und organisatorische Struktur beschrieben. In der hier untersuchten Klinik wurde das Konzept vor der Aufnahme von Substituierten überarbeitet und um entsprechende Abläufe für die Substitution erweitert. Weitere Veränderungen in den Abläufen der Klinik waren nicht vorgesehen. Räumliche oder organisatorische Veränderungen waren in der hier untersuchten Klinik für die Aufnahme von substituierten Patienten nicht geplant.

• Kernprozesse: Im Rahmen des Qualitätsmanagements werden die Kernprozesse einer Klinik als „Verfahrensregeln“ beschrieben. Dazu gehören die Kommunikations- und Entscheidungsabläufe zwischen den Mitarbeitern, der Umgang mit Fehlern und Problemen sowie die Abläufe im Alltag der Klinik. Neben konzeptuellen Festlegungen fließen Entwicklungen und Traditionen der Klinik ein. Unklar ist, inwieweit diese Traditionen durch die Aufnahme von substituierten Patienten beeinflusst werden und umgekehrt die Behandlung der substituierten Patienten beeinflussen.

• Patienten: Im Zuge des Wunsch- und Wahlrechtes der Patienten gemäß § 9 SGB IX bei der Beantragung einer Rehabilitation entscheiden sich die Patienten für eine Klinik, die am ehesten ihren Erwartungen und Vorstellungen einer wie auch immer definierten „guten“

Therapie entsprechen. Wenn die Fachklinik klar mit bestimmten Merkmalen verbunden ist, wirkt eine Veränderung dieser Merkmale auf die aktuellen Patienten und verändert möglicherweise auch die Bewerberstruktur.

• Mitarbeiter: Berufliche Zufriedenheit und Engagement hängen damit zusammen, ob eine positive Identifikation mit dem Arbeitsplatz gelingt. Eigene Einstellungen, Erfahrungen und Emotionen werden um so mehr eingebracht, je weniger Abläufe normiert sind oder je stärker dies – z. B. im Bereich der Psychotherapie – für die Arbeit selbst von Bedeutung ist.

Vor allem in einem System, dass sich immer in Akkomodations- und Assimilationsprozessen befand, beeinflussen Werte und Einstellungen langjähriger Mitarbeiter die Entwicklung der Fachklinik. Umgekehrt werden Veränderungen in der Fachklinik, die nicht mit eigenen

Werten übereinstimmen, wie z. B. die Aufnahme substituierter („nicht-cleaner“) Patienten, persönlich relevant.

• Umwelt: Die Fachklinik ist ein abgegrenztes, aber vielfältig mit der Umwelt verbundenes System. Einflussfaktoren sind gesellschaftliche und wissenschaftliche Veränderungen, Vorgaben der Leistungsträger und Veränderungen in der regionalen Drogenhilfe, z. B. durch veränderte Hilfsangebote22. Die unterschiedliche und oft konkurrierende Entwicklung von Substitutionstherapie und Entwöhnungsbehandlung führte nur zu wenigen Berührungspunkten in der Vergangenheit (vgl. Kapitel 4). Möglicherweise zeigt die Umwelt durch Vorgaben der Leistungsträger oder Klassifikationssysteme wie der ICF Wege auf, tatsächliche oder scheinbare Widersprüche zwischen Substitutionstherapie und Entwöhnungsbehandlung zu überwinden.

• Interaktion: Die Komplexität von Organisationen ist erheblich. Allein bei einer Fachklinik mit circa 20 Mitarbeitern und 40 Patienten sind mathematisch 1800 Zweierbeziehungen unterschiedlicher Qualität, Intensität, Zielrichtung usw. denkbar. Hinzu kommt eine unüberschaubare Anzahl von Beziehungen unterschiedlicher „Gruppen“

(Psychotherapeuten, Arbeitstherapeuten, Patienten mit Migrationshintergrund usw.), die sich überschneiden und verschiedene Inhalte in wechselnden Ausprägungen verfolgen. Eine Beschreibung der Interaktionen ist jedoch eher möglich, wenn diese sich auf die Interaktion zwischen den Elementen der Fachklinik beschränkt. Dafür ist es notwendig, die objektiven und messbaren Veränderungen (Therapieerfolg, Mitarbeiterfluktuation, Patientenmerkmale) zu erheben und diese dann mit den subjektiven Ursachenzuschreibungen der Beteiligten in Verbindung zu bringen.