Teil I: Theoretische Grundlagen und einführende Diskussion
1. Diskurs, Sprache, Ideologie
1.4. Ikonizität
Ikonizität gehört laut Ponzio (2004) neben der Dialogizität und Abduktion zu den wichtigsten Charakteristika ideologischer Zeichen. Zugleich ist ‘Ikonizität’ eines der facettenreichsten Konzepte der Semiotik.
Traditionell werden in Anlehnung an Peirce drei Zeichentypen unterschieden, die nach der Art des dominierenden Interpretationsverfahrens differenziert werden – Index (Symptom), Ikon und Symbol.13 Interpretiert werden die Zeichen mithilfe von bestimmten Schlussverfahren: So werden Indexe mithilfe kausaler, Ikone mithilfe assoziativer und Symbole mithilfe regelbasierter Schlüsse interpretiert. Die Relation des Zeichens zu dem von ihm Bezeichneten wird bei Indexen als die der Natürlichkeit, bei Ikonen als die der Ähnlichkeit und bei Symbolen als die der Arbitrarität dargestellt (Keller 1995, 117). Primäre Indexe sind im Vergleich zu den anderen beiden Zeichentypen ‘einfachere’ Zeichen in dem Sinne, dass sie im Grunde genommen keinen Sender und somit keinen Adressaten haben: „Es ist vielmehr erst ihre interpretative Nutzung, die sie zu Zeichen macht.“ (Keller 1995, 118). Indexe werden
13 In Bezug auf sprachliche Zeichen ist besonders zu beachten, dass jedes sprachliche Zeichen im Grunde genommen ein Symbol ist, so dass man in Bezug auf sprachliche Ikone und Indexe von ikonischen bzw. indexalen Symbolen sprechen kann (vgl. Nöth 2001, 19; s. auch Ponzio 2004, 3440).
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interpretativ benutzt, um vom Teil auf das Ganze oder von der Ursache auf die Wirkung bei Teil-Ganzes- bzw. Ursache-Wirkung-Relationen zu schließen (vgl. Keller 1995, 120 f.). Die Zeicheninterpretation erfolgt bei Ikonen auf dem Weg der Assoziation:
Der Zeichenproduzent mutet dem Adressaten mit der Verwendung eines Ikons zu, vom graphischen, lautlichen oder gestischen Ausdruck eines Zeichens auf dem Wege der Assoziation eine sinnvolle Interpretation dieses Zeichenvorkommens zu erschließen; d.h. zu versuchen, assoziativ herauszubekommen, was plausiblerweise gemeint sein könnte. Da der Interpret dazu keine besonderen Kenntnisse oder Regeln benötigt, sondern nur seine natürliche allgemeinmenschliche Assoziationsgabe, sind Ikone mehr oder weniger sprach- und kulturunabhängig verwendbar und verstehbar. (Keller 1995, 125)
Dabei betont Keller (1995, 124 f.), dass die Ähnlichkeitsrelation eines Ikons zu dem von ihm Bezeichneten sehr vielfältig sein könne: „(i) lautlich, graphisch, gestisch, (ii) direkt oder indirekt und (iii) stärker oder schwächer“ (Keller 1995, 125). Im Grunde genommen kann alles,
„was Assoziationen auszulösen imstande ist […], unter geeigneten Umständen als ikonisches Zeichen verwendet werden“ (Keller 1995, 128). Daher ist die Interpretation eines Ikons „in hohem Maße kontextabhängig“ (Keller 1995, 127, 130). Die „natürliche allgemeinmenschliche Assoziationsgabe“ (Keller 1995, 125) ist also für das Erkennen der Ähnlichkeitsrelationen notwendig, während Kontextwissen eine ‘richtige’ Interpretation ikonischer Zeichen gewährleisten soll. Im Gegensatz zu Symbolen sind Ikone „notwendigerweise motiviert“
(Keller 1995, 8); dabei versteht der Autor unter ‘Motiviertheit’ die semantische Transparenz (vgl. Keller 1995, 156). Ein Symbol wird hingegen auf der Basis der regelbasierten Schlüsse interpretiert: „Zu wissen, was ein Symbol bedeutet, heißt wissen, zur Realisierung welcher Intentionen es unter welchen Bedingungen verwendbar ist.“ (Keller 1995, 129). Im Gegensatz zu Ikonen ist der Umfang der möglichen Interpretationen bei Symbolen sehr gering (vgl. Keller 1995, 131).
Das Besondere in Bezug auf Indexe und Ikone ist, dass diese bei einer Änderung des Schlussverfahrens zu Symbolen werden können: Wird ein Index intentional verwendet und kommt bei Ikonen eine gewisse Gebrauchsfrequenz hinzu, werden sie auf der Basis der regelbasierten Schlüsse interpretiert, d.h., sie hören auf, Indexe und Ikone zu sein und werden zu Symbolen (vgl. Keller 1995, 118, 126). Damit Indexe zu Symbolen werden, müssen sie einerseits durch den Sender in einer Simulation oder Inszenierung reproduziert werden;
andererseits muss die Simulation bzw. Inszenierung vom Empfänger als solche erkannt und als Kommunikationsversuch gewertet werden (Keller 1995, 161 ff.). Durch eine Simulation werden Symptome ikonifiziert (z.B. das simulierte Gähnen als Ausdruck der Langeweile;
Keller 1995, 162). Eine wiederholt auftretende Inszenierung des Symptoms bzw. die Unterstellung einer Inszenierung auf Seiten der Interpreten kann zu seiner Symbolisierung führen. In diesem Zusammenhang führt Keller (1995, 165 ff.) das Beispiel mit der Automarke
‘Jaguar’ an, die in der Gesellschaft als Statussymbol fungiert: Zuerst wird ein Jaguar in einem kausalen Prozess als Symptom für viel Geld gedeutet (‘Wer x hat, hat auch y’). Wird dem Jaguarbesitzer eine Inszenierung unterstellt, sieht die Interpretation folgenderweise aus: ‘Wer zeigt, dass er x hat, will zu erkennen geben, daß er auch y hat’ (vgl. Keller 1995, 166). Wird diese Interpretation zum „allgemein akzeptierten Argumentationsmuster“ (ebd.), d.h. zum kollektiven Wissen, führt dies zu der nächsten Interpretation: ‘x dient in der Gruppe G dazu (x hat die Funktion), zu erkennen zu geben, dass y’ (Keller 1995, 167). Somit wird x endgültig zum Symbol. Ikone werden infolge eines regelhaften Gebrauchs notwendigerweise zu
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Symbolen, denn Assoziieren ist „ein kreativer Prozess ohne Normativität“ (Keller 1995, 168).
Mit anderen Worten ausgedrückt:
Wird jedoch einem Interpreten ein und dieselbe Assoziationsaufgabe mehrfach mit Erfolg gestellt, so hört der Schlußprozeß dank der Erinnerung an die Präzedenzen auf, ein assoziativer zu sein. Assoziation bei bekanntem Assoziationsziel nennt man ganz einfach nicht Assoziation. Wenn dazu noch der Zusammenhang von Zeichen und ‘Assoziationsziel’
Gegenstand kollektiven Wissens geworden ist, so ist eine Gebrauchsregel entstanden, und das Ikon ist zu einem Symbol geworden. Das heißt, durch sichere Wiederholung, gemeinsame Erinnerung an Präzedenzen sowie Unterstellung kommunikativer Intentionalität wird ein assoziativer Schluß zu einem regelbasierten Schluß. (Keller 1995, 168 f.)
Die auf diese Weise erfolgte Konventionalisierung ikonischer Zeichen hat zur Folge, dass die ursprüngliche Abbildtreue für eine adäquate Interpretation des Zeichens nicht mehr relevant ist, was zur Demotivierung des Zeichens führt; gleichzeitig wird die ursprüngliche
„Situationsgebundenheit des Gebrauchs […] gelockert“ (Keller 1995, 169). Keller (1995, 170) betont dabei, dass der Prozess der Symbolifizierung von Ikonen bei jedem einzelnen Mitglied einer Sprachgemeinschaft asymmetrisch verläuft: „Was für den einen Symbol ist, kann für den anderen Ikon sein. Was der eine assoziativ deutet, kann der andere, der mit diesem Zeichen schon häufiger konfrontiert wurde, bereits regelbasiert interpretieren.“ In Bezug auf die oben dargestellten ‘Zeichenmetamorphosen’ betont Keller (1995, 171, 173), dass die Entwicklung von Symptomen zu Ikonen und Symbolen bzw. von Ikonen zu Symbolen unidirektional sei.
Eine Reindexikalisierung von Symbolen ist allein durch die Beschaffenheit der Indexe nicht möglich: Indexe werden nicht willentlich hervorgebracht, sondern als Symptome interpretiert (vgl. Keller 1995, 172). Eine Reikonifizierung von Symbolen sei, so Keller (1995, 173), aus dem Grund unmöglich, weil die Symbolifizierung von Ikonen durch die „Entstehung gemeinsamen Wissens bezüglich der Regel des Gebrauchs“ begleitet werde. Für eine Reikonifizierung sei somit ein „Wissensverlust“ in Bezug auf die Gebrauchsregeln des Zeichens notwendig, was unmöglich sei, solange ein Zeichen verwendet wird (ebd.). So etwas könne man sich nur in Bezug auf Zeichen vorstellen, die auf Grund eines dauerhaften Nicht-Gebrauchs in Vergessenheit geraten sind. Jedoch würde sich bei der Wieder-Aufnahme solcher Zeichen in den Gebrauch um einen Neubeginn handeln (vgl. Keller 1995, 173). In diesem Zusammenhang kommt Keller (ebd.) zu dem folgenden Schluss: „Auf jeden Fall gilt es: Es kann keine Art der Verwendung geben, aus der resultiert, daß ein Symbol wieder in den Status eines Ikons zurückfällt.“ Es ist aber möglich, dass sich neue Ikone oder Symptome auf der Ebene der Symbole bilden. In diesem Zusammenhang spricht Keller (1995, 173) von Symptomen und Ikonen „höherer Ebene“. So wird eine „ernsthafte“ Verwendung solcher sprachlichen Symbole wie Nigger, Durchrassung usw. als „Symptom rassistischer Gesinnung“
interpretiert (Keller 1995, 172). Dabei fungierten allerdings nicht die Symbole als Symptome, so Keller (1995, 173), sondern die „Tatsache ihrer Verwendung“ werde als Index einer bestimmten Einstellung interpretiert. Bei Ikonen höherer Ebene handelt es sich um Metaphern;
diese werden von Keller als ‘Metaikone’ bezeichnet (vgl. Keller 1995, 173, 183).
Versucht man, die im Ansatz von Keller (1995) dargestellten Besonderheiten ikonischer Zeichen mit der Auffassung ideologischer Zeichen von Ponzio (2004) zu verknüpfen, so stellt sich die Frage: Wie ist die Ikonizität von ideologischen Zeichen zu erklären, die in der Regel in einer Gesellschaft bereits seit langem als Symbole fungieren? In diesem Zusammenhang
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scheint das Peirce’sche Konzept ‘image’ hilfreich zu sein, das von Nöth (2001) in vielerlei Aspekten beleuchtet wird.
Nöth (2001, 24, 26) spricht von der Allgegenwärtigkeit oder Omnipräsenz der Ikonizität in der Sprache und findet hierzu zahlreiche Ausprägungen in der kommunikativen und kognitiven menschlichen Tätigkeit. Dabei widerspreche die allgegenwärtige sprachliche Ikonizität nicht dem Arbitraritätsprinzip der Sprache (vgl. Nöth 2001, 25). So operiere die menschliche Kognition mit den sogenannten ‘mental images’, die durch ein Zeichen hervorgerufen werden (Nöth 2001, 25). Images werden von Peirce neben Diagrammen und Metaphern als ikonische Zeichen eingestuft; sie befinden sich in unmittelbarer, perzeptiv wahrnehmbarer Ähnlichkeits-Relation zu ihren Objekten (vgl. Nöth 2001, 21). Images von Objekten werden durch die Verwendung von Symbolen aktiviert: „The deliverer thus requires a kind of sign which shall signify a law that to objects of indices an icon appertains as sign of them in a given way. Such a sign has been called a symbol” (CP 3.435). ‘Mental images’ entsprechen allem Anschein nach den ‘Bedeutungen’ von Zeichen in repräsentationistischer Bedeutungsauffassung (vgl. Keller 1995, 114 f.).14 Sprachliche Symbole können entweder ein inkorporiertes Ikon oder einen inkorporierten Index in sich aufweisen. So stellt Peirce den Substantiven und Verben, die er angesichts ihrer Fähigkeit, bestimmte Images in der Kognition evozieren zu können, zu ikonischen Symbolen zählt, einerseits indexalische Symbole (Deiktika), andererseits ‘pure Symbole’ oder Synsemantika gegenüber, die weder ikonisch noch indexalisch seien:
Just as a photograph is an index having an icon incorporated into it, that is, excited in the mind by its force, so a symbol may have an icon or an index incorporated into it, that is, the active law that it is may require its interpretation to involve the calling up of an image, or a composite photograph of many images of past experiences, as ordinary common nouns and verbs do; or it may require its interpretation to refer to the actual surrounding circumstances of the occasion of its embodiment, like such words as that, this, I, you, which, here, now, yonder, etc. Or it may be pure symbol, neither iconic nor indicative, like the words and, or, of, etc. (CP 4.447)
Mentale Images (oder ‘mentale Bilder’; vgl. Rellstab 2007, 175) sind nicht nur durch Zeichen evozierbare mentale Vorstellungen, sie sind auch die Größen, die einem Symbol zugrunde liegen, genauer gesagt, das Symbol bei seiner Entstehung bestimmen: „Every symbol is, in its origin, either an image of the idea signified, or a reminiscence of some individual occurrence, person or thing, connected with its meaning, or is a metaphor.” (CP 2.222). Rellstab (2007, 172, 175, 177, 198 ff.) weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass Ikonizität bei Peirce sehr wichtig für Kategorisierungsprozesse und somit für die Genese der Symbole, die als verallgemeinerte Zeichen angesehen werden, sei. Laut Rellstab (2007, 175) steht hinter der Peirce’schen Auffassung des Ikons „irgendein möglicher qualitativer Inhalt des Bewusstseins, betrachtet unter dem Aspekt seiner möglichen Funktion als Repräsentation einer Qualität oder Eigenschaft eines möglichen Objekts“. Indem Ikone eine bestimmte Qualität von Objekten repräsentieren, die aufgrund unserer Wahrnehmung dieser Objekte gewonnen wird,
14 So schreibt Peirce, dem Keller (1995, 114 f.) ebenfalls eine repräsentationistische Auffassung von Bedeutungen zuschreibt, an einer Stelle: “A meaning is the associations of a word with images, its dream exciting power.” (CP 4.56). Keller (1995, 58-61) stellt den repräsentationistischen Bedeutungsauffassungen eine Gebrauchsregel-Konzeption gegenüber, die er letztendlich vertritt. Er setzt die Bedeutung mit den Gebrauchsregeln eines Zeichens gleich, die die Interpretierbarkeit des Zeichens und somit das Kommunizieren ermöglichen, während kognitive Repräsentationen oder Vorstellungen vom Autor als Folgen der Kommunikation bzw. des „Verstanden-habens“
(Keller 1995, 59) aufgefasst werden.
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repräsentieren sie unsere Erfahrungen damit. Man kann somit das Ikon als „Mischfotographie der Erfahrungen eines Objekts“ darstellen (Rellstab 2007, 200). Auf der Grundlage ikonischer Repräsentationen von Objekten werden diese miteinander verglichen und als gleich oder verschieden kategorisiert (vgl. Rellstab 2007, 173).15 Ein Symbol stelle im Grunde genommen ein Urteil dar, das zwei gleiche, aber zu unterschiedlichen Zeitpunkten gemachte Erfahrungen verbinde (vgl. Rellstab 2007, 200). In einem Symbol wird eine Kontinuität zwischen vergangenen, immanenten und zukünftigen Erfahrungen hergestellt; sie soll „die Identität der repräsentierten Objekte für die Interpreten der Zeichen ermöglichen“ (ebd.). In einem Symbol werden Erfahrungen „generalisiert“, „kategorisiert und benannt“ (Rellstab 2007, 201), was mit einem Verlust „ursprüngliche[r] Sinnesqualitäten“ einhergeht (ebd.). Dies erklärt die allgemeine und gleichzeitig vage Natur der Symbole (Rellstab 2007, 201, 203). Da diese Kategorisierung auf der Wahrnehmung beruht, ist sie nicht völlig arbiträr (vgl. Rellstab 2007, 201). Man kann hier im Anschluss an Keller (1995, 125) von einer allgemein-menschlichen Fähigkeit sprechen, Unterschiede und Ähnlichkeiten zu erkennen und diese in der Erinnerung
„mit Hilfe einer vermittelnden Repräsentation festzuhalten“ (Rellstab 2007, 173). Gleichzeitig wird die Bedeutung der Symbole durch die soziale Umwelt strukturiert und abgestützt (vgl.
Rellstab 2007, 202, 204).
Wie bereits erwähnt, enthalten Symbole Ikone. In einer Kommunikationssituation versucht der Sprecher mit dem Ziel, verstanden zu werden, durch die Verwendung bestimmter Symbole bei seinem Gegenüber bestimmte Images zu evozieren. Der Sprecher erhofft sich dabei, dass seine Äußerung beim Hörer die gleichen Images evoziert, die sie beim ihm evozieren würde:
In any case, the deliverer makes signals to the receiver. Some of these signs (or at least one of them) are supposed to excite in the mind of the receiver familiar images, pictures, or, we might almost say, dreams – that is, reminiscences of sights, sounds, feelings, tastes, smells, or other sensations, now quite detached from the original circumstances of their first occurrence, so that they are free to be attached to new occasions. The deliverer is able to call up these images at will (with more or less effort) in his own mind; and he supposes the receiver can do the same. (CP 3.433)
Für ein gegenseitiges Verstehen wird also „some kind of parallelism between the speaker’s message and the hearer’s interpretation of it” vorausgesetzt (Nöth 2001, 26): “The latter must be iconic of the former to a certain degree if verbal communication is to be successful.” (Ebd.;
s. auch CP 3.433). Jedoch bestehe zwischen den Zeicheninterpretationen des Sprechers und des Hörers nicht die Relation einer ‘perfekten Symmetrie’ (Nöth 2001, 26 f.). Die Asymmetrie bzw.
Andersartigkeit, die im Prozess der Zeicheninterpretation festgestellt wird, stelle die treibende Kraft der dialogischen Semiose dar: „On the contrary, the speaker can only suppose or perhaps hope that the hearer evokes the same images, but actually there are always differences which remain and give rise to a dialogic ‘sequence of successive interpretations’ in the process of unlimited semiosis, which is the necessary prerequisite of the growth of signs.” (Nöth 2001, 27). Differenzen bzw. die Andersheit geben nicht nur Impulse für die Fortsetzung des Dialogs, sondern auch für neue Ideen. Diese entstehen dadurch, dass vertraute Imagekomplexe neu
15 Rellstab (2007, 173) weist darauf hin, dass es sich dabei um eine konstituierte Gleichheit handle, „und zwar schon alleine deshalb, weil zwischen den einzelnen Sinneswahrnehmungen immer ein Zeitintervall besteht“. In diesem Zusammenhang greift Rellstab (2007, 173) außerdem die damit verbundene Frage auf, „inwiefern denn Ikonizität hergestellt oder gegeben sei“, die bereits von anderen Autoren (z.B. in Eco (1987)) problematisiert wurde.
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kombiniert werden (vgl. Nöth 2001, 26). Peirce unterscheidet in diesem Zusammenhang zwischen dem konjunktiven und dem disjunktiven Kombinieren von Images: “In fact, two types of complication will be sufficient. For example, one may be conjunctive and the other disjunctive combination. Conjunctive combination is when two images are both to be used at once; and disjunctive when one or other is to be used.” (CP 3.433). Die Neu-Kombination von Images entstehe infolge eines inferenziellen Prozesses. Inferenz wird von Peirce als “the conscious and controlled adoption of a belief as a consequence of other knowledge” (CP 2.442) definiert. Im inferenziellen Prozess unterscheidet Peirce drei Phasen. In der ersten Phase werden ikonische Zeichen auf eine neue Art und Weise kombiniert; diese Phase nennt er ‘Kolligation’
(colligation):
The first step of inference usually consists in bringing together certain propositions which we believe to be true, but which, supposing the inference to be a new one, we have hitherto not considered together, or not as united in the same way. This step is called colligation. The compound assertion resulting from colligation is a conjunctive proposition, that is, it is a proposition with a composite icon, as well as usually with a composite index. (CP 2.442) In der nächsten Phase erfolgt die Fokussierung auf bestimmte Eigenschaften des komplexen Ikons; dabei werden andere Eigenschaften verwischt: „The next step of inference to be considered consists in the contemplation of that complex icon, the fixation of the attention upon a certain feature of it, and the obliteration of the rest of it, so as to produce a new icon.” (CP 2.443). In der dritten Phase erfolgt eine Verallgemeinerung, indem zu dem aktuellen Urteil andere Urteile herangezogen werden, die von den Prämissen abgeleitet werden, die ähnliche Ikone enthalten; so wird einerseits eine Akzeptanz der Propositionen erzwungen, die sich als Konklusionen zu diesen Prämissen verhalten. Andererseits wird diese Prämisse-Konklusion-Relation befestigt: „Hence the mind is not only led from believing the premiss to judge the conclusion true, but it further attaches to this judgment another – that every proposition like the premiss, that is having an icon like it, would involve, and compel acceptance of, a proposition related to it as the conclusion then drawn is related to that premiss. [This is the third step of inference.]” (CP 2.444).
Die zweite und die dritte Phase der Inferenz nennt Peirce ‘Beobachtung’ (observation) bzw.
‘Urteil’ (judgment). Peirce definiert ‘Beobachtung’ (observation) als “[a]ttentive experience;
especially, an act of voluntarily attentive experience, usually with some, often with great, effort” (CP 2.605). Urteile enthalten die allgemeine Vorstellung, dass “what we observe in the colligated data follows a rule” (CP 2.444). Ein Urteil bewirkt, dass “ein Vorstellungsbild oder Ikon auf besonders intensive Weise mit einem Objekt assoziiert wird, das durch einen bestimmten Index dargestellt wird.” (Pierce 1986, 219).
Der oben dargestellte Prozess beschreibt im Grunde genommen die Genese von Symbolen aus den Zeichen, in denen in der ersten Phase die ikonische Seite überwiegt. Genau diese Phase ist für ideologische Zeichen ausschlaggebend: Man kann annehmen, dass (ideologische) Zeichen durch solche inferenziellen Prozesse zustande kommen. Inferenzen, die neue Imagekombinationen oder neue Symbol-Ikon-Relationen bewirken, stellen nichts anderes als Konzeptualisierungsprozesse dar, bei denen es sich um die Bildung, Prägung,
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Umstrukturierung von Konzepten handelt.16 In der letzten Phase erfolgt eine Konventionalisierung des Zeichens, so dass die ikonische oder assoziative Seite in den Hintergrund tritt und die symbolische oder regelbasierte Seite bei der Interpretation des Zeichens ausschlaggebend ist. Man könnte somit Kellers (1995, 173) Ansicht in Bezug auf die Icons modifizieren, indem man behaupten würde, dass es sich bei den ikonischen Zeichen tatsächlich um eine Art Neubeginn handle; dabei werden Symbole zu Ikonen nicht aus dem Grund eines Wissensverlustes in Bezug auf die Regeln des Gebrauchs, sondern dadurch, dass man versucht, die Regeln des Gebrauchs zu ändern, und zwar durch den Gebrauch des betreffenden Symbols in einem neuen Kontext. Die Tatsache, dass ein Symbol nicht nach seinen Gebrauchsregeln verwendet wird, veranlasst den Hörer dazu, sich bei der Interpretation des Zeichens dem Kontext zuzuwenden und in ihm nach der Motivation des Zeichens zu suchen. Die ikonische Seite des Zeichenprozesses wird aktualisiert, was eine neue Symbol-Ikon-Relation bewirken kann. In einem Diskurs wird versucht, durch verschiedene Kontextualisierungsstrategien ein Symbol im eigenen Interesse zu prägen und so die Einstellung in Bezug auf das Objekt des Zeichens bei seinem Gegenüber zu beeinflussen. Es handelt sich um die so genannten semantischen Kämpfe: semiotische Prozesse mit einem hohen Grad der Dialogizität und Andersheit, die Ponzio (2004) als ideologische Zeichen konzipiert hat (s. Abschnitt 1.3.2). Im Gegensatz zu Ponzio (2004) wertet Eco (1977; 1987) die Zeichen mit einer ‘festen’ Bedeutung als ideologisch.